OGH vom 19.02.2016, 8Ob122/15x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Dr. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Sudi Siarlidis Huber Ehß Rechtsanwälte OG in Graz, gegen den Beklagten A*****, vertreten durch Dr. Johannes Dörner, Dr. Alexander Singer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung (3.000 EUR), Beseitigung (3.000 EUR) und Wiederherstellung (3.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 6.000 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 6 R 116/15w 25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom , GZ 209 C 318/14d 18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften. Zugunsten des Grundstücks des Klägers ist auf dem Grundstück des Beklagten die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts einverleibt. Diese Wegedienstbarkeit räumte der Beklagte dem Käufer des Grundstücks (und dessen Rechtsnachfolgern) im Jahr 2004 ein, wobei er selbst in diesem Kaufvertrag die Verpflichtung zur Errichtung des Servitutswegs „ durch Aushub, Grob und Feinbeschotterung samt Planie zur auch mit LKW befahrbaren Straße “ auf eigene Kosten übernahm. Der Beklagte führte jedoch nach dem Verkauf im Jahr 2004 nur den Aushub des Wegs (als Vorbereitung für die Errichtung und Vorstufe für die laut Vertrag vorzunehmende Einschotterung) durch. Weitere Arbeiten unterblieben, weshalb der Weg nur begehbar, aber nicht mit Pkws, sondern nur allenfalls mit einem Traktor befahrbar war. Der Käufer beanstandete dies nie, weil er sich um das Grundstück nicht kümmerte. Durch den Aushub entstand eine Geländekante (von rund 50 cm) gegenüber dem Grundstück des Käufers, die durch das vertraglich vorgesehene Schottern des Wegs beseitigt worden wäre. Im Jahr 2013 entfernte der Beklagte diese Abgrabung.
Der Kläger erwarb das Grundstück im Februar 2014. Zu diesem Zeitpunkt war der Weg ausgesteckt und konnte mit Pkws befahren werden. Etwa zwei Wochen nach dem Kauf des Grundstücks durch den Kläger errichtete der Beklagte auf dem Weg einen Misthaufen, der vorher an einer anderen Stelle seines Grundstücks positioniert gewesen war.
Der Kläger begehrte vom Beklagten die Entfernung des Misthaufens, die Wiederherstellung und die Unterlassung künftiger derartiger Störungen. Bis zur Errichtung des Misthaufens auf dem Weg im Februar 2014 habe die Zufahrt zu seinem Grundstück über das des Beklagten ohne Hindernis erfolgen können.
Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, er habe ab dem Jahr 2006 ein Hindernis in Form einer Geländekante von 50 bis 70 cm errichtet, das für Fahrzeuge nicht überwindbar und auch für das Gehen hinderlich gewesen sei. Der Rechtsvorgänger des Klägers habe sich dem gefügt und sei nicht über das Grundstück gegangen oder gefahren. Ein gutgläubiger Erwerb der Servitut durch den Kläger sei nicht erfolgt, weil der Beklagte den Kläger vor dem Kauf davon informiert habe, dass er die Zufahrt wegen der erfolgreichen Freiheitsersitzung verweigere.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren (Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands) unbekämpft ab. Eine Freiheitsersitzung komme nicht in Betracht, weil der laut Vertrag zu errichtende Weg und damit die objektive Möglichkeit zur Ausübung der Dienstbarkeit noch gar nicht gegeben gewesen sei. Das Wiederherstellungsbegehren sei mit dem Beseitigungsbegehren ident.
Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Beklagten erhobenen Berufung keine Folge. Der Beklagte habe nach dem Kaufvertrag aus dem Jahr 2004 kein Hindernis errichtet, sondern nur einen ersten Arbeitsschritt für die Ausübung der Servitut gesetzt; dass er die Arbeiten dann nicht wie vertraglich vorgesehen fortgesetzt und abgeschlossen habe, bedeute keine für den damals Berechtigten wahrnehmbare Widersetzung im Sinn des § 1488 ABGB.
Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass der Frage, ob die nicht vollendeten Arbeiten zur Herstellung eines vertraglich vereinbarten Wegs Widersetzlichkeit im Sinn des § 1488 ABGB darstellen können, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, sie dahin abzuändern, dass auch das Unterlassungs und Beseitigungsbegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird die Aufhebung begehrt.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Eine „Freiheitsersitzung“ nach § 1488 ABGB erfordert die Inanspruchnahme des Vollrechts durch den Eigentümer der belasteten Liegenschaft in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts, die dessen Ausübung verhindert. Die Frage, ob im Einzelfall der Verlust der Servitut eingetreten ist, muss aufgrund der konkreten Umstände beurteilt werden (RIS Justiz RS0034241 [T6]) und bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0034288 [T2]; RS0034241 [T9]). Dies gilt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch für den hier zu entscheidenden Fall der nicht vollendeten Arbeiten zur Herstellung eines vertraglich vereinbarten Wegs.
Der Begriff der Widersetzlichkeit in § 1488 ABGB vereint eine physische Komponente, nämlich die Widersetzungshandlung, die für den Berechtigten wahrnehmbar und manifest sein muss, und eine zeitliche, nämlich keine bloß vorübergehende Störung (RIS Justiz RS0034241 [T7]). Dass sich der Verpflichtete der tatsächlichen Ausübung der Dienstbarkeit widersetzen müsse, ist nach der neueren Judikatur nicht mehr erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Dienstbarkeitsberechtigte das Hindernis, das die Ausübung seiner Dienstbarkeit zumindest beeinträchtigt, bei gewöhnlicher Sorgfalt hätte wahrnehmen können (RIS Justiz RS0034271 [T10, T 11]). Es genügt die Errichtung eines Hindernisses, das die Ausübung des Rechts für den Berechtigten wahrnehmbar unmöglich macht oder beeinträchtigt (RIS Justiz RS0037141, zuletzt 9 Ob 40/15w).
2. Der Revisionswerber gesteht hier selbst zu, dass die zwischen den Grundstücken bis zum Jahr 2013 vorhandene Geländekante, die er nun als „Hindernis“ für die Ausübung der Wegedienstbarkeit ansehen will, nur eine Auswirkung seines ersten Arbeitsschritts zur Herstellung des laut vertraglicher Verpflichtung von ihm zu errichtenden Wegs (und ein bloßes „Provisorium“) war. Dass der Rechtsvorgänger des Klägers diesen Zustand „akzeptiert“ (und auf die Herstellung des Wegs verzichtet?) hätte, lässt sich dem Sachverhalt entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht entnehmen. Der Beklagte hat kein Hindernis für die Ausübung der Wegedienstbarkeit errichtet, sondern er hat die Arbeiten, zu denen er nach dem Vertrag mit dem Rechtsvorgänger des Klägers verpflichtet war, nicht fortgesetzt und zum Abschluss gebracht. Aus dieser Vorgangsweise konnte der damalige Servitutsberechtigte jedoch gerade nicht ableiten, dass der Beklagte den Weg auch in weiterer Folge nicht errichten würde.
Die Beurteilung der Vorinstanzen, nach der hier eine Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB nicht in Betracht kommt, ist jedenfalls vertretbar. Eine erhebliche Rechtsfrage wird damit weder vom Berufungsgericht noch in der Revision aufgezeigt.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00122.15X.0219.000