OGH vom 30.11.2010, 10Ob79/10f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, Meldemannstraße 12 14, 1200 Wien), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 447/10v 44, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom , GZ 29 PU 130/09t 35, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekus wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Unterhaltsvorschussantrag des Minderjährigen abgewiesen wird.
Text
Begründung:
Der Minderjährige ist der Sohn von S***** und P*****.
Mit Beschluss vom verpflichtete das Erstgericht die Mutter, für ihren Sohn einen monatlichen Unterhalt von 359 EUR für die Zeit vom bis und von 198 EUR ab zu zahlen, wobei die bisher fällig gewordenen Unterhaltsbeträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im Vorhinein zu leisten sind. Dieser Beschluss wurde der Unterhaltsschuldnerin am durch Hinterlegung zugestellt und erwuchs mangels Anfechtung am in Rechtskraft.
Am beantragte der Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe. Gleichzeitig brachte er gegen die Unterhaltsschuldnerin eine Forderungsexekution nach § 294a EO zur Hereinbringung eines Rückstands von 2.302 EUR und des laufenden Unterhalts ab ein.
Mit Beschluss vom (ON 35) bewilligte das Erstgericht dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom bis .
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, teilweise Folge, indem es den Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe erst ab den zuerkannte. Voraussetzung für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 sei unter anderem, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels die laufenden Unterhaltsbeiträge nicht voll leiste. Da die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels erst im Mai 2010 eingetreten sei, fehlten für diesen Monat die Voraussetzungen für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses. Da kein Vorbringen und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Unterhaltsschuldnerin ihrer Unterhaltsverpflichtung für die Zeit ab vollständig nachgekommen wäre, bestehe ab Anspruch auf Unterhaltsvorschuss.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 fehle.
Der vom Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht im Ergebnis von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und auch berechtigt.
Revisionsrekursbeantwortungen wurden von den übrigen Verfahrensparteien nicht erstattet.
Der Revisionsrekurswerber beantragt, die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Unterhaltsvorschussantrags abzuändern. Er macht im Wesentlichen geltend, dass der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss erst am vollstreckbar geworden sei. Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses sei das Datum der Entscheidung erster Instanz. An diesem Tag () sei zwar der Unterhaltstitel bereits vollstreckbar gewesen, die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit sei aber nicht gegeben gewesen, habe doch zu diesem Zeitpunkt noch kein Rückstand an laufendem Unterhalt iSd § 3 Z 2 UVG bestehen können, weil ein nach Eintritt der Vollstreckbarkeit laufender Unterhaltsbeitrag zwar fällig gewesen sei, aber noch kein Verzug vorgelegen sei.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.
Nach der mittlerweile vorliegenden ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl 10 Ob 38/10a, 10 Ob 39/10y ua; RIS Justiz RS0126137) setzt die Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Darunter ist zu verstehen, dass der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin erfolglos verstreichen muss, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entsteht (10 Ob 65/10x ua).
Zutreffend macht der Revisionsrekurswerber geltend, dass maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung das Datum der Entscheidung erster Instanz ist. Die Entscheidung über den Vorschussantrag ist daher auf der Sachverhaltsgrundlage zu fällen, die im Entscheidungszeitpunkt erster Instanz vorliegt (vgl 10 Ob 58/10t ua; RIS Justiz RS0076052 [T5]). Im vorliegenden Fall ist die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses unbestritten am eingetreten. Im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz () war daher zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar, die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit war aber nicht erfüllt. Es wurde am zwar der laufende Unterhaltsbeitrag für Juni 2010 fällig (vgl § 1418 zweiter Satz ABGB), ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entstand jedoch nach der dargelegten Rechtsprechung des erkennenden Senats erst nach erfolglosem Verstreichen dieses Fälligkeitstermins (). Die Voraussetzungen für eine Unterhaltsvorschussgewährung wegen Verzugs mit der Zahlung der laufenden Unterhaltsleistung für Juni 2010 konnten somit frühestens am vorliegen.
In Stattgebung des Revisionsrekurses sind daher die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Antragsabweisung abzuändern, weil im maßgeblichen Zeitpunkt nicht alle Voraussetzungen für die begehrte Vorschussgewährung erfüllt waren (10 Ob 58/10t mwN).