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VfGH vom 07.03.1986, B239/85

VfGH vom 07.03.1986, B239/85

Sammlungsnummer

10809

Leitsatz

ErbStG 1955;GrEStG 1955; gemäß § 2 Abs 2 Z 4 ErbStG hindert die Abgeltung von geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen mit Grundstücken aus der Erbmasse die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nicht - diese Abgeltung ist einer Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch gemäß § 2 Abs 2 Z 4 ErbStG gleichzuhalten; die zitierte Vorschrift zielt auf erbschaftssteuerliche Gleichbehandlung wirtschaftlich gleichwertiger Erscheinungen ungeachtet möglicher rechtlicher Verschiedenheiten ab; Vorschreibung der Grunderwerbsteuer gleichheitswidrig

Spruch

Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der am verstorbene Kaufmann F R hatte sein Vermögen der Witwe als Alleinerbin hinterlassen und seine drei Kinder auf den Pflichtteil gesetzt. Da die Pflichtteile geltend gemacht worden waren, hatte das Finanzamt mit vorläufigem Abgaben- und Haftungsbescheid vom auch den Pflichtteilsberechtigten Erbschaftssteuer vorgeschrieben.

Mit Vertrag vom übergab die Erbin den Kindern für offene Pflichtteilsforderungen die aus der Verlassenschaft stammende Liegenschaft EZ ... KG Linz um einen Übergabspreis von je 269000 S. Für diesen Vorgang wird nun Grunderwerbsteuer erhoben. Der Berufung der bf. Pflichtteilsberechtigten, die auf das Erk. VfSlg. 9446/1982 hingewiesen und die Grunderwerbsteuerfreiheit beansprucht hatte, hielt das Finanzamt in der Vorentscheidung entgegen, der Verzicht auf den Pflichtteil (gegen Überlassung einer Liegenschaft) - dem der VfGH die hier vorliegende Abfindung des geltend gemachten Pflichtteils durch Überlassung einer Liegenschaft gleichstelle - sei nur innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist möglich; diese Frist sei bei Abschluß des Übergabsvertrages schon abgelaufen gewesen.

Die Finanzlandesdirektion räumt im Berufungsbescheid wohl ein, daß trotz Verjährung eine erfüllbare Naturalobligation bestehen bleibe, die verjährte Forderung erst über Einrede des Schuldners unklagbar werde - wobei der Wegfall des Pflichtteilsrechts außerdem die Folge hätte, daß die Übergabe der Liegenschaft schenkungssteuerpflichtig und damit grunderwerbsteuerfrei wäre -, die Verjährung nicht schon mit dem Tod des Erblassers beginne und ein geltend gemachter Pflichtteilsanspruch überdies erst nach dreißig Jahren verjähre. Unter Bezugnahme auf die aus Kreisen der Finanzverwaltung geübte Kritik an der Rechtsprechung des VfGH (A. Hausleithner, ÖStZ 1983, 62 ff., vgl. schon B522/83 vom ) kommt sie gleichwohl zu einer Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides: Der zufällige Umstand, daß der Bescheid vom ein vorläufiger war, könne nichts daran ändern, daß die einmal entstandene Erbschaftssteuerschuld (nach § 2 Abs 1 Z 1 ErbStG) endgültig geworden und eine spätere Beurteilung des erbrechtlichen Vorganges nach § 2 Abs 2 Z 4 ErbStG nicht mehr möglich sei.

Gegen den Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die unter neuerlichem Hinweis auf das Erk. VfSlg. 9446/1982 die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz rügt.

Der an die bel. Beh. gerichteten Aufforderung zur Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift hat der VfGH eine Ausfertigung des zur gleichen Frage ergangenen weiteren Erk. B522/83 vom angeschlossen. Die Gegenschrift will sich deshalb - nach ihren eigenen Worten - hauptsächlich auf eine Auseinandersetzung mit den vom VfGH dort neuerlich dargelegten Gründen beschränken:

Da die Grunderwerbsteuer den Rechtsverkehr besteuere, könne eine Gleichheitsverletzung nur vorliegen, wenn rechtlich Gleiches, nicht jedoch schon, wenn nur wirtschaftlich Gleiches ungleich besteuert werde. VfSlg. 9446/1982 stelle aber ausdrücklich darauf ab, daß der mit einer Liegenschaft abgefundene Pflichtteilsberechtigte sich "in der gleichen wirtschaftlichen Lage" befinde wie derjenige, der gegen das Versprechen einer Liegenschaft auf den Pflichtteil verzichte. Sodann entstehe die Erbschaftssteuerschuld in den beiden verglichenen Fällen zu verschiedenen Zeitpunkten. Dieser Problematik sei der VfGH in der neuen Entscheidung wohl vorerst ausgewichen. Nun sei jedoch zu fragen, warum der Gerichtshof nur an der Ungleichbehandlung bei der Grunderwerbsteuer Anstoß nehme, nicht jedoch bei der Ungleichbehandlung bei der Erbschaftssteuer, deren Auswirkungen oft bedeutend größer seien: Die Geltendmachung des Pflichtteils führe (auf Grundlage des Nominalwertes der Geldforderung) zu einer höheren Steuer als der Verzicht gegen Abfindung etwa mit einer Landwirtschaft (die nach dem Einheitswert zu bewerten sei). Der Gesetzgeber wolle ferner, daß der Grunderwerb als solcher entweder der Erbschaftssteuer oder der Grunderwerbsteuer unterliege. Deshalb sehe § 8 Abs 4 ErbStG als steuerlichen Ausgleich für den Entfall der Grunderwerbsteuer einen Zuschlag (für Grundstücke) vor und § 8 Abs 5 sichere durch eine Mindestbesteuerung die Abgabe für erworbene Grundstücke auch bei geringwertiger oder passiver Erbschaft. Diese Absicht werde vereitelt, wenn zunächst nur die (auf Geld gerichtete) Pflichtteilsforderung besteuert werde und der spätere Liegenschaftserwerb steuerfrei bliebe. Das vom VfGH in VfSlg. 9446/1982 angezogene Urteil des deutschen Bundesfinanzhofes schließe aus dem Zweck der nachträglichen Einfügung der Z 4 des § 2 Abs 2 ErbStG, daß es nicht angehe, diesen "Auffangtatbestand" steuerfrei zu belassen, den "Grundtatbestand" (des § 2 Abs 1 Z 1) aber zu besteuern. Eine nähere Betrachtung zeige indes, daß die Bevorzugung bei der Erbschaftssteuer - wegen der Maßgeblichkeit des Einheitswertes - gar nicht beseitigt worden sei. Die gewünschte Gleichheit könne doch auch dadurch hergestellt werden, daß der Bevorzugte dem Benachteiligten gleichgestellt werde. Der vom Bundesfinanzhof aufgegriffenen Meinung von Boruttau - Egly - Sigloch (Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 11. Auflage, München 1982, RdZ 25a zu § 3), zwischen der Abfindung für einen geltend gemachten Pflichtteilsanspruch und dem Verzicht gegen Abfindung könne nicht unterschieden werden, zumindest habe eine solche Unterscheidung keine bürgerlichen Rechtsfolgen, sei entgegenzuhalten, daß jedenfalls nach österreichischem Zivilrecht - wie sich aus der Rechtsprechung des OGH und den Ausführungen von A. Hausleithner ergebe - eine solche Unterscheidung möglich sei und auch zivilrechtliche Folge habe.

In einer Ergänzung zur Gegenschrift sucht die bel. Beh. noch nachzuweisen, daß der VfGH im Erk. B522/83 entgegen seiner Behauptung doch von der VfSlg. 9446/1982 zugrundeliegenden Rechtsanschauung abgegangen sei. Ursprünglich habe der Gerichtshof nämlich angenommen, daß bei jedem der zu vergleichenden Pflichtteilsberechtigten ein Grundstückserwerb von Todes wegen vorliege, der erbschaftssteuerpflichtig und grunderwerbsteuerfrei sei, während andererseits beim Erben kein Grundstückserwerb von Todes wegen gegeben sein solle; konsequenterweise sei damals der nach § 8 Abs 4 ErbStG dem Erben auferlegte Zuschlag aufgehoben worden. An dieser erbschaftssteuerlichen Konsequenz scheine der Gerichtshof nicht mehr festhalten zu wollen. Die erbschaftssteuerliche Gleichbehandlung der beiden Fallgruppen sei also offenbar nicht geboten. Die Argumente für die Gleichbehandlung könnten aber auch im Grunderwerbsteuerrecht nicht überzeugen: Die Pflichtteilsforderung von 400000 S sei zum Teil beglichen und nur mit einem Rest von 269000 S mit dem Übergabspreis verrechnet worden, sodaß von einer Abgeltung des Pflichtteilsanspruches nicht die Rede sein könne. Die vom Einfordern des Pflichtteilsanspruches bis zur Abgeltung durch eine Liegenschaft verstrichene Zeit bilde eine Zäsur; die Vereinbarung über die - nach § 1414 ABGB entgeltliche - Hingabe an Zahlungs Statt löse den Vorgang vom ursprünglichen erbrechtlichen Titel. Schließlich mache die Auslegung des VfGH § 3 Z 3 GrEStG überflüssig, der die Entstehung unerwünschten Miteigentums verhindern wolle, ausdrücklich auf den Erwerb durch Erben beschränkt sei, nur bis zur Rechtskraft der Einantwortung in Betracht komme und bloß Liegenschaften aus dem Nachlaß im Auge habe (was der VfGH für den Pflichtteilsberechtigten anscheinend nicht gelten lassen wolle).

II. Die Beschwerde ist begründet.

Der VfGH hält zunächst fest, daß der vorliegende Beschwerdefall in keinem maßgeblichen Punkt anders gelagert ist als die in VfSlg. 9446/1982 und zu B522/83 entschiedenen Fälle. Daß die vom Finanzamt zunächst aufgeworfene Verjährungsfrage keine Rolle spielt, hat die Berufungsbehörde zutreffend erkannt und ausgeführt. Sie hält also bewußt an der vom VfGH als gleichheitswidrig erkannten Auffassung fest. Auch ihre neuerlichen Einwendungen können aber an der Beurteilung der Rechtslage durch den VfGH nichts ändern:

Die Abgeltung eines Pflichtteilsanspruchs durch eine Liegenschaft ist dem in § 2 Abs 2 Z 4 ErbStG geregelten Fall einer Abfindung gegen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch nicht nur wirtschaftlich gleichwertig, sondern auch rechtlich so eng verwandt, daß eine Belastung des Gesamtvorganges mit Erbschaftssteuer und Grunderwerbsteuer das Maß des Tolerierbaren überschreitet, wenn der andere Vorgang nur erbschaftssteuerpflichtig macht. Es ist praktisch auch nur schwer vorstellbar, wie auf einen Pflichtteilsanspruch gegen Abfindung verzichtet werden soll, der nicht vorher in irgendeiner Weise geltend gemacht wurde. Wie sich schon im Verfahren B522/83 deutlich gezeigt hat, kommt in Wahrheit nicht dem (in der zivilrechtlichen Konstruktion wohl bestehenden) Unterschied zwischen Abgeltung und Verzicht gegen Abfindung die entscheidende Bedeutung zu; wesentlich ist allein, ob der Pflichtteilsanspruch vor Vereinbarung der Hingabe einer Liegenschaft geltend gemacht wurde (oder vielleicht auch nur: die Geltendmachung nachgewiesen werden konnte) oder nicht. Die Z 4 des § 2 Abs 2 ErbStG will nämlich jene Umgehungsversuche erfassen, die Pflichtteilsansprüche zu verwerten trachten, ohne sie förmlich (nachweisbar) geltend gemacht und dadurch die Steuerpflicht nach § 2 Abs 1 Z 1 ausgelöst zu haben. Die Vorschrift stellt also in ihrer Zielsetzung nicht auf rechtliche Unterschiede ab, sondern will im Gegenteil gerade wirtschaftlich gleichwertige Erscheinungen ungeachtet möglicher rechtlicher Verschiedenheiten erbschaftssteuerlich gleich behandelt wissen. Daher muß die grunderwerbsteuerliche Folge des "Auffangtatbestandes" auch auf den "Grundtatbestand" durchschlagen.

Die Maßgeblichkeit des Einheitswertes hat mit dem hier in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Problem nichts zu tun. Auch Erben und Vermächtnisnehmer werden verschieden behandelt, je nachdem, ob ihnen ein Geldanspruch oder ein Anspruch auf land- und forstwirtschaftliches Grundvermögen zusteht. Ist die Erbschaftssteuerschuld auf der Basis eines Geldanspruches einmal entstanden, so müßte eine spätere Abgeltung dieses Anspruches durch Hingabe einer Liegenschaft mit geringerem Einheitswert daran auch nicht unbedingt etwas ändern. Keinesfalls könnte der Umstand, daß ein Verzicht auf den latenten Anspruch für land- und forstwirtschaftliches Grundvermögen zu einer günstigeren Erbschaftsbesteuerung führt, es rechtfertigen, daß gerade in diesem Fall die Grunderwerbsteuer erspart wird, während bei Abfindung nach Geltendmachung neben der höheren Erbschaftssteuer auch noch Grunderwerbsteuer anfällt.

Daß die Steuerschuld des Pflichtteilsberechtigten zu einem anderen Zeitpunkt entsteht als jene des Erben, ist keine Besonderheit des § 2 Abs 2 Z 4 ErbStG. Auch die Steuerschuld nach § 2 Abs 1 Z 1 wird erst durch die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches ausgelöst. Das kann eine nachträgliche Herabsetzung einer dem Erben (ohne Berücksichtigung von Pflichtteilsansprüchen) bereits vorgeschriebenen Erbschaftssteuer notwendig machen. Kommt es zur Steuervorschreibung allerdings erst nach Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, können die geänderten Umstände sogleich berücksichtigt werden. Ähnlich hat der Gerichtshof im Erk. VfSlg. 9446/1982 angenommen, daß eine Abfindung des geltend gemachten Pflichtteilsanspruches durch eine Liegenschaft ebenso wie die Zuwendung einer Liegenschaft gegen Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch zur Folge haben muß, daß beim Pflichtteilsberechtigten ein Grundstückserwerb von Todes wegen vorliegt (was zu einer Erbschaftssteuer unter Einschluß des Zuschlages nach § 8 Abs 4 führt), beim Erben aber insoweit kein Grundstückserwerb gegeben ist (weshalb der Zuschlag nach § 8 Abs 4 von ihm nicht gefordert werden darf). Es ist daher unerfindlich, wie behauptet werden kann, daß in solchen Fällen bei der vom VfGH gewählten Auslegung entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers und unter Verletzung des Gleichheitssatzes weder Grunderwerbsteuer noch ein Zuschlag nach § 8 Abs 4 (oder die Mindeststeuer nach § 8 Abs 5) ErbStG erhoben wird.

Insbesondere hat der Gerichtshof nirgends ausgesprochen, daß die Abgeltung eines erhobenen Pflichtteilsanspruchs keine erbschaftssteuerrechtlichen Folgen habe. Er hat im Erk. B522/83 eingeräumt, daß diese Abgeltung nur grunderwerbsteuerlich wie der Verzicht gegen Abfindung nach § 2 Abs 2 Z 4 ErbStG behandelt werden muß und keinen neuerlich erbschaftssteuerpflichtigen Vorgang darstellt. Das schließt andererseits nicht aus, daß der Vorgang zu einer Änderung der erbschaftssteuerlichen Beurteilung ähnlich der nachträglichen Berichtigung der Steuerpflicht des Erben nach Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen oder nach Verzicht gegen Abfindung führt. Eine nach dem Gesetzeszweck allenfalls erforderliche Harmonisierung der beiden Fallgruppen kann jedenfalls nur innerhalb des Erbschaftssteuerrechts erfolgen. Die Vorschreibung von Grunderwerbsteuer bei Abgeltung des erhobenen Pflichtteilsanspruches durch Hingabe von Liegenschaften ist kein verfassungsrechtlich zulässiges Mittel, Schwierigkeiten im Erbschaftssteuerrecht auszuweichen.

Insgesamt erwecken die Einwände der bel. Beh. nicht den Eindruck, daß sie bemüht ist, dem Gesetz in der schon wiederholt dargelegten, aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotenen Auslegung Geltung zu verschaffen. Sie sucht im Gegenteil nur nach Wegen, die als verfassungswidrig erkannte Praxis weiter aufrecht halten zu können, und setzt sich damit auch noch dem Vorwurf der Willkür aus.

Der angefochtene Bescheid ist aufzuheben, ohne daß es einer mündlichen Verhandlung bedürfte (§19 Abs 4 Z 2 VerfGG idF BGBl. 297/1984).