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VfGH vom 13.12.2000, B2284/98

VfGH vom 13.12.2000, B2284/98

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Anlassfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 70a und der Aufhebung des § 75 Abs 9 der Wr BauO 1930 idF LGBl 40/1997 mit E v , G97/00.

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 26.500,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien wies mit Bescheid vom die u.a. von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen gegen die Errichtung einer Wohnhausanlage (mit 17 Wohnungen), Haselbrunnerstraße 12, EZ 27, KG Kalksburg, mit denen die Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte gemäß § 134a Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO f Wien) geltend gemacht wurden, gemäß § 70a Abs 7 iVm Abs 9 BO f Wien teils als nicht begründet ab, teils als unzulässig zurück. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstücks 23/26, inneliegend in EZ 30, KG Kalksburg. Auf die geplante Wohnhausanlage der STUAG ImmobiliengesmbH wurde das vereinfachte Baubewilligungsverfahren gemäß § 70a BO f Wien angewendet. Bei der Prüfung gemäß § 70a Abs 3 BO f Wien gelangte die Baubehörde erster Instanz zu der Ansicht, dass ein Untersagungsgrund nicht vorliege und stützte sich dabei vor allem auf ein Gutachten des Amtssachverständigen der MA 22 - Umweltschutz. Der Amtssachverständige der MA 19 vertrat die Auffassung, dass das Bauvorhaben den Vorgaben des § 85 BO f Wien in Bezug auf das örtliche Stadtbild entspreche. Der Amtssachverständige erachtete die Gebäudehöhe unter Heranziehung der Bestimmung des § 75 Abs 9 BO f Wien als zulässig. Die Einwendungen u.a. der Beschwerdeführerin stützten sich im Wesentlichen darauf, dass die zulässige Gebäudehöhe bei weitem überschritten werde, überdies im Vorgarten nicht erlaubte Bauwerke vorgesehen seien und das örtliche Stadtbild beeinträchtigt werde.

Die Berufungsbehörde ergänzte das Ermittlungsverfahren zunächst durch ein erneutes Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen der MA 37 zur Neuberechnung der Gebäudehöhe unter Berücksichtigung der gaubenartigen Räume im zweiten Dachgeschoss. Der Gutachter stellte eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe fest; entsprechend der im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan festgesetzten Gebäudehöhe von 7,5 m und der Überschreitungsmöglichkeit gemäß § 75 Abs 9 BO f Wien um 1,5 m ergebe sich eine zulässige Gebäudehöhe von 9,00 m. Die vom Gutachter festgestellte Gebäudehöhe betrug 9,06 m. Dieses Gutachten sowie der Inhalt der Berufungen wurde der Bauwerberin zur Kenntnis gebracht, um durch eine Abänderung des Projekts die Bewilligungsfähigkeit des geplanten Bauprojekts zu erreichen. Die MA 19 wurde im Hinblick auf die Überschreitung der Gebäudehöhe gemäß § 75 Abs 9 BO f Wien um Erstellung von Befund und Gutachten ersucht, ob durch das Bauprojekt eine Beeinträchtigung des örtlichen Stadtbildes erfolge. Im Zuge der Begutachtung des Projektes durch den Amtssachverständigen der MA 19 änderte die Bauwerberin das Projekt und sah u.a. eine Absenkung der Gebäudehöhen vor. Der Amtssachverständige der MA 19 erachtete das abgeänderte Projekt als mit dem örtlichen Stadtbild vereinbar. Der bautechnische Amtssachverständige stellte bei der Neuberechnung der Gebäudehöhe fest, dass das abgeänderte Projekt unter Berücksichtigung der gaubenartigen Räume im zweiten Dachgeschoss eine Gebäudehöhe von 8,97 m aufweise und dass die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen im Sinne des § 75 Abs 9 BO f Wien nicht vermindert werde. Der nunmehrigen Beschwerdeführerin wurde Gelegenheit gegeben, zu diesem Feststellungsergebnis Stellung zu nehmen. In ihrer Stellungnahme vom bringt sie gegen das Gutachten des Amtssachverständigen der MA 19 u.a. vor, es sei unzutreffend und ergänzungsbedürftig. Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die Bauoberbehörde für Wien die Berufung als unbegründet ab.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet. Unter anderem bringt sie vor, die §§70a und 75 Abs 9 BO f Wien seien verfassungswidrig. Weiters sei das Verfahren willkürlich durchgeführt worden. Die das Verfahren einleitende öffentliche Urkunde des Ziviltechnikers sei falsch gewesen, und ein Verfahren gemäß § 70a BO f Wien hätte nicht durchgeführt werden dürfen.

3. Die Bauoberbehörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Sie führt u.a. zur behaupteten Verfassungswidrigkeit der §§70a und 75 Abs 9 BO f Wien aus:

Ziviltechniker seien gemäß § 4 Abs 1 Ziviltechnikergesetz (ZTG) auf dem gesamten, von ihrer Befugnis umfassten Fachgebiet zur Erbringung von planenden Tätigkeiten berechtigt. Gemäß § 4 Abs 2 lita leg. cit. seien weiters Architekten zur Planung von Projekten ihres Fachgebietes befugt. Diese Planungstätigkeit ginge Hand in Hand mit einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Normen des öffentlichen Rechts. Anders sei die Konzipierung eines Bauprojektes nicht möglich.

Der österreichischen Bundesverfassung sei, von Ausnahmen abgesehen (Art106, 134 Abs 3 und 147 Abs 3 B-VG), keine Bestimmung zu entnehmen, die die Anwendung von Rechtsnormen nur durch Personen gebiete, die eine in jeder Hinsicht abgerundete juristische Ausbildung auf dem betreffenden Gebiet aufweisen.

Zur Kritik am Fehlen von Ausschlussregelungen des Ziviltechnikers zur Verhinderung einer Entscheidung in eigener Sache bringt sie vor, dass die Bestimmungen des Ziviltechnikergesetzes, insbesondere auch disziplinäre Folgen und die Strafbestimmung der Fälschung einer öffentlichen Urkunde (§224 Strafgesetzbuch) ein Vorgehen in eigener Sache des Ziviltechnikers bzw. eine unstandesgemäße Ausübung seiner Tätigkeit ausreichend verhindern würden.

Die Nachbarrechte blieben ungeschmälert aufrecht, da sie ab Erhebung von Einwendungen - es sei auch kein Gegengutachten eines Sachverständigen gegen die Ziviltechnikererklärung notwendig - Parteien seien. Außerdem sei die Akteneinsicht soweit zu gewähren, als sie zur Verfolgung rechtlich zulässiger Maßnahmen auch anderer Personen (zB zur Verfassung der Unterlagen für eine Bauanzeige oder zur Begründung der Parteistellung durch Einwendungen gemäß § 134 Abs 3 und 4 sowie § 70a Abs 7 BO f Wien) unbedingt erforderlich sei.

Was die Rechtsnatur der Ziviltechnikererklärung betreffe, so sehe die Bauordnung für Wien entgegen dem Beschwerdevorbringen eine Beleihung des Ziviltechnikers mit der Vollziehung baurechtlicher Normen nicht vor. Die Erklärung des Ziviltechnikers nach § 70a Abs 1 BO f Wien sei keine Entscheidung im Sinne eines hoheitlichen Willensaktes, sondern eine Wissenserklärung.

Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 75 Abs 9 BO f Wien bringt die belangte Behörde vor, dass es durch die vom Gesetzgeber vorgesehene Bedachtnahme auf das örtliche Stadtbild und die ungeschmälerte Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen jedenfalls gewährleistet sei, dass die vom Verordnungsgeber bei der Festsetzung der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne verfolgten Planungsintentionen nicht beeinträchtigt würden.

4. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, die Beschwerde zurück- bzw. abzuweisen und der mitbeteiligten Partei Kostenersatz gemäß § 27 VerfGG 1953 zuzusprechen.

II. 1. Aus Anlass der vorliegenden Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen gemäß Art 140 Abs 1 B-VG mit Beschluss vom ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 70a und des § 75 Abs 9 der Bauordnung für Wien, (WBO) LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 40/1997, eingeleitet.

In der nichtöffentlichen Sitzung am , G97/00, hat der Verfassungsgerichtshof § 75 Abs 9 WBO als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass § 70a WBO verfassungswidrig war.

2. Die belangte Behörde hat daher verfassungswidrige Gesetzesbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.000,- und eine Eingabegebühr von S 2.500,- enthalten.

Der mitbeteiligten Partei war der Ersatz der Kosten für die Erstattung ihrer Äußerung nicht zuzusprechen, da sie zur Rechtsfindung keinen Beitrag leisten konnte (vgl. VfSlg. 10.228/1984).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.