OGH vom 17.08.2006, 10Ob94/04b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Metallbau H***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Erwin Bajc und andere Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, *****, wegen 25.500 EUR sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom , GZ 2 R 128/04t-5, womit der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 12 Cg 145/04f-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, dem die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Alleingesellschafterin der Beklagten ist das Land Steiermark.
Die Klägerin begehrt mit ihrer am eingebrachten Klage Zahlung von 25.500 EUR sA und die Feststellung, dass ihr die Beklagte für den über das Leistungsbegehren hinausgehenden Nichterfüllungsschaden aus der unterbliebenen Beauftragung im Rahmen des Angebotes GZ T ***** (künftig: Angebot) hafte. Die Beklagte habe beim das Angebot betreffenden Projekt Arbeiten ausgeschrieben. Am sei die Einladung zur Angebotsabgabe bei der Klägerin eingegangen. Sie habe ihr Angebot gemäß dem Schreiben vom abgegeben. Die Beklagte habe die Klägerin verständigt, sie beabsichtige, ihr den Zuschlag zu erteilen. Danach habe ihr die Beklagte mitgeteilt, dass die S***** GmbH die Zuschlagsentscheidung beeinspruche und ein Nachprüfungsverfahren beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (UVS) beantragt habe. Mit Bescheid vom habe der UVS dem Antrag der S***** GmbH stattgegeben und die Zuschlagsentscheidung für nichtig erklärt, weil die Beklagte Verlesemängel bei der Angebotseröffnung zu verantworten habe. Auf Grund der Nichtigkeit begründenden Fehler habe die Klägerin aus Verschulden der Beklagten Schäden von 25.500 EUR erlitten (Kosten der Angebotsstellung von 10.000 EUR; Kosten der Teilnahme am Vergabeverfahren von 500 EUR; frustrierter Aufwand von 15.000 EUR). Der Anspruch auf Ersatz der Kosten von 10.500 EUR ergebe sich aus § 181 BVergG. Der frustrierte Planungsaufwand sei notwendig gewesen, weil die Werkplanvorlage zur Freigabe und die weiteren Arbeiten so terminisiert gewesen seien, dass sie unverzüglich hätten durchgeführt werden müssen. Ein Zuwarten in der Stillhaltefrist des § 100 BVergG sei nicht möglich gewesen. Darüber hinaus stütze sich die Klägerin auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere auf culpa in contrahendo. Sie habe als Bestbieterin berechtigt auf die Erteilung des Zuschlags vertrauen können. Die Beklagte habe die Übernahme der Haftung mit dem Hinweis, dass die Rechtsansicht des UVS verfehlt sei, abgelehnt. Sie habe entschieden, die Arbeiten neu auszuschreiben, und tatsächlich ausgeschrieben. Da durch das erste Vergabeverfahren die Angebotspreise bekannt gewesen seien und mehrere Unternehmen den Auftrag unbedingt hätten erhalten wollen, hätten Unternehmen im zweiten Vergabeverfahren einen niedrigeren Preis angeboten als die Klägerin. Es sei deshalb zu befürchten, dass die Klägerin nicht mehr Bestbieterin sein werde. Die Angebotsprüfung sei noch im Laufen. Erhalte im zweiten Vergabeverfahren ein Mitbieter den Zuschlag, würden weitere Schäden eintreten. Sie habe Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens, soweit er die Kosten nach § 181 BVergG übersteige, und ein Interesse an der begehrten Feststellung.
Das Erstgericht wies die Klage sofort wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil die Klägerin nicht behauptet habe, es läge eine Entscheidung des UVS vor, die feststelle, dass die Klägerin bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG den Zuschlag erhalten hätte.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, im vorliegenden Fall seien das BVergG 2002 und für die Nachprüfung im Rahmen der Vergabe das Steiermärkische Vergabe-Nachprüfungsgesetz (StmkVNG, LGBl 2003/43) anzuwenden.
Gemäß § 184 Abs 2 BVergG 2002 sei eine Schadenersatzklage nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung der jeweils zuständigen Vergabekontrollbehörde erfolgt sei, ob wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2002 der Zuschlag nicht dem Best- (oder ausnahmsweise: dem Billigst-)bieter erteilt worden bzw ob der Widerruf wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2002 rechtswidrig gewesen sei. Dies gelte auch für jene Schadenersatzansprüche, die über den Ersatz der Kosten der Angebotserstellung und der Teilnahme am Vergabeverfahren hinausgingen.
Gemäß § 15 Abs 1 StmkVNG habe der zur Nachprüfung zuständige UVS nach erfolgtem Zuschlag oder nach erfolgtem Widerruf einer Ausschreibung auf Antrag lediglich festzustellen, ob der behauptete Rechtsverstoß vorliege oder nicht.
Die behauptete Entscheidung der Beklagten, die Arbeiten neu auszuschreiben, sei inhaltlich nichts anderes als ein Widerruf der ersten Ausschreibung oder allenfalls nur wie ein solcher zu behandeln. Ein Antrag an den UVS auf Feststellung von Rechtsverstößen iSd § 15 Abs 1 StmkVNG sei daher durchaus möglich (gewesen). Da die Klägerin den Antrag nicht gestellt habe und daher eine solche Entscheidung des UVS nicht vorliege, sei der Rechtsweg für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche unzulässig. Alle Schadenersatzanprüche der Teilnehmer am Vergabeverfahren seien sondergesetzlich (§§ 181 bis 186 BVergG 2002) geregelt. Ihre Geltendmachung vor den ordentlichen Gerichten sei nur zulässig, wenn zuvor ein Nachprüfungsverfahren vor Verwaltungsbehörden durchgeführt worden sei. Gerade deshalb sei eine neuerliche Ausschreibung - ohne vorherigen Zuschlag oder nach Nichtigerklärung eines erfolgten Zuschlags - als Widerruf der ersten Ausschreibung zu qualifizieren, ergebe sich doch sonst eine systemwidrige Regelungslücke, die gegebenenfalls dadurch zu schließen wäre, dass die Entscheidung zur Neuausschreibung wie ein Widerruf der früheren Ausschreibung behandelt werde.
Da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur dargelegten Rechtslage, insbesondere zu den einschlägigen Bestimmungen des StmkVNG nicht bestehe, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehlt, ob ein Feststellungsbescheid gemäß § 184 Abs 2 BVergG 2002 Prozessvoraussetzung für eine auf Ersatz von in § 181 Abs 1 BVergG 2002 genannter Schäden gerichtete Klage ist, wenn in dem betreffenden Vergabeverfahren weder eine Zuschlagserteilung noch ein förmlicher Widerruf gemäß § 105 BVergG 2002 erfolgte. Er ist auch berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin macht im Wesentlichen zusammengefasst geltend:
Ein Vergabeverfahren könne nur auf die in § 103 Abs 1 BVergG 2002 genannten Arten, nicht aber durch Stillschweigen oder konkludentes Verhalten beendet werden. Ein rechtswirksamer Widerruf liege nicht vor, wenn die Formvorschriften des § 105 BVergG 2002 nicht eingehalten worden seien. Die Beklagte habe keine Widerrufsentscheidung gefällt. Die Klägerin sei von einem Widerruf nicht verständigt worden. Eine Bekanntmachung eines Widerrufs sei nicht erfolgt. Die Auffassung des Rekursgerichts, aus der neuerlichen Ausschreibung sei auf einen Widerruf zu schließen, widerspreche den gesetzlichen Formvorschriften für einen Widerruf und vermische den Status eines beendeten Verfahrens mit jenem eines noch laufenden. Mangels Vorliegens eines Widerrufs und einer sonstigen bekämpfbaren Entscheidung hätte der UVS einen Feststellungsantrag jedenfalls zurückweisen müssen. Von der Klägerin werde vom Rekursgericht somit etwas verlangt, was nicht erbracht werden könne. Außerdem sei im vorliegenden Fall der Schaden nicht durch einen Widerruf oder durch die in einen Widerruf umgedeutete Neuausschreibung, sondern durch einen Vergabefehler entstanden. Gehe man vom Vorliegen eines Widerrufs aus, so könnte die Klägerin die Feststellung eines rechtswidrigen Widerrufs nicht erlangen. Wie der UVS in seinem Bescheid, mit dem die Zuschlagsentscheidung der Beklagten für nichtig erklärt worden sei, festgestellt habe, seien der Beklagten Verlesemängel unterlaufen. Diese stellten einen Wurzelmangel dar, der jede Zuschlagsentscheidung mit einer Nichtigkeit behaftet hätte, sodass dass Verfahren rechtsrichtig nur mit förmlichen Widerruf hätte beendet werden können und müssen. Ein solcher Widerruf sei nicht rechtswidrig. Eine Feststellung nach § 15 Abs 1 StmkVNG reiche nach § 181 BVergG nicht aus, weil diese Gesetzesstelle die Feststellung verlange, dass nicht dem Bieter mit dem günstigsten Angebot der Auftrag erteilt worden oder der Widerrruf rechtswidrig gewesen sei.
Hiezu wurde erwogen:
Zunächst kann auf die zutreffenden und von der Revisionsrekurswerberin auch nicht widersprochenen Ausführungen des Rekursgerichts zur Anwendung (materiell-rechtlicher Bestimmungen) des BVergG 2002 und des StmkVNG (für das Nachprüfungsverfahren) im vorliegenden Fall verwiesen werden. Die der Prüfung der Rechtswegzulässigkeit zugrundezulegenden Klagsangaben (Wortlaut des Klagebegehrens und in der Klage behaupteter Sachverhalt: SZ 71/30; SZ 64/57 mwN; RIS-Justiz RS0045584) sind nicht nach dem am in Kraft getretenen BVergG 2006, BGBl I 2006/17 zu beurteilen (s § 345 BVergG 2006).
Bei schuldhafter Verletzung des BVergG 2002 oder der auf Grund dieses Gesetzes ergangenen Verordnungen durch Organe einer vergebenden Stelle hat ein übergangener Bewerber, Bieter oder Bestbieter gegen den Auftraggeber, dem das Verhalten der Organe der vergebenden Stelle zuzurechnen ist, Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotstellung und der Kosten der Teilnahme am Vergabeverfahren. Weiter gehende, jedoch nur alternativ zustehende Schadenersatzansprüche des übergangenen Bieters nach anderen Rechtsvorschriften werden davon nicht berührt (§ 181 Abs 1 BVergG 2002). Kein Anspruch nach dieser Gesetzesstelle besteht, wenn nach Zuschlagserteilung oder nach Widerruf einer Ausschreibung durch die jeweils zuständige Vergabekontrollbehörde festgestellt worden ist, dass der Geschädigte auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG 2002 und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte oder wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können (§ 181 Abs 2 BVergG 2002).
Zur Entscheidung über Ansprüche gemäß § 181 BVergG 2002 sind die ordentlichen Gerichte berufen (§ 184 Abs 1 BVergG 2002). Gemäß § 184 Abs 2 BVergG 2002 ist eine "Schadenersatzklage nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung der jeweils zuständigen Vergabekontrollbehörde erfolgt ist, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hierzu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis oder dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde bzw ob der Widerruf wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz rechtswidrig war. Dies gilt auch für die in § 181 Abs 1 letzter Satz genannten Ansprüche." Der die Rechtswidrigkeit feststellende Bescheid ist Prozessvoraussetzung sowohl für eine Klage auf Beteiligungskostenersatz als auch für die auf § 181 Abs 1 Satz 2 BVergG 2002 gestützte Klage auf Ersatz des Erfüllungsinteresses (Aicher in Schramm/Aicher/Fruhmann, Thienel [Hrsg], Kommentar zum Bundesvergabegesetz 2002 § 184 Rz 2 ff). Die zwingende Vorschaltung des Feststellungsverfahrens als Prozessvoraussetzung für eine Schadenersatzklage soll einer "übermäßigen Arbeitsbelastung der Gerichte vorbeugen" (AB 1118 BlgNR 21. GP 67 unter Verweis auf ErläutRV 972 BlgNR 18. GP 71 zu § 102 BVergG 1993; Aicher in Schramm ua aaO § 184 Rz 3). Das Gericht und die Parteien sind an eine solche Feststellung gebunden (§ 184 Abs 2 letzter Satz BVergG 2002).
Vergabekontrollbehörde ist im vorliegenden Fall gemäß § 2 Abs 2 StmkVNG der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS). Bis zur Zuschlagserteilung ist der UVS zum Zweck der Beseitigung von Verstößen gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen des Auftragsgebers zuständig (§ 3 Abs 1 Z 1 und 2 StmkVNG, der inhaltlich § 162 Abs 2 Z 1 und 2 BVergG 2002 entspricht). Nach Zuschlagserteilung ist der UVS zuständig festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis oder dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist der UVS ferner zuständig, auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, ob der Antragsteller auch bei Einhaltung dieser Vorschriften keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte (§ 3 Abs 2 StmkVNG, der zu § 162 Abs 3 BVergG 2002 parallelen Norm). Nach dem Widerruf einer Ausschreibung ist der UVS zuständig festzustellen, ob der Widerruf wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens rechtswidrig war. In einem solchen Verfahren ist er ferner zuständig festzustellen, ob der Antragsteller auch bei Einhaltung dieser Vorschriften keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte (§ 3 Abs 4 StmkVNG, der inhaltlich mit § 162 Abs 5 BVergG 2002 übereinstimmt). Gemäß § 15 Abs 1 StmkVNG (der § 175 Abs 1 BVergG 2002 entspricht) hat der UVS nach erfolgtem Zuschlag oder nach erfolgtem Widerruf einer Ausschreibung unter den Voraussetzungen des § 14 Abs 1 StmkVNG auf Antrag lediglich festzustellen, ob der behauptete Rechtsverstoß vorliegt oder nicht. Die bezogene Gesetzesstelle bestimmt, dass der UVS eine im Zug eines Vergabeverfahrens ergangene Entscheidung eines Auftraggebers für nichtig zu erklären hat, wenn sie im Widerspruch zu Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens steht und für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist. Nach § 19 StmkVNG dient dieses Gesetz ua der Umsetzung der Richtlinie 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie).
Nach § 103 Abs 1 BVergG 2002 endet ein Vergabeverfahren mit dem Zustandekommen des Leistungsvertrags oder mit dem Widerruf der Ausschreibung. Zu einem Zuschlag (einer Zuschlagserteilung, das ist - § 20 Z 41 BVergG 2002 - die an den Bieter abgegebene schriftliche Erklärung, sein Angebot anzunehmen) und damit zu einem Leistungsvertrag (zivilrechtlichen Vertrag über die Erbringung der Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens waren; Schramm/Öhler/Stickler in Schramm ua aaO § 103 Rz 4) ist es nach den Klagsbehauptungen nicht gekommen.
Nach den Klagsbehauptungen ist davon auszugehen, dass die Angebotsfrist abgelaufen war, als die Zuschlagsentscheidung (§ 20 Z 42 BVergG 2002) getroffen wurde. § 105 BVergG 2002 regelt den Widerruf nach Ablauf der Angebotsfrist. Nach Absatz 1 dieser Gesetzesstelle ist die Ausschreibung zu widerrufen, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor der Ausschreibung bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten. Die Ausschreibung kann widerrufen werden, wenn nur ein Angebot eingelangt ist, nach dem Ausscheiden von Angeboten nur ein Angebot bleibt oder andere für den Auftraggeber schwer wiegende Gründe bestehen (§ 105 Abs 2 BVergG 2002). In den Fällen des § 105 Abs 1 und 2 BVergG 2002 bedarf der Widerruf eines konstitutiven Aktes (eines "Ausspruches") des Auftraggebers (Schramm/Öhler/Stickler in Schramm ua aaO §§ 104-105 Rz 8). Schließlich "gilt" eine Ausschreibung als widerrufen, wenn kein Angebot eingelangt ist oder nach dem Ausscheiden von Angeboten kein Angebot im Vergabeverfahren verbleibt (§ 105 Abs 3 BVergG 2002; "automatischer Widerruf" [Schramm/Öhler/Stickler in Schramm ua aaO §§ 104-105 Rz 53]). Vom Widerruf der Ausschreibung sind die Bieter unverzüglich unter Bekanntgabe des Grundes zu verständigen (§ 105 Abs 4 BVergG 2002). Ein Widerruf der Ausschreibung ist in derselben Art bekannt zu machen wie die Ausschreibung (§ 105 Abs 5 BVergG 2002). Mit der ordnungsgemäßen Durchführung der Verständigung gemäß § 105 Abs 4 BVergG 2002 gewinnen Auftraggeber und Bieter ihre Handlungsfreiheit wieder (§ 105 Abs 6 BVergG 2002).
Die Aufzählung der Endigungsgründe in § 103 Abs 1 BVergG 2002 ist taxativ; andere Endigungsgründe bestehen nicht. Solange ein Vergabeverfahren nicht beendet worden ist, ist ein weiteres Vergabeverfahren über den Auftragsgegenstand rechtswidrig (Schramm/Öhler/Stickler in Schramm ua aaO § 103 Rz 5 f; Estermann in Heid ua [Hrsg], Handbuch Vergaberecht 410; vgl BVA , F-6/96-26). § 103 BVergG 2002 verpflichtet den Auftraggeber, das Vergabeverfahren förmlich zu beenden (Thienel in Schramm ua aaO § 162 Rz 230 mwN). Voraussetzung einer Feststellung der zuständigen Vergabekontrollbehörde, dass der Widerruf der Ausschreibung rechtswidrig war (§ 3 Abs 4 StmkVNG), die nach § 184 Abs 2 BVergG 2002 die Voraussetzung für eine Schadenersatzklage bildet, ist, dass der Widerruf rechtswirksam erfolgt ist (Thienel in Schramm ua aaO § 162 Rz 227 f mwN aus der Rsp des Bundesvergabeamtes). Gegen die Annahme eines schlüssigen Widerrufs einer Ausschreibung durch eine weitere Ausschreibung des Auftragsgegenstands spricht die Auffassung, dass diesfalls das zweite Vergabeverfahren mit Rechtswidrigkeit - mangels Beendigung des ersten Vergabeverfahrens - belastet ist. Selbst wenn man aber mit dem Rekursgericht davon ausgeht (zum schlüssigen Widerruf s Thienel in Schramm ua aaO § 162 Rz 230), dass ein Widerruf einer Ausschreibung schlüssig durch Neuausschreibung des Auftragsgegenstands erklärt werden kann so liegt nach den Behauptungen der Klägerin die für die Rechtswirksamkeit eines Widerrufs notwendige Verständigung der Bieter nach § 105 Abs 4 BVergG 2002 nicht vor. Eine Feststellung durch den UVS nach § 3 Abs 4 StmkNVG kommt daher nicht in Betracht. Eine Rechtsschutzlücke in Bezug auf behauptete Schadenersatzansprüche eines Bieters entsteht dadurch nicht, weil nach Auffassung des erkennenden Senats davon auszugehen ist, dass derartige Ansprüche in diesem Fall wie auch im Fall, dass sowohl ein Zuschlag als auch ein Widerruf unterlassen wird, ohne die Erwirkung des ansonsten notwendigen Feststellungsbescheids geltend gemacht werden können, hätte es doch sonst der Auftraggeber in der Hand, durch rechtswidrige Unterlassung jener verfahrensabschließenden Schritte, die einem Feststellungsbegehren zugänglich wären, eine Schadenersatzklage scheitern zu lassen (s Estermann in Heid ua aaO 416 unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2 Ob 2/97a, wo in einem anderen Zusammenhang ausgesprochen wurde, dass ein Feststellungsbescheid zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen dann nicht erforderlich ist, wenn die vom Gesetz vorgesehene Feststellung gar nicht möglich ist).
Dem Revisionsrekurs war stattzugeben, weil für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche im vorliegenden Fall ein Feststellungsbescheid nach § 184 Abs 2 BVergG 2002 nicht Prozessvoraussetzung ist.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.