OGH vom 11.02.1999, 8ObA21/99t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Dr. Martha Seböck und Mag. Christa Marischka als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Marianne H***** Buchhaltungsangestellte, ***** vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer und Mag. Peter Prechtl, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Johann G*****, vertreten durch Dr. Harald Meder und andere Rechtsanwälte in Kufstein, wegen S 119.255,-- sA (Revisionsinteresse S 111.992,-- sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 120/98d-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 48 Cga 264/97g-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.112,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.352,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Die rechtliche Begründung der Berufungsentscheidung, die Entlassung der Klägerin wegen ihres Unterlassens der Dienstleistung ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit am sei berechtigt (§ 27 Z 4 erster Tatbestand AngG), ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).
Den Revisionsausführungen ist zu erwidern:
Soweit die Klägerin das Unterbleiben der Feststellung rügt, der Bruder des Geschäftsführers werde diese Angelegenheit - am war die Schwiegertochter der Klägerin zur Entbindung ihres zweiten Kindes ins Krankenhaus gekommen und die Klägerin wollte ihr erstes Enkelkind im Alter von 3 1/4 Jahren betreuen - mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei "regeln", wendet sich die Klägerin der Sache nach gegen die im Revisionsverfahren nicht überprüfbare Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht hatte wegen Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes eine Beweiswiederholung vorgenommen. Daher ist es der Klägerin verwehrt, auf die Feststellungen des Erstgerichtes, die durch das Berufungsgericht nicht übernommen wurden, zurückzugreifen.
Soweit die Klägerin das Arbeitsversäumnis als nicht erheblich und nicht pflichtwidrig bezeichnet und das Vorliegen eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes behauptet, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
Die Feststellung, eine Tatsache könne nicht festgestellt werden, ist eine Tatsachenfeststellung (vgl 8 ObA 149/98i mwN), die im Zusammenhalt mit dem Rechtsverweigerungsverbot (Mayer-Maly, Jurare sibi non liquere und Rechtsverweigerungsverbot, FS Matscher 1993,
349) dazu führt, daß die materiellrechtlichen Beweislastregeln anzuwenden sind. Für das Vorliegen eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes im Sinne des § 27 Z 4 AngG ist der Angestellte beweisbelastet (SZ 51/28 = Arb 9672). Zu der dem rechtmäßigen Hinderungsgrund und ebenso auch dem wichtigen persönlichen Grund im Sinne des § 8 Abs 3 AngG zugrundeliegenden Interessenabwägung zwischen der Erfüllung der Arbeitspflicht und diverser nach Recht, Sitte oder Herkommen wichtigen persönlichen Gründen ist einerseits zu berücksichtigen, daß die Klägerin in der Zeit, als der Geschäftsführer der beklagten Partei sich auf einer auswärtigen Messeveranstaltung befand, als einzige im Büro der beklagten Partei zur Entgegennahme von Anrufen, Bestellungen, Aufträgen usw sowie für Auslieferungen anwesend sein mußte; andererseits wird bei der vorzunehmenden Interessenabwägung eine Bemühung des Angestellten vorausgesetzt, den zu einem möglichen Hinderungsgrund Anlaß gebenden persönlichen Grund auch durch anderweitige Vorkehrungen zu bewältigen, ohne dies nur zu Lasten der Arbeitspflicht zu tun (siehe Martinek ua AngG7, 236; vgl Kuderna Urlaubsrecht § 16 Rz 9 und 16). Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß eine Unterbringung der 3 1/4 Jahre alten Enkelin bei der Schwägerin der Schwiegertochter möglich gewesen wäre.
Die von der Klägerin vermißte Feststellung über die "Wohnhaftigkeit" hat das Berufungsgericht durch die Erwähnung, die Enkelin gehöre nicht dem Haushalt der Klägerin an ohnedies nachgetragen. Die Rechtsmittelausführungen, der Begriff der Krankheit sei in § 16 UrlG "extensiv" auszulegen, werden schon durch den Wortlaut widerlegt. Es widerspricht Grundsätzen der wörtlichen und systematischen Auslegung, den Begriff der Pflegebedürftigkeit der in § 16 Abs 1 Z 1 UrlG so extensiv auszulegen, daß für den gesonderten Fall der Betreuungsbedürftigkeit in § 16 Abs 1 Z 2 UrlG kaum mehr ein Anwendungsbereich verbliebe. Auch wenn die Auslegung des Berufungsgerichtes, der Fall der Betreuungsfreistellung umfasse nur Kinder unter Ausschluß von Enkelkindern nicht geteilt wird (vgl den weiten Kindesbegriff nach § 42 ABGB), scheitert die Pflegefreistellung der Klägerin an der nicht gegebenen "Notwendigkeit", wenn ihr Enkelkind bei einer anderen Betreuungsperson mit eigenen Kindern und einem dreijährigen Pflegekind hätte untergebracht werden können. Die mangelnde Eignung dieser Betreuungsperson im Hinblick auf das zu befürchtende "Fremdeln" eines Kleinkindes (fehlende Vertrautheit zu einer fremden Bezugsperson) wurde von der Klägerin nicht behauptet (vgl 9 ObA 2202/96f = ASok 1997, 34 [Marhold]).
Das Berufungsgericht hat - abgesehen von der vom Revisionsgericht nicht geteilten verengten Bedeutung des Wortes Kind unter Ausschluß von Enkelkindern - die in Erwägung zu ziehenden Rechtfertigungsgründe sämtliche zu Recht verneint.