OGH vom 12.12.2017, 14Os107/17t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Andreas W***** wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB, AZ 12 Hv 44/05i des Landesgerichts Leoben, über den auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom , AZ 8 Bs 167/16v (ON 34 der Hv-Akten) bezogenen Antrag der Generalprokuratur auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom , GZ 12 Hv 44/05i27, verfügt, der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom , AZ 8 Bs 167/16v, aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung über die Beschwerde des Andreas W***** an dieses Gericht verwiesen.
Text
Gründe:
Mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Landesgerichts Leoben vom , GZ 12 Hv 44/05i-10, wurde Andreas W***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt.
Mit Beschluss vom , GZ 12 Hv 44/05i-27, wies das erkennende Gericht die Anträge des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach § 353 StPO und Beigebung eines Verteidigers gemäß § 61 Abs 2 StPO (ON 26) ab.
Diese Entscheidung wurde Andreas W***** am in der Justizanstalt Wien-Mittersteig, in der er sich zumindest seit Februar 2013 zu AZ 12 Hv 85/11b des Landesgerichts Leoben im Maßnahmenvollzug (§ 21 Abs 2 StGB) befand, zugestellt (Zustellnachweis in ON 27).
Mit per datierter Eingabe (ON 30) erhob der Verurteilte dagegen Beschwerde, die am zur Post gegeben wurde (vgl Kuvert bei ON 30).
Schon an diesem Tag langte beim Erstgericht eine weitere, unter Bezugnahme auf das eben genannte Rechtsmittel als „Richtigstellung“ bezeichnete handschriftliche Eingabe des Andreas W***** vom ein (ON 28).
Mit Beschluss vom , AZ 8 Bs 167/16v (ON 34), wies das Oberlandesgericht Graz die Beschwerde vom gemäß § 89 Abs 2 StPO als (gemeint:) verspätet zurück, weil es aufgrund des auf dem Eingabekuvert befindlichen Postvermerks davon ausging, dass das Schreiben erst am , sohin nach Ablauf der 14tägigen Beschwerdefrist (am ; § 88 Abs 1 StPO), eingebracht worden wäre. Ebenso verfuhr das Beschwerdegericht mit der Eingabe vom , die es auf der gleichen Sachverhaltsgrundlage als eigenständige – damit gleichfalls verspätet eingebrachte – Beschwerde gegen den oben bezeichneten Beschluss des Landesgerichts Leoben wertete.
Erst in einem an das Bundesministerium für Justiz gerichteten, als „Beschwerde“ titulierten Schreiben vom wies Andreas W***** darauf hin, dass er seine Beschwerdeschrift vom bereits am an einen Justizwachebeamten der Justizanstalt Wien-Mittersteig zur Weiterleitung übergeben habe, was die Anstaltsleiterin über Ersuchen des Bundesministeriums für Justiz unter Anschluss entsprechender Aufzeichnungen mit Note vom bestätigte.
Rechtliche Beurteilung
Diese (nachträglich hervorgekommenen) Urkunden wecken – wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend aufzeigt – erhebliche Bedenken an den Annahmen des Oberlandesgerichts, die Beschwerde des Verurteilten vom sei verspätet eingebracht worden und dessen davor beim Erstgericht eingelangte Eingabe vom sei nicht als deren Ergänzung oder Korrektur, sondern als selbständige und damit gleichfalls verspätete Beschwerde zu werten:
Bei rechtzeitiger Abgabe eines Rechtsmittels einer in Haft befindlichen Person an die Leitung der Justizanstalt ist die Rechtsmittelfrist auch dann gewahrt, wenn es erst nach Fristablauf weitergeleitet wird (RISJustiz RS0106085 [T1, T 3]; Murschetz, WKStPO § 84 Rz 9).
Vorliegend fiel der letzte Tag der gemäß § 88 Abs 1 StPO 14tägigen Beschwerdefrist auf den . Die Weiterleitung der an diesem Tag einem Beamten der Justizanstalt übergebenen Beschwerde vom erst am kann dem in Haft befindlichen Verurteilten nicht zum Nachteil gereichen (erneut RISJustiz RS0106085).
Somit ist eine (nicht vom Obersten Gerichtshof getroffene) Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv unrichtigen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten ist. Da die so entstandene Benachteiligung des Verurteilten auf anderem Weg nicht behoben werden kann, war dies durch Verfügung der außerordentlichen Wiederaufnahme auf die im Spruch ersichtliche Weise in analoger Anwendung des § 362 Abs 1 Z 2 StPO zu sanieren
(zur analogen Anwendung dieser Bestimmung auch auf Beschlüsse vgl Ratz, WK-StPO § 362 Rz 4 und § 292 Rz 16; RIS-Justiz RS0117312 [T3, T 4, T 8], RS0117416 [T6]).
Bei der Entscheidung über die Beschwerde des Andreas W***** wird das Oberlandesgericht das ergänzende Vorbringen im Schreiben vom zu berücksichtigen haben (§ 89 Abs 2b StPO; RISJustiz RS0118014).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00107.17T.1212.000 |
Schlagworte: | Strafrecht; |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.