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OGH vom 01.02.2011, 10Ob88/10d

OGH vom 01.02.2011, 10Ob88/10d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj P***** D*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für den 1. und 4. 9. Bezirk, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 410/10b 34, womit infolge Rekurses des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 6 Pu 86/10s 24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Kind und seine Eltern sind österreichische Staatsangehörige; es lebt mit seiner Mutter in der BRD (in Freilassing). Der Vater hat seinen Aufenthalt in Wien. Mit Beschluss vom stellte das Erstgericht aufgrund eines vom Bund (vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien) gestellten Antrags den dem Kind aufgrund eines Unterhaltstitels gegen den Vater gewährten Unterhaltsvorschuss iHv 145,35 EUR monatlich mit Ablauf des ein.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Die mit in Kraft getretene neue Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 sei auf Unterhaltsvorschüsse nicht anzuwenden. Damit bestehe auch die bisher geltende „Exportverpflichtung“ nicht mehr. Auch wenn keine Übergangsbestimmung bestehe, die einen Wegfall eines bis zum Inkrafttreten der neuen Koordinierungsverordnung bestehenden Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss vorsehe, gebühre der Unterhaltsvorschuss nicht über den hinaus. Da zur Frage der „Exportverpflichtung“ im Zusammenhang mit der „neuen Wanderarbeitnehmerverordnung“ in Bezug auf die Einstellung bereits gewährter Unterhaltsvorschüsse noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege, erklärte das Rekursgericht den Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung für zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse ab .

Der Präsident des Oberlandesgerichts beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Die Revisionsrekurswerberin führt aus, Unterhaltsvorschüsse seien vom Anwendungsbereich der „neuen“ Wanderarbeitnehmerverordnung ausgenommen. Ob dadurch allerdings der beabsichtigte Wegfall der Exportverpflichtung bewirkt werden könne, sei fraglich, setze sich doch der Europäische Gerichtshof unter Berufung auf die Grundfreiheiten und die Freizügigkeits VO über Ausnahmebestimmungen in Anhängen hinweg oder lasse auch die in der Wanderarbeitnehmerverordnung gesetzten Grenzen der Sozialrechtskoordinierung im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft außer Acht.

Die neue Rechtslage ist im Sinne der bereits veröffentlichten Entscheidungen des zuständigen Fachsenats vom , 10 Ob 45/10f, vom , 10 Ob 70/10g sowie vom , 10 Ob 84/10s zusammengefasst wie folgt zu beurteilen:

1. Nach § 8 UVG hat die Unterhaltsvorschussgewährung abgesehen von Vorschüssen nach § 4 Z 4 UVG für einen Zeitraum von (nunmehr) fünf Jahren zu erfolgen, soweit nicht zu erwarten ist, dass die Voraussetzungen früher wegfallen. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse bildet einen Grund für deren Einstellung nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG.

2. Mit wurden die VO (EWG) 1408/71 („Wanderarbeitnehmerverordnung“) von der neuen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 und die Durchführungsverordnung VO (EWG) 574/72 von der neuen Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 abgelöst. Durch den Eintrag in den Anhang I der neuen Koordinierungsverordnung sind österreichische Unterhaltsvorschüsse, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Familienleistungen qualifiziert wurden, vom Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausdrücklich ausgenommen worden. Dies bedeutet, dass seit Unterhaltsvorschüsse im Unionsrechtskontext nicht mehr auf Grundlage des europäischen Koordinierungsrechts in Gestalt der VO (EG) 883/2004 zu beurteilen sind (10 Ob 45/10f; 10 Ob 25/10i; 10 Ob 14/10x).

Die vom Europäischen Gerichtshof für den österreichischen Unterhaltsvorschuss in der Rs Humer (, Humer , Slg 2002, I 1205) nach der VO (EWG) 1408/71 statuierte Exportverpflichtung für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, besteht aufgrund der Unanwendbarkeit des Koordinierungsrechts nicht mehr (RIS Justiz RS0125933 [T1]). Es liegt aber auch keine Konstellation vor, bei der allenfalls aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 18 AEUV (ex Art 12 EG) oder aus der VO (EWG) 1612/68 ein Anspruch des Kindes auf österreichischen Unterhaltsvorschuss abgeleitet werden könnte ( Felten/Neumayr , Die neue Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss , iFamZ 2010, 164, 166 ff). Dem Kind steht daher aufgrund der seit geltenden Rechtslage ein Anspruch auf österreichische Unterhaltsvorschüsse nicht (mehr) zu.

3. Die neue VO (EG) 883/2004 enthält keine spezielle Übergangsbestimmung für bereits bewilligte Unterhaltsvorschüsse, die aufgrund der alten VO (EWG) 1408/71 in das EU Ausland exportiert werden. Bei Ansprüchen nach der VO (EWG) 1408/71 handelt es sich in der Regel um Ansprüche, die erst durch das Unionsrecht entstanden sind. Es steht daher dem europäischen Gesetzgeber auch zu, diese Ansprüche zu ändern (vgl Spiegel in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 5 Teil 2 Art 87 Rz 4). Da der Unterhaltsvorschussantrag in die Zukunft gerichtet ist, ist die Änderung der Rechtslage mit zu berücksichtigen. Für die Perioden ab dem ist demnach bereits die neue Rechtslage anzuwenden (10 Ob 14/10x mwN).

Bereits in der Entscheidung vom , 10 Ob 70/10g, wurde aus diesen Gründen die einem im Ausland wohnhaften Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des eingestellt.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit dieser Rechtsprechung in Einklang.