VfGH vom 06.10.2010, b234/10
Sammlungsnummer
19194
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Nichterfüllung einer Verpflichtung zum Prozesskostenersatz; Unwirksamkeit einer nicht an den Gläubiger gerichteten schriftlichen Aufrechnungserklärung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Feldkirch. Mit
Erkenntnis des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom wurde er der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes schuldig erkannt,
"[weil er die] übernommene Verpflichtung, an M. D. zu Handen seines Vertreters binnen 14 Tagen ab Rechtswirksamkeit des Vergleichs einen Pauschalbetrag von 500 Euro an Prozesskostenersatz bei sonstiger Exekution zu bezahlen, trotz mehrfacher Zahlungsaufforderung nicht erfüllt habe und es wegen dieser vollstreckbaren Prozesskostenforderung auf eine Exekutionsführung habe ankommen lassen und damit gegen § 3 RL-BA verstoßen habe."
Der Beschwerdeführer wurde deshalb zu einer Geldbuße in Höhe von € 1.500,- verurteilt.
1.2. Dieser Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Im Verfahren vor dem BG Feldkirch zu Z. ... übernahm der
Beschwerdeführer die Verpflichtung, dem M. D. zu Handen seines Vertreters einen Pauschalbetrag von € 500,- an Prozesskostenersatz zu bezahlen. Der Beschwerdeführer kam dieser Verpflichtung nicht nach, weshalb er vom Vertreter des M. D. zweimal schriftlich aufgefordert wurde, seiner Leistungspflicht nachzukommen. Da der Beschwerdeführer auf diese Schreiben nicht reagierte, erstattete der Vertreter des M. D. Anzeige beim Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer. Mit Schreiben vom erklärte der Beschwerdeführer, er habe gegenüber dem Gläubiger bereits die Aufrechnung mit eigenen Forderungen erklärt und daher den Betrag von € 500,- nicht bezahlt. Im August 2008 brachte M. D. einen Exekutionsantrag gegen den Beschwerdeführer ein, wogegen der Beschwerdeführer Oppositionsklage erhoben hat. Das Exekutionsverfahren wurde schließlich eingestellt.
2. Die gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer erhobene Berufung wurde mit als Bescheid zu wertendem Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom abgewiesen. Begründend führte die OBDK aus, dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er bei einer Verhandlung vor dem BG Feldkirch am bzw. in darauf folgenden Gesprächen bereits gegenüber M. D. die Aufrechnung mit eigenen Forderungen gegen diesen erklärt habe. Die Erklärung an den Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom sei - anders als vom Beschwerdeführer in seiner Berufung behauptet - keine gültige Aufrechnungserklärung, weil dieses Schreiben nicht an den Gläubiger gerichtet war, sondern an den Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer. Da der Beschwerdeführer es auf die Führung eines Exekutionsverfahrens ankommen habe lassen, habe er sich der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes wegen Verletzung von § 3 der Richtlinie für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: RL-BA) schuldig gemacht. Die Verurteilung durch den Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer sei daher zu Recht erfolgt.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht wird. Darüber hinaus wird - ohne nähere Begründung - die Prüfung des § 54 Abs 5 des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl. 474/1990, (im Folgenden: DSt), auf seine Verfassungsmäßigkeit angeregt.
4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift.
II. Zur maßgeblichen Rechtslage:
1. § 54 DSt idF BGBl. 474/1990 lautet:
"§54. (1) Eine verspätete oder unzulässige Berufung oder eine Berufung, die keine Erklärung im Sinn des § 49 enthält, ist ohne mündliche Verhandlung mit Beschluß zurückzuweisen.
(2) Ist die Erhebung des Sachverhalts oder das Verfahren mangelhaft, sodaß es ganz oder zum Teil wiederholt oder ergänzt werden muß, und nimmt die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission die Beweisaufnahme und die Verfahrensergänzungen weder selbst vor, noch läßt sie sie vornehmen (§52), so hat sie das Erkenntnis des Disziplinarrats ganz oder zum Teil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Disziplinarrat zurückzuverweisen.
(3) In allen anderen Fällen hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, das Erkenntnis in jeder Richtung zu ändern, zum Nachteil des Beschuldigten jedoch nur im Umfang der Anfechtung.
(4) Ist die Berufung lediglich zugunsten des Beschuldigten ergriffen worden, so darf weder die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission noch im Fall einer Zurückverweisung der Disziplinarrat eine strengere Strafe als in dem angefochtenen Erkenntnis verhängen.
(5) Das Erkenntnis hat den Ausspruch über die Pflicht des Beschuldigten zum Ersatz der Kosten des Verfahrens zu enthalten."
2. § 3 RL-BA lautet:
"§3. Der Rechtsanwalt hat eine übernommene Verbindlichkeit zu erfüllen; jedenfalls dürfen Einwendungen gegen eine solche Forderung Ehre und Ansehen seines Standes nicht beeinträchtigen."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. In der Beschwerde wird die Einleitung eines Normprüfungsverfahrens hinsichtlich § 54 Abs 5 DSt "angeregt", ohne jedoch näher auszuführen, worin die Bedenken gegen diese Bestimmung bestehen. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung entstanden (vgl. ).
Da auch sonst keine Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften entstanden sind, ist der Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt.
2.1. In der Beschwerde wird weiters vorgebracht, der Beschwerdeführer sei durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden. Der belangten Behörde sei ein gehäuftes Verkennen der Rechtslage vorzuwerfen. Durch den Erfolg der Oppositionsklage des Beschwerdeführers gegen M. D. sei "mit Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren" festgestellt worden, dass die Exekutionsführung gegen den Beschwerdeführer unzulässig war. Darüber hinaus wirke die vom Beschwerdeführer abgegebene Aufrechnungserklärung zurück. Die Schuld des Beschwerdeführers sei daher mit jenem Zeitpunkt, zu dem sich die gegenseitigen Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden, getilgt. Ebenso sei der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
2.2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
2.3. Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2.4. Der Vorwurf eines willkürlichen Verhaltens kann der belangten Behörde im vorliegenden Fall nicht gemacht werden. Sie hat ein aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und den angefochtenen Bescheid denkmöglich und schlüssig begründet.
2.5. Soweit die Beschwerde - mit der oben dargestellten Begründung - unter Berufung auf die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums behauptet, die belangte Behörde habe die Rechtslage gehäuft verkannt, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer durch den Vertreter des Gläubigers zweimal per E-Mail aufgefordert wurde, seiner Verpflichtung zur Leistung des Prozesskostenersatzes nachzukommen. Auf diese beiden Schreiben hat der Beschwerdeführer nicht reagiert, was zur Disziplinaranzeige und in weiterer Folge zur Einbringung eines Exekutionsantrages führte. Wenn er darüber hinaus behauptet, er habe mit Schreiben vom an den Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer wirksam die Aufrechnung erklärt, ist dem zu entgegnen, dass die Aufrechnungserklärung eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, sein Schreiben aber nicht an den Gläubiger gerichtet war. Daher hat der Beschwerdeführer mit diesem Schreiben keine wirksame Aufrechnungserklärung abgegeben. Es ist der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn sie das Verhalten des Beschwerdeführers als Verletzung des § 3 RL-BA ansieht.
Da der angefochtene Bescheid insgesamt auf einer vertretbaren Rechtsauffassung beruht, wurde der Beschwerdeführer weder in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz noch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.