OGH vom 21.12.2010, 10ObS171/10k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Michael Kerschbaumer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke und Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 98,50 EUR, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 167/07y 48, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 9 Cgs 352/05s 44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Über ärztliche Verschreibung erhielt die Klägerin im Zeitraum 26. 5. bis 10 Heilmassagen in der Dauer von jeweils 25 Minuten, 10 Moorpackungen und 10 Wärmetherapien durch eine freiberufliche Heilmasseurin. Sie bezahlte hierfür 350 EUR.
In Ostösterreich betragen die aktuellen Marktpreise für Heilmassagen in der Dauer von 25 Minuten 28 EUR, von 40 Minuten 40 EUR und von 50 Minuten 55 EUR.
Mit Bescheid vom sprach die beklagte Partei aus, dass der Klägerin anlässlich der Inanspruchnahme der zuvor genannten Behandlungen ein Kostenzuschuss von 45 EUR gebührt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage zuletzt nach einer in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des auf Kostenzuschüsse für die Moorpackungen und die Wärmetherapien gerichteten Teils des Klagebegehrens mit dem Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, ihr für die in Anspruch genommenen Heilmassagen einen weiteren Kostenzuschuss von 98,50 EUR zu zahlen (10 x 11,85 EUR abzüglich erhaltener 20 EUR Kostenzuschuss). Die Kostenzuschüsse für die Berufsgruppe der Heilmasseure seien aufgrund einer Empfehlung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger überwiegend mit einem Betrag festgelegt worden, der wesentlich unter dem Kostenersatz für gleichwertige Leistungen freiberuflicher Physiotherapeuten liege. Die hohen Unterschiede der Zuschüsse für gleiche Einzelleistungen freiberuflicher Physiotherapeuten und freiberuflicher Heilmasseure seien unsachlich. Der begehrte Kostenzuschuss orientiere sich an den in der Satzung der beklagten Partei für die manuelle Heilmassage durch freiberufliche Physiotherapeuten vorgesehenen Kostenzuschüssen. Dass die beklagte Partei in ihrer Satzung für Leistungen freiberuflicher Heilmasseure geringere Kostensätze festlege als für Leistungen freiberuflicher Physiotherapeuten sei verfassungswidrig, weil für gleiche Leistungen gleiche Kostensätze vorzusehen seien. Die Ungleichbehandlung beider Berufsgruppen habe keine sachliche Rechtfertigung und verstoße gegen den Gleichheitssatz.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Zwischen der Berufsgruppe der freiberuflichen Heilmasseure und der beklagten Partei seien bisher keine Verträge abgeschlossen worden. Sie leiste Kostenzuschüsse nach der Regelung des Anhangs 6 ihrer Satzung für der ärztlichen Hilfe gleichgestellte Leistungen, wenn Vertragspartner nicht zur Verfügung stehen, weil Verträge nicht zustande gekommen seien. Der Kostenzuschuss für Krankenbehandlungen durch freiberufliche Heilmasseure für manuelle Heilmassagen betrage pro Sitzung 2 EUR. Mit der Gewährung des Kostenzuschusses von 20 EUR für die 10 Heilmassagen sei sie ihrem gesetzlichen Auftrag nachgekommen.
Das Erstgericht wies auch das restliche Klagebegehren mit Endurteil ab. Die beklagte Partei habe den satzungsmäßigen Kostenzuschuss erbracht.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Endurteil. Es habe keine Bedenken an der Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit des für die manuelle Heilmassage durch Heilmasseure in der Satzung 2003 der beklagten Partei in der im Anlassfall maßgeblichen Fassung der zweiten Änderung vorgesehenen Kostenzuschusses. In der Honorarordnung 2004 zum Gesamtvertrag vom zwischen Ärztekammer Niederösterreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für das Bundesland Niederösterreich, der auch für die beklagte Partei Gültigkeit habe, habe der Tarif für Ärzte im Bereich der Physiotherapie für die manuelle Massage ab 3,92 EUR betragen (Position Nr 723). Unter Bedachtnahme auf diesen Tarif und im Hinblick auf den weiten rechtspolitischen Spielraum des Krankenversicherungsträgers bei Erlassung der Satzungsregelung bestünden keine Bedenken an der Gesetzmäßigkeit des von der beklagten Partei für von Heilmasseuren durchgeführte Heilmassagen festgelegten Kostenzuschusses. Im Sozialversicherungsrecht werde im Bereich der Krankenbehandlung sowohl bei den einzelnen vertraglichen Tarifen als auch bei der Festsetzung der Kostenzuschüsse typischerweise nach Berufsgruppen differenziert und damit den unterschiedlichen Ausbildungen und Qualifikationen der einzelnen Leistungserbringer Rechnung getragen. Eine Ungleichbehandlung der Versicherten ergebe sich daraus nicht, zumal es etwa im Anlassfall der Klägerin auch freigestanden wäre, die Heilmassagen von einem Physiotherapeuten durchführen zu lassen. Dass die Höhe der Kostenzuschüsse an die Berufsgruppe der Leistungserbringer anknüpfe, stelle eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung dar, die im vorliegenden Fall vor allem in der unterschiedlichen beruflichen Qualifikation und unterschiedlichen Berufsberechtigung von Heilmasseuren und Physiotherapeuten begründet liege.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil „zur Verfassungsmäßigkeit derartiger Satzungsbestimmungen“ noch keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe und die Frage auch über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, bestehen doch Bedenken an der Gesetzmäßigkeit der entscheidungswesentlichen Satzungsbestimmung.
Die Klägerin vertritt weiterhin den Standpunkt, der in der Satzung festgesetzte „Tarif“ sei gesetzwidrig, weil er zu einem Selbstbehalt in Höhe von rund 91 % führe. Auf dem freien Markt sei die ärztlich verschriebene Leistung nicht annähernd um 2 EUR zu erhalten. Die Unangemessenheit des Kostenzuschusses bestätige sich in der Behandlung der Berufsgruppe der freiberuflichen Heilmasseure gegenüber der Berufsgruppe der freiberuflichen Physiotherapeuten. Der Kostenzuschuss von 2 EUR für Heilmasseure gegenüber 11,85 EUR für Physiotherapeuten habe keine sachliche Berechtigung. Die Ausbildung der Heilmasseure auf dem Gebiet der Heilmassage sei weitaus besser als jene der Physiotherapeuten.
Die maßgebliche Rechtslage für die Entscheidung über die Klage auf Kostenzuschuss ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erbringung der streitgegenständlichen Krankenbehandlungen. Diese wurden nach den Feststellungen des Erstgerichts im Zeitraum vom 26. 5. bis durchgeführt. Maßgeblich (iVm § 131b ASVG,§ 38 der Satzung 2003) ist die Neufassung des Punktes 2a. des Anhangs 6 der Satzung 2003 der beklagten Partei (Amtliche Verlautbarung im Internet Nr. 5/2003) idF der 2. Änderung (Amtliche Verlautbarung im Internet Nr. 28/2004), die lautet:
„2a. Für Krankenbehandlung durch freiberufliche Heilmasseure
Manuelle Heilmassage pro Sitzung Mindestdauer 10 Minuten 2,00 € … .“
Wegen Bedenken an der Gesetzmäßigkeit dieser mittlerweile aufgehobenen Norm hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom , 10 ObS 139/08a, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, auszusprechen, dass in der angeführten Norm die Zeichenfolge „2,00 €“ gesetzwidrig war.
Mit Erkenntnis vom , GZ V 43/09-10, hat der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag abgewiesen. Die Gebietskrankenkassen seien, so führte er aus, nicht verpflichtet, Kostenzuschüsse vorzusehen, welche den Marktpreisen entsprechen. Vergleichsmaßstab für Zuschüsse zu vertraglich nicht geregelten Leistungen könne vielmehr nur der für vergleichbare Pflichtleistungen festgelegte Tarif und gerade nicht der Marktpreis sein. Ein Kostenzuschuss von 2 EUR für eine Heilmassage im Ausmaß von mindestens 10 Minuten Dauer unterschreite bezogen sowohl auf die nachgewiesenen Kosten der Klägerin als auch auf die festgestellten Marktpreise und umgelegt auf dieselbe Zeitdauer von 10 Minuten nicht das Ausmaß von 10 % des in Betracht kommenden Aufwands. Es liege grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers, unterschiedlich hohe Zuschüsse bei verschiedenen Leistungserbringern vorzusehen. Die zwischen den Physiotherapeuten und den freiberuflichen Heilmasseuren bestehenden Unterschiede im Umfang und in der Dauer der jeweiligen Ausbildung rechtfertigten die Festsetzung von Zuschüssen zu Heilmassagen in unterschiedlicher Höhe, je nachdem, ob sie von Angehörigen der einen oder der anderen Berufsgruppe erbracht werden. Dass die vom Satzungsgeber konkret vorgenommene Differenzierung in der angefochtenen Satzungsbestimmung zu den für Physiotherapeuten vorgesehenen Zuschüssen auch unter Berücksichtigung dieses Aspekts unvertretbar sei, sei nicht vorgebracht worden. Schließlich sei die Leistung der Heilmassage als Sachleistung auch in kasseneigenen Ambulatorien, bei Vertragsinstituten und bei Vertrags( fach )ärzten erhältlich, sodass der freie Markt für diese Leistung nicht zwingend in Anspruch genommen werden müsse. Nach dem Maßstab des § 131b ASVG erweise sich die Höhe des Zuschusses als insgesamt noch vertretbar.
Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs war das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
Da sich die streitentscheidende Satzungsbestimmung als gesetzmäßig erwiesen und die Klägerin den ihr für die Heilmassagen gebührenden Kostenzuschuss erhalten hat, war der Revision nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.