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VfGH vom 26.09.1995, B2177/94

VfGH vom 26.09.1995, B2177/94

Sammlungsnummer

14234

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen beleidigender Äußerungen in einem Schriftsatz

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer war im Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz, Z 18 Vr 2920/91, Verteidiger des Angeklagten B L, dem mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz vom das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB vorgeworfen wurde.

1.2. In dem Einspruch gegen die Anklageschrift vom führte der Beschwerdeführer u.a. folgendes aus:

"Daß jetzt ein Chaos herrscht, ist allein das Verschulden der gesetzwidrigen erfolglosen Beschlagnahme 1987 und der ebenso erfolglosen verfahrensgegenständlichen Beschlagnahme. Wenn man mich und die Beteiligten, wie es die §§97 und 145 StPO zwingend vorschreiben, beigezogen und mich nicht im Gegenteil gesetzwidrig entfernt hätte, dann hätte man darauf aufmerksam machen können, daß wir im Computer ein Aktenverzeichnis mit Bezeichnung der Aktenlade und Aktennummer nach Stichworten hatten. Um sich das Tragen zu erleichtern, wurden von den Gerichtsorganen unter Aufsicht des Pfuscher-Gutachters Ladeninhalte - in Unkenntnis dieses perfekten Ordnungssystemes einfach zusammengeleert.

Beweis: Mag. G S, Rechtsanwaltsanwärter, per Adresse Dr. N S, Ing. H P, Aktenvermerke über diese Sauerei."

1.3. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom wurde über den Beschwerdeführer wegen dieses Schriftsatzes und eines anderen Schreibens als Disziplinarstrafe eine Geldbuße in Höhe von S 15.000,-- verhängt.

1.4. Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom teilweise Folge gegeben und das erstinstanzliche Erkenntnis dahin abgeändert, daß der Beschwerdeführer eine Berufspflichtenverletzung und die Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nur wegen des Ausdrucks "Sauerei" begangen habe; für dieses Vergehen wurde über ihn die Disziplinarstrafe der Geldbuße in Höhe von S 10.000,-- verhängt; weiters wurde ihm gemäß § 41 Abs 2 DSt der Ersatz von einem Drittel der Verfahrenskosten aufgetragen.

1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Die OBDK als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Die OBDK begründet den angefochtenen Bescheid u.a. wie folgt:

"Anders liegt der Fall aber bei der Verwendung des Ausdruckes Sauerei. Dabei handelt es sich um eine glatte Beschimpfung, die noch dazu zur abschließenden Beurteilung des vom Disziplinarbeschuldigten vorgetragenen Sachverhaltes völlig überflüssig war. Schlichte und bloße Ehrenbeleidigungen können aber nicht den Schutz des § 9 Abs 1 RAO genießen; diese Äußerung verstieß somit gegen den Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, sodaß darin sehr wohl ein disziplinär zu ahndendes Verhalten des Disziplinarbeschuldigten zu erblicken ist."

2.2. Der Beschwerdeführer führt in seiner Beschwerde dagegen aus:

"Was nunmehr die inkriminierende Äußerung im Beweisanerbieten:

'Aktenvermerke über diese Sauerei' anbelangt, so ist dem vorweg in Zusammenhalt mit der Schilderung im genannten Schriftsatz eine beleidigende Absicht nicht zu unterstellen und könnte, wenn, so allenfalls als Unmutsäußerung über die erfolgte Situation gesehen werden, wonach ohne Befragung, ohne Beiziehung des Beschuldigten, ohne Rücksichtnahme um welche Unterlagen es sich hiebei tatsächlich handelt, LKW-fuhrenweise Urkunden und Unterlagen abtransportiert wurden, ohne daß dieselben ordnungsgemäß verzeichnet, noch die Behälter hiefür versiegelt worden wären, noch diese Unterlagen dem U-Richter zugekommen sind, sondern tatsächlich völlig frei dem Sachverständigen zur Einsicht und Auswahl zur Verfügung standen, wodurch diesbezüglich ein wohl noch nicht dagewesenes Chaos im Zusammenhang mit Beschlagnahmen eingetreten ist, das insbesondere im Hinblick auf die 'nicht' Verwahrung beschlagnahmter Urkunden dritter und völlig unbeteiligter Personen die Bezeichnung in meiner Verteidigung als 'Sauerei' im Beweisanerbieten hat einfließen lassen.

Der gerichtlichen Anordnung der Beschlagnahme konnte und hat wohl dieses tatsächliche Vorgehen nicht entsprochen und ist auch hieraus nicht ersichtlich, wer einer beleidigenden Äußerung durch die Bezeichnung im Beweisanerbieten allenfalls hätte bezichtigt werden sollen.

Soweit mir, ob des letztendlich durch die Beschlagnahme eingetretenen Chaos die im Beweisanerbieten angeführte Bezeichnung gleichsam herausgerutscht ist, so sollte hiemit ausschließlich die Planlosigkeit des eingetretenen Geschehens drastisch an den Tag gebracht werden, um hiedurch das wohl dringend angestanden gewesene Abstellen dieses Mißstandes zu bewirken, mit dem ich mich letztendlich noch in der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das erstinstanzliche Urteil im Strafverfahren auseinandersetzen mußte, aus welchem Grunde ebenfalls zu ersehen ist, daß die diesbezügliche Bezeichnung im Schriftsatz in ihrer Wertung keinesfalls auf gerichtliche Maßnahmen bezogen wurde, andererseits mir gleichsam in gerechtfertigter Entrüstung der vorgekommenen Umstände als Unmutsäußerung herausgerutscht ist."

2.3. Der Verfassungsgerichtshof vermag sich den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht anzuschließen:

2.3.1. Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 10700/1985, 12086/1989 und 13612/1993).

2.3.2. Die Qualifikation eines behördlichen Verhaltens als "Sauerei" ist offenkundig ein gegenüber der Behörde ungebührliches Verhalten, das den Rahmen des durch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Freiheit der Meinungsäußerung geschützten Bereiches an zulässiger Kritik überschreitet. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt, daß die vom Beschwerdeführer vorgenommene Qualifikation des behördlichen Verhaltens eine schlichte Ehrenbeleidigung darstellt. Aus den Umständen ergibt sich eindeutig, daß diese gegen die einschreitenden Organe gerichtet war. Wenn der Beschwerdeführer gegen diese Qualifikation seines Verhaltens einwendet, er habe nicht in beleidigender Absicht gehandelt, so ist ihm entgegenzuhalten, daß es nicht auf die behauptete Motivation, sondern auf das tatsächlich gesetzte Verhalten ankommt. Daß für eine Äußerung der inkriminierten Art im Beweisanbot kein vertretbarer Anlaß bestand, ergibt sich auch daraus, daß im Sachvorbringen bereits in scharfen Worten alles vorgebracht war, was zur Wahrung der Rechtsposition des Mandanten vorzubringen war. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen vermag der Verfassungsgerichtshof ein in die Verfassungssphäre reichendes Fehlverhalten der belangten Behörde nicht zu erkennen, zumal derartige Ehrenbeleidigungen im Hinblick darauf, daß die Wahrung des Anstandes im Verkehr mit Behörden und deren Organwaltern in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, durch das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung niemals gerechtfertigt werden können.

2.3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen (vgl. zB VfSlg. 13419/1993 und 13606/1993, jeweils mit weiteren Judikaturnachweisen).

2.4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.