OGH vom 19.12.2006, 10ObS173/06y

OGH vom 19.12.2006, 10ObS173/06y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef A. B*****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Bundespensionsamt, Barichgasse 38, 1031 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen Pflegegeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 37/06m-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 5 Cgs 138/05v-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 277,60 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezieht beim beklagten Bundespensionsamt (früher: Bundesrechenamt) seit laufend Ruhegenuss nach dem Pensionsgesetz 1965. Nach seiner am verstorbenen ersten Ehefrau bezog er außerdem seitens der PVA der Arbeiter eine Witwerpension und hiezu ab auch Pflegegeld der Stufe 2. Am ging er die zweite Ehe mit seiner nunmehrigen Gattin ein. Daraufhin stellte die beklagte Partei mit Bescheid vom fest, dass ihm ab seiner Wiederverehelichung am kein Pflegegeld gebühre, weil kein Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich bestehe.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger Pflegegeld der Stufe 2. Sein Zustand habe sich seit der Zuerkennung nicht gebessert sondern eher verschlechtert. Der bloße Wechsel in der Zuständigkeit berechtige die beklagte Partei nicht zur Neubemessung des Pflegegeldes.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung. Sie sei, nachdem der Anspruch auf Witwerpension durch die Wiederverehelichung erloschen sei, zur Entscheidung über das Pflegegeld zuständig geworden. Mangels eines Pflegebedarfs von mehr als 50 Stunden monatlich habe der Kläger keinen Anspruch auf Pflegegeld.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Da der festgestellte Pflegebedarf weniger als 50 Stunden monatlich betrage, bestehe kein Anspruch auf Pflegegeld. Während des Bezuges der Witwenpension sei (infolge bundesgesetzlicher Grundleistung nach dem ASVG) zur Entscheidung über den Pflegegeldanspruch des Klägers die PVA der Arbeiter zuständig gewesen; nach dem Wegfall dieser Pensionsleistung sei (im Hinblick auf die bundesgesetzliche Grundleistung nach dem Pensionsgesetz) die beklagte Partei zuständig geworden. Aufgrund dieses Zuständigkeitswechsels handle es sich nicht um den Fall der Herabsetzung der Pflegegeldeinstufung nach § 9 Abs 4 BPGG durch den (bisherigen) Pflegegeldträger, sondern um eine gänzliche Neubeurteilung und damit Neubemessung durch einen anderen Entscheidungsträger auf der Grundlage des von ihm erhobenen Sachverhalts.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge, erkannte die beklagte Partei schuldig, ihm - ungeachtet seines dieses Ausmaß unstrittig nicht erreichenden Pflegebedarfs - Pflegegeld der Stufe 2 zu gewähren, und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Dass eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse (§ 9 Abs 4 BPGG) nach der ursprünglichen, ab erfolgten Zuerkennung des Pflegegeldes durch die PVA der Arbeiter eingetreten sei, habe die beklagte Partei gar nicht behauptet. Eine gänzlich neue Beurteilung und Neubemessung des Anspruchs auf Pflegegeld wäre daher nur zulässig gewesen, wenn ein Übergang der Leistungszuständigkeit von einem Land auf den Bund gemäß § 9 Abs 1 letzter Halbsatz BPGG zu einer amtswegigen Einleitung des Verfahrens zur (Neu-)Feststellung der Voraussetzungen des neu entstandenen Anspruches (nach Erlöschen des früheren Pflegeggeldanspruches nach dem Landespflegegeldgesetz) geführt hätte. Hier sei das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen jedoch (ohnehin) bereits auf Grundlage des Bundespflegegeldgesetzes festgestellt worden. Die materiell rechtskräftig erledigte Sache dürfe nicht neu aufgerollt werden, weil weder eine Änderung der Sach- noch der Rechtslage eingetreten sei.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil diese Auslegungsfrage zum BPGG in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft,

er ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision hält daran fest,


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dass nicht nur im Fall einer Änderung der Pflegegeldzuständigkeit vom Land auf den Bund (10 ObS 343/98h), sondern auch beim Wechsel der Zuständigkeit von der PVA auf das Bundespensionsamt als jeweils das BPGG vollziehende Entscheidungsträger eine Neubeurteilung der Anspruchsvoraussetzungen (auch ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse) vorzunehmen sei, und
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dass bei dieser Zuständigkeitsänderung eine Bindung an den Bescheid des ursprünglichen Entscheidungsträgers nicht bestehe, weil der Bescheid des neuen Entscheidungsträgers (Bundespensionsamt) durch die Klage außer Kraft getreten und jener des ursprünglichen Entscheidungsträgers nicht wieder wirksam geworden sei. Richtig ist, dass es sich im Fall eines Wechsels der Anspruchsgrundlagen von einem Landespflegegeldgesetz zum Bundespflegegeldgesetz um einen neu entstandenen, selbständigen Anspruch, handelt, der vom neuen Entscheidungsträger nach § 22 BPGG aufgrund des von ihm erhobenen Sachverhaltes und der für ihn maßgeblichen Rechtslage neu zu prüfen und zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0110818 [T1]). Für den Standpunkt der beklagten Partei ist daraus jedoch nichts zu gewinnen, weil ein derartiger Fall hier nicht vorliegt; es ist vielmehr - wie auch die Revisionsbeantwortung aufzeigt - von folgenden Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung des Senates zum allein anzuwendenden BPGG auszugehen:
Ob das dem Kläger rechtskräftig zuerkannte Pflegegeld zu entziehen oder neu zu bemessen ist, richtet sich - mangels eines Wechsels der Anspruchsgrundlagen - ausschließlich nach § 9 Abs 4 BPGG. Die Entziehung setzt demnach den Wegfall einer der Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld voraus, die Neubemessung den Eintritt einer für die Höhe des Pflegegeldes wesentlichen Veränderung. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen rechtfertigt einen Eingriff in die Rechtskraft der (Vor-)Entscheidung. Es gelten diesbezüglich die gleichen Grundsätze, die auch bei der Entziehung sonstiger Leistungsansprüche nach § 99 ASVG oder bei der Neufeststellung einer Versehrtenrente nach § 183 ASVG angewendet werden (stRsp; RIS-Justiz RS0061709; 10 ObS 95/02x mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - auch in Pflegegeldsachen (10 ObS 95/02x = SSV-NF 16/98 uva; RIS-Justiz RS0061709; ebenso Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld [2004] Rz 410 mwN unter FN 718) - kommt also dann, wenn sich die tatsächlichen (oder rechtlichen) Verhältnisse - wie hier - nicht geändert haben, weder eine Entziehung noch eine Neubemessung (Herabsetzung oder Erhöhung) des Pflegegelds in Betracht, selbst wenn sich im Nachhinein die materielle Unrichtigkeit der Vorentscheidung herausstellt. Dieses Ergebnis ist aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit geboten (10 ObS 28/05y).
Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten, der - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend aufzeigt - nur dann anders zu beurteilen wäre, wenn der Kläger zunächst Pflegegeld nach einem Landespflegegeldgesetz bezogen hätte und (erst) danach zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG gehört hätte. Nur bei dieser Fallgestaltung hätten sich die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nicht mehr nach dem Landespflegegeldgesetz, sondern (nunmehr) ausschließlich nach dem BPGG gerichtet und der Pflegegeldansprecher hätte damit den Anspruch auf diese Landesleistung (mangels Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem bisher maßgeblichen Landespflegegeldgesetz und Übertritt zum BPGG) verloren, sodass der Anspruch nach dem BPGG ein durch die Gewährung einer bundesgesetzlichen Grundleistung neu entstandener, selbständiger Anspruch gewesen wäre, der - wie bereits ausgeführt - vom Sozialversicherungsträger (als neuem Entscheidungsträger) nach dem BPGG aufgrund des von ihm erhobenen Sachverhaltes und der für ihn maßgeblichen Rechtslage neu zu prüfen und zu beurteilen gewesen wäre (10 ObS 343/98h = RIS-Justiz RS0110818).
Von all dem kann hier aber keine Rede sein: Im vorliegenden Fall ist nämlich schon die ursprüngliche Einstufung des Klägers nach dem BPGG erfolgt. Der Wechsel der Pflegegeldzuständigkeit von der PVA auf das Bundespensionsamt begründete daher keine Möglichkeit eine Neubeurteilung der Anspruchsvoraussetzungen - auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs 4 BPGG - durchzuführen:
Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs 1 Satz 2 BPGG nämlich eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass eine amtswegige (Neu-)Feststellung - also die Entziehung bzw Neubemessung des Pflegegeldes ohne wesentliche Veränderung gemäß § 9 Abs 4 und 5 BPGG - nur in dem Fall zu erfolgen hat, dass die Leistungszuständigkeit des Landes entfällt, weil „der Bund" zuständig wird. Daraus ist aber der Umkehrschluss zu ziehen, dass die Neubemessung ausgeschlossen ist, wenn es - wie hier - bei der grundsätzlichen Leistungszuständigkeit des Bundes bleibt, weil lediglich ein anderer Entscheidungsträger iSd § 22 BPGG zur Entscheidung in Angelegenheiten nach diesem Bundesgesetz zuständig wird.
Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.