VfGH vom 26.02.1996, B2141/95
Sammlungsnummer
14409
Leitsatz
Keine Bedenken gegen die Beschränkung der Möglichkeit von Rechtsanwälten zur Eingehung bestimmter Dienstverhältnisse mit anwaltlichen Tätigkeiten; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über eine Rechtsanwältin wegen Beschäftigung einer bei einer Mietervereinigung tätigen Konzipientin; Verstoß gegen das im Strafrecht geltende Analogieverbot durch die dadurch erfolgte Erstreckung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung auf Rechtsanwälte als Dienstgeber
Spruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin in Wien. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom wurde sie für schuldig erkannt, in der Zeit vom bis zum Tag der Fällung dieses Erkenntnisses in ihrer Kanzlei die Rechtsanwaltsanwärterin Dr. R A beschäftigt zu haben, obwohl diese als Angestellte bei der Mieter-Interessens-Gemeinschaft Österreichs deren Mitglieder rechtlich beraten und in § 37 MRG Verfahren vertreten habe, was eine Tätigkeit darstelle, die zu den befugten Tätigkeiten einer Rechtsanwältin zähle.
Die Beschwerdeführerin wurde wegen der Disziplinarvergehen der Berufspfichtenverletzung sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße in Höhe von S 20.000,-- und zum anteiligen Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.
1.2. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) erhoben, der jedoch mit Erkenntnis vom nicht Folge gegeben wurde. Die OBDK begründete ihre Entscheidung im einzelnen wie folgt:
"Dem Berufungseinwand eingetretener Verfolgungsverjährung genügt es - abgesehen davon, daß im Hinblick auf das Einlangen der Anzeige beim Disziplinarrat am die Voraussetzungen für den Eintritt der Verfolgungsverjährung nach altem Recht zu prüfen wären, insoweit aber angesichts der bereits am erfolgten Bestellung eines Untersuchungskommissärs der Ablauf der 6-monatigen Verjährungsfrist nicht stattfinden konnte - zu erwidern, daß nach Lage des Falles ein (bis zum Erkenntnis des Disziplinarrates verübtes) Dauerdelikt vorliegt. Im Sinne des § 2 a Abs 4 DSt 1872 (= § 2 Abs 4 DSt 1990) konnte daher die Verjährungsfrist - deren Lauf bei einem Dauerdelikt erst beginnt, sobald der rechtswidrige Zustand beendet ist - von vornherein nicht ablaufen.
Entgegen der Meinung der Berufungswerberin, die Bestimmung des § 5 RL-BA, wonach der Rechtsanwalt als Dienstnehmer ein Dienstverhältnis, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten umfaßt, die zu den befugten Aufgaben eines Rechtsanwaltes zählen, weder eingehen noch aufrecht erhalten darf, gelte 'nur für Rechtsanwälte und nicht für Anwärter', kann kein Zweifel daran bestehen, daß es einem Rechtsanwaltsanwärter, der als Vertreter des Rechtsanwalts auftritt, jedenfalls nicht erlaubt sein kann, eine Tätigkeit auszuüben, die dem Rechtsanwalt verboten ist. Demnach ist es einem Rechtsanwalt untersagt, einen Rechtsanwaltsanwärter zu beschäftigen, der daneben auch noch eine derartige Tätigkeit ausübt.
Die Ausführungen des Disziplinarrates zur subjektiven Tatseite der der Beschuldigten zur Last liegenden Tathandlungen sind denkrichtig und lebensnah. Mit der sinngemäßen Behauptung, in einem Rechtsirrtum gehandelt und darin verharrt zu haben, werden keine Bedenken gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung aufgezeigt.
Es liegt aber auch kein Anwendungsfall des § 3 DSt vor, weil das hier aktuelle Verschulden keinesfalls geringfügig ist. Die im übrigen unsubstantiiert gebliebene Behauptung der Disziplinarbeschuldigten, ein jahrelanges, richtlinienwidriges Verhalten sei keine Folge im Sinne der zuletzt bezeichneten Bestimmung ist einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich; genug daran, daß die damalige Rechtsanwaltsanwärterin Dr. A während der Zeit ihrer Tätigkeit (von rund 2 1/2 Jahren) bei der Disziplinarbeschuldigten nach deren eigener Darstellung zwei- bis dreimal wöchentlich bei Gericht und daneben als Angestellte der Mieter-Interessens-Gemeinschaft Österreichs tätig gewesen ist und die Beschäftigung Dris. A als Rechtsanwaltsanwärterin auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens noch durch mehr als zwei Jahre aufrecht erhalten wurde.
Der Schuldberufung konnte somit insgesamt kein Erfolg beschieden sein.
Es versagt aber auch die Strafberufung. Der Disziplinarrat hat die Strafbemessungsgründe vollständig festgestellt und auch zutreffend gewürdigt. Aus den bereits dargelegten Gründen kann - entgegen dem Berufungsvorbringen - von einer bloß geringen Schuld keine Rede sein, sodaß die Verhängung einer Geldbuße angemessen ist. Deren Höhe steht mit den Einkommensverhältnissen der Beschuldigten und ihren sonstigen wirtschaftlichen Verhältnissen im Einklang, weshalb zu einer Herabsetzung kein Anlaß bestand."
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Erwerbsfreiheit und auf ein faires Verfahren sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Die Beschwerdeführerin bringt hiezu vor:
"Das DSt 1990 ist am in Kraft getreten, dessen Bestimmungen und nicht das alte Recht sind daher auf Grund der am erfolgten Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen mich anzuwenden. Dadurch, daß die OBDK nach außer Kraft getretenen, ungünstigeren Bestimmungen judiziert hat, bin ich in meinem Recht auf ein faires Verfahren, welches auch den Schutz vor Anwendungswillkür gesetzlicher Bestimmungen umfaßt, verletzt worden.
Ich erhebe mein Berufungsvorbringen zum Vorbringen dieser Beschwerde, ergänzend wird darauf hingewiesen, daß der § 2 (1) Z 1 DSt keine Differenzierung zwischen Dauerdelikten und anderen Delikten vornimmt, anders als im StGB gibt es keinen ausdrücklich - nach der Art der strafbaren Handlung - definierten Beginn der Verjährungsfrist, der Tag der Kenntnis des Kammeranwalts vom Sachverhalt stellt den Beginn der Frist dar, und war dies der ; innerhalb eines Jahres nach Kenntnis tritt daher Verjährung ein.
Die Bestimmung des § 5 RL-BA ist, zumindest in seiner Anwendung auf Rechtsanwaltsanwärter, verfassungswidrig, da sie die Erwerbs- und Vertragsfreiheit in einem sachlich nicht zu rechtfertigenden Maß beschränkt.
...
Insoweit allerdings eine Einschränkung der Erwerbs- und Vertragsfreiheit durch Bestrafung eines Verhaltens, das sich darauf reduziert, daß eine Rechtsanwältin eine bei einem Verein in Mietrechtsangelegenheiten tätige Juristin teilzeitbeschäftigt, vorgenommen wird, erweist sich dies als nicht verfassungskonform.
Es muß zwei Personen der Abschluß einer derartigen Vereinbarung unbenommen bleiben, wobei gegen die Erteilung bzw. Versagung der Zustimmung durch die Kammern nach ArtXIII nichts einzuwenden ist, wohl aber dagegen, daß trotz der Genehmigung durch die Kammer dieses Dienstverhältnis als disziplinär strafbar qualifiziert wurde.
Strafbar kann ein Verhalten nur bei Verstoß gegen eine ausdrückliche gesetzliche Norm sein, und dies nur dann, wenn diese Norm nicht die Grundrechte verletzt. Der Abschluß eines Werk- bzw. Dienstvertrages unterliegt der Parteienautonomie, ist gegenständlich auch noch an die Zustimmung der Kammer gebunden, eine disziplinäre Verurteilung ist daher mit den Grundsätzen der Verfassung und den Menschenrechten, insbesondere mit dem Klarheitsgebot des Art 7 MRK, nicht in Einklang zu bringen."
1.4. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
2.1. Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst, § 5 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Zberwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: RL-BA) sei verfassungswidrig, da er "die Erwerbs- und Vertragsfreiheit in einem sachlich nicht zu rechtfertigenden Maß beschränkt".
§ 5 erster Satz RL-BA - nur dieser ist im gegebenen Zusammenhang von Relevanz - lautete in seiner (im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am kundgemachten) Stammfassung wie folgt:
"Der Rechtsanwalt darf als Dienstnehmer ein Dienstverhältnis, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten umfaßt, die zu den befugten Aufgaben eines Rechtsanwaltes zählen, weder eingehen noch aufrechterhalten."
Mit Beschluß des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom , kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am , wurde § 5 erster Satz RL-BA geändert. Diese Bestimmung lautet nunmehr:
"Der Rechtsanwalt darf als Dienstnehmer ein Dienstverhältnis, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten umfaßt, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwaltes gehören, nur mit einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwaltsgesellschaft eingehen oder aufrechterhalten, und dies auch nur dann, wenn für ihn die Erfüllung der Grundsätze rechtsanwaltlichen Berufs- und Standesrechtes sichergestellt ist."
Der Verfassungsgerichtshof ist in ständiger Rechtsprechung von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des § 5 Satz 1 RL-BA ausgegangen (siehe VfSlg. 9537/1982, 11302/1987, 12328/1990, 13233/1992; vgl. auch Machacek, Sind die Richtlinien gesetzlich gedeckt?, untersucht am Beispiel des § 5 RL-BA 1977, AnWBl 1983, 107). Der Verfassungsgerichshof sieht sich durch die vorliegende Beschwerde, die die Verfassungswidrigkeit des § 5 RL-BA behauptet, ohne sich mit der dazu bereits ergangenen Judikatur und deren Argumenten auseinanderzusetzen, zur Änderung seiner Rechtsprechung nicht veranlaßt. Insbesondere vermag er in der angefochtenen Bestimmung auch keinen Verstoß gegen Art 7 EMRK zu erblicken.
2.2.1. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10413/1985, 12670/1991) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
2.2.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art 6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen, die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungwidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10413/1985).
2.2.3. Der von der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogene § 5 erster Satz RL-BA verfolgt den Zweck, die Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes bei seiner Berufsausübung zu wahren und sicherzustellen, daß es in der Ingerenz des Rechtsanwaltes liegt, das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes ohne Beeinträchtigung zu wahren (vgl. VfSlg. 13233/1992, S. 407), welches immer gefährdet sein kann, wenn sich das Risiko einer Pflichtenkollision abzeichnet; gerade das ist aber der Fall, wenn ein Rechtsanwalt ein Dienstverhältnis eingeht, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten sind, die zu den befugten Aufgaben eines Rechtsanwaltes gehören, es sei denn, daß der Dienstgeber ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwaltsgesellschaft ist. Die Sicherung der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes ist es, die die Bestimmung des § 5 erster Satz RL-BA im Hinblick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung nicht verfassungswidrig macht.
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Beschwerdefall über die beschwerdeführende Rechtsanwältin eine Disziplinarstrafe verhängt, weil sie in ihrer Kanzlei eine Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigt hat, die bei einem mit Mietrechtsangelegenheiten befaßten Verein tätig war. Die Beschwerdeführerin war also Dienstgeberin und nicht Dienstnehmerin. Umstände, die auf ein Abhängigkeitsverhältnis der Beschwerdeführerin und damit eine mögliche Pflichtenkollision hindeuten könnten, sind dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde hat, indem sie vermeint, nach § 5 erster Satz RL-BA sei Rechtsanwälten untersagt, einen Rechtsanwaltsanwärter zu beschäftigen, der auch eine Tätigkeit ausübt, die von einem Rechtsanwalt als Dienstnehmer nicht ausgeübt werden dürfte, bei Erlassung des angefochtenen Bescheides § 5 erster Satz RL-BA einen Inhalt unterstellt, der die Norm als Konkurrenzschutz verstehen ließe und damit verfassungswidrig machen würde: Ein generelles Verbot für Rechtsanwälte, bei anderen Unternehmen teilzeitbeschäftigte Juristen als Rechtsanwaltsanwärter aufnehmen zu dürfen, nur deshalb, weil ein solches Unternehmen auch Leistungen erbringt, die zu den befugten Aufgaben eines Rechtsanwaltes gehören, wäre, wenn daraus weder ein Abhängigkeits- noch ein Kollisionsrisiko erwächst, als Konkurrenzabwehr zu sehen und würde einen unverhältnismäßigen und somit verfassungswidrigen Eingriff in das durch Art 6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung darstellen. Demnach verbietet sich eine solche Auslegung.
Obwohl sich schon aus dem Wortlaut des § 5 erster Satz RL-BA zweifelsfrei ergibt, daß Normadressaten dieser Bestimmung nur Rechtsanwälte als Dienstnehmer sind, hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Anwendungsbereich dieser Bestimmung auch auf eine Rechtsanwältin als Dienstgeber einer Rechtsanwaltsanwärterin erstreckt, die gleichzeitig in einem Dienstverhältnis für ein Unternehmen tätig ist, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten umfaßt, die zu den befugten Aufgaben eines Rechtsanwaltes zählen. Dieser Vorgangsweise der belangten Behörde mangelt jedoch jegliche gesetzliche Grundlage, sodaß sie als Verstoß gegen das im Strafrecht allgemein geltende Analogieverbot zu werten ist. Damit wurde die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
2.3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 3.000,-- enthalten.