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OGH vom 29.07.2021, 12Os45/21s

OGH vom 29.07.2021, 12Os45/21s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Casagrande in der Strafsache gegen Alexey B***** und einen weiteren Beschuldigten wegen des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 und 4 erster Fall StGB, AZ 606 St 1/14i der Staatsanwaltschaft Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 333 HR 36/14k-1, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Mag. Poppenwimmer, und des Verteidigers Mag. Rebisant zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 333 HR 36/14k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom (ON 1 S 47) § 115a Abs 1 Z 1 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom , das Edikt zur beabsichtigten Verwertung der beschlagnahmten Kontoguthabenöffentlich bekannt zu machen (ON 1 S 45), zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien führt zu AZ 606 St 1/14i ein Ermittlungsverfahren gegen Alexey B***** und Leonid D***** wegen des Verdachts des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 und 4 erster Fall StGB.

[2] Mit Anordnungen vom stellte die Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 110 Abs 1 Z 3 iVm § 109 Z 1 lit b StPO die Guthaben auf Kontendes Alexey B***** und des Leonid D***** bei der L***** (Österreich) AG sicher(ON 1 S 1, ON 3 und 4).

[3] Diese Guthaben wurden mit Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom zu AZ 333 HR 36/14k gemäß § 115 Abs 1 Z 3 StPO beschlagnahmt (ON 1 S 31, ON 91 und 92).

[4] Die Staatsanwaltschaft Wien brach am das Ermittlungsverfahren gemäß § 197 Abs 2 (richtig: Abs 1) StPO aufgrund unbekannten Aufenthalts der Beschuldigten (vgl ON 122) ab und beantragte (§ 115a Abs 3 StPO) zugleich beim Landesgericht für Strafsachen Wien, das Edikt zur beabsichtigten Verwertung der beschlagnahmten Kontoguthabenöffentlich bekannt zu machen (ON 1 S 45). Weder vor diesem Antrag noch in einem späteren Verfahrensstadium hat die Staatsanwaltschaft ein Verfolgungsbegehren, aus dessen Anlass über den Verfall im Strafurteil zu entscheiden wäre (§ 443 Abs 1 StPO), erhoben oder einen selbständigen Antrag auf Verfall (§ 445 Abs 1 StPO) gestellt.

[5] Mit Beschluss vom (ON 1 S 47) ordnete das Landesgericht für Strafsachen Wien die Ankündigung der Verwertung der beschlagnahmten Kontoguthaben durch – in die Ediktsdatei (§ 89j GOG; ON 125 und 126) aufzunehmendes (§ 115b Abs 2 erster Satz StPO) – Edikt an (zu dessen Rechtsnatur näher Oshidari, WK-StPO § 115b, 115c Rz 2). Eine Ausfertigung des Edikts wurde der L***** (Österreich) AG als Drittschuldnerin gemäß § 115b Abs 2 StPO unter Hinweis auf die Verpflichtung, alle Tatsachen, die einer Verwertung entgegenstehen könnten, dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, zugestellt.

[6] Am stellte die Staatsanwaltschaft Wien den Antrag, die beschlagnahmten Kontoguthaben gemäß „§ 115c iVm § 115a Abs 1 Z 2 StPO“ zu verwerten (ON 1 S 49).

[7] Mit – in der Ediktsdatei öffentlich bekannt gemachten und damit zugestellten (§ 115c Abs 1 StPO) – Beschlüssen vom ordnete das Landesgericht für Strafsachen Wien die Verwertung der Kontoguthaben in Höhe von 363.985,77 Euro und 29,15 USD (betreffend B***** [ON 130]) sowie 8.054,21 Euro und 74.692,58USD (betreffend D***** [ON 131]) an.

[8]

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , mit dem die Ankündigung der beabsichtigten Verwertung der beschlagnahmten Kontoguthaben durch Edikt angeordnet wurde (ON 1 S 47), mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[9] Soweit im gegebenen Zusammenhang von Bedeutung, sind nach § 115a Abs 1 StPO Geldforderungen, die gemäß § 110 Abs 1 Z 3 StPO sichergestellt wurden oder deren Beschlagnahme gemäß § 115 Abs 1 Z 3 StPO zulässig ist, einzuziehen oder zu veräußern, das heißt zu verwerten, wenn (Z 1) über den Verfall nicht in einem Strafurteil (§§ 443 bis 444a StPO) oder in einem selbständigen Verfahren (§§ 445 bis 446 StPO) entschieden werden kann, weil der Beschuldigte oder ein Haftungsbeteiligter nicht ausgeforscht werden oder nicht vor Gericht gestellt werden kann und das Verfahren aus diesem Grund gemäß § 197 StPO abzubrechen ist sowie – kumulativ (EBRV 113 BlgNR 24. GP 42) – (Z 2) seit der Sicherstellung oder Beschlagnahme mindestens zwei Jahre vergangen sind und das Edikt über die bevorstehende Verwertung (§ 115b Abs 1 StPO) mindestens ein Jahr öffentlich bekannt gemacht war (§ 115b Abs 2 StPO).

[10] Das Verwertungsverfahren findet erst dann statt, wenn das gerichtliche – dh aus Anlass eines Verfolgungsbegehrens (§ 443 Abs 1 StPO) oder über besonderen Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 445 StPO) eingeleitete „ordentliche“ (EBRV 113 BlgNR 24. GP 42) – Verfahren gemäß § 197 StPO abgebrochen wurde (ausführlich Oshidari, WK-StPO § 115a Rz 8; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14§ 115a Rz 3; Rebisant in LiK-StPO § 115a Rz 6; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.225; aM Venier in Bertel/Venier, Komm StPO § 115a Rz 1). „Verfahren“ iSd § 115a Abs 1 Z 1 StPO ist demnach nur ein (abgebrochenes) Hauptverfahren oder selbstständiges Verfahren (vgl auch EBRV 113 BlgNR 24. GP 42 [mit Verweis auf die vorläufige Einstellung des selbstständigen Verfahrens gemäß § 197 StPO] und 43 [wonach § 115d Abs 2 StPO die Fortsetzung des abgebrochenen „Hauptverfahrens“ meint; ebenso Fabrizy/Kirchbacher, StPO14§ 115d Rz 2]). Folglich geht die die Zuständigkeit des Haft- und Rechtsschutzrichters für das Verwertungsverfahren begründende Kompetenznorm des § 31 Abs 1 Z 2 StPO in Bezug auf das „Ermittlungsverfahren“ ins Leere (für teleologische Reduktion dieser Bestimmung um die Wortfolge „im Ermittlungsverfahren“ Oshidari, WK-StPO § 115a Rz 2).

[11] Für die hier vorgenommene Auslegung spricht vor allem, dass § 445 Abs 1 StPO die der Verwertung verfallsbedrohter Vermögenswerte vorgelagerte Frage, ob überhaupt hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für den Verfall oder erweiterten Verfall vorliegen (§§ 20, 20b StGB) vorliegen, mit der unbedingten Verhaltensanordnung an die Staatsanwaltschaft verknüpft (arg: „hat“), einen selbstständigen (ggf auch ohne Weiteres mit einem Verwertungsbegehren gemäß § 115a Abs 3 StPO kombinierbarem) Antrag an das Gericht zu stellen.

[12] Indem das Landesgericht für Strafsachen Wien in Entsprechung dieses Antrags mit Beschluss vom die Ankündigung der Verwertung durch Edikt anordnete (ON 1 S 47), hat es somit außer Acht gelassen, dass das Verwertungsverfahren nur nach Abbrechung eines gerichtlichen Verfahrens (nach § 443 Abs 1 StPO oder § 445 StPO) stattfinden kann, und damit die Frage, ob die in § 115a Abs 1 Z 1 StPO normierten Voraussetzungen bereits bei Einleitung des Verfahrens nach § 115a ff StPO vorlagen, unrichtig gelöst.

[13] Da sich der aufgezeigte Rechtsfehler für die Betroffenen nachteilig auswirkte, war die Feststellung der Gesetzesverletzung mit der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO) und der in Rede stehende Beschluss aufzuheben. Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen, wie insbesondere die – im Übrigen nicht an eine gesonderte Antragstellung der Staatsanwaltschaft gebundenen (vgl Oshidari, WKStPO § 115a Rz 13, wonach § 115a Abs 3 StPO die Führung des gesamten Verwertungsverfahrens meint) – Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom (ON 130 und 131), gelten damit gleichfalls als beseitigt (RISJustiz RS0100444).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00045.21S.0729.000

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