OGH vom 18.10.2005, 10Ob86/05b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lovelyn B*****, vormals A*****, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark, Parkring 10, 8010 Graz), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, wegen Herausgabe (EUR 3.600), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 37 R 186/05k-16, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 52 C 698/04i-11, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 277,60 bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin, eine nigerianische Staatsangehörige, begehrt von der beklagten Republik Österreich (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark) die Herausgabe des nigerianischen Reisepasses lautend auf Lovelyn A*****, geboren am in I*****, Pass-Nr. *****, mit folgendem Vorbringen: Im Zuge ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Graz, am , habe sie diesen Reisepass zum Nachweis ihrer Identität vorgelegt. Da dieser als bedenklich eingestuft worden sei, sei er kriminaltechnisch untersucht worden. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark habe am wegen §§ 223 Abs 2 und 224 StGB bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Strafanzeige erstattet, die mangels stichhaltiger Beweise zurückgelegt worden sei. Die Staatsanwaltschaft Wien habe der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark mit Schreiben vom mitgeteilt, dass der Reisepass wieder ausgefolgt werden könne, was aber nicht erfolgt sei.
Die beklagte Partei wandte die Unzulässigkeit des Rechtsweges ein, da die Passabnahme in Vollziehung der Gesetze erfolgt sei und einen Akt der Hoheitsverwaltung darstelle. Außer schadenersatzrechtlichen Ansprüchen nach dem AHG könnten keine anderen zivilrechtlichen Ansprüche - insbesondere solche auf Herausgabe - aus hoheitlichem Handeln abgeleitet werden.
Das Erstgericht stellte fest, dass die ordentlichen Gericht zur Führung des Rechtsstreits zuständig seien und wies die von der beklagten Partei erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Für eine Klage gegen die Republik Österreich auf Herausgabe von beschlagnahmten Gegenständen sei der Rechtsweg zulässig.
Über Rekurs der beklagten Partei änderte das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges Folge gab, das Verfahren als nichtig aufhob und die Klage zurückwies. Das Rekursgericht sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000,--, nicht aber EUR 20.000,-- übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Rekursgericht aus, dass die Abnahme und Verwahrung eines Passes durch faktische Amtshandlung im Rahmen eines Asylverfahrens eine hoheitliche Handlung darstelle. Der Rechtsweg sei unzulässig, wenn zwar ein privatrechtlicher Anspruch behauptet, in Wirklichkeit aber die Vornahme oder Rückgängigmachung eines staatlichen Hoheitsaktes angestrebt werde oder in sonstiger Weise auf das hoheitliche Handeln eines Verwaltungsträgers Einfluss genommen werden solle. Der ordentliche Rechtsweg stünde nur offen, wenn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde bereits abgeschlossen wäre; in diesem Fall könnte eine auf das Eigentumsrecht gestützte Herausgabe des Passes verlangt werden. Allein aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Wien die Anzeige zurückgelegt habe, ergebe sich noch nicht, dass die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde (Bundesasylamt, Außenstelle Graz) bereits abgeschlossen sei.
Der Ausspruch über den Wert des Streitgegenstandes beruhe auf § 526 Abs 3 ZPO. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob die Zurücklegung der Anzeige wegen §§ 223 Abs 2 und 224 StGB durch die Staatsanwaltschaft die Wirksamkeit einer hoheitlichen Handlung, nämlich die Abnahme des Passes anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesasylamt, beendet habe, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Einrede der beklagten Partei auf Unzulässigkeit des Rechtsweges zu verwerfen und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung in der Sache aufzutragen.
Die beklagte Partei stellt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung den Antrag, den Revisionsrekurs der klagenden Partei im Hinblick auf den unter EUR 4.000,-- liegenden Streitgegenstand zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist entgegen der Ansicht der beklagten Partei nicht jedenfalls unzulässig, da der Bewertungsausspruch des Rekursgerichts für den Obersten Gerichtshof bindend ist, es sei denn, die zweite Instanz hätte gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt (etwa auch in Form einer offenkundigen Unter- oder Überbewertung) oder überhaupt keine Bewertung vorzunehmen gehabt oder im Fall einer offenkundigen Unter- oder Überbewertung (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 502 ZPO Rz 155 mwN und § 526 ZPO Rz 25); keiner dieser Fälle liegt hier vor.
Der Revisionsrekurs ist im Hinblick auf die vom Rekursgericht angeführte erhebliche Rechtsfrage zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist maßgeblich, ob nach dem Inhalt der Klage (Klagebegehren und Klagebehauptungen) - unabhängig von der rechtlichen Beurteilung durch die klagende Partei (1 Ob 33/99f = SZ 72/130) - seiner Natur nach ein zivilrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (7 Ob 52, 53/74 = EvBl 1975/76; 8 ObA 185/01s = SZ 2002/67 = DRdA 2003, 330, Kerschner; RIS-Justiz RS0045584). Dies gilt auch dann, wenn dem erhobenen Anspruch eine Einwendung, die sich auf einen öffentlich-rechtlichen Titel stützt, entgegengehalten wird (4 Ob 523/74 = SZ 47/40 uva; RIS-Justiz RS0045584 [T15], RS0045718 [T10]). Auf das Beklagtenvorbringen ist grundsätzlich erst in der Sachentscheidung Bedacht zu nehmen (1 Ob 605/93 = JBl 1994, 422 = RIS-Justiz RS0045584 [T18]); für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges kann es nur insoweit herangezogen werden, als dadurch das Klagsvorbringen verdeutlicht wird (10 Ob 6/05p = RIS-Justiz RS0045584 [T44]).
In diesem Sinn ist für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs im vorliegenden Fall zu untersuchen, ob die klagende Partei die beklagte Partei inhaltlich aus einem Hoheitsakt in Anspruch nimmt. Es kann nicht darauf ankommen, ob die Klage ausdrücklich nicht auf das Amtshaftungsgesetz gestützt wird (1 Ob 33/99f = SZ 72/130) und ob die klagende Partei einen auf dem allgemeinen bürgerlichen Recht beruhenden Anspruchsgrund vorzuschieben versucht (1 Ob 49, 54/95 = SZ 68/220; 1 Ob 1/96 = SZ 69/49), um den Rechtsweg beschreiten zu können. Der Rechtsweg ist - im Hinblick auf den Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung (RIS-Justiz RS0010522) - immer unzulässig, wenn mit dem begehrten gerichtlichen Vorgehen in Wirklichkeit die Vornahme oder Rückgängigmachung eines Hoheitsaktes einer Verwaltungsbehörde angestrebt wird oder sonst auf deren hoheitliches Handeln Einfluss genommen werden soll (6 Ob 2023/96k mwN).
Auch im Revisionsrekurs zieht die Klägerin nicht in Zweifel, dass die Abnahme des von ihr anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt vorgelegten Reisepasses durch hoheitliches Handeln erfolgte. Sie vertritt aber die Ansicht, dass kein Verwaltungsverfahren anhängig und das früher anhängige Strafverfahren eingestellt worden sei. Die Staatsanwaltschaft Wien habe gegenüber der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark die Erklärung abgegeben, dass der Reisepass ausgefolgt werden könne; die dem entgegenstehende Weigerung sei als rechtsgrundlos anzusehen. Die Klägerin sei demnach berechtigt, ihren Herausgabeanspruch auf die zivilrechtlichen Besitz- und Eigentumsbestimmungen zu stützen.
Damit beruft sich die Klägerin darauf, dass das hoheitliche Handeln bereits zur Gänze abgeschlossen sei. So endet beispielsweise die hoheitliche Tätigkeit mit der Aufhebung einer Beschlagnahme; ein Herausgabeanspruch wird dann ein privatrechtlicher (1 Ob 198/62 = EvBl 1963/48; Schragel, AHG3 § 1 Rz 47). Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor, geht es doch nicht um ein hoheitliches Handeln, das zeitlich begrenzt ist (wie es etwa bei der Verwahrung von beschlagnahmten Beweisgegenständen oder der Verwahrung von augenscheinlich fremdem Gut in einem Strafverfahren nach §§ 375 ff StPO der Fall ist). Vielmehr setzt die belangte Behörde bewusst ihr hoheitliches Handeln fort, indem sie den bedenklichen Reisepass (offensichtlich zwecks Verhinderung seiner Verwendung als Identitätsnachweisdokument) weiterhin einbehält. In diesem Fall steht der ordentliche Rechtsweg zur Durchsetzung eines Herausgabeanspruchs nicht offen (vgl 6 Ob 2023/96k), würde doch eine gerichtliche Entscheidung in diesem Fall darauf hinauslaufen, dass auf das hoheitliche Handeln der Verwaltungsbehörde Einfluss ausgeübt wird, was dem Grundsatz der Trennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung widerspräche.
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand, dass das wegen des Verdachts nach §§ 223 Abs 2 und 224 StGB eingeleitete Strafverfahren durch Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft Wien beendet wurde, nichts. Wie die Klägerin selbst ausführt, hat die Staatsanwaltschaft der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark mitgeteilt, dass der abgenommene Reisepass "ausgefolgt werden kann". Daraus kann keine Verpflichtung zur Ausfolgung abgeleitet werden, wäre doch die Staatsanwaltschaft zu einer entsprechenden Anweisung gegenüber der Sicherheitsdirektion mangels Kompetenz für die Vollziehung des FrG und des PassG auch gar nicht befugt.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.