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OGH vom 30.06.2015, 10Ob9/15v

OGH vom 30.06.2015, 10Ob9/15v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Univ. Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm, Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. B*****n *****, geboren am ***** 2005, 2. A*****, geboren am ***** 2007, und 3. B*****e *****, geboren am ***** 2008, alle *****, alle vertreten durch das Land Tirol als Kinder und Jugendhilfeträger (Stadtmagistrat Innsbruck, 6020 Innsbruck, Ing. Etzel Straße 5), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge des Revisionsrekurses des Kurators gemäß § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG Dr. Stefan Aigner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 54 R 129/14p 22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 4 Pu 195/11i 19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs des Kurators wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurswerber hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Am beantragten die drei Kinder im Hinblick auf den unbekannten Aufenthalt des Vaters A***** die Umstellung der Titelvorschüsse auf Richtsatzvorschüsse. Daraufhin bestellte das Erstgericht mit Beschluss vom (ON 11) „für den unbekannten Aufenthalts befindlichen Vater“ Rechtsanwalt Dr. Stefan Aigner „gemäß § 116 ZPO zum Zustellkurator“. In der Begründung wird ausgeführt, dass der Vater unbekannten Aufenthalts sei; die vorgenommenen Erhebungen (Versicherungsdatenauszug und Melderegisterabfrage) hätten keine zustellfähige Adresse ergeben. Gemäß § 116 ZPO sei ein Kurator zu bestellen, wenn eine Person unbekannten Aufenthalts infolge der an sie zu bewirkenden Zustellung zur Wahrung ihrer Rechte eine Prozesshandlung vorzunehmen hätte.

Mit Beschlüssen je vom stellte das Erstgericht die den drei Kindern gewährten Titelvorschüsse ein (ON 12 14) und bewilligte Richtsatzvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG, jeweils für den Zeitraum von bis (ON 15 17). Die maßgebliche Höhe des Richtsatzes beträgt 281 EUR pro Kind und Monat.

Die für den Vater bestimmten Beschlussausfertigungen aller sechs Beschlüsse wurden jeweils dem Zustellkurator zugestellt (ON 12 17); ein Rechtsmittel wurde in keinem Fall erhoben.

Nach Rechtskraft dieser Beschlüsse stellte der Zustellkurator am den Antrag, ihn von seiner Funktion zu entheben (ON 18). Infolge Rechtskraft der Unterhaltsvorschussbewilligungsbeschlüsse mit einem Gewährungszeitraum bis bestehe keinerlei Notwendigkeit mehr, die Zustellkuratel aufrecht zu erhalten.

Das Erstgericht wies den Antrag ab (ON 19). Ein Zustellkurator sei nur dann zu entheben, wenn der Abwesende selbst vor Gericht auftrete oder einen Bevollmächtigten benenne ( OLG Wien 6 Nc 12/91, EFSlg 66.981 ); diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Zustellkurators nicht Folge. Zutreffenderweise habe das Erstgericht darauf abgestellt, dass der nach § 116 ZPO bestellte Kurator den Unterhaltsschuldner nicht nur bei der Zustellung des Beschlusses über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, sondern im konkreten Vorschussverfahren so lange zu vertreten habe, bis der Unterhaltsschuldner selbst auftrete oder einen Bevollmächtigten namhaft mache (LGZ Wien 43 R 1419/76, EFSlg 27.663).

Der Revisionsrekurs wurde nachträglich mit der Begründung zugelassen, dass zur Frage der Beendigung einer (prozessualen Abwesenheits )Kuratel im Verfahren nach dem UVG keine einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Kurators mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Antrag des Kurators auf Enthebung entsprochen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Das Revisionsrekursvorbringen läuft darauf hinaus, dass das Unterhaltsvorschussverfahren in ein Bewilligungsverfahren und ein Vollzugsverfahren zu trennen sei. Das Bewilligungsverfahren sei rechtskräftig beendet und damit abgeschlossen; die Vertretungsbefugnis des Kurators erstrecke sich weder auf das als eigenständig anzusehende Vollzugsverfahren noch auf das Unterhaltsverfahren generell, hier sei gegebenenfalls ein eigener Kurator zu bestellen. Würde man die Zustellkuratel während der gesamten Dauer der Vorschussgewährung aufrecht lassen, läge ein Fall der Notwendigkeit einer Abwesenheitskuratel nach § 270 ABGB vor.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

1. Zur Bestellung eines „Zustellkurators“ nach § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG:

1.1. Gemäß § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG hat das Gericht in einem anhängigen Verfahren von Amts wegen einen gesetzlichen Vertreter (Kurator) zu bestellen, wenn an eine Partei nur durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden könnte und sie infolge der Zustellung zur Wahrung ihrer Rechte eine Verfahrenshandlung vorzunehmen hätte, insbesondere das zuzustellende Schriftstück eine Ladung enthält.

1.2. Diese Bestimmung grenzt die Befugnisse des Außerstreitgerichts zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters im Anlassfall (im konkreten Außerstreitverfahren selbst) von der Pflicht zur Veranlassung der Vertreterbestellung in einem gesonderten Pflegschaftsverfahren vor dem nach §§ 109 oder 112 JN zuständigen Gericht ab. Die Abgrenzung erfolgt so, dass nur der Kollisionskurator sowie der Zustellkurator im konkreten Verfahren, alle übrigen Kuratoren (ebenso wie der Sachwalter) in dem dafür vorgesehenen eigenständigen Pflegschaftsverfahren bestellt werden sollen (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 25).

1.3. Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Zustellkurators richten sich nach § 25 ZustG ( Rechberger in Rechberger , AußStrG 2 § 5 Rz 5). Eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung kann demnach an Personen erfolgen, deren Abgabestelle unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind.

2. Zu den Befugnissen und Pflichten eines Zustellkurators und zur Abgrenzung vom Abwesenheitskurator:

2.1. § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG entspricht dem § 116 ZPO, weshalb die Rechtsprechung zu § 116 ZPO auf den Zustellkurator nach § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG übertragen werden kann (LGZ Wien 48 R 152/05s, EFSlg 112.829; LG Linz 15 R 440/11y, EFSlg 132.794; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG [2013] § 5 Rz 21).

2.2. § 116 ZPO und § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG stellen Spezialfälle der allgemeinen Abwesenheitskurator-bestellung nach § 270 ABGB dar (RIS Justiz RS0049230 [T1]). Sowohl der Zustellkurator als auch der Abwesenheitskurator sind gesetzliche Vertreter des Abwesenden mit der hieraus folgenden Rechtsstellung. Regelmäßig erfolgt die Abgrenzung so, dass die Vertretungsbefugnis des Zustellkurators umfänglich auf die Vertretung des Abwesenden in jenem Verfahren beschränkt ist, in dem und für das er vom Prozess-(Verfahrens )Gericht bestellt wurde ( Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd § 116 ZPO Rz 7). Daher hat der ausdrücklich für ein bestimmtes Verfahren bestellte Kurator keine Vertretungsmacht in einem Folgeverfahren, wie etwa in einem Zivilprozess nachfolgenden Exekutionsverfahren (RIS Justiz RS0049262; RS0049275).

2.3. Seit dem KindRÄG 2001 (BGBl I 2000/135) ist die Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 270 ABGB gegenüber § 116 ZPO und § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG subsidiär; sofern nicht zwingende Notwendigkeiten entgegenstehen, hat das Prozess (Verfahrens )Gericht einen Kurator nach § 116 ZPO bzw § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG zu bestellen ( Mondel , Die Kuratoren im österreichischen Recht 2 [2013] Rz 4/124). Solche Notwendigkeiten liegen vor, wenn von vornherein klar ist, dass wegen erforderlicher Handlungen für den Abwesenden außerhalb des Prozesses auch die Voraussetzungen des § 270 ABGB vorliegen (ErläutRV 296 BlgNR 21. GP 80; Frauenberger Pfeiler in Frauenberger Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely , Öster-reichisches Zustellrecht 2 [2012] § 116 ZPO Rz 1).

2.4. Die Bezeichnung „Zustellkurator“ für den nach § 116 ZPO bzw § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG bestellten Kurator ist an sich zu eng, weil sich sein Wirkungsbereich nicht auf die Entgegennahme von Zustellungen beschränkt. Dem Kurator obliegt die gesamte Tätigkeit eines Bevollmächtigten ( Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd § 116 ZPO Rz 8). In diesem Sinn wäre die Bezeichnung als „p rozessualer Abwesenheitskurator“ ( Rassi , Der prozessuale Abwesenheitskurator, RZ 1996, 215; vgl 7 Ob 190/99p = SZ 72/155) oder „Verfahrenskurator“ aussagekräftiger.

2.5. Maßgebend für den Vertretungsumfang eines jeden Abwesenheitskurators, also auch des Zustellkurators, ist in erster Linie der Bestellungsbeschluss ( Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd § 116 ZPO Rz 4; Rechberger in Rechberger , AußStrG 2 § 5 Rz 8), wobei als äußere, vom Gesetz gezogene Grenze zu beachten ist, dass er nur in demjenigen konkreten Verfahren zu Vertretungshandlungen befugt ist, in dem seine Bestellung erfolgte ( Mondel , Kuratoren 2 Rz 4/126; vgl 7 Ob 190/99p = SZ 72/155).

3. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht mit Beschluss vom einen Zustellkurator „für den unbekannten Aufenthalts befindlichen Vater“ bestellt. Weder im Spruch noch in der Begründung findet sich eine verbale Determinierung des Vertretungsumfangs.

4. Entscheidend ist somit, ob angenommen werden kann, dass die Bestellung nur für das Vorschussbewilligungsverfahren erfolgte, wie der Revisionsrekurswerber meint, oder (sachlich) für das gesamte Unterhaltsvorschussverfahren und (zeitlich) für den gesamten Gewährungszeitraum der Richtsatzvorschüsse, wovon die Vorinstanzen ausgegangen sind.

4.1. Ähnlich wie im Exekutionsverfahren, wo im Verfahrensaufbau zwischen dem Bewilligungs und dem Vollzugsverfahren differenziert wird (vgl Neumayr/Nunner Krautgasser , Exekutionsrecht 3 [2011] 3), spaltet der Revisionsrekurswerber das Unterhaltsvorschuss-verfahren in ein Vorschussbewilligungsverfahren und ein „Auszahlungsverfahren“ auf (vgl RIS Justiz RS0088914). Ebenso wenig wie im Exekutionsverfahren damit eine Gliederung in verschiedene, voneinander getrennte Verfahren erfolgt vielmehr wird mit diesen Figuren nur der Verfahrensaufbau vereinfacht dargestellt , ist das Vorschussverfahren in einzelne Verfahren geteilt. Vielmehr liegt ein einheitliches Verfahren vor, das mit der Einbringung des Unterhaltsvorschussantrags beginnt und nicht zwingend mit dem Gewährungszeitraum endet, wie augenscheinlich § 9 Abs 3 UVG für die Vertretung des Kindes zeigt.

In diesem Sinn ist die Bestellung des Rechtsmittelwerbers zum Zustellkurator (sachlich) für das gesamte Unterhaltsvorschussverfahren und nicht nur für einen Teil davon nämlich das Bewilligungsverfahren erfolgt. Der entsprechende Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen und entfaltet in diesem Verfahren Bindungswirkung ( Frauenberger Pfeiler , Österreichisches Zustellrecht 2 § 116 ZPO Rz 4; vgl RIS Justiz RS0099176).

4.2. Zutreffend sind daher die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass im aktuellen Stadium des Verfahrens kein Grund zur Enthebung des Zustellkurators besteht, weil der abwesende Vater bislang nicht durch aktives Handeln erkennen ließ, sich am Verfahren künftig selbst zu beteiligen ( Mondel , Kuratoren 2 Rz 4/141 f; vgl LGZ Wien 48 R 51/09v, EFSlg 125.486).

5. Da mit dem Beschluss über die (Nicht )Enthebung des bestellten Kurators weder über die Sache noch über die Kosten des Verfahrens entschieden wird, ist das Rechtsmittelverfahren gemäß § 48 Abs 1 AußStrG einseitig.

6. Zur Kostenentscheidung:

Der Revisionsrekurswerber hat die von ihm geltend gemachten Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen. Seit dem FamRÄG 2009 (BGBl I 2009/75) ist durch § 10a UVG ausdrücklich klargestellt, dass es in allen Verfahren nach dem UVG unabhängig von ihrem Ausgang nicht zu einem Kostenersatz kommt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00009.15V.0630.000