OGH vom 08.05.2014, 12Os50/14s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin R***** wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom , GZ 142 Hv 148/13w 18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch IV./ sowie im Strafausspruch ebenso aufgehoben wie der unter einem gefasste Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Z 4 StPO und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am geborene Martin R***** - abweichend von der wegen §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen erhobenen Anklage (ON 10) - der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB (I./), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./) und des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.
Danach hat er - zusammengefasst und soweit zur Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz - in Wien
…
IV./ am den Michael Ri*****, der durch einen Fußtritt eines unausgeforscht gebliebenen Täters („N*****“ [US 6]) gegen das Gesicht schwer verletzt worden war (§ 84 Abs 1 StGB) und eine verschobene Nasenbeinfraktur, einen Bruch des rechten Orbitabodens und ein Monokelhämatom, somit eine an sich schwere Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von mehr als 24-tägiger Dauer erlitten hatte, im Stich gelassen, indem er gemeinsam mit dem unbekannten Täter die Flucht ergriff und es unterlassen hat, die erforderliche erste Hilfe zu leisten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die zu Gunsten des Angeklagten ausgeführte Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) der Staatsanwaltschaft, die eine Unterstellung der zu IV./ beschriebenen Tat unter § 95 Abs 1 erster Fall StGB anstrebt.
Die Beschwerdeführerin zeigt zutreffend auf, dass die getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB nicht tragen, weil die Verletzungen des Zeugen Michael Ri***** vom nicht ausgeforschten Täter namens „N*****“ verursacht wurden (US 6 erster Absatz) und vom Vorsatz des Angeklagten nicht umfasst waren (US 7 letzter Absatz). Als Täter des Sonderdelikts nach § 94 StGB kommt aber nur in Betracht, wer die Verletzung eines anderen am Körper (mit )verursacht hat ( Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 94 Rz 7; Jerabek in WK² StGB § 94 Rz 5), was auf den Angeklagten nicht zutrifft. Dieser Schuldspruch war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben.
Eine von der Staatsanwaltschaft eventualiter angestrebte sofortige Entscheidung in der Sache (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO) kommt nicht in Betracht, weil nach den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite der Angeklagte lediglich sah, dass der Zeuge Michael Ri***** durch den Tritt in das Gesicht verletzt wurde und ihm bewusst war, dass er Hilfe benötigte, er aber dennoch davonrannte (US 6). Der zumindest bedingte Vorsatz des Täters hat aber, neben dem Unglücksfall und der Unterlassung des Beistands, die - in objektiver Hinsicht noch ausreichend festgestellte (vgl Jerabek in WK² StGB § 95 Rz 13) - aus dem Unglücksfall folgende Gefahr (hier:) einer beträchtlichen Körperverletzung (Gesundheitsschädigung) und die (offensichtliche) Notwendigkeit der Hilfeleistung zur Gefahrenabwehr zu umfassen ( Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 95 Rz 41; Jerabek in WK² StGB § 95 Rz 23). Solche, die innere Tatseite des Angeklagten betreffenden Konstatierungen, insbesondere zur Schwere der Verletzungen, hat das Gericht jedoch nicht getroffen, obwohl diese der Verantwortung des Angeklagten, „N*****“ habe mit seinem rechten Fuß bzw Schienbein mit Anlauf in das Gesicht des Zeugen Michael Ri***** getreten, der geschrien und seine Hände aufs Gesicht gehalten hat (ON 6 S 33; ON 17 S 6), indiziert waren. Darüber hinaus fehlt es an Konstatierungen zur Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Sinne des § 95 Abs 2 StGB.
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Schuldspruch IV./ sowie im Strafausspruch ebenso aufzuheben wie der unter einem gefasste Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Z 4 StPO und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.