zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 30.07.2001, 10ObS173/01s

OGH vom 30.07.2001, 10ObS173/01s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cornelia W*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Markus Ch. Weinl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 23 Rs 21/01m-17, womit über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cgs 172/00d-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird, soweit er Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin erlitt am einen von der beklagten Partei als solchen anerkannten Arbeitsunfall. Der Bescheid vom , womit die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Versehrtenrente abgelehnt hat, ist in Rechtskraft erwachsen. Mit Bescheid vom hat die beklagte Partei rechtskräftig die Gewährung einer Integritätsabgeltung nach § 213a ASVG abgelehnt. Mit Bescheid vom gewährte die Beklagte der Klägerin unter Berichtigung des Bescheides vom gemäß § 101 ASVG aus dem Arbeitsunfall für die Zeit ab eine Versehrtenrente - für die Zeit ab bis auf weiteres im Ausmaß von 35 vH der Vollrente. Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin unter Berufung auf neue Tatsachen und Beweismittel neuerlich die Gewährung einer Integritätsabgeltung. Der Integritätsschade betrage zum zumindest 80 vH. Die Voraussetzung einer grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmervorschriften sei erfüllt.

Mit Bescheid vom wies die Beklagte unter Hinweis auf ihren Bescheid vom den Antrag der Klägerin wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurück. Nicht nur die Rechtskraft dieses Bescheides stehe dem neuerlichen Begehren entgegen, sondern auch, dass die Voraussetzung einer grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht erfüllt sei. Eine neuerliche meritorische Entscheidung komme nicht in Betracht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage auf Gewährung einer Integritätsabgeltung samt Zinsen ab . Der Rechtszug an das Gericht sei zulässig. Auch unter Berücksichtigung des Bescheides vom hätten sich die Verhältnisse geändert. Die Zulässigkeit der Klage stützte die Klägerin auch darauf, dass die Beklagte bisher nur in Form einer Formalentscheidung den Antrag zurückgewiesen, aber eine Sachentscheidung innerhalb von sechs Monaten unterlassen habe und sohin Säumnis im Sinne des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG vorliege.

Dem gegen den Bescheid von der Klägerin erhobenen Einspruch hat der Landeshauptmann von Vorarlberg mit Bescheid vom keine Folge gegeben und den Bescheid der Beklagten bestätigt.

Das Erstgericht wies nach Erhebung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges die Klage zurück. Es liege zwar eine Leistungssache vor, Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage sei jedoch, dass vom Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid inhaltlich entschieden worden sei oder Säumnis vorliege. Eine Sachentscheidung liege nicht vor. Eine Formalentscheidung wie im vorliegenden Fall erfülle die Voraussetzung eines Bescheides im Sinne des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG nicht. Säumnis liege nicht vor, weil bescheidmäßig über den Antrag der Klägerin erkannt worden sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin keine Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Dass der Vorsitzende des erstgerichtlichen Senates allein den Beschluss gefasst habe, begründe keine Nichtigkeit. Auch sei der Nichtigkeitsgrund der Verletzung des der Klägerin zustehenden rechtlichen Gehörs nicht gegeben. Das Rekursgericht verneinte das Vorliegen einer Säumnis, weil eine solche durch die bescheidmäßige Erledigung auch dann ausgeschlossen sei, wenn, allenfalls zu Unrecht, eine meritorische Entscheidung dadurch verweigert werde, dass der Antrag zurückgewiesen werde. Eine Säumnisklage sei in einem solchen Fall entbehrlich, weil der Klägerin eine Rechtsmittelmöglichkeit im Verwaltungsverfahren eröffnet sei. Säumnis könne nicht vorliegen, weil über den ergangenen zurückweisenden Bescheid hinaus eine weitere Entscheidung der Verwaltungsbehörde nicht zu erwarten gewesen sei. Mangels Vorliegens einer Sachentscheidung sei die Voraussetzung des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG nicht erfüllt und die dennoch erhobene Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichtes richtet sich der zugelassene Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, in Stattgebung desselben die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens und die Entscheidung aufzutragen.

Die beklagte Partei stellt den Antrag, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs wegen Nichtigkeit war zurückzuweisen. Im Übrigen kommt dem Rekurs keine Berechtigung zu.

Die vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeit des Verstoßes des Erstgerichtes gegen § 10 ASGG, aber auch einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin kann nach ständiger Rechtsprechung in dritter Instanz nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042981; 5 Ob 158/98s).

Garantien der EMRK werden dann nicht verletzt, wenn die lediglich Rechtsfragen zum Gegenstand habende Vorprüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges zur Zurückweisung der Klage führt. Andernfalls bliebe es den Gerichten grundsätzlich verwehrt, Klagen a limine und daher ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen (1 Ob 23/95). Gerade die Prüfung der Zulässigkeit der Entscheidung durch ein Gericht im Rechtsweg dient der Wahrung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, das bei Anmaßung einer nicht gegebenen Zuständigkeit verletzt würde.

Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor. Auch unter diesem Rekursgrund wird in Wahrheit die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht, zumal Beweisaufnahmen nicht erforderlich waren.

Jede Klage in Sozialrechtssachen setzt nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG mit Ausnahme des Falles einer Säumnis zwingend bei sonstiger Unzulässigkeit des Rechtsweges einen Bescheid voraus, der meritorisch über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein muss (RIS-Justiz RS0085867; SSV-NF 11/22). Ein solcher liegt in dem eine meritorische Erledigung ablehnenden, den Antrag der Klägerin auf Integritätsabgeltung wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückweisenden Bescheid nicht vor. Verfahrensrechtliche Bescheide der Versicherungsträger unterliegen grundsätzlich nicht der Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz. Nur in § 68 ASGG hat der Gesetzgeber eine Ausnahme statuiert und für den dort geregelten Fall ausnahmsweise bei Vorliegen einer formellen Entscheidung des Versicherungsträgers die Geltendmachung eines Leistungsanspruches im Rahmen der sukzessiven Kompetenz zugelassen. Die Verfahrensvoraussetzungen des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG sind daher nicht gegeben.

Wird ein solcher meritorisch die Kernfrage der Gewährung oder Nichtgewährung der begehrten Leistung erledigender Sachbescheid ("den Bescheid") nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen, darf gemäß § 67 Abs 1 Z 2 ASGG Klage erhoben werden. Hiezu hat der Oberste Gerichtshof die Meinung vertreten, dass Säumnis nicht verhindert wird, wenn die Behörde durch irgend welche Beschlüsse - im Anlassfall durch einen Aussetzungsbeschluss bis zur Erledigung von gegen den Dienstgeber anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren - das Verfahren beliebig hinauszögern oder eine Entscheidung überhaupt hinfällig machen könnte. Letzteres bezog sich auf die Gefahr des Erlöschens der Parteifähigkeit der Dienstgeber GesmbH im arbeitsgerichtlichen Verfahren (JBl 1996, 195 [Fink]).

Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor. Der Bescheid der beklagten Partei hat die meritorische Entscheidung über den Antrag verweigert. Dies eröffnete nur eine von der Klägerin auch in Anspruch genommene Anfechtungsmöglichkeit im Verwaltungsverfahren und machte die Säumnisklage entbehrlich (Fink, Die sukzessive Kompetenz im Verfahren in Sozialrechtssachen 351). Hier hat der Versicherungsträger, wenn auch nicht meritorisch, über den Antrag endgültig mit Bescheid abgesprochen, ohne dass eine noch folgende Sachentscheidung zu erwarten war oder bei der im Verwaltungsverfahren zu prüfenden rechtskräftig entschiedenen Sache ausstand. Im Anlassfall JBl 1996, 195 hatte der Aussetzungsbescheid zur Folge, dass damit weder eine formelle noch materielle die Kernfrage erledigende Entscheidung getroffen worden war, sondern diese ausstand und daher Säumigkeit noch eintreten konnte. Im vorliegenden Fall fehlt bei der bescheidmäßigen Enderledigung die als Voraussetzung des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG erforderliche Säumnis. Es ist nicht Sache des Arbeits- und Sozialgerichtes, von den Trägern der Sozialversicherung erlassene Bescheide, die nicht Sachbescheide sind, zu überprüfen. Sie haben vielmehr nur selbständig über geltend gemachte sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, über die inhaltlich mit Bescheid bereits abgesprochen worden ist, zu entscheiden. Die von der Klägerin verfolgte Absicht, jeden (auch nur formellen) Bescheid der Sozialversicherungsträger auf seine Richtigkeit zu überprüfen, ob infolge geänderter Verhältnisse ein neuer Leistungsbescheid zu erlassen gewesen wäre, ob entschiedene Rechtssache vorliege, würde Art 94 B-VG zuwiderlaufen (8 ObS 68/00h).

Dem Rekurs der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.