OGH vom 12.09.1989, 10ObS170/89
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Herbst (AG) und Dr. Elmar Peterlunger (AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dipl.Kfm.Dr. Paul D***, Kaufmann,
2500 Baden, Jägerhausgasse 4, vertreten durch Dr. Emmerich Fritz,
Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei
S*** DER G*** W***, 1051 Wien,
Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 33 Rs 250/88-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 4 Cgs 568/88-8, bestätigt und ergänzt wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom den am gestellten Antrag des Klägers auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension gemäß § 131 GSVG ab.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab die vorzeitige Alterspension gemäß § 131 GSVG im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Kläger war bis Geschäftsführer und Gesellschafter der V*** Computer Gesellschaft mbH. Diese ist persönlich haftende Gesellschafterin der V*** Computer Gesellschaft mbH & Co KG (im folgenden Computer KG genannt) und der V*** Gomputer Gesellschaft mbH Leasing KG (im folgenden Leasing KG genannt). Die Leasing KG wurde nur zu dem Zweck gegründet, ein Donauschiff zu kaufen und es zu verleasen. "Aktuelle" Geschäfte werden von der Gesellschaft nicht mehr getätigt. Die Gewerbeberechtigung ist erloschen. Die mit der Anschaffung des Schiffes verbundenen Aufwendungen konnten bis jetzt noch nicht durch entsprechende Leasingerlöse gedeckt werden. Erst in den nächsten drei oder vier Jahren wird es möglich sein, Gewinne zu erwirtschaften.
Der Kläger ist Kommanditist der Computer KG, deren Gegenstand der Vertrieb von Computern und Computer-Software ist. Sonderrechte, wie etwa ein Einfluß auf die Geschäftsführung, sind mit dem Kommanditanteil nicht verbunden. Er enthält auf Grund des Kommanditanteils nur Gewinnzuweisungen.
Dem Kläger stehen in keinen der beiden Gesellschaften irgendwelche Funktionen zu. Er übt für sie keine Tätigkeit, insbesondere keine gewerbliche Tätigkeit, aus und erhält von ihnen keinerlei Entgelt - als "Geschäftsführerkonsulent" oder auf Grund einer anderen Tätigkeit - ausbezahlt. Falls die Bilanzen der Gesellschaften Verluste aufweisen, müßte auch der Kläger die auf seine Anteile - Kommandit- bzw Komplementäranteile - entfallenden Verluste tragen.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der Kläger am Stichtag keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, durch die er ein die maßgebenden Grenzen übersteigendes Einkommen erzielte. Da die beklagte Partei das Vorliegen der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nach § 130 Abs 2 GSVG nicht bestritten habe, sei dem Klagebegehren stattzugeben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß es der beklagten Partei eine vorläufige Leistung von S 5.000,-- im Monat auftrug. Eine selbständige Erwerbstätigkeit setze im allgemeinen Arbeitsleistungen in persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit voraus, wobei die Arbeitsleistungen auf die Schaffung von Einkünften in Geld oder Güterform gerichtet sein müßten. Dies treffe auf den Kläger nicht zu, weil er im relevanten Zeitraum keine Tätigkeit, insbesondere keine Erwerbstätigkeit, ausgeübt habe. Selbst wenn den Einwendungen in der Berufung zu folgen wäre, daß er noch Komplementär der Leasing KG sei, würde zwar ein Gesellschaftsverhältnis bestehen, er wäre aber nicht gemäß § 2 Abs 1 Z 2 GSVG iVm § 3 Abs 2 HKG pflichtversichert, weil die Gewerbeberechtigung der Gesellschaft am Stichtag schon erloschen gewesen sei. Sollte die Leasing KG in Zukunft Gewinne erzielen und hätte der Kläger dadurch Einkünfte, so wären diese nicht aus der selbständigen Erwerbstätigkeit des Versicherten am Stichtag. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt allerdings nicht vor (§ 2 Abs 1 und § 48 ASGG iVm § 510 Abs 3 ZPO), zumal die entsprechenden Ausführungen in erster Linie der Rechtsrüge zuzuordnen sind und daher im folgenden behandelt werden. In der Sache kann dem Berufungsgericht nicht darin beigepflichtet werden, daß der Kläger auch dann keine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinn des § 131 Abs 1 lit d GSVG ausüben würde, wenn er persönlich haftender Gesellschafter der Leasing KG wäre. Der Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit wird im Gesetz nicht umschrieben. Das Berufungsgericht erkennt selbst, daß eine selbständige Erwerbstätigkeit nur "im allgemeinen" Arbeitsleistungen in persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit voraussetzt. Solche Arbeitsleistungen sind daher keine unerläßliche Voraussetzung. Der Oberste Gerichtshof hat schon in der Entscheidung 10 Ob S 319/88 ausgesprochen, daß eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinn des mit § 131 Abs 1 lit d GSVG vergleichbaren § 253 b Abs 1 lit d ASVG jedenfalls dann vorliegt, wenn der Versicherte nach dem GSVG oder BSVG pflichtversichert ist. Er hat dies unter anderem mit § 1 GSVG und § 1 BSVG begründet, weil es dort heiße, daß die Kranken- und die Pensionsversicherung der im Inland in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen bzw daß die Kranken- und Pensionsversicherung sowie die Unfallversicherung der im Inland in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen und ihrer mittätigen Angehörigen geregelt werde. Der Gesetzgeber gehe also davon aus, daß alle Personen, die auf Grund der näher umschriebenen Tatbestände (vgl § 2 Abs 1 GSVG und § 2 Abs 1 Z 1 BSVG) pflichtversichert sind, zu den selbständig Erwerbstätigen gehören. Da es sich beim ASVG, GSVG und BSVG um "verwandte Gesetze" (vgl § 7 ABGB) handle, könne angenommen werden, daß derselbe Begriff denselben Inhalt habe, zumal sich das Gegenteil weder aus dem Zweck noch aus der Entstehungsgeschichte der in Betracht kommenden Bestimmungen ergebe.
In dem der angeführten Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der Versicherte selbständiger Gastwirt und nicht, wie es hier in Betracht kommt, Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft. Für diese bestimmt § 2 Abs 1 Z 2 iVm Z 1 GSVG, daß die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft und die persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft pflichtversichert sind, sofern die Gesellschaften Mitglieder einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft sind. Diese Mitgliedschaft ist gemäß § 3 Abs 2 HKG zwar nur gegeben, wenn die Gesellschaft zum selbständigen Betrieb von bestimmten Unternehmungen, darunter jenen des Gewerbes, berechtigt ist. Setzt man die in der angeführten Entscheidung vorgezeichneten Gedanken fort, so ist eine selbständige Erwerbstätigkeit der Gesellschafter aber auch dann anzunehmen, wenn die Versicherungspflicht nur deshalb nicht besteht, weil die Gesellschaft nicht Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft ist. Denn letzteres ändert nichts daran, daß der Gesetzgeber im § 2 Abs 1 Z 2 GSVG offensichtlich die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft und die persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft zu den selbständig Erwerbstätigen zählte und nur deren Versicherungspflicht von einer weiteren Voraussetzung abhängig machte. Eine solche Auslegung steht auch durchaus mit dem allgemeinen Sprachgebrauch im Einklang.
Die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft und die persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft sind somit stets selbständig erwerbstätig im Sinn des § 131 Abs 1 lit d GSVG (und des vergleichbaren § 253 b Abs 1 lit d ASVG und § 122 Abs 1 lit d BSVG). Dabei ist ohne Bedeutung, ob sie gemäß § 114 Abs 2 und § 125 Abs 1 HGB von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Die beklagte Partei macht daher mit Recht geltend, daß die Vorinstanzen Feststellungen darüber hätten treffen müssen, ob der Kläger am Stichtag persönlich haftender Gesellschafter der Leasing KG war und noch ist, zumal sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes zwar ein Hinweis darauf ergibt, dieser Hinweis jedoch Zweifel offen läßt.
Gemäß § 131 Abs 1 lit d zweiter Satz GSVG bleibt eine Erwerbstätigkeit, auf Grund deren ein Erwerbseinkommen bezogen wird, welches das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen nicht übersteigt, unberücksichtigt. Auch der Begriff des Erwerbseinkommens wird im Gesetz nicht umschrieben. Es besteht aber für den Anspruch auf Alterspension kein Anlaß, ihn grundsätzlich anders als nach den steuerrechtlichen Vorschriften zu verstehen. Dafür spricht im Bereich des GSVG nicht zuletzt § 25 Abs 1 und 2 dieses Gesetzes, wonach der Ermittlung der Beitragsgrundlage in der Pensionsversicherung die für die Bemessung der Einkommenssteuer herangezogenen Einkünfte des Pflichtversicherten zuzüglich der auf eine Investitionsrücklage und auf einen Investitionsfreibetrag sowie (nach der vor der
15. GSVG-Nov. BGBl. 1988/750 geltenden Fassung der 9. GSVG-Nov. BGBl. 1984/485) auf eine vorzeitige Abschreibung und auf einen nicht entnommenen Gewinn entfallenden Beträge zugrunde zu legen sind. Es wäre nicht gerechtfertigt, für die Bemessung der Pension, für die die Beitragsgrundlage gemäß § 122 Abs 1 GSVG von Bedeutung ist, von den (niedereren) steuerlichen Einkünften auszugehen, für die Frage des Entstehens des Pensionsanspruchs hingegen höhere Einkünfte anzunehmen. Dies würde zu einer einseitigen Benachteiligung des Versicherten führen.
Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinnes können die Anschaffungs- oder Herstellungskosten geringwertiger Wirtschaftsgüter voll und jene anderer Wirtschaftsgüter als Absetzung für Abnutzung auf die Nutzungsdauer verteilt abgesetzt werden (vgl § 7 und § 13 EStG 1972 und 1988). Der aus der Revision hervorleuchtenden Ansicht der beklagten Partei, daß sie bei der Feststellung des Erwerbseinkommens im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Alterspension überhaupt nicht zu berücksichtigen seien, kann nicht gefolgt werden. Die beklagte Partei führt hiefür nur an, daß die Berücksichtigung von Investitionskosten zu "skurrilen Ergebnissen" führen würde, weil allgemein Einkünfte erst nach der Vornahme von Investitionen erzielt würden; es dürfe daher nicht abgewartet werden, bis die Erträgnisse höher als die Investitionen seien. Diesen Gedanken wird aber bei der Absetzung für Abnutzung ohnedies dadurch Rechnung getragen, daß die Kosten der Anschaffung oder Herstellung der Wirtschaftsgüter auf die Nutzungsdauer aufzuteilen sind.
Hier kommt zu diesen Überlegungen noch, daß der Anteil des persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft am Gewinn gemäß § 161 Abs 2 iVm § 120 HGB auf Grund der Bilanz zu berechnen ist. Es wird aber allgemein anerkannt, daß die Bilanz unter Berücksichtigung der Abnutzung zu erstellen ist (vgl Torggler-Kucsko in Straube, HGB, Rz 7 zu § 40). Auch dabei hängt aber die Höhe der demnach abzusetzenden Beträge von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten ab, weshalb die Auffassung der beklagten Partei, daß die Anschaffungskosten des verleasten Schiffes nicht berücksichtigt werden dürften, unhaltbar ist. Erwerbseinkommen im Sinn des § 131 Abs 1 lit d GSVG (oder des vergleichbaren § 253 b Abs 1 lit d ASVG und § 122 Abs 1 lit d BSVG) sind also die Einkünfte des Versicherten aus der selbständigen Erwerbstätigkeit, die in dem Kalenderjahr, in das der Stichtag fällt, für die Bemessung der Einkommensteuer herangezogen wurden oder hiefür heranzuziehen sind. Die steuerpflichtigen Einkünfte sind gegebenenfalls um Beträge zu erhöhen, denen keine oder - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - nur geringere Aufwendungen gegenüberstehen und die nach den steuerrechtlichen Vorschriften nur aus wirtschaftspolitischen Gründen, nämlich zur Förderung der Bildung von Eigenkapital und der Investitionstätigkeit, als gewinnmindernd berücksichtigt werden dürfen (vgl Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts 3. Aufl 114 sowie
4. Aufl 114 und 124). Da diese Gründe für den Bereich der Sozialversicherung nicht maßgebend sind, können die angeführten Beträge für diesen Bereich nicht als einkommensmindernd anerkannt werden. Es gehören dazu etwa die Differenz zwischen der gewöhnlichen und einer vorzeitigen Abschreibung (vgl die §§ 7 und 8 EStG 1972) und die auf eine Investitionsrücklage (§ 9 EStG 1972 und 1988) auf einen Investitionsfreibetrag (§ 10 EStG 1972 und 1988) oder auf einen nicht entnommenen Gewinn (§ 11 EStG 1972) entfallenden Beträge. Sie alle sind im Zusammenhang mit der Alterspension zu den steuerpflichtigen Einkünften hinzuzurechnen, wobei zum GSVG neuerlich auf § 25 Abs 1 und 2 dieses Gesetzes hinzuweisen ist. Die Feststellungen des Erstgerichtes reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger am Stichtag ein Erwerbseinkommen bezog. Die Feststellung, daß die mit der Anschaffung des Schiffes verbundenen Aufwendungen durch die Leasingerlöse noch nicht gedeckt werden konnten, ist ungenügend, weil die Anschaffungskosten nur gemäß dem hier noch maßgebenden § 7 EStG 1972 im Rahmen der Absetzung für Abnutzung berücksichtigt werden dürfen. Im fortzusetzenden Verfahren werden daher im Sinn der vorstehenden Ausführungen ergänzende Feststellungen über die Höhe des Erwerbseinkommens des Klägers im Jahr 1987 zu treffen sein. Abschließend sei noch bemerkt, daß sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt sieht, zur Frage Stellung zu nehmen, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen das Einkommen des Klägers als Kommanditist der Computer KG zu berücksichtigen ist, weil die beklagte Partei in der Revision hiezu nichts vorgebracht hat. Zur Durchführung der demnach erforderlichen Ergänzung der Verhandlung ist gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 496 Abs 3 ZPO das Berufungsgericht verpflichtet, weshalb die Rechtssache an dieses zurückzuverweisen war.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.