TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 17.12.2013, 10ObS175/13b

OGH vom 17.12.2013, 10ObS175/13b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Proksch Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84 86, wegen Gewährung einer Alterspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 90/13s-9, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 54 Cgs 31/12d-6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der Kläger war nach seinem Vorbringen als Architekt bis zum nach den Bestimmungen des GSVG pensionsversichert. Danach blieb er in diesem Versicherungszweig freiwillig versichert.

Am vollendete er das 65. Lebensjahr. Er stellte erstmals am einen Antrag auf Gewährung einer Alterspension. Mit Schreiben vom ersuchte er „um rückwirkende Bemessung“ der Alterspension ab seinem 65. Lebensjahr.

Die Vorinstanzen verpflichteten die beklagte Partei zur Leistung der Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab (dem der Antragstellung vom folgenden Monatsersten) in der Höhe von monatlich 2.030,50 EUR. Das Mehrbegehren auf Zahlung der Alterspension rückwirkend ab wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten außerordentlichen Revision bringt der Kläger im Wesentlichen vor, bei verfassungs- und europarechtskonformer Auslegung des § 194 GSVG iVm § 361 Abs 1 Z 1 ASVG könne die bisherige Rechtsprechung zum Antragsprinzip nicht aufrecht erhalten werden. Dem ist nicht zu folgen:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Versicherungsfall des Alters gilt mit der Erreichung des Anfallalters als eingetreten (§ 113 Abs 1 Z 1 GSVG).

2.1. Gemäß § 55 Abs 2 Z 2 Satz 1 GSVG fallen Eigenpensionen mit der Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen (materiellen Leistungsvoraussetzungen) an einem Monatsersten bzw dem der Erfüllung der Voraussetzung folgenden Monatsersten an, wenn der Pensionsantrag binnen einem Monat nach Erfüllung der Voraussetzungen beantragt wird. Bei späterer Antragstellung fällt die Pension mit dem Stichtag gemäß § 113 Abs 2 GSVG dh mit dem Monatsersten als Antragstag bzw sonst mit dem folgenden Monatsersten an (§ 55 Abs 2 Z 2 GSVG).

2.2. Aus diesen Bestimmungen ist abzuleiten, dass für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Pensionsversicherung das Antragsprinzip gilt (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG iVm § 194 GSVG). Eine Leistungsgewährung ist daher nur aufgrund eines Antrags zulässig (RIS Justiz RS0085092). Fehlt die Antragstellung, wird nicht das Entstehen des Anspruchs gehindert, wohl aber der Anfall der Leistung ( Atria in Sonntag , ASVG 4 § 86 Rz 9). Der Anspruch auf eine konkrete Pensionsleistung wird daher erst durch den Antrag ausgelöst.

3. Der Antrag (als formelle Leistungsvoraussetzung) ist zugleich aber auch Voraussetzung für die Bestimmung des Stichtags und damit für die Prüfung der materiellen Leistungsvoraussetzungen ( Atria in Sonntag , GSVG,§§ 54, 55 Rz 42). Ob, in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, richtet sich nach den Verhältnissen am Stichtag. Bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit kann die Festlegung des Stichtages also vom Versicherten durch die Wahl des Antragszeitpunkts beeinflusst werden. Es wird ihm damit ermöglicht, einen Leistungsanspruch erst später geltend zu machen, weil er die Wartezeit noch nicht erfüllt hat oder weil er zur Aufbesserung der Pension noch Versicherungszeiten erwerben will. Die Bestimmung des § 113 Abs 2 GSVG entspricht insoweit auch den übrigen Sozialversicherungsgesetzen (§ 223 Abs 2 ASVG,§ 104 Abs 2 BSVG). Der Oberste Gerichtshof hat worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat die grundsätzlich allen Versicherten eingeräumte Stichtagswahl samt damit ausgelöstem grundsätzlich unverrückbaren Stichtag als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (RIS Justiz RS0084543 [T2, T 3]). Durch das Antragsprinzip soll zudem vermieden werden, dass die Versicherungsträger und die Versichertengemeinschaft mit hohen Pensionsnachzahlungen für Zeiträume belastet werden, für die erst nachträglich ein Leistungsantrag gestellt wurde (10 ObS 278/94, SSV-NF 8/126).

4. Das Gesetz kennt kein Institut, welches den Versicherten vor versicherungsrechtlichen Nachteilen bewahrt, wenn ihm ohne sein Verschulden eine zeitgerechte Antragstellung nicht möglich war. Auch eine wegen Unkenntnis des Gesetzes verspätete Antragstellung wie sie der Kläger für sich ins Treffen führt wirkt auf keinen früheren Zeitpunkt zurück (RIS Justiz RS0085841; 10 ObS 12/09a, SSV-NF 23/18). Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, lässt sich die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrags auch aus dem Grundsatz der sozialen Rechtsanwendung nicht ableiten (RIS Justiz RS0086446 [T1]).

Die Revisionsausführungen geben keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Selbst wenn der Kläger durch den Erwerb weiterer Versicherungsmonate wie er vorbringt keinen Vorteil erlangt haben sollte, kann dieser Umstand keine Berücksichtigung finden, weil das Pensionsversicherungsverhältnis nicht auf eine individuelle objektive Äquivalenz von Beitragsleistung und gebotener Sicherung abzielt. Ist die verspätete Antragstellung ausschließlich der Sphäre des Klägers zuzurechnen, dann kann im teilweisen Verlust von Versicherungsleistungen auch keine Enteignung erblickt werden (10 ObS 5/90, SSV-NF 4/21).

5. Im Hinblick auf die bereits vorliegende einheitliche Rechtsprechung sieht sich der erkennende Senat zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags an den Verfassungsgerichtshof hinsichtlich des § 361 Abs 1 Z 1 ASVG und des § 113 Abs 2 GSVG weiterhin nicht veranlasst.

6. Die vom Revisionswerber angesprochene VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit berücksichtigt die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über Soziale Sicherheit und sieht nur Koordinierungsregelungen vor (Erwägungsgrund 4). Die Mitgliedstaaten bleiben somit zuständig und frei in der Festlegung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialen Sicherheit (vgl Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 Art 5 VO 883/2004 Rz 1, 4 ff und 12). Gemäß Art 2 Abs 1 gilt die VO für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Eine weitere wesentliche Anwendungsvoraussetzung für das EU Sozialrecht ist das Vorhandensein eines EU Bezugs. Dies bedeutet, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen. Diese Umstände sind in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn oder Beschäftigungsort, Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats oder ähnlichen Merkmalen zu sehen (vgl Spiegel in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6. Aufl. Art 2 VO 883/2004 Rz 15 mwN). Im vorliegenden Fall ist aber ein Vorbringen zu einem EU Bezug für die Anwendung des EU Sozialrechts nicht ersichtlich, noch finden sich dafür Anhaltspunkte in der Aktenlage. Die vom Revisionswerber angeregte Vorlage an den EuGH zur Frage, ob Art 52 Abs 1 der VO (EG) 883/2004 („Feststellung der Leistungen“) dahin auszulegen ist, dass es im Belieben der Mitgliedstaaten stehe, eine rückwirkende Antragstellung im Bereich der Altersrente trotz der sonstigen Erfüllung aller Leistungsanspruchsvoraussetzungen unter allen Umständen auszuschließen, ist somit nicht erforderlich.

Da der Kläger mit seinen Ausführungen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.