VfGH vom 25.11.1982, B236/79
Sammlungsnummer
9550
Leitsatz
Vbg. Flurverfassungsgesetz; keine Parteistellung des Nutzungsberechtigten in einem Verfahren zur Genehmigung der Veräußerung agrargemeinschaftlicher Grundstücke; kein Entzug des gesetzlichen Richters
Agrarbehördengesetz 1950; keine Bedenken gegen § 5 Abs 2
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem Bescheid der Agrarbezirksbehörde Bregenz (im folgenden Agrarbezirksbehörde) vom wurde festgestellt, daß ua. die Grundstücke 1625/4 und 1625/6, KG Bludenz, (grundbücherliche Eigentümerin die Stadt Bludenz) agrargemeinschaftliche Grundstücke iS des § 31 Abs 2 litd (Gemeindegut) des Vbg. Flurverfassungsgesetzes - FlVG, LGBL. 43/1971, sind. Die gleiche Feststellung wurde ua. hinsichtlich des Grundstückes 1625/15 KG Bludenz mit dem Bescheid der Agrarbezirksbehörde vom getroffen.
Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen gegen diese Bescheide erhobenen Berufung wurde gemäß § 64 Abs 2 AVG 1950 ausgeschlossen.
2. a) Bevor über die gegen die Bescheide nach Z 1 erhobenen Berufungen - mit dem die erstinstanzlichen Feststellungen hinsichtlich der Grundstücke 1625/4, 1625/6 und 1625/15 bestätigenden Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Vbg. Landesregierung (LAS) vom - entschieden und damit die Eigenschaft der angeführten Grundstücke als agrargemeinschaftliche Grundstücke rechtskräftig festgestellt war, wurde von der Agrarbezirksbehörde "gemäß §§34 und 35 FlVG" mit dem Bescheid vom die Veräußerung der Grundstücke 1625/4 und 1625/6 und mit dem Bescheid vom die Veräußerung des Grundstückes 1625/15 - nach dem Hinweis auf die in den Bescheiden nach Z 1 getroffenen Feststellungen und den darin ausgesprochenen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer dagegen erhobenen Berufung - genehmigt.
Unter Hinweis auf diese Genehmigungen beantragte der Beschwerdeführer "als nutzungsberechtigter Bürger von Bludenz" mit Schreiben vom bei der Agrarbezirksbehörde "die Zufertigung von Bescheiden über diese Genehmigungen".
b) Da von der Agrarbezirksbehörde eine Entscheidung über diesen Antrag nicht erging, stellte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom "den Devolutionsantrag an den Landesagrarsenat für Vorarlberg". Er begehrte damit vom LAS eine Entscheidung über den von ihm gestellten Antrag auf Zustellung der Bescheide der Agrarbezirksbehörde vom und vom .
Mit dem Bescheid vom hat der LAS über den vom Beschwerdeführer gestellten Devolutionsantrag "gemäß § 1 AgrVG. in Verbindung mit § 73 AVG. 1950" entschieden und ausgesprochen, daß sein Antrag, "ihm die Bescheide der Agrarbezirksbehörde Bregenz vom und , mit welchen die Genehmigung zur Veräußerung der" angeführten Grundstücke "gemäß § 34 FlVG. erteilt wurde, zuzustellen, ... zurückgewiesen" wird.
In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, daß zu dem Zeitpunkt, als die Feststellungsbescheide der Agrarbezirksbehörde vom und vom bzw. der Berufungsbescheid des Landesagrarsenates vom Rechtskraft erlangt hätten, die Grundparzellen 1625/4, 1625/6 und 1625/15 KG Bludenz durch ihre zwischenzeitlich mit Genehmigung der Agrarbezirksbehörde erfolgte Veräußerung nicht mehr Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Feststellungsverfahrens hätten sein können. Ein aus der Parteistellung im Feststellungsverfahren ableitbares Recht des Beschwerdeführers auf Zustellung der Genehmigungsbescheide der Agrarbezirksbehörde vom und sei daher schon deshalb nicht gegeben, weil die von diesen Bescheiden betroffenen Grundstücke infolge ihrer vorherigen Veräußerung nicht mehr Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Feststellungsverfahrens sein könnten. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zustellung der genannten Bescheide der Agrarbezirksbehörde sei daher zurückzuweisen gewesen.
Abgesehen davon erscheine es überhaupt fraglich, ob einem am Gemeindegut Nutzungsberechtigten im Genehmigungsverfahren nach § 34 FlVG Parteistellung zukomme, solange lediglich festgestellt sei, welche Liegenschaften als agrargemeinschaftliche Grundstücke (Gemeindegut) anzusehen seien, ein Ermittlungsverfahren über die Feststellung der Parteien sowie ihrer Anteils- oder Forderungsrechte iS der §§44, 53 und 69 FlVG mangels Einleitung eines Hauptteilungs-, Einzelteilungs- oder Regulierungsverfahrens aber noch nicht durchgeführt worden sei. Nachdem bisher lediglich gemäß § 84 FlVG rechtskräftig festgestellt worden sei, welche im Eigentum der Stadt Bludenz stehenden Liegenschaften agrargemeinschaftliche Grundstücke iS des § 31 Abs 2 litd FlVG seien, ein Hauptteilungs-, Einzelteilungs- oder Regulierungsverfahren jedoch noch nicht eingeleitet sei, erscheine die Parteistellung des Beschwerdeführers im Genehmigungsverfahren nach § 34 FlVG auch aus diesem Grunde nicht gegeben.
c) Der Bescheid des LAS vom enthielt die Rechtsmittelbelehrung, daß eine Berufung an den OAS zulässig sei. Dieser hat die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung mit dem Bescheid vom mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, daß die Angelegenheiten der Erteilung oder Versagung der zur Veräußerung agrargemeinschaftlicher Grundstücke erforderlichen Genehmigung nicht zu den Fällen gehören, in denen der OAS oberste Instanz ist, sondern zu jenen Fällen, in denen gemäß § 7 Abs 1 des Agrarbehördengesetzes 1950 idF der Agrarbehördengesetznov. 1974, BGBl. 476/1974, der Instanzenzug beim LAS endet.
3. Nachdem dem Beschwerdeführer mit dem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des LAS vom bewilligt worden war, richtete er an den VfGH unter Berufung auf Art 144 B-VG die vorliegende Beschwerde gegen diesen Bescheid des LAS "wegen Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter und anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte". Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Gegen den Bescheid des LAS vom ist ein Rechtsmittel nicht zulässig (s. den in I.2. litc angeführten Bescheid des OAS). Der Instanzenzug ist daher erschöpft. Die Beschwerde ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.
2. Vom Beschwerdeführer wurde bei der Agrarbezirksbehörde der Antrag gestellt, ihm die von ihr erlassenen Bescheide vom und vom zuzustellen.
Die genannte Behörde hat über diesen Antrag innerhalb der Frist des § 73 Abs 1 AVG 1950 einen Bescheid nicht erlassen.
Vom Beschwerdeführer wurde beim LAS als sachlich in Betracht kommender Oberbehörde (§2 Abs 2 AgrVG 1950) das Verlangen (Devolutionsantrag) auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über seinen Antrag gestellt.
Da die Verzögerung offenkundig ausschließlich auf ein Verschulden der Agrarbezirksbehörde zurückzuführen war und somit eine Abweisung des vom Beschwerdeführer gestellten Devolutionsantrages nach § 73 Abs 2 AVG 1950 nicht in Betracht kommen konnte, ist die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers, ihm die Bescheide der Agrarbezirksbehörde vom und vom zuzustellen, unabhängig davon, ob er durch eine formelle Zurückweisung oder mit einer sachlichen Abweisung zu erledigen war, auf den LAS übergegangen. Dieser war zur Erlassung des angefochtenen Bescheides zuständig.
3. Der Beschwerdeführer behauptet, dadurch, daß von der belangten Behörde nach Inanspruchnahme ihrer Zuständigkeit gemäß § 73 Abs 2 AVG sein Antrag, ihm die Bescheide der Agrarbezirksbehörde vom und vom zuzustellen, zurückgewiesen worden sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird dieses Recht durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde dann verletzt, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt, oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt. Auch durch die rechtswidrige Nichtanerkennung der prozessualen Parteirechte kann jemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, dies aber nur dann, wenn aus diesem Grunde eine Sachentscheidung verweigert wird (vgl. VfSlg. 5496/1967).
Der VfGH vermag die in der Begründung des angefochtenen Bescheides von der belangten Behörde offenbar vertretene Auffassung, daß es sich bei den Grundstücken 1625/4, 1625/6 und 1625/15 zufolge ihrer Veräußerung vor Erlassung des Bescheides des LAS vom nicht mehr um agrargemeinschaftliche Grundstücke gehandelt habe, allein schon deshalb nicht zu teilen, weil sich daraus ergeben würde, daß ein Genehmigungsverfahren nach § 34 FlVG nicht mehr hätte durchgeführt werden dürfen; zu einer Veräußerung von Grundstücken, denen nicht die Eigenschaft eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes zukommt, ist keine Genehmigung nach der angeführten Gesetzesstelle erforderlich.
Die belangte Behörde hat aber nach der Begründung des angefochtenen Bescheides die Parteistellung des Beschwerdeführers im Genehmigungsverfahren nach § 34 FlVG nicht anerkannt und auf Grund des Mangels der Parteistellung den Antrag des Beschwerdeführers auf Zustellung der Bescheide dem Wortlaut des Spruches nach zwar zurückgewiesen, dem sich aus der Einheit von Spruch und Begründung ergebenden Inhalt der Sache nach aber abgewiesen (vgl. VfSlg. 8338/1978, 8784/1980).
Sie hat aus § 34 FlVG iVm § 8 AVG 1950 abgeleitet, daß für den Beschwerdeführer die Parteistellung nicht in Betracht kommt. Weder aus diesen noch aus anderen Vorschriften geht hervor, daß im Verfahren zur Genehmigung der Veräußerung agrargemeinschaftlicher Grundstücke den einzelnen Anteilsberechtigten an der Nutzung agrargemeinschaftlicher Grundstücke Parteistellung zukäme.
Mit dieser Rechtsansicht steht der VfGH in Übereinstimmung mit der vom VwGH mehrfach ausgesprochenen Auffassung, nach der in einem Verfahren zur Genehmigung der Veräußerung agrargemeinschaftlicher Grundstücke nur der Agrargemeinschaft, nicht aber den einzelnen Nutzungsberechtigten Parteistellung zukommt (vgl. zur Rechtslage nach dem Tir. Flurverfassungs-Landesgesetz , 1378/67, Z 07/2589/80; zur Rechtslage nach dem Sbg. Flurverfassungs-Landesgesetz , zur Rechtslage nach § 34 FlVG /0009, 0010).
Daraus ergibt sich, daß dem Beschwerdeführer im Verfahren, in dem die Bescheide der Agrarbezirksbehörde vom und vom erlassen worden sind, Parteistellung nicht zugekommen ist. Da er damit auch keinen Rechtsanspruch auf Zustellung dieser Bescheide hat, ist der Antrag des Beschwerdeführers, ihm diese Bescheide zuzustellen, von der belangten Behörde zu Recht abgewiesen worden.
4. Zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Verletzung der ihm nach Art 6 und Art 13 MRK zustehenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte ist darauf zu verweisen, daß nach mehreren Erk. des VfGH gegen die Verfassungsmäßigkeit der durch die Agrarbehördengesetznovelle 1974 geschaffenen Regelung des § 5 Abs 2 Agrarbehördengesetz 1950 über die Zusammensetzung des LAS, insbesondere auch im Hinblick auf die angeführten Bestimmungen der MRK keine Bedenken bestehen (vgl. die durch das Erk. VfSlg. 7284/1974 aufgehobene Regelung; zu der durch die Agrarbehördengesetznovelle 1974 geschaffenen Regelung vgl. VfSlg. 8544/1979, 9120/1981).
Gegen die Verfassungsmäßigkeit der bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften bestehen - aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles - keine Bedenken. Im übrigen ist entgegen der Meinung des Beschwerdeführers gemäß § 8 des Agrarbehördengesetzes die Anrufung des VwGH gegen Bescheide der Agrarsenate zulässig.
Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides ist der Beschwerdeführer durch diesen wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten nicht verletzt worden.
5. Da nach den Ausführungen in Z 2 die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Zustellung der mehrfach erwähnten Bescheide der Agrarbezirksbehörde zu Recht abgewiesen und damit eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht stattgefunden hat, ist es ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde (vgl. VfSlg. 7515/1975, 8406/1978).
Auf das Beschwerdevorbringen über die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums braucht demnach nicht weiter eingegangen zu werden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.