VfGH vom 25.11.2002, b234/00
Sammlungsnummer
16698
Leitsatz
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Inanspruchnahme der Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung durch das Bundesvergabeamt; rechtsrichtige Annahme der noch nicht erfolgten Zuschlagserteilung
Spruch
Der Bund ist durch den bekämpften Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Vertreten durch das Bundesministerium für Inneres (EDV-Zentrale) hat der Bund die Hardwarebeschaffung in den Bereichen "Workstation, Server, Drucker und anderer Peripherie" im offenen Verfahren nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG) ausgeschrieben. Der geschätzte Auftragswert belief sich auf über ATS 200 Mio. Die mitbeteiligte Partei hat sich durch Legung eines Teilanbots betreffend die Vergabe von "Standortserver, restliche Serverfamilie samt Rack, Rackkomponente und Serverzubehör" am Vergabeverfahren beteiligt. Mit Schreiben vom (zugestellt per Fax am ) wurde seitens der vergebenden Stelle Folgendes mitgeteilt:
"Das Bundesministerium für Inneres gibt gemäß der beiliegenden Aufstellung den Zuschlag im Rahmen des Vergabeverfahrens bekannt: [Liste der Bestbieter samt Beschreibung der zugeschlagenen Geräte]
[...]
Der Vertragsabschluss wird in zwei Wochen, gerechnet ab dem morgigen Tag erfolgen."
b) Mit Antrag vom beantragte die mitbeteiligte Partei beim Bundesvergabeamt (BVA) die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mit dem Begehren, die Zuschlagsentscheidung betreffend die bezogene Teilvergabe für nichtig zu erklären sowie eine einstweilige Verfügung dahin zu erlassen, dass der vergebenden Stelle für die Dauer von zwei Monaten nach Antragstellung die Erteilung des Zuschlags untersagt werde.
c) Mit Bescheid vom , Z N-49/99-12, wurde dem Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung stattgegeben; der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde zurückgewiesen. Unter gleichzeitiger Feststellung, dass ein Zuschlag im Vergabeverfahren noch nicht erteilt worden sei, begründet das BVA diese Entscheidung damit, dass der Auftraggeber zwar den von ihm gewählten Zuschlagskriterien eine Reihung nach ihrer Gewichtung verliehen habe, es allerdings unterlassen habe, die notwendige Gewichtung der Kriterien zueinander herzustellen. Dadurch hätte der Auftraggeber das Gebot zur nachvollziehbaren Ermittlung des Bestbieters gemäß § 53 BVergG verletzt, weshalb die Zuschlagsentscheidung für rechtswidrig und nichtig zu erklären gewesen wäre.
2. a) Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde des Bundes an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie "anderer" - nicht näher präzisierter - verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
b) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
c) Die vor dem BVA als Antragstellerin aufgetretene Gesellschaft hat als mitbeteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie den Behauptungen des Bundes entgegentritt und beantragt, die Beschwerde abzuweisen; ein Kostenersatzbegehren wurde dabei nicht gestellt.
d) Der Verfassungsgerichtshof hat das in der Beschwerde genannte Rundschreiben des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes vom , mit dem den Bundesdienststellen im Gefolge der Entscheidung des , Alcatel Austria AG, empfohlen wurde, die Bieter etwa zwei Wochen vor Zuschlagserteilung von der Absicht in Kenntnis zu setzen, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll, von Amts wegen beigeschafft.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Bund erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten deshalb verletzt, weil das BVA zu Unrecht eine Zuständigkeit zur Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung angenommen habe: Gemäß § 113 Abs 2 BVergG sei ein die Nichtigerklärung einer Entscheidung des Auftraggebers begehrender Nachprüfungsantrag nur bis Zuschlagserteilung zulässig. § 15 Z 15 BVergG definiere den Zuschlag als die an den Bieter abgegebene schriftliche Erklärung, sein Angebot anzunehmen. Nach § 54 Abs 1 BVergG komme das Vertragsverhältnis zu dem Zeitpunkt zustande, zu dem der Bieter die schriftliche Verständigung von der Annahme seines Angebotes erhalte. Da gemäß § 56 Abs 1 BVergG ein Vergabeverfahren nur mit dem Zustandekommen des Leistungsvertrages oder mit dem Widerruf der Ausschreibung ende und das Schreiben der Beschwerdeführerin vom (zugestellt am ) nicht als Widerruf der Ausschreibung anzusehen sei, könne es sich nur um den Zuschlag handeln. Dieser Erklärungsinhalt würde sich auch aus dem Text des Schreibens eindeutig ergeben.
Weiters heißt es in der Beschwerde:
"Am erging in einem Vorabentscheidungsverfahren das mittlerweile allseits bekannte Urteil des EuGH in der Rechtssache C-81/98, Alcatel Austria AG u.a. gegen Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, welches dem BM f. Inneres am , also wenige Tage vor dem am erfolgten Zuschlag im verfahrensgegenständlichen Verfahren im Wege des BKA zugekommen ist. Das BKA hat in seinem Rundschreiben allen als Auftraggeber auftretenden Bundesministerien vorgeschlagen, etwa zwei Wochen vor Zuschlag die Bieter nachweislich von der Absicht in Kenntnis zu setzen, welchem Bieter sie den Zuschlag zu erteilen beabsichtigen.
In Anbetracht der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Fall erst wenige Tage vor Ende der Zuschlagsfrist Kenntnis von dieser Entscheidung bekommen hat, war es nicht mehr möglich, dieser Empfehlung zu entsprechen. Das Zuschlagschreiben vom erging am letzten Tag der gem § 41 Abs 1 BVergG äußerstenfalls zustehenden Frist. Die von der Beschwerdeführerin gewählte Formulierung stellt einen Versuch dar, wenigstens sinngemäß der Empfehlung des Bundeskanzleramtes nach einer Trennung von Zuschlagserteilung und Vertragsabschluß zu entsprechen.
Wie eine nähere Prüfung jedoch ergeben muß, ändert das nichts an der rechtlichen Qualifikation des fraglichen Schreibens als Zuschlagserteilung.
Die belangte Behörde geht in der angefochtenen Entscheidung offenbar in Anlehnung an das genannte EuGH-Erkenntnis davon aus, es handle sich bei der für nichtig erklärten Entscheidung der Beschwerdeführerin vom um eine der Zuschlagserteilung vorgeschaltete Benachrichtigung der Bieter von der Absicht, einen Zuschlag zu erteilen. Ein solches Schreiben ist im BVergG nicht vorgesehen. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführerin die Absicht, ein solches Schreiben einen Tag vor Ende der Zuschlagsfrist abzufertigen, nicht zuzusinnen. Diese Annahme ist daher nicht zulässig und im Übrigen in den Verfahrensergebnissen nicht gedeckt."
2. Nach Ansicht der mitbeteiligten Partei sei aus dem Wortlaut des Schreibens der vergebenden Stelle vom zu schließen, dass diese die Bieter nur davon in Kenntnis setzen wollte, an welchen Bieter sie den Zuschlag zu erteilen beabsichtige bzw. wann und mit wem sie den Leistungsvertrag zu schließen gedenke. Die Frage der erfolgten Zuschlagsentscheidung sei vom BVA zutreffend beurteilt worden; keinesfalls sei dem BVA aber ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen. Weiters führt die mitbeteiligte Partei Folgendes aus:
"Dass durch die Nichterteilung des Zuschlages am allenfalls eine Verletzung der Zuschlagsfrist gemäß § 41 Abs 1 BVergG bewirkt wurde, vermag daran nichts zu ändern. Vielmehr ist vor dem Hintergrund des , Alcatel, zu fordern, dass den Bietern zwischen der Zuschlagsentscheidung und dem tatsächlichen Zuschlag (= Abschluss des Leistungsvertrages) die Möglichkeit der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung offen steht. Aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts wird man bei der hier vorliegenden Sonderkonstellation wohl auch anzunehmen haben, dass eine ausnahmsweise Überschreitung der Zuschlagsfrist des § 41 Abs 1 BVergG dann zulässig ist, wenn die Zuschlagsentscheidung erst gegen Ende dieser Frist getroffen werden kann und der Zeitraum, der zu einer allfälligen Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung notwendig ist, über das Ende der Zuschlagsfrist hinausreicht. Eine Interpretation des Schreibens des Auftraggebers vom vor dem Hintergrund des zitierten Urteils des EuGH zeigt auch ganz deutlich, dass der Auftraggeber von einer Trennung zwischen Zuschlagsentscheidung (die vor dem Bundesvergabeamt bekämpft werden kann) und dem tatsächlichen Zuschlag (= Vertragsabschluß) ausgegangen ist. Dies wird im übrigen auch von der Beschwerdeführerin erkannt (vgl Seite 4 Abs 4 letzter Satz der Beschwerde).
Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass das Schreiben des Auftraggebers vom die aufgrund des zitierten Urteils des EuGH gebotenen Differenzierung zwischen Zuschlagsentscheidung und Zuschlagserteilung (= Vertragsabschluß) vornimmt und sich interpretativ als Zuschlagsentscheidung darstellt. Die bloße Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung, und noch nicht die Erteilung des Zuschlages, war aufgrund europarechtlicher Vorgaben auch das für den Auftraggeber gebotene Verhalten. Die von der belangten Behörde vor diesem Hintergrund abgeleitete Zuständigkeit war daher gegeben."
3. a) Der beschwerdeführende Bund wäre in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden, wenn die belangte Behörde ihre Sachentscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen hätte, zu dem sie wegen bereits erfolgter Zuschlagserteilung zu einer solchen nicht (mehr) zuständig gewesen wäre. Denn dieses Grundrecht wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde u.a. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 9696/1983).
b) Ein solcher Vorwurf ist der belangten Behörde aber nicht zu machen. Das oben [vgl. Pkt. I.1.a] auszugsweise wiedergegebene Schreiben der vergebenden Stelle informiert die Bieter über die Zuschlagsentscheidung sowie darüber, wann die Zuschlagserteilung erfolgen soll. Dies legt schon der Wortlaut des Schreibens nahe, wird aber insbesondere angesichts folgender Umstände völlig klar:
Mit Urteil vom , Rs C-81/98, Alcatel Austria AG ua., Slg. 1999, I-7671, hat der EuGH ausgesprochen, dass die Zuschlagsentscheidung eine Entscheidung im Sinne des Art 2 Abs 1 litb der Rechtsmittel-Richtlinie 89/665/EWG darstelle, die in einem Nachprüfungsverfahren überprüfbar und gegebenenfalls für nichtig erklärbar sein müsse. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung im BVergG 1997 (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I 125/2000) konnte der vergebende Bund nur dadurch den aus der zitierten Entscheidung abzuleitenden Anforderungen an ein gemeinschaftsrechtskonformes Zuschlagsverfahren Rechnung tragen, dass er zwischen Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung und Setzen des für den Vertragsabschluss konstitutiven Aktes der Zuschlagserteilung den Bietern die Möglichkeit einräumte, die Zuschlagsentscheidung einer Überprüfung durch die Vergabekontrollbehörde unterziehen zu können. In diesem Sinne vorzugehen, hatte der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes auch den Bundesdienststellen mit Rundschreiben vom empfohlen.
Vor diesem Hintergrund kann das (im Verwaltungsakt erliegende) Schreiben des Auftraggebers, das Auskunft über die evaluierten Bestbieter gibt und ausdrücklich auf den (erst) "in zwei Wochen" erfolgenden Vertragsabschluss verweist, nur als Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung gedeutet werden und nicht bloß - wie der beschwerdeführende Bund nunmehr meint - als "[erfolgloser] Versuch", "wenigstens sinngemäß" der diesbezüglichen Empfehlung des Bundeskanzleramts zu entsprechen. Eine solche Annahme unterstellt der vergebenden Stelle ohne ersichtlichen Grund, dass diese einer Empfehlung anderer Organe des Bundes zur Einhaltung der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Vorgangsweise bloß pro forma Rechnung tragen, die hinter dieser Empfehlung stehende Zielsetzung aber gerade nicht verwirklichen und damit die Bieter in die Irre führen wollte.
Auch ist die vergebende Stelle selbst von dem Verständnis der Verfahrenslage ausgegangen, das das BVA zur Sachentscheidung motivierte: So ist darauf zu verweisen, dass sie einem im Verwaltungsakt erliegenden (Z N-49/99-5) und am , also einen Tag vor der Entscheidung des BVA, diesem im Faxweg übermittelten Schreiben zufolge selbst konzediert, dass zu diesem Zeitpunkt ein "Vertrag mit den potentiellen Bietern ... noch nicht
geschlossen" bzw. "der Zuschlag ... noch nicht erteilt" sei.
Wie angesichts dieser Situation der Bund in seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nunmehr zur Ansicht gelangt, das BVA hätte anzunehmen gehabt, dass der Auftrag zum Zeitpunkt seiner Entscheidung schon erteilt worden sei, ist unerfindlich. Vielmehr ist das BVA auf Basis der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu Recht davon ausgegangen, dass der Zuschlag noch nicht erteilt war und hat daher richtigerweise seine Zuständigkeit, über den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung in der Sache zu entscheiden, in Anspruch genommen.
Da die behauptete Verletzung des Bundes in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sohin nicht vorliegt und andere Verletzungen in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten in der Beschwerde weder näher ausgeführt wurden noch sonst hervorgekommen sind, war die - geradezu mutwillig erhobene - Beschwerde abzuweisen.
4. Mangels diesbezüglichen Antrags kam ein Kostenzuspruch an die beteiligte Partei nicht in Betracht.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden.