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OGH vom 23.02.2021, 11Os138/20h

OGH vom 23.02.2021, 11Os138/20h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Sirius A***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom , GZ 38 Hv 74/20d-70, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zur Hauptfrage 1 sowie das darauf beruhende Urteil im Schuldspruch 1, demzufolge im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck als Geschworenengericht mit dem Auftrag verwiesen, den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Sirius A***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1) und des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB (2) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1) „von etwa Anfang 2017 bis Anfang 2020 in Vorarlberg, Tirol und anderenorts sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung, nämlich dem sogenannten 'Islamischen Staat – IS' in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) beteiligt, dass er dadurch diese oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278 Abs 3 StGB), und zwar dadurch, indem er die genannte terroristische Vereinigung, deren Existenz und Tätigkeit sowie deren Anführer insgesamt als positiv darstellte, guthieß und für sie warb, um neue Sympathisanten und Mitglieder anzuwerben, insbesondere indem er deren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi als Held, unvergleichlich und guten Menschen bezeichnete, eine eindeutig als solche erkennbare Fahne des 'IS' zur Schau stellte, propagandistische Lichtbilder auf sein Mobiltelefon herunterlud und auf seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Account veröffentlichte sowie die von ihm gesprochene Phrase 'baqiya' ('Al-Dawla Al-Islamiya baqiya' – 'Der Islamische Staat bleibt') als Mobiltelefonansage verwendete;

2) am in H***** den Mohsin Al***** zu töten versucht, indem er unter der Äußerung, 'Ich werde dich schlachten' mit einem Bundesheer-Feldmesser der Marke Glock von hinten in den Hals des vor ihm knienden Mohsin Al***** zu schneiden oder zu stechen versuchte, was vom Genannten nur durch rasche Ab- und Gegenwehr verhindert werden konnte.“

[3] Die Geschworenen bejahten die anklagekonformen Hauptfragen in Richtung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1) und des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB (2) und verneinten die (auch) zur Hauptfrage 2 gestellte Zusatzfrage nach Notwehr (§ 3 StGB). Eventualfragen in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 15, 87 Abs 1 StGB (1), des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 15, 84 Abs 4 StGB (2) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (3) blieben infolge Bejahung der Hauptfrage 2 unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 7 (der Sache nach Z 8) und Z 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der § 312 ff StPO abstellen, somit eines (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) die begehrte Frage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0100860, RS0117447). Zudem ist der Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage isoliert herausgegriffener Teile von Beweisergebnissen zu führen, sondern ist das jeweilige Verfahrensergebnis in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0120766, RS0117447 [T4]).

[6] Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert unter Verweis auf die behauptete (nicht durch Fundstellen belegte – siehe jedoch Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23) Verantwortung des Angeklagten sowie einzelner Passagen der Aussagen der Zeugen Mohsin Al***** und Omar F***** (ON 69 S 39 ff) zu Auffassungsunterschieden betreffend die Berechtigung zur Nutzung einer Garage die Stellung einer Eventualfrage (zur Hauptfrage 2) „nach § 105 bzw. § 106 StGB“, nämlich ob der Angeklagte durch die Äußerung „Ich werde dich schlachten“ und indem er Schnitt- bzw Stichbewegungen in Richtung des Halses des Mohsin Al***** „andeutete, diesen zu nötigen versucht habe, die vom Angeklagten inzwischen in Bestand genommene Garage von seinen Fahrnissen zu räumen und ihm geräumt zu übergeben“.

[7] Weshalb aber die zur Gänze (auch hinsichtlich Drohungen) leugnende, vielmehr einen Angriff durch Al***** behauptende Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung („Ich bekenne mich sicher nicht schuldig“ – ON 69 S 3, 5, 9 f) selbst bei Berücksichtigung der Aussagen der genannten Zeugen in ihrer Gesamtheit (vgl etwa jene des Al*****, wonach es „nie um die Garage“ gegangen sei – ON 69 S 38) eine lediglich auf Nötigung gerichtete Intention des Beschwerdeführers nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen indizieren sollte (RIS-Justiz RS0132012, RS0100634, RS0100860), macht die Rüge nicht klar.

[8] Denn wäre die Verantwortung des Angeklagten von den Geschworenen für wahr gehalten worden, wäre mit Verneinung der Hauptfrage 2 und damit mit Freispruch, nicht aber mit einer Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz vorzugehen gewesen.

[9] Die auf die – infolge Bejahung der Hauptfrage 2 unbeantwortet gebliebene – Eventualfrage 2 bezogene Instruktionsrüge (nominell Z 7, der Sache nach Z 8) moniert, die Rechtsbelehrung enthalte „nur Ausführungen zu den § 84 und 87 StGB, nicht aber zum Grunddelikt der Körperverletzung nach § 83 StPO“.

[10] Abgesehen davon, dass die Rüge den Inhalt der Instruktion zur Körperverletzung (§ 83 StGB) negiert (S 14 iVm S 12 f), übersieht sie, dass die Rechtsbelehrung nur insofern angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen tatsächlich gestellt wurden (RIS-Justiz RS0101091, RS0110682; vgl im Übrigen Burgstaller/Fabrizy in WK2§ 84 Rz 76, § 87 Rz 2, wonach § 84 Abs 4 StGB und § 87 Abs 1 StGB selbständige Qualifikationen des Grunddelikts des § 83 StGB sind).

[11] Dass sich die angebliche Unvollständigkeit auf die Beantwortung der Hauptfrage 2 ausgewirkt habe, wird nicht behauptet (RIS-Justiz RS0101091 [T6, T 8]).

[12] Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) ignoriert mit der Behauptung, es werde „im Urteilsspruch nicht hinreichend konkret ausgeführt, wie die Werbung von Mitgliedern und Sympathisanten erfolgt sein soll“, die im Wahrspruch zur Hauptfrage 1 festgestellten Tatsachen zu den entsprechenden Aktivitäten des Angeklagten und gelangt solcherart nicht zur prozessordnungsgemäßen Darstellung (RIS-Justiz RS0101148).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[14] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§§ 344 zweiter Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Schuldspruch 1 nicht geltend gemachte, zum Nachteil des Angeklagten wirkende, daher amtswegig wahrzunehmende materiell-rechtliche Nichtigkeit (§ 354 Abs 1 Z 11 lit a StPO) anhaftet:

[15] Zum Schuldspruch 1 fehlen im Wahrspruch der Geschworenen (wie im Anklagesatz ON 50 S 2) Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, Tatsachen also, welche zur Subsumtion des Geschehens unter die im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) genannte strafbare Handlung im bejahenden Sinn beantwortet, mit anderen Worten festgestellt werden müssen (RIS-Justiz RS0120637).

[16] Da die dem Wahrspruch zugrundeliegenden Fragen Geschworenen, also Laienrichtern gestellt werden, sind Undeutlichkeiten des Wahrspruchs, die auf der Fragestellung beruhen, nicht durch Einbeziehung der pragmatischen Sprachebene zu beseitigen, weil nicht unterstellt werden kann, dass die Geschworenen die Frage so verstanden haben wie der Oberste Gerichtshof (Ratz,WK-StPO§ 281 Rz 616). Zudem entbindet die Notorietät einer Tatsache zwar von einem darauf bezogenen Beweisverfahren und (außerhalb des geschworenengerichtlichen Verfahrens, wo ohnehin keine Begründungspflicht besteht) einer darüber hinausgehenden Begründung, nicht jedoch von deren Feststellung (RIS-Justiz RS0098570 [insbes T 20]; Ratz,WK-StPO §281 Rz 463).

[17] Vorliegend enthält der Wahrspruch keine Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal einer terroristischen Vereinigung im Sinn des § 278b Abs 3 StGB, und zwar insbesondere zu „auf längere Zeit angelegt“ und zu den Kriterien einer terroristischen Straftat.

[18] Diese Mängel der im Wahrspruch getroffenen Feststellungen führen bereits nach nichtöffentlicher Beratung (§§ 344 zweiter Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz, 285e erster Satz StPO) zur Aufhebung des davon betroffenen Teils des Wahrspruchs zur Hauptfrage 1 sowie des darauf beruhenden Schuldspruchs 1, des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und des Einziehungserkenntnisses.

[19] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

[20] Die Kostenersatzpflicht – die die amtswegige Maßnahme nicht erfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12) – beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00138.20H.0223.000

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