OGH vom 17.12.2012, 10ObS167/12z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert und Dr. Christoph Kainz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Michael Ebner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1030 Wien, Ghegastraße 1, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 71/12s 11, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Der Kläger bezieht eine Pension und eine Unfallrente. Seine im gemeinsamen Haushalt lebende Gattin führte neben dem Bezug ihrer Pension einen landwirtschaftlichen Eigenbetrieb mit einer Fläche von 4,252 ha, dessen Einheitswert mit 1.400 EUR festgestellt ist. Dem Kläger wurde im Jahr 2009 eine Ausgleichszulage von monatlich 163,68 EUR, im Jahr 2010 von monatlich 164,71 EUR und ab von 165,23 EUR monatlich gewährt. Ab trat die Gattin des Klägers in einen vom Kläger abgeschlossenen Pachtvertrag über zwei Almen im Ausmaß von 13,23 ha ein, die als Sommerweide für Rinder genutzt werden. Der Abschluss des Almpachtvertrags wurde der beklagten Sozialversicherungsanstalt nicht gemeldet.
Mit Bescheid vom wurde die Ausgleichszulage neu festgesetzt und zwar mit 152,40 EUR von bis , mit 153,16 EUR von bis , mit 153,43 EUR von bis und mit 269,77 EUR ab . Der in der Zeit von bis entstandene Überbezug von 304,56 EUR wurde zurückgefordert.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Auszahlung einer höheren als mit Bescheid gewährten Ausgleichszulage und die Abstandnahme von der Rückforderung des Überbezugs. Er bringt zusammengefasst vor, die bewirtschaftete Fläche sei de facto trotz der Zupachtung der Almflächen unverändert geblieben. Bei den Almflächen handle es sich um Ersatzflächen für den Wegfall von Weiderechten. Der Einheitswert betrage weiterhin 1.400 EUR.
Die beklagte Partei wendete ein, aufgrund des Almpachtvertrags und der damit einhergehenden Vergrößerung der bewirtschafteten Flächen sei ein Einheitswert des von der Gattin des Klägers geführten landwirtschaftlichen Betriebs von nunmehr insgesamt 1.568,60 EUR zu berücksichtigen. Das nach § 140 Abs 5 BSVG zu ermittelnde monatliche Nettoeinkommen der Gattin des Klägers habe sich infolge der Zupachtung im Jahr 2009 von 157,90 EUR auf 169,18 EUR; im Jahr 2010 von 161,69 EUR auf 173,24 EUR, im Jahr 2010 von 161,69 EUR auf 173,24 EUR und im Jahr 2011 von 165,08 EUR auf 176,88 EUR erhöht. Dadurch habe sich die Differenz auf den maßgeblichen Familienrichtsatz entsprechend verändert.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer monatlichen Ausgleichszulage wie aus dem Bescheid ersichtlich und wies das Mehrbegehren ab. Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, den Überbezug von 304,56 EUR zurückzuzahlen, wurde ebenfalls abgewiesen und der Kläger zur Rückzahlung von 304,56 EUR verpflichtet.
Das Erstgericht traf die Feststellung, dass der Einheitswert der zugepachteten Almflächen 168,60 EUR betrage. Rechtlich ging es soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz davon aus, es sei das Nettoeinkommen der im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegattin zu berücksichtigen, das bei einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb 70 % des Versicherungswerts darstelle. Der Versicherungswert ergebe sich wiederum aus einem Hundertsatz des zuletzt iSd § 25 BewertungsG festgestellten Einheitswerts. Bei Zupachtung einer landwirtschaftlichen Fläche sei abweichend von diesem Einheitswert von einem um zwei Drittel des anteilsmäßigen Ertragswerts der gepachteten Fläche erhöhten Einheitswert auszugehen, im vorliegenden Fall von 1.568 EUR (1.400 EUR zuzüglich 168,60 EUR). Selbst für den Fall, dass der Kläger bis die Almflächen selbst gepachtet und bewirtschaftet haben sollte, (was seinem Vorbringen entspräche, es sei „de facto“ zu keiner Änderung der Größe der bewirtschafteten Fläche gekommen), wäre dennoch der Übergang an seine Ehegattin jedenfalls meldepflichtig gewesen.
Das Berufungsgericht gab der allein auf den Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Tatsachenfeststellung gestützten Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte aus, dass der Sozialversicherungsträger und im Wege der sukkzessiven Kompetenz auch das Gericht nicht zur Feststellung eines eigenen Einheitswerts für die Belange der Sozialversicherung befugt sei. Der von den Finanzbehörden zuletzt festgestellte Einheitswert sei daher auch dem vorliegenden Sozialrechtsverfahren zu Grunde zu legen. Im Fall von Zupachtungen sei dieser Einheitswert nach der in § 23 Abs 3 lit d BSVG enthaltenen gesetzlichen Anordnung um den um ein Drittel verminderten anteilsmäßigen Ertragswert der Pachtflächen zu erhöhen, also um 168,60 EUR auf 1.568,60 EUR und auf 1.500 EUR abzurunden (§ 25 BewG). Der anteilige Ertragswert der zugepachteten Flächen sei aber nicht vom Gericht „eigenständig“, sondern an Hand des von den Finanzbehörden festgestellten Einheitswerts bzw an Hand der von den Finanzbehörden festgestellten Hektarsätze zu ermitteln. Ausgehend von dieser Rechtsansicht verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen von Verfahrensmängeln, ließ die Mängelrüge teils unerledigt und übernahm die vom Erstgericht getroffenen im Wesentlichen dem Anstaltsakt entnommenen Feststellungen. Es führte zur Klarstellung aus, die erstgerichtliche Feststellung eines „Einheitswerts“ von 168,60 EUR für die zugepachteten Almflächen sei aus dem Gesamtzusammenhang klar erkennbar dahin zu verstehen, dass dieser Betrag den um ein Drittel des anteiligen Ertragswerts verminderten Ertragswert der Pachtflächen iSd § 23 Abs 3 lit d BSVG darstelle. Dass der Kläger eine schon vor dem allenfalls stattgefundene Zupachtung und Bewirtschaftung bereits früher hätte melden müssen und dies schon zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Neubemessung der Ausgleichszulage geführt hätte, ändere nichts daran, dass die beklagte Partei jedenfalls ab eine Neuberechnung durchführen durfte. Sollte es in der Vergangenheit zu einem Wegfall von Weiderechten gekommen sein, hätte die Finanzbehörde den Einheitswert des Eigenbetriebs neu festzusetzen gehabt. Im Sozialrechtsverfahren sei aber der zuletzt von der Finanzbehörde festgesetzte Einheitswert bindend zu Grunde zu legen und im Fall von Zupachtungen iSd § 23 Abs 3 lit d BSVG zu erhöhen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Klägers ist unzulässig.
Der Revisionswerber hält an seinem Standpunkt fest, es sei trotz der Zupachtungen weiterhin von einem unverändert gebliebenen Einheitswert von 1.400 EUR auszugehen. Die Vorinstanzen hätten den Ertragswert (Versicherungswert) nach Abführung der angebotenen Beweise eigenständig in dieser Höhe festzusetzen gehabt. Dass das Berufungsgericht die Mängelrüge als nicht berechtigt erkannt bzw teilweise unerledigt gelassen habe, begründe einen Mangel des Berufungsverfahrens. Das Abstellen auf „veraltete und zu niedrige“ Einheitswerte sei verfassungswidrig,
Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
1. Auch Verfahrensfehler der zweiten Instanz von
erheblicher Bedeutung unterliegen der Prüfung durch den Obersten Gerichtshof. Eine solche
erhebliche Bedeutung kommt der Entscheidung jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen (RIS Justiz RS0041032 [T1]), etwa wenn das Berufungsgericht einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht behandelt hat (RIS Justiz RS0043051; RS0041032 [T2]).
2. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung zeigt der Revisionswerber aber nicht auf:
2.1. Gemäß § 140 Abs 2 BSVG ist bei Ermittlung der Ausgleichszulage auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen. Der Ermittlung des Nettoeinkommens aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb sind 70 % des Versicherungswerts dieses Betriebs zugrunde zu legen. Dieser Betrag, gerundet auf Cent, gilt als monatliches Nettoeinkommen aus einem land (forst )wirtschaftlichen Betrieb (§ 140 Abs 5 BSVG). Der Versicherungswert ist gemäß § 23 Abs 2 BSVG ein Hundertsatz des Einheitswerts des land und forstwirtschaftlichen Betriebs, wobei der zuletzt iSd § 25 BewG festgestellte Einheitswert des land forst )wirtschaftlichen Betriebs zu Grunde zu legen ist. Der landwirtschaftliche Einheitswert orientiert sich wesentlich am Ertrag der Liegenschaften (RIS Justiz RS0085398).
3. Bei Zupachtung einer land (forst )wirtschaftlichen Fläche ist bei Bildung des Versicherungswerts gemäß § 23 Abs 2 BSVG ein um den anteilsmäßigen Ertragswert der gepachteten Fläche erhöhter Ertragswert zu Grunde zu legen (§ 23 Abs 3 lit d BSVG).
3.1. § 23 Abs 3 lit d BSVG nimmt somit auf einen Fall Bedacht, in dem der von der zuständigen Finanzbehörde festgestellte Einheitswert für Zwecke der Ermittlung des Versicherungswerts unbrauchbar wäre, weil die zuständige Finanzbehörde bei der Ermittlung des Einheitswerts weder auf Zupachtungen noch auf Verpachtungen Bedacht nimmt, da diese bei der Bewertung dem Eigentümer (des Verpächterbetriebs) zugerechnet werden. Für die Ermittlung des Versicherungswerts soll aber der Einheitswert der vom betreffenden Betriebsführer tatsächlich auf seine Rechnung und Gefahr bewirtschafteten Fläche maßgebend sein. Es muss daher dem Versicherungsträger die Möglichkeit eingeräumt werden, den von der zuständigen Finanzbehörde festgestellten Einheitswert in bestimmten Fällen abzuändern. Somit bleibt es der Rechtsanwendung überlassen, in solchen Fällen die sich daraus ergebende Änderung des Versicherungswerts selbstständig wahrzunehmen ( Teschner/Widlar , BSVG, 67. Erg Lfg § 23 Anm 6; Radner/Gahleitner 3 , Bauernsozialversicherung, 1. Lieferung 2011 § 23 Fn 6).
3.2. Dabei wird für die Bildung des Versicherungswerts der anteilsmäßige Ertragswert der gepachteten Fläche um ein Drittel vermindert (§ 23 Abs 3 lit d BSVG). Dass von den für die Pachtflächen in Betracht kommenden „anteilsmäßigen“ Ertragswerten auszugehen ist, bedeutet, dass auf die in den Einheitswertbescheiden betreffend den verpachteten Betrieb zugrundegelegten Hektarsätze zurückzugreifen ist. Für eine eigenständige Ermittlung eines Ertragswerts durch den Sozialversicherungsträger etwa durch den Vergleich mit den (steuerlichen) Ertragswerten der den gepachteten Flächen benachbarten Liegenschaften bleibt kein Raum (VwGH 82/08/0033).
4. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 140 Abs 5 BSVG bestehen keine Bedenken. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu der gleichlautenden Bestimmung des § 149 Abs 5 GSVG ausgeführt hat, handelt es sich um die Ermittlung des Nettoeinkommens aus einem noch geführten land (forst )wirtschaftlichen Betrieb unter Bedachtnahme auf den Versicherungswert dieses Betriebs, der wieder ein Hundertsatz des Einheitswerts ist und die Grundlage für die Bemessung der Beiträge in der Kranken und Pensionsversicherung für die gemäß § 2 Abs 1 Z 1 und 3 BSVG Pflichtversicherten bildet. Damit knüpft das Gesetz zwar nicht an den tatsächlichen Ertrag des land (forst )wirtschaftlichen Betriebs an, wohl aber an das bei ordnungsgemäßer Betriebsführung erzielbare durchschnittliche Betriebsergebnis (RIS Justiz RS0085398). Diese pauschalierte Ermittlung des Einkommens erscheint verfassungsrechtlich unbedenklich, weil der Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen darf. Dem Gesetzgeber muss es insbesondere auch im Interesse der Verwaltungsökonomie gestattet sein, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (10 ObS 253/93, SSV NF 8/3 mwN).
5.1 Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung weicht das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung über die Mängel und Tatsachenrüge nicht ab. Ein Mangel des Berufungsverfahrens, weil das Berufungsgericht ausgehend von seiner zutreffenden Rechtsansicht die Mängelrüge teils nicht behandelt hat und eine Beweisergänzung unterlassen hat, liegt demnach nicht vor. Soweit das Berufungsgericht die Mängelrüge ohnedies erledigt hat, sind auch in Sozialrechtssachen in zweiter Instanz verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz in dritter Instanz nicht mehr anfechtbar (RIS Justiz RS0043061).
5.2. Der Kläger hat sich in seiner Berufungsschrift nicht auch auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützt. Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in der nunmehr in der Revision erstmals geltend gemachten Rechtsrüge ist dem Revisionsgericht daher verwehrt.
Dies führt zur Zurückweisung der Revision als unzulässig.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2012:010OBS00167.12Z.1217.000