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OGH vom 01.02.2011, 10ObS177/10t

OGH vom 01.02.2011, 10ObS177/10t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter DI Rudolf Pinter und Mag. Irene Kienzl (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E***** M***** P*****, vertreten durch Dr. Gerhard Krammer und Dr. Michael Frank, Rechtsanwälte in Horn, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84 86, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 65/10t 16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Gesellschafterin einer Offenen Gesellschaft. Sie bezog vom bis Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 5.317,98 EUR im Zusammenhang mit der Geburt ihres Sohnes Moritz.

Das Berufungsgericht verpflichtete der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 31/10x folgend die Klägerin zur Rückzahlung des im Jahr 2004 bezogenen Kinderbetreuungsgelds, weil der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit in diesem Jahr gemäß § 8 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2009/116 unter Mitberücksichtigung der in diesem Kalenderjahr vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge den für den Zuverdienst im Jahr 2004 maßgeblichen Grenzbetrag von 14.600 EUR überschritten habe (19.820,68 EUR, davon 7.200,04 EUR Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Sozialversicherungsbeiträge für 2004 von 3.320,28 EUR, für 2002 von 5.781,24 EUR und für 2001 von 3.519,12 EUR).

Die Klägerin hält ihre Revision für zulässig, weil sich der zu beurteilende Sachverhalt von jenem der Entscheidung 10 ObS 31/10x dadurch unterscheide, dass zur Nachzahlung der für 2001 und 2002 im Kalenderjahr 2004 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge Rückstellungen aus den Jahren 2001 und 2002 aufgelöst worden seien (3.329,68 EUR und 6.009 EUR). Das Einkommen der Klägerin in den Jahren 2001 und 2002 sei in der Höhe der Rückstellungen gemindert worden. Die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge für 2001 und 2002 im Kalenderjahr 2004 sei hingegen von vernachlässigbaren Differenzbeträgen abgesehen gewinnneutral gewesen und habe ihr Einkommen in diesem Jahr nicht verringert. Diese Beträge seien somit keine „Durchlaufposten“ (bei vorherigem Ab und folgendem Hinzuschlagen). Der Gesetzgeber habe offensichtlich nicht an die Möglichkeit der Bildung von Rückstellungen gedacht. Es liege eine Lücke vor. Die vom Gesetzgeber gewünschte Gleichbehandlung der Eltern und die Betrachtung der Sozialversicherungsbeiträge als „Durchlaufposten“ könne nur dann erreicht werden, wenn die Einkünfte aus Betätigungen, die Grundlage für Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Sozialversicherung seien, (nur) um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung erhöht werden, die steuermindernde Ausgaben darstellten bzw für die keine Rückstellungen in Vorperioden gebildet und später aufgelöst werden.

Rechtliche Beurteilung

Eine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage zeigt die Revisionswerberin mit ihren Ausführungen nicht auf:

Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 31/10x vom ausführlich mit der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung auseinandergesetzt und ist zusammengefasst zur Auffassung gelangt, dass der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG im Jahr 2009 (BGBl I 2009/116, ausgegeben am ) die zuvor strittige Frage, ob für die Zurechnung die auf die aktuellen Einkünfte entfallenden oder die aktuell vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge maßgeblich sind, im Sinn der zweiten Auslegungsvariante klargestellt hat ( „Einkünfte … sind um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen.“ ). Sowohl der Wortlaut des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 2 KBGG idF BGBl I 2009/116 als auch die Gesetzesmaterialien (ErlRV 340 BlgNR 24. GP 12 f) weisen deutlich darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung nicht neues Recht geschaffen, sondern eine authentische Interpretation der zuvor im Gesetz nicht klar definierten Wortfolge „die darauf entfallenden vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung“ vorgenommen hat. Demnach ist § 8 Abs 1 Z 2 KBGG im Lichte der durch das BGBl I 2009/116 erfolgten Neufassung abweichend von der früheren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (10 ObS 61/09g; 10 ObS 124/09x) dahin auszulegen, dass nicht die auf die aktuellen Einkünfte entfallenden Sozialversicherungsbeiträge, die erst im Nachhinein festgestellt werden können, sondern die im jeweiligen Jahr der Einkunftserzielung insgesamt vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge maßgebend sind.

In der genannten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof auch näher ausgeführt, dass es durch diese gesetzlich vorgeschriebene Berechnungsart auch nicht zu einer fiktiven Erhöhung der Einkünfte (hier: aus selbstständiger Erwerbstätigkeit) durch die bloß aufgrund einer Schätzung vorgeschriebenen Beiträge zur Sozialversicherung kommt. Grundsätzlich ist auch bei Selbstständigen für die Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte nach § 8 Abs 1 KBGG der Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Einkünfte iSd § 2 Abs 2 und 3 EStG 1988 maßgeblich. Gemäß § 4 EStG 1988 ist Gewinn der durch doppelte Buchführung zu ermittelnde Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres (Abs 1) bzw bei nicht buchführenden Betrieben der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (Abs 3). Betriebsausgaben sind dabei die Aufwendungen oder Ausgaben, die durch den Betrieb veranlasst sind. Gemäß § 4 Abs 4 Z 1 lit a EStG 1988 zählen dazu jedenfalls die Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken , Unfall und Pensionsversicherung. Die Sozialversicherungsbeiträge mindern daher die Einkünfte. Je höher die Sozialversicherungsbeiträge sind, desto niedriger ist der steuerpflichtige Gewinn des Jahres.

Um eine Gleichbehandlung der Bezieher und Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld, unabhängig von der Art der erzielten Einkünfte, zu erreichen, ist es daher erforderlich, auch bei den anderen Einkünften iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG die in dem betreffenden Jahr des Bezugs des Kinderbetreuungsgelds vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge der Steuerbemessungsgrundlage wieder hinzuzuschlagen, sodass wie die Gesetzesmaterialien festhalten die Sozialversicherungsbeiträge (lediglich) in der Regel einen Durchlaufposten darstellen. Diese Berechnungsweise (zuerst Abzug, dann Hinzuschlagen) fußt auf dem Gedanken der größtmöglichen Gleichbehandlung der Eltern mit unterschiedlichen Einkunftsarten im Hinblick auf das Ergebnis der Berechnung unter Berücksichtigung der steuerlichen Gewinnermittlungsarten und dem uneinheitlichen österreichischen Sozialversicherungssystem.

Rückstellungen (§ 9 EStG 1988;§ 198 Abs 8 UGB) sind für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste zu bilden, die am Abschlussstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind (vgl ; Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts I 9 Rz 397). Der gewinn und steuermindernde Aufwand wirkt vor der tatsächlichen Ausgabe steuermindernd, dh die Steuerersparnis entsteht bereits im Zeitpunkt der Aufwandsverrechnung, die zugehörige Zahlung erfolgt jedoch erst (viel) später ( Kofler/Payerer in Bertl/Djanani/Eberhartinger/Kofler/Tumpel , Handbuch der österreichischen Steuerlehre IV 2 83). Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG 1988 (Einnahmen/Ausgabenrechner) gibt es keine Rückstellung (; Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts I 9 Rz 401).

Die Auffassung der Rechtsmittelwerberin würde zu einer nicht rechtfertigbaren Unterscheidung zwischen selbstständigen Erwerbstätigen, die ihren Gewinn nach § 4 Abs 1 EStG 1988 ermitteln, und solchen mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG 1988 führen. Sie übersieht aber auch, dass die Klägerin durch die Rückstellung die gewinn- und steuermindernde Wirkung des Aufwands für Sozialversicherungsbeiträge schon vor der tatsächlichen Ausgabe erzielt hat, sodass die angestrebte Differenzierung zwischen selbstständig erwerbstätigen Beziehern und Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld, die Rückstellungen für Sozialversicherungsbeiträge bildeten, und jenen, die dies unterließen, auf keinem sachlich stichhaltigen Grund beruht. Deshalb und aus den in der Entscheidung 10 ObS 31/10x dargelegten Gründen vermag der Oberste Gerichtshof die geltend gemachten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG nicht zu teilen.