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OGH vom 19.07.2016, 10Ob85/15w

OGH vom 19.07.2016, 10Ob85/15w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GesmbH, *****, vertreten durch BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 266.175,87 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 78/15p 33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 41 Cg 13/14x 29, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die klagende Gesellschaft mbH gehört nun zu einem weltweit agierenden Konzern, dessen Muttergesellschaft den Sitz in Kanada hat. Die beklagte Partei ist eine Versicherungsmakler-Aktiengesellschaft.

Im Lauf des Jahres 2012 entschied sich jener Konzern, alle bestehenden Versicherungsverträge – mit Ausnahme der Kraftfahrzeughaftpflicht-Versicherungs-verträge – abzustoßen. Diese Entscheidung war Ausfluss eines Versicherungskonzepts mit dem Ziel, „für sämtliche Unternehmen dieser Firmengruppe über einheitliche und kostensparende Verträge zu verfügen und möglichst Überschneidungen mit lokalen Versicherungen zu vermeiden“. In diesem Sinne beauftragte eine Mitarbeiterin der klagenden Partei den Franchisenehmer (Vertriebspartner) der beklagten Partei, G*****, die Verträge – mit Ausnahme der Kfz-Versicherung – zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen. Ohne Einholung weiterer Informationen über die genaue Ausgestaltung der Konzernversicherung entsprach G***** dem Wunsch der klagenden Partei und kündigte die bestehenden Verträge mit Schreiben vom zum Jahresende 2012 auf. Mit Schreiben vom widerrief der Vorstand der beklagten Partei die Kündigungen, ohne sich davor mit der klagenden Partei in Verbindung zu setzen.

Die klagende Partei verlangt von der beklagten Partei Schadenersatz aus auftragswidrigem Verhalten, weil diese eigenmächtig und auftragswidrig die Kündigung der Versicherungsverträge zurückgezogen habe, weshalb die klagende Partei für das Jahr 2013 unnütz Versicherungsprämien in der Höhe von 266.175,87 EUR tragen habe müssen. Gegen die Klageforderung wandte die beklagte Partei ursprünglich (möglicherweise) eine Gegenforderung ein, die darauf beruht, dass im Fall einer effektiven Kündigung im Jahr 2012 ein Dauerrabatt in der Größenordnung von zumindest 40.000 EUR zurückzuzahlen gewesen wäre; jedenfalls müsse sich die klagende Partei nach dem Standpunkt der beklagten Partei den daraus entstandenen Vorteil, dass wegen der Zurücknahme der Kündigung der Dauerrabatt in Höhe von zumindest 40.000 EUR nicht zurückgefordert worden sei, anrechnen lassen.

Das Erstgericht stellte die Klageforderung von 266.175,87 EUR als berechtigt und die Gegenforderung als nicht berechtigt fest; es verpflichtete die beklagte Partei, den Betrag von 266.175,87 EUR sA zu zahlen. Das eigenmächtige, den klaren Aufträgen der klagenden Partei zuwider laufende Verhalten habe zu einer Belastung der klagenden Partei mit den für das Jahr 2013 vorgeschriebenen Prämien geführt. Die Gegenforderung sei wegen des Fehlens der Gegenseitigkeit ungerechtfertigt: Die Forderung auf Rückzahlung des Dauerrabatts betreffe eine Forderung des Versicherungsunternehmens gegenüber der klagenden Partei und nicht eine Forderung der beklagten gegenüber der klagenden Partei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Revision wurde im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit nicht zugelassen.

Das Berufungsgericht verneinte eine (primäre) Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und sah in seiner rechtlichen Beurteilung den Verjährungseinwand der beklagten Partei als unberechtigt an. Die klagende Partei habe erst bei einer Besprechung am von der eigenmächtigen Rücknahme der Kündigung durch die beklagte Partei erfahren, weshalb die Klage (am ) noch innerhalb der vertraglich bestimmten Sechsmonatsfrist ab Kenntnis von Schaden und Schädiger eingebracht worden sei. G*****, (ursprünglich) Vertriebspartner der beklagten Partei, sei nicht als Wissensvertreter der klagenden Partei zu qualifizieren.

Die Haftung der beklagten Partei dem Grunde nach folge aus ihrem eigenmächtigen Schritt, von dem sie die klagende Partei nicht verständigt habe. Eine „erhebliche Mitschuld“ der klagenden Partei sei nicht erkennbar.

Die Haftung der beklagten Partei dem Grunde nach sei abschließend geklärt (weshalb ein Zwischenurteil zu erlassen sei). Offen sei die Höhe des Schadens, die aufgrund eines Vermögensvergleichs (Differenzrechnung) zu ermitteln sei. Zu Unrecht habe das Erstgericht im Vorbringen der beklagten Partei die Geltendmachung einer Gegenforderung gesehen; vielmehr habe sie sich auf Vorteilsanrechnung gestützt.

In ihrer außerordentlichen Revision stellt die beklagte Partei folgende Punkte in den Vordergrund:

– Der klagenden Partei, deren Ziel es gewesen sei, Versicherungsdeckung (aber keine Doppeldeckung mit doppelter Prämienbelastung) zu haben, sei durch das Verhalten der beklagten Partei gar kein Schaden entstanden, weil ohne die Versicherungen, hinsichtlich derer die Kündigung zurückgezogen worden sei, keine Versicherungsdeckung bestanden hätte. Im Gegenteil: Die klagende Partei sei vor Schaden bewahrt worden.

– Die Zurücknahme der Kündigungen (bis zu einer Klärung der Deckungsfrage) sei im Rahmen der Verpflichtung der beklagten Partei, die Interessen ihres Kunden zu wahren, erfolgt. Die die beklagte Partei treffende Interessenwahrungspflicht, die auch den Abschluss und die Kündigung von Versicherungsverträgen umfasse, gehe über die vom Berufungsgericht angenommene Beratungs- und Betreuungspflicht hinaus.

– Die klagende Partei treffe ein erhebliches Mitverschulden von zumindest 50 %, weil sie sich nach der Prämienvorschreibung im Jahr 2013 direkt an das Versicherungsunternehmen gewendet habe und nicht an die beklagte Partei, mit der sie durch einen aufrechten Maklervertrag verbunden gewesen sei. Durch die Nichtinformation sei der beklagten Partei die Möglichkeit genommen worden, die Verträge kostenfrei zu stornieren, sodass 2013 gar keine Prämien zu zahlen gewesen wären.

– Auch die Frage der Verjährung sei unrichtig gelöst worden. Aufgrund der Prämienvorschreibungen habe die klagende Partei bereits im März 2013 Kenntnis davon erlangt, dass die Verträge offenbar nicht ordnungsgemäß gekündigt worden seien. Angesichts des Beginns der Verjährungsfrist im März 2013 sei die Klage erst außerhalb der vereinbarten sechsmonatigen Verjährungsfrist eingebracht worden.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) dargestellt. Die Rechtsfragen, die sich stellen, können nur einzelfallbezogen gelöst werden.

1. Die Beurteilung einer Pflichtverletzung eines Maklers (auch eines Versicherungsmaklers: RIS Justiz RS0109996 [T10]) ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der dem Makler erkennbaren Interessen des Auftraggebers vorzunehmen (RIS Justiz RS0109996 [T9]). Auch das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten stellt wegen seiner Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS Justiz RS0087606 [T1]). Ebenso hängt die Frage des Eintritts der Verjährung einschließlich der Frage der Erkundigungspflicht des Geschädigten stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS Justiz RS0034327 [T20, T 23 und T 25], RS0034524 [T32, T 52 und T 55]).

2. Die vom Berufungsgericht geäußerten Rechtsansichten sind durchaus vertretbar.

2.1. Verjährung:

Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme von Schaden und Schädiger schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten darf dabei jedoch nicht überspannt werden (RIS Justiz RS0034327 [T6, T 27, T 31]).

Die beklagte Partei geht – im Hinblick auf die Prämienvorschreibung im Jahr 2013 – von einer solchen Erkundigungsobliegenheit der klagenden Partei aus. In vertretbarer Weise hat das Berufungsgericht die bei der klagenden Partei bereits im ersten Quartal des Jahres 2013 aufgetretene Erkenntnis, dass in Bezug auf die als gekündigt eingeschätzten Versicherungen „etwas“ nicht stimmt, als nicht ausreichend für ein Ingangsetzen der Verjährungsfrist bewertet. Die von der klagenden Partei kontaktierte Sachbearbeiterin des Versicherungsunternehmens hatte beim Gespräch im Jänner 2013 keine Informationen und verwies darauf, sich darum zu kümmern. Auch beim Gespräch im März 2013 konnte sie keine näheren Auskünfte erteilen. Für die klagende Partei war damals noch nicht hinreichend erkennbar, dass ein „Fehler“ der beklagten Partei vorlag; es kam auch – angesichts der Information über die Kündigung durch G***** vom und die fehlende Information durch die beklagte Partei über die Rücknahme der Kündigung eher naheliegend – ein interner Fehler des Versicherungsunternehmens in Betracht. Folgte man dem Standpunkt der beklagten Partei, würde die Erkundigungspflicht des Geschädigten überspannt.

Der vom Berufungsgericht angenommene Beginn der Verjährungsfrist mit der Besprechung am ist nicht zu beanstanden. Somit war auch unter Zugrundelegung der laut den AGB der beklagten Partei auf sechs Monate verkürzten Verjährungsfrist die Verjährung zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage am noch nicht eingetreten.

2.2. Zur Haftung der beklagten Partei dem Grunde nach:

Gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Haftung der beklagten Partei beruhe auf ihrem (bei der Zurücknahme der Kündigungen) eigenmächtigen, ohne Rücksprache mit der klagenden Partei getätigten Handeln, bestehen keine Bedenken. Der beklagten Partei war der Standpunkt der klagenden Partei wohlbekannt. Sie wäre verpflichtet gewesen, vor diesem Schritt die klagende Partei zu kontaktieren und sich um das Einverständnis zu bemühen. Selbst bei Annahme einer umfassenden Interessen-wahrungspflicht des Maklers geht es nicht an, gegen den explizit erklärten Willen des Auftraggebers zu handeln und diesem einen Versicherungsschutz aufzudrängen, den dieser (vielleicht aus Sicht eines Versicherungsunternehmens unvernünftigerweise) nicht haben will. In diesem Sinn kann auch der Standpunkt der beklagten Partei, der klagenden Partei sei gar kein Schaden entstanden, weil sie ja einen Versicherungsschutz habe, nicht nachvollzogen werden.

2.3. Zum Mitverschulden der klagenden Partei:

Ein mögliches Mitverschulden wurde vom Berufungsgericht durchaus vertretbar verneint. Wie bereits unter 2.1. dargestellt, konnte die klagende Partei im Hinblick auf die am erfolgte Rückfrage bei G***** und das Fehlen weiterer Informationen der beklagten Partei über die Rücknahme der Kündigung davon ausgehen, dass die Kündigung der Verträge wirksam erfolgt ist.

2.4. Zur Erlassung eines Zwischenurteils:

Die von der beklagten Partei im Zusammenhang mit ihren Ausführungen, der klagenden Partei sei gar kein Schaden entstanden, möglicherweise angesprochene frühere Rechtsprechung, die ein Zwischenurteil, mit dem der Anspruch dem Grunde nach bejaht wurde, nur dann für zulässig hielt, wenn feststand, dass dem Kläger ein wenn auch noch so kleiner Teil des Klagsanspruchs zustand (RIS Justiz RS0031362 [T1]), ist durch die mit der WGN 1989 novellierte Bestimmung des § 393 Abs 1 ZPO überholt (RIS Justiz RS0041036 [T1]). Nach der nunmehrigen Rechtslage kann das Gericht über den Grund des Anspruchs auch dann mit Zwischenurteil entscheiden, wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht.

Auch die frühere Rechtsprechung, wonach die Einwendung der Vorteilsausgleichung den Anspruchsgrund betreffe, erging auf dem Boden der bis zur WGN 1989 geltenden Rechtslage (RIS Justiz RS0022788 [T3]) und ist mittlerweile überholt. Der Einwand der Vorteilsausgleichung ist nunmehr erst im Verfahren über die Höhe des Anspruchs zu behandeln, selbst wenn strittig ist, ob der vom Beklagten geltend gemachte Vorteil sich überhaupt zur Ausgleichung eignet (6 Ob 54/04s).

Ob ein Vorteil vorliegt, ist aus Sicht des Geschädigten zu betrachten (vgl – zu § 1037 ABGB – RIS Justiz RS0019862 und RS0019869 [T3]).

3. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00085.15W.0719.000