OGH vom 05.10.2006, 15Os67/06a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schreuer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann H***** wegen der Finanzvergehen des Schmuggels nach §§ 11, 35 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a und b FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom , GZ 603 Hv 3/06v-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, in Abwesenheit des Vertreters des Zollamts Wien und des Angeklagten, aber in Anwesenheit seines Verteidigers Dr. Bernhauser, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Strafverfahren des Landesgerichtes Korneuburg gegen Johann H***** wegen des Finanzvergehens des Schmuggels verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung vom , GZ 603 Hv 2/06v-35, unter Beiziehung und Beeidigung einer nicht in die Dienstlisten des Landesgerichtes Korneuburg aufgenommenen Person als Schöffe § 14 Abs 1 und Abs 4 GSchG.
Dieses Urteil wird gemäß § 292 letzter Satz StPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann H***** (richtig:) der Finanzvergehen des Schmuggels als Beteiligter nach §§ 11 (dritter Fall), 35 Abs 1 lit a und 38 Abs 1 lit a und b FinStrG schuldig erkannt.
Danach hat er von Oktober 2001 bis Februar 2002 in Kleinhadersdorf und anderen Orten vorsätzlich in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und als Mitglied einer Bande von mindestens drei Personen, die sich zum Schmuggel verbunden haben, jeweils unter Mitwirkung zumindest eines anderen Bandenmitglieds dazu beigetragen, dass eingangsabgabenpflichtige Waren, nämlich Zigaretten der Marke Benson & Hedges vorschriftswidrig der zollamtlichen Überwachung der Europäischen Union entzogen wurden, und zwar
1. am 4.580.000 Stück als 863 Kartons Radiokassettenrecorder deklarierte Zigaretten,
2. am 4.580.000 Stück als 863 Karton Radiorecorder deklarierte Zigaretten,
3. am 4.580.000 Stück als 798 Kartons Radiorecorder deklarierte Zigaretten.
In der dem Urteil unmittelbar vorausgegangenen Hauptverhandlung war - aufgrund des unentschuldigten Fernbleibens der an der früheren Hauptverhandlung beteiligten Schöffin Friederike H***** - Dr. Albert M***** als neuer Schöffe beigezogen und beeidigt worden (S 160/III), obwohl dieser nicht in den beim Landesgericht Korneuburg gemäß § 13 GSchG gebildeten Dienstlisten für die Schöffen (Haupt- und Ergänzungsliste) eingetragen war.
Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung unter Beiziehung und Beeidigung des „Schöffen" Dr. Albert M***** mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Die Hauptverhandlung und Urteilsfällung wegen Finanzvergehen, zu deren Ahndung die Gerichte zuständig sind, obliegt nach § 196a FinStrG dem Schöffengericht, das mit zwei Richtern und zwei Schöffen zu besetzen ist (§ 13 Abs 1 StPO). Schöffen sind gemäß § 14 Abs 1 erster Satz GSchG in der Reihenfolge der beim Gerichtshof erster Instanz gebildeten Dienstlisten (Haupt- und Ergänzungsliste) mit der Ladung zur ersten Hauptverhandlung zu ihrem Amt zu berufen. Erscheint ein Laienrichter nicht zu Beginn der Hauptverhandlung oder ist einer der Hauptschöffen - kurzfristig (siehe JABl 46/1990 Punkt IV./2./ in Mayerhofer Verordnung und Erlässe3 1176) - verhindert, ist an seiner Stelle gemäß § 14 Abs 4 GSchG ein Ergänzungsschöffe heranzuziehen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 108).
Voraussetzung für das Schöffenamt ist daher die Aufnahme in die beim jeweiligen Gerichtshof erster Instanz gebildeten Dienstlisten. Wird ein Schöffe beigezogen, der sich weder auf der Haupt- noch auf der Ergänzungsliste befindet, ist das Schöffengericht nicht gehörig besetzt (§ 281 Abs 1 Z 1 StPO; vgl 11 Os 162/97; E. Steininger, Handbuch der Nichtigkeitsgründe im Strafverfahren3 44 Rz 16). Weil nicht auszuschließen ist, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung einen für den Angeklagten nachteiligen Einfluss ausgeübt hat, war gemäß § 292 letzter Satz StPO das Urteil aufzuheben und eine Verfahrenserneuerung anzuordnen.
Im Übrigen wird bemerkt, dass es zur abschließenden rechtlichen Beurteilung der vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Tathandlungen (US 5 ff) näherer Feststellungen darüber bedurft hätte, auf welche konkrete Art und Weise seitens der unmittelbaren Täter gegen das Zollschuldrecht der Gemeinschaft verstoßen wurde. Denn einer zollamtlichen Überwachung werden eingangsabgabenpflichtige Waren nur dann „entzogen" (§ 35 Abs 1 lit a dritter Fall FinStrG), wenn durch die zur Last gelegte Tat bereits konkret begonnene zollamtliche Überwachungsmaßnahmen nicht mehr durchgeführt oder fortgesetzt werden können (vgl Dorazil/Harbich FinStrG § 35 Anm 4), während „vorschriftswidriges Verbringen" (§ 35 Abs 1 lit a erster Fall FinStrG) sowohl in einer Verletzung zollrechtlicher Verbringungspflichten (Art 38 Abs 1 der Verordnung [EWG] Nr 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften [ZK]) als auch in einer Unterlassung der Gestellung der Waren (durch Mitteilung an die Zollbehörden in der vorgeschriebenen Form; Art 40 ZK) zu erblicken ist (vgl 11 Os 55/97). Wurde der Beitrag zur Verwertung der Konterbande hingegen erst nach Vollendung des Schmuggels - ohne vorausgegangene Zusage einer Mithilfe - geleistet, käme ein Schuldspruch nach §§ 11 dritter Fall, 35 Abs 1 FinStrG nicht mehr in Betracht, sondern wäre die Tathandlung dem Tatbestand der Abgabenhehlerei (§ 37 Abs 1 FinStrG) zu unterstellen (vgl Fabrizy in WK2 § 12 Rz 94 iVm 126; Dorazil/Harbich FinStrG § 11 E 29).