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VfGH vom 10.10.1997, B2256/96

VfGH vom 10.10.1997, B2256/96

Sammlungsnummer

14978

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Einberufungsbefehle an Angehörige der "Zeugen Jehovas"; keine Verletzung der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Militärkommando Tirol, das Militärkommando Oberösterreich und das Militärkommando Niederösterreich erließen an die Beschwerdeführer jeweils einen Einberufungsbefehl, Zlen. T/74/09/04/12, O/76/14/04/47 und N/76/11/03/15. Mit diesen Erledigungen wurden die Beschwerdeführer gemäß § 35 des Wehrgesetzes, BGBl. 305/1990 idF vor der Novelle 788/1996 - WG, zur Ableistung des (restlichen) Grundwehrdienstes im Bundesheer einberufen und verpflichtet, sich am ( bzw. ) in einer bestimmten Kaserne einzufinden.

Eine Begründung enthalten die Bescheide nicht.

2. Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

Die Anträge werden vornehmlich damit begründet, daß die Beschwerdeführer der Glaubensgemeinschaft der "Zeugen Jehovas" angehören und als solche aus Gewissensgründen keinen Wehrdienst leisten könnten.

3. Die Militärkommanden, die die angefochtenen Bescheide erlassen haben, erstatteten Gegenschriften, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden begehren.

Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger führt das Militärkommando Niederösterreich in der zu B2256/96 erstatteten Gegenschrift aus:

"Der Beschwerdeführer bringt vor, daß die belangte Behörde bei Erlassung des Bescheides zur Einberufung mit Termin Willkür geübt habe. Eine Eignung seiner Person für militärische Verwendung liege nicht vor, da die belangte Behörde davon Kenntnis habe, daß er aufgrund seiner religiösen Überzeugung als Zeuge Jehovas keinesfalls Wehrdienst leisten werde. Der neuerliche Einberufungsbefehl verfolge kein Ziel, welches sich im Sinne des Wehrgesetzes sachlich rechtfertigen ließe, sondern bestehe einzig darin, den Beschwerdeführer aus unsachlichen, in seiner Person gelegenen Gründen, ein Übel (eine dritte strafrechtliche Verurteilung) zuzufügen.

Dem ist seitens der belangten Behörde entgegenzuhalten, daß die Militärbehörden gemäß § 35 Abs 1 Wehrgesetz Wehrpflichtige nach den jeweiligen militärischen Interessen einzuberufen haben.

Ein der Erlassung des Einberufungsbescheides vorangehendes Ermittlungsverfahren in jedem Einzelfall, ob der Beschwerdeführer seine bisherige ablehnende Haltung gegenüber dem Präsenzdienst inzwischen geändert hat, würde diesen Interessen geradezu zuwiderlaufen. Dieser Interpretation entspricht auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, welche davon ausgeht, daß die Militärkommanden Wehrpflichtige zur Ableistung des von ihnen zu leistenden Präsenzdienstes einberufen können, ohne sich mit dem Vorliegen allfälliger Befreiungsgründe auseinanderzusetzen bzw., daß für die Einberufung zum Präsenzdienst militärische Interessen im Sinne des § 35 Abs 1 Satz 1 evident sind (vgl. Erkenntnis vom , Zl. 95/11/0255; Erkenntnis vom , Zl. 96/11/0077).

Da die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens vor Erlassung eines Einberufungsbescheides aufgrund der militärischen Besonderheiten und Erfordernisse jedenfalls kein rechtliches Erfordernis darstellt (vgl. VwGH Zl. 91/11/0013), und die belangte Behörde sohin im gegenständlichen Fall nicht verpflichtet war, vor Erlassung des Einberufungsbefehles zu prüfen, ob der Beschwerdeführer etwa noch den Zeugen Jehovas angehört, kann der belangten Behörde keine Willkür zur Last gelegt werden.

Ob eine 'Eignung' im Sinne der Ausführungen des Beschwerdeführers für eine militärische Verwendung vorliegt, war somit von der belangten Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des Einberufungsbescheides nicht zu prüfen. Überdies bezieht sich die vom Beschwerdeführer zitierte 'Eignung für eine militärische Verwendung' des § 35 Abs 2 Wehrgesetz lediglich auf die Einteilung und Zuweisung der Wehrpflichtigen zu den einzelnen Truppenkörpern, nicht jedoch auf die 'Eignung' des Wehrpflichtigen im Sinne einer psychischen Bereitschaft zur Befolgung der ihm erteilten Befehle.

In Anbetracht des oben Ausgeführten, ist es sohin weder Inhalt noch Zweck des gegenständlichen Einberufungsbescheides, den Beschwerdeführer zu kriminalisieren, ihm also absichtlich Unrecht zuzufügen, noch besteht im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers ein Widerspruch zu den einschlägigen Rechtsvorschriften.

Ferner behauptet der Beschwerdeführer, daß die Behörde dahingehend Willkür geübt habe, daß sie vor Erlassung des gegenständlichen Einberufungsbefehles kein neues Ermittlungsverfahren durchgeführt und kein Parteiengehör gewährt habe.

Zu diesem Vorbringen wird auf das oben Ausgeführte verwiesen. Es besteht für die belangte Behörde aufgrund der militärischen Besonderheiten keine Verpflichtung, vor Erlassung eines Einberufungsbescheides ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, das heißt keine Verpflichtung, sich mit dem Vorliegen allfälliger Befreiungsgründe auseinanderzusetzen, ebensowenig wie die Verpflichtung, Parteiengehör zu gewähren (vgl. dazu Erkenntnis des Zl. 95/11/0255).

Weiters behauptet der Beschwerdeführer dahingehend ein willkürliches Verhalten der Behörde, daß dem Einberufungsbefehl eine Begründung fehle.

Unbestritten ist, daß es sich bei einem Einberufungsbefehl um einen Bescheid im Sinne des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes handelt. Zum Vorwurf, daß es diesem Bescheid an einer Begründung mangle, ist wiederum auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach für die Einberufung zum Präsenzdienst militärische Interessen im Sinne des § 35 Abs 1 Satz 1 Wehrgesetz evident sind und daher keiner näheren Begründung bedürfen (z.B. Erkenntnis vom , Zl. 87/11/0197; Erkenntnis vom , Zl. 96/11/0077).

Das vom Beschwerdeführer zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 10997, betrifft die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes infolge Fehlens der Bescheidbegründung im Disziplinarverfahren. Neben der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfte der Beschwerdeführer wohl auch übersehen, daß ein Umlegen dieser Entscheidung auf gegenständlichen Fall, abgesehen von der durch das Wehrgesetz vorliegenden völlig anders gelagerten Rechtsmaterie, schon aufgrund der besonderen militärischen Verhältnisse ausgeschlossen ist."

Die anderen Gegenschriften gleichen der zitierten Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes bringen die Beschwerden vor:

Gemäß § 35 Abs 1 erster Satz WG seien Wehrpflichtige zum Präsenzdienst "nach den jeweiligen militärischen Interessen" einzuberufen. Gemäß § 35 Abs 2 WG seien Wehrpflichtige, die zum Präsenzdienst einberufen werden, den einzelnen Truppenkörpern ua. "nach Eignung und Bedarf für eine militärische Verwendung" zuzuweisen. An der neuerlichen Einberufung der Beschwerdeführer können jedoch keine militärischen Interessen bestehen, denn sie seien für eine militärische Verwendung nicht geeignet.

Die belangte Behörde sei in Kenntnis davon, daß die Beschwerdeführer auf Grund ihrer religiösen Überzeugung als Zeugen Jehovas keinesfalls Wehrdienst leisten können und werden.

Die neuen Einberufungsbefehle seien seitens der belangten Behörde somit in Kenntnis des Umstandes ergangen, daß die Beschwerdeführer ihnen sicher wieder nicht nachkommen würden, weil sie dies aus Gründen ihrer religiösen Überzeugung nicht tun könnten. Sie verfolgten daher offenbar einzig das Ziel, daß die Beschwerdeführer abermals vor Gericht gestellt und aller Voraussicht nach neuerlich verurteilt würden (wobei im Falle des Erstbeschwerdeführers auch mit dem Widerruf der erteilten bedingten Strafnachsicht zu rechnen sei).

Die neuerlichen Einberufungsbefehle verfolgten somit kein Ziel, welches sich im Sinne des WG sachlich rechtfertigen ließe. Ihr Ziel bestehe einzig darin, den Beschwerdeführern aus unsachlichen Gründen, die in ihrer Person gelegen seien, ein Übel zuzufügen. Die belangte Behörde habe daher bei Erlassung der angefochtenen Einberufungsbefehle Willkür geübt.

Sollte sich die belangte Behörde bei Erlassung der jeweils zweiten Einberufungsbefehle aber nicht in voller Kenntnis des oben genannten Umstandes befunden haben, weil sie vielleicht angenommen habe, die Bestrafung hätte die religiöse Überzeugung der Beschwerdeführer geschwächt und sie würden einer abermaligen Einberufung nun doch Folge leisten, so habe sie dennoch Willkür geübt, indem sie vor Erlassung der jeweils zweiten Einberufungsbefehle keine neuen Ermittlungsverfahren, somit auch keine Ermittlungstätigkeiten im entscheidenden Punkt, durchgeführt habe.

2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, läge ua. in einer Benachteiligung der Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen oder in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage (vgl. VfSlg. 10337/1985, 11436/1987), aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

2.1. Gemäß Art 9a Abs 3 B-VG ist jeder männliche österreichische Staatsbürger wehrpflichtig. Wer aus Gewissensgründen die Erfüllung der Wehrpflicht verweigert und hievon befreit wird, hat einen Ersatzdienst zu leisten. Das Nähere bestimmen die Gesetze.

2.2. § 15 Abs 1 WG normiert, daß in das Bundesheer nur österreichische Staatsbürger männlichen Geschlechtes einberufen werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung besitzen. Die Eignung zum Wehrdienst wird gemäß § 24 WG von der Stellungskommission festgestellt.

Die Wehrpflicht umfaßt gemäß § 17 Abs 1 WG ua. die Pflicht zur Leistung des Präsenzdienstes.

Der Präsenzdienst gliedert sich gemäß § 27 Abs 1 WG in den ordentlichen und den außerordentlichen Präsenzdienst.

Der ordentliche Präsenzdienst umfaßt den Grundwehrdienst und die Truppenübungen. Gemäß § 28 Abs 1 WG sind zur Leistung des Grundwehrdienstes alle Wehrpflichtigen verpflichtet, die das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

2.3. § 35 WG sieht vor, daß Wehrpflichtige zum Präsenzdienst nach den jeweiligen militärischen Interessen vom zuständigen Militärkommando mit Einberufungsbefehl einzuberufen sind.

2.4. Gemäß der im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Einberufungsbefehle geltenden Verfassungsbestimmung des § 2 Abs 1 Zivildienstgesetz, BGBl. 679/1986 idF 187/1994 - ZDG, konnte der Wehrpflichtige im Sinne des WG, der erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens erklären (Zivildiensterklärung),


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1.
die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil er es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus Gewissensgründen ablehnt, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würde,
2.
deshalb Zivildienst leisten zu wollen und
3.
keinem Wachkörper (Art78d B-VG) anzugehören.

Seit dem Wirksamwerden der ZDG-Novelle 1996, BGBl. 788/1996, am ist die Ausübung des Rechtes auf Abgabe einer Zivildiensterklärung dem Wehrpflichtigen mindestens sechs Monate nach Abschluß jenes Stellungsverfahrens, bei dem er erstmals für den Wehrdienst tauglich befunden wurde, gewährleistet, es sei denn, der Wehrpflichtige hätte darauf ausdrücklich und schriftlich verzichtet. Das Recht ruht vom zweiten Tag vor einer Einberufung zum Präsenzdienst bis zur Entlassung aus diesem oder bis zur Behebung des Einberufungsbefehls.

Eine förmliche Befreiung von der Wehrpflicht ist im Falle der Zivildiensterklärung nicht vorgesehen.

2.5. Gemäß § 36 Abs 1 WG sind - neben den Wehrpflichtigen, über die eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist oder die sich in Haft befinden - von der Einberufung zum Präsenzdienst ausgeschlossen Wehrpflichtige, die die Voraussetzungen für die Befreiung von der Stellungspflicht nach § 24 Abs 3 erfüllen; das sind - sofern sie einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören -


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1.
ausgeweihte Priester,
2.
Personen, die auf Grund absolvierter theologischer Studien im Seelsorgedienst oder in einem geistlichen Lehramt tätig sind,
3.
Ordenspersonen, die die ewigen Gelübde abgelegt haben, und
4.
Studierende der Theologie, die sich auf ein geistliches Amt vorbereiten.

Ferner sind nach der Verfassungsbestimmung des § 36 Abs 2 WG Wehrpflichtige, die im Ausland mindestens zwei Jahre Entwicklungshilfedienst im Sinne des Entwicklungshelfergesetzes, BGBl. 574/1983, geleistet haben und denen dies vom Bundeskanzler bestätigt wird, von der Einberufung zum Präsenzdienst ausgeschlossen.

2.6. Eine Befreiung von der Präsenzdienstpflicht sieht § 36a Abs 1 WG vor. Gemäß dieser Bestimmung können taugliche Wehrpflichtige von der Verpflichtung zur Leistung des Präsenzdienstes befreit werden:


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-
von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche, insbesondere gesamtwirtschaftliche oder familienpolitische, Interessen erfordern und
-
auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

3. Wie sich aus dem oben dargestellten System der Wehrpflicht ergibt, ist gemäß § 35 WG bei der Einberufung von Wehrpflichtigen zum Grundwehrdienst nur zu prüfen, ob der Adressat des Einberufungsbefehls


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-
zur Leistung des Grundwehrdienstes verpflichtet und
-
nicht von der Einberufung ausgeschlossen ist
(§36 WG).

Auf die Fragen, ob der Wehrpflichtige aus Gewissensgründen die Leistung des Wehrdienstes ablehnt oder ob die Lage des Wehrpflichtigen eine Befreiung von der Präsenzdienstpflicht erfordert, ist gemäß § 35 WG im Einberufungsbefehl nicht einzugehen. Für die genannten Fälle sind vielmehr besondere Verfahren vorgesehen. Für die Ablehnung der Leistung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen ist das Verfahren der Zivildiensterklärung nach dem ZDG vorgesehen. Für besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen wird über Antrag des Präsenzdienstpflichtigen gemäß § 36a Abs 1 Z 2 WG ein Verfahren betreffend die Befreiung von der Präsenzdienstpflicht durchgeführt.

Der Behörde kann daher unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie in ihrem Einberufungsbefehl auf die konkrete Situation der Beschwerdeführer nicht eingegangen ist.

4. Die Beschwerden bringen schließlich vor, das Fehlen jeglicher Begründung der angefochtenen Bescheide sei ein Indiz dafür, daß die belangten Behörden Willkür geübt hätten.

Wie bereits oben dargestellt, muß dem Einberufungsbefehl - mangels Berücksichtigung in der konkreten Situation des Wehrpflichtigen gelegener Umstände - kein Ermittlungsverfahren im Sinne der §§37 ff. AVG vorausgehen, sodaß die Berufung der Beschwerdeführer auf § 60 AVG, welcher für die Begründung des Bescheides eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen fordert, ins Leere geht. Dazu kommt noch, daß der für die Erlassung des Einberufungsbefehls maßgebliche Umstand, daß der Wehrpflichtige in Österreich lebt, unbestritten ist und aus dem Einberufungsbefehl hervorgeht.

Aus dem Fehlen der Begründung, worin in den konkreten Fällen die Eignung der Beschwerdeführer für eine militärische Verwendung liege, kann daher nicht auf willkürliches Verhalten der Behörde geschlossen werden.

5. Die Beschwerden behaupten weiters die Verletzung der durch Art 14 StGG, Art 9 EMRK und Art 63 Abs 2 StV St.-Germain verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Im Erkenntnis VfSlg. 13513/1993 hat der Verfassungsgerichtshof zum Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ausgeführt:

"Das Wesen der Glaubens- und Gewissensfreiheit besteht im Ausschluß 'staatlichen Zwangs auf religiösen Gebieten' (VfSlg. 3220/1957 unter Verweis auf VfSlg. 1408/1931). Jedermann soll in Sachen der Religion volle, von niemandem beschränkte Freiheit genießen (VfSlg. 799/1927, 800/1927). Eine Ergänzung findet Art 14 StGG in den gemäß Art 149 B-VG im Verfassungsrang stehenden und die Grenzen der Religionsausübung ausdrücklich festlegenden Bestimmungen des Art 63 Abs 2 des Staatsvertrages von Saint-Germain, StGBl. 303/1920. Es heißt dort, daß alle Einwohner Österreichs das Recht haben, öffentlich oder privat jede Art Glauben oder Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern 'deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist'. Die Verfassungsnorm des Art 9 Abs 2 EMRK schließlich regelt diese Schranken (der Glaubensfreiheit) näher, indem sie Form und Inhalt der zugelassenen Beschränkungen festlegt (vgl. auch VfSlg. 10547/1985)."

Zur geltend gemachten Verletzung des durch Art 9 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes verweist der Verfassungsgerichtshof auf die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom , Nr. 5591/72, wonach sich aus Art 9 in Zusammenhalt mit Art 4 Abs 3 litb EMRK ergibt, daß kein Vertragsstaat verpflichtet ist, Waffendienstverweigerer anzuerkennen. Aus dieser Auffassung, welcher der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8033/1977 und 11253/1987 beigepflichtet hat, folgt, daß aus der Nichtbefreiung von der Verpflichtung zur Wehrdienstleistung keine Verletzung des durch Art 9 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes abgeleitet werden kann.

6. Die Beschwerden behaupten weiters, der dem Art 9 Abs 2 EMRK innewohnende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei zwar noch nicht durch die Erlassung der jeweils ersten Einberufungsbefehle und die darauffolgende Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung, wohl aber durch die Erlassung der jeweils zweiten Einberufungsbefehle verletzt worden. Die neuerliche Einberufung führe nämlich bloß zu einer weiteren Kriminalisierung der Beschwerdeführer und - wenn die Behörde ihre Vorgangsweise beibehalte - zu immer weiteren Bestrafungen wegen desselben Delikts.

Gegen das oben geschilderte System der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich bestehen vor allem deshalb keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Glaubens- und Gewissensfreiheit, weil für den Fall der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen, zu denen auch die Gründe religiöser Überzeugung gehören, die Zivildienstleistung vorgesehen ist. Die Verpflichtung zum Zivildienst ist aber - wie auch schon Art 4 Abs 3 litb EMRK zeigt - kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechtssphäre.

Die Beschwerdeführer haben von ihrem Recht, eine Zivildiensterklärung abzugeben, nicht Gebrauch gemacht; sie haben damit auf die Ausübung dieses Grundrechtes verzichtet. Die belangte Behörde war daher unter dem Gesichtspunkt der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht gehindert, an die Beschwerdeführer, deren Verpflichtung zur Wehrdienstleistung andauert, Einberufungsbefehle zu erlassen.

7. Schließlich behaupten die Beschwerden eine Verletzung des sich aus dem Grundsatz des "ne bis in idem" (Art4 Abs 1 7. ZP zur EMRK) ergebenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes.

Soweit die Beschwerden behaupten, die wiederholte Bestrafung von fortgesetzt dienstverweigernden Zeugen Jehovas sei verfassungswidrig, verkennen sie damit die Rechtswirkungen des Einberufungsbefehls. Der Einberufungsbefehl zum Grundwehrdienst selbst hat keinerlei strafgesetzliche Sanktionen zur Folge. Ein allfälliger strafgesetzwidriger Erfolg kann erst durch weitere, von der freien Entscheidung des Einberufenen abhängige Handlungen (wie zB den Wehrdienst nicht anzutreten oder Befehle zu verweigern) eintreten.

Es ist daher ausgeschlossen, daß die angefochtenen Bescheide in das den Beschwerdeführern gemäß Art 4 Abs 1 7. ZP zur EMRK gewährleistete Recht eingreifen.

8. Die Beschwerdeführer wurden sohin aus den in den Beschwerden vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

Die Beschwerdeverfahren haben auch nicht ergeben, daß dies aus anderen, in den Beschwerden nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.

Die Beschwerden waren daher in nichtöffentlicher Sitzung (§19 Abs 4 Satz 1 und Z 1 VerfGG) als unbegründet abzuweisen.

9. Der Kostenzuspruch gründet sich auf § 88 VerfGG. Ein Kostenzuspruch an eine belangte Behörde für die Erstattung einer Gegenschrift ist im VerfGG nicht vorgesehen (VfSlg. 10003/1984, , , B2326/96).