OGH vom 25.02.2014, 10ObS177/13x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Dr. Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. E*****, vertreten durch Dr. Nina Sadjak, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Eva Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 53/13p 8, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 43 Cgs 71/13y 4, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig der, klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die Kosten ihrer Revision hat die beklagte Partei selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der Kläger und seine Lebensgefährtin sind die Eltern der am geborenen P*****. Außer Streit steht, dass die Lebensgefährtin des Klägers für P***** vom bis Kinderbetreuungsgeld bezogen hat (AS 28). Vom bis bezog über seinen Antrag hin der Kläger das Kinderbetreuungsgeld. Am brachte die Lebensgefährtin des Klägers mittels eines geplanten und medizinisch indizierten Kaiserschnitts eine zweite gemeinsame Tochter M***** zur Welt. Nach dem Revisionsvorbringen wäre der errechnete voraussichtliche Geburtstermin der gewesen. Die Geburt von M***** wurde lediglich von der Lebensgefährtin des Klägers bei der Kärntner Gebietskrankenkasse (bei der sie versichert ist) gemeldet, nicht aber vom Kläger bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt.
Mit Bescheid vom wurde die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes vom bis widerrufen und der Kläger zum Ersatz von 3.696,60 EUR an nach dem Standpunkt der beklagten Partei wegen Unterschreitung der zweimonatigen Mindestbezugsdauer zur Gänze unberechtigt empfangenem Kinderbetreuungsgeld verpflichtet.
Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger die Feststellung, er sei nicht verpflichtet, der beklagten Partei das für den Zeitraum vom bis bezogene Kinderbetreuungsgeld von insgesamt 3.696,60 EUR zurückzubezahlen. Er brachte vor, das Kind hätte wahrscheinlich auch am mittels Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden können, in welchem Fall kein Grund für die bescheidmäßige Rückforderung gegeben gewesen wäre. Es sei nicht einsichtig, dass das Kinderbetreuungsgeld zur Gänze zurückgefordert werde. Wenn überhaupt wäre das Kinderbetreuungsgeld lediglich für den Zeitraum bis zurückzuzahlen.
Die beklagte Partei wendete zusammengefasst ein, die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten könne nur durch eine unvorhersehbare und unabwendbare Verhinderung des beziehenden Elternteils verkürzt werden. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben. Indem der Kläger die Geburt des zweiten Kindes nicht gemeldet habe, habe er die Meldepflicht verletzt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Hinweis darauf ab, dass zufolge der Geburt des zweiten Kindes die in § 5 Abs 4 KBGG festgelegte Mindestbezugsdauer von zwei Monaten nicht erreicht worden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es feststellte, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, der beklagten Partei das vom bis bezogene Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 3.333 EUR zurückzubezahlen. Das Mehrbegehren, der Kläger sei auch nicht verpflichtet das vom bis bezogene Kinderbetreuungsgeld in Höhe von weiteren 363,60 EUR zurückzubezahlen, wurde abgewiesen. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, aufgrund der ex lege Beendigung des Kinderbetreuungsgeldbezugs infolge der Entbindung eines weiteren Kindes sechs Tage vor dem Ende der zweimonatigen Mindestbezugsdauer sei von der faktischen Unmöglichkeit der Erfüllung der Mindestbezugsdauer auszugehen. Zweck der Mindestbezugsdauer sei, eine unangemessen kurze Bezugszeit eines Elternteils zu verhindern und den administrativen Aufwand einer mit der Antragstellung verbundenen neuerlichen Prüfung gering zu halten. Dieser Zweck werde nicht dadurch vereitelt, dass die Mindestbezugsdauer infolge Unmöglichkeit deren Einhaltung verkürzt werde. Die analoge Anwendung der im Gesetz explizit nur für die Verhinderung des beziehenden Elternteils an der Betreuung des Kindes vorgesehene Ausnahmeregelung auf den vorliegenden Fall sei daher gerechtfertigt.
Der Kläger ließ die Abweisung des Mehrbegehrens in Rechtskraft erwachsen.
Die Revision der beklagten Partei ist e ntgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs maßgebend (RIS Justiz RS0112921 [T8]; RS0112769 [T1]). Dieser hat aber zwischenzeitig (nach Ergehen der Berufungsentscheidung) in der Entscheidung 10 ObS 85/13t vom zu der auch im vorliegenden Verfahren entscheidungswesentlichen Rechtsfrage zusammengefasst -wie folgt Stellung genommen:
1.1 Nach § 5 Abs 4 KBGG idF BGBl I 2009/116 kann das Kinderbetreuungsgeld jeweils nur in Blöcken von mindestens zwei Monaten beansprucht werden, es sei denn, dass der beziehende Elternteil durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis für eine nicht bloß verhältnismäßig kurze Zeit verhindert ist, das Kind zu betreuen (§ 5 Abs 4a KBGG). In diesem Fall kann ein Wechsel über das in § 5 Abs 3 KBGG angeführte Ausmaß erfolgen. Motiv des Gesetzgebers für die Herabsetzung der in der Stammfassung der Bestimmung normierten Mindestbezugsdauer von drei Monaten auf zwei Monate war, dass die kürzere Mindestbezugsdauer Eltern eine flexiblere Handhabung ermöglicht und den Eltern den abwechselnden Bezug erleichtern soll, womit auch positive Auswirkungen auf die Väterbeteiligung erwartet wurden (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 22).
1.2 Die Regelung der Mindestbezugsdauer bezweckt, dass der Aufwand einer neuerlichen Prüfung, der mit der Antragstellung durch den zweiten Elternteil verbunden ist, nach Ansicht des Gesetzgebers nur gerechtfertigt ist, wenn diese Person die Leistung zumindest zwei Monate lang beansprucht (10 ObS 3/13h; 10 ObS 14/13a mwN; 10 ObS 106/13t).
2. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld endet spätestens mit Ablauf jenes Tages, der der Geburt eines weiteren Kindes bzw Adoption/Übernahme der Pflege eines jüngeren Kindes vorangeht (§ 5 Abs 5 erster Satz KBGG).
3. Nach den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung des § 5 Abs 4 KBGG „kann von der Mindestbezugsdauer von drei Monaten abgesehen werden, wenn dies unmöglich ist, wenn zB eine Adoption im Laufe des 34. Monats erfolgt und nur eine unter drei Monaten liegende Gesamtrestzeit besteht (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 62). Es soll demnach neben dem Verhinderungsfall ein kürzerer Bezug auch dann möglich sein, wenn nach dem Wechsel der Anspruch ohne Einflussmöglichkeit der beziehenden Person endet (vgl Ehmer ua, KBGG² 105).
4. Der Gesetzgeber selbst geht somit offensichtlich davon aus, dass diese Fallgruppe entgegen dem Wortlaut des § 5 Abs 4 KBGG vom schon dargelegten Zweck dieser Norm nicht getroffen wird. Es liefe dem vom Gesetzgeber mit der Verlängerung der Anspruchsdauer verfolgten Zweck, einen Anreiz für eine abwechselnde Betreuung des Kindes durch die Eltern zu geben, zuwider, wenn von der Mindestbezugsdauer auch nicht jene Fälle ausgenommen wären, in denen die Mindestbezugsdauer wegen der Geburt eines weiteren Kindes, wegen der Adoption (Inpflegenahme) eines jüngeren Kindes oder wegen des Todes des betreuten Kindes nicht eingehalten werden konnte. Der Gesetzgeber hat in den Gesetzesmaterialien eine Ausnahme für Fälle dieser Unmöglichkeit für notwendig angesehen, jedoch eine ausdrückliche Normierung unterlassen. Diese sich aus dem Fehlen der notwendigen Ausnahme von der Mindestbezugsdauer für die beschriebene Fallgruppe ergebenden Lücke ist durch teleologische Reduktion des sich als überschießend weit erweisenden Wortlauts des § 5 Abs 4 KBGG zu schließen (vgl RIS Justiz RS0008979, RS0106113). Jedenfalls dann, wenn ein Antragsteller begründet davon ausgehen kann, dass er das Kinderbetreuungsgeld für die Mindestdauer beziehen wird können, greift die formulierte Ausnahme von der Mindestbezugsdauer, wenn entgegen den Erwartungen vor deren Ablauf ein weiteres Kind geboren wird (10 ObS 85/13t).
5.1 Ob diese Situation gegeben ist, kann immer nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und stellt daher keine erhebliche Rechtsfrage dar. Im vorliegenden Fall war wie die Revisionswerberin selbst vorbringt der errechnete voraussichtliche Geburtstermin der , sodass der Kläger vorausschauend das Kinderbetreuungsgeld für zwei Monate (vom bis ) beziehen hätte können. D ie Ansicht des Berufungsgerichts, der sechs Tage vor Ablauf der Mindestbezugsdauer vorgenommene, medizinisch indizierte Kaiserschnitt führe dazu, dass die Mindestbezugsdauer ohne Verlust der für den verkürzten Zeitraum zuerkannten Leistungen unterschritten werden könne, stellt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
5.2 Mit ihren Ausführungen, der Kläger habe „zu knapp kalkuliert“ und das Risiko der Unterschreitung der Mindestbezugsdauer bewusst in Kauf genommen, finde doch die Mehrzahl der Geburten zwei bis drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin statt, sodass er entweder das Kinderbetreuungsgeld für einen längeren Zeitraum beantragen oder die Entbindung abwarten und bei Erfüllen der zweimonatigen Mindestbezugsfrist das Kinderbetreuungsgeld erst rückwirkend beantragen hätte müssen, zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Der beklagte Versicherungsträger hat seine Kosten des Verfahrens unabhängig vom Ausgang des Verfahrens selbst zu tragen (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG). Konnte der Revisionsgegner bei Erstattung der Rechtsmittelbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht erkennen, weil zu diesem Zeitpunkt jene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs noch nicht ergangen war, welche die auch im Anlassfall entscheidungswesentliche erhebliche Rechtsfrage beantwortete, so stehen ihm in analoger Anwendung des § 50 Abs 2 ZPO die Kosten der Revisionsbeantwortung auch dann zu, wenn er auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat (RIS Justiz RS0123861).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00177.13X.0225.000