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OGH vom 29.08.2002, 8ObA177/02s

OGH vom 29.08.2002, 8ObA177/02s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter HR DI Roland Bauer und Ulrike Kargl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Annamaria M*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert EUR 113.635,50), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 116/02h-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 33 Cga 97/01b-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin EUR 110,94 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor; diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat sich mit der erhobenen Beweisrüge befasst und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nachvollziehbar überprüft (vgl auch RIS-Justiz RS0043150 mwN).

Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung zutreffend verneint. Es reicht daher insofern aus, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend und klarstellend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG), muss vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen oder Tatbestandsmerkmalen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (vgl zuletzt etwa = RdW 2002/364 mwN = Arb 10.755; DRdA 1989/24 [Floretta]; RdW 1996, 332; RIS-Justiz RS0051640, RS0051746). Für diese Umstände ist der anfechtende Arbeitnehmer behauptungs- und beweispflichtig ( = RdW 2002/364 mwN = Arb 10.874; RdW 2001/250; RIS-Justiz RS0051640).

Eine solche Beeinträchtigung wesentlicher Interessen konnte die Klägerin aber nicht nachweisen.

Die 1971 geborene Klägerin, die nach Abschluss des Studiums der Handelswissenschaften unter anderem auch bereits als Vertriebspräsentantin bei einer anderen Firma tätig war, hat zuletzt bei der beklagten Softwarefirma ebenfalls im vertrieb ein Fixgehalt von S 37.230 brutto inklusive einer 15-stündigen Überstundenpauschale bezogen. Daneben konnte sie bei einer 100 % Zielerreichung auch noch eine Provision von S 223.380 brutto verdienen und verfügte über gewisse Zusatzleistungen wie einen Dienstwagen und ein Diensthandy. Die Hochzeit mit ihrem Ehegatten, der ebenfalls Akademiker ist, fand während der Kündigungsfrist statt. Sie hat keine Sorgepflichten und keine Schulden. Sie ist Alleineigentümerin einer Wohnung. Nach den Prognosen sollte sie nach dem Auslaufen ihres Arbeitsverhältnisses zur Beklagten am bis Oktober oder November 2001 einen neuen Arbeitsplatz in diesem Bereich mit einem Einstiegsgehalt zwischen 30.000-35.000 S sowie zusätzliche betriebsspezifische Provisionen in unterschiedlichem Ausmaß erlangen. Tatsächlich hat die Klägerin aber bereits ab ein befristetes Arbeitsverhältnis mit einem Fixum von 39.000 S und variablen Bestandteilen von maximal 26.000 S angetreten. Auch wird ihr ein Diensthandy zur Verfügung gestellt.

Bei der Beurteilung, ob durch eine Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, sind nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes bzw der damit verbundene Einkommensverlust einzubeziehen. Es ist auf die gesamte wirtschaftliche und soziale

Lage des Arbeitnehmers abzustellen ( =

RdW 2002/364 mwN = Arb 10.755; DRdA 1989/24 [Floretta]; DRda 1992/53

[Mosler]; DRdA 1994/20 [Trost]; wbl 1999/369; 9 ObA 197/00m; RIS-Justiz RS0051703, RS0051741, RS0051806, RS0110944 ua). Nach der Prognose konnte die Klägerin, einen neuen Arbeitsplatz mit einem nahezu identen Fixgehalt erlangen; tatsächlich ist dieses nunmehr sogar höher. Sie hat keinerlei Schulden und Sorgepflichten, da davon ausgegangen werden kann, dass auch der Ehegatte über ein zumindest annähernd gleiches Einkommen verfügt.

Die Kündigungsanfechtungsmöglichkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG soll den Kündigungsschutz aber nur jenen Arbeitnehmern gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind, nicht aber die Beibehaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses - mögen mit einer längeren Betriebszugehörigkeit auch Vorteile verbunden sein - sichern. Alleine eine finanzielle Schlechterstellung kann nur dann ausschlaggebend sein, wenn sie ein Ausmaß erreicht, das eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der

wirtschaftlichen Lage zur Folge hat ( =

RdW 2002/364 mwN = Kuderna, DRdA 1975, 9 [12]; DRdA 1992/53

[Mosler]). Diese konnte die Klägerin nicht nachweisen. Zu den von der Klägerin nunmehr relevierten variablen Provisionen, hat das Erstgericht ohnehin festgestellt, dass diese bei der Beklagten bei 100-%iger Zielerreichung 223.380 S brutto jährlich betragen konnte und auch von anderen Arbeitgebern "betriebsspezifisch" gewährt werden. Nähere Feststellungen dazu wurden offensichtlich im Hinblick auf die Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen, dass diese vom jeweiligen Betrieb abhängig seien, nicht getroffen. Betrachtet man das jährliche Fixgehalt der Klägerin von ca 530.000 S brutto und die Zielerreichungsprämie von 223.380 S, so mach diese "Provision" etwa 30 % des Gesamtentgeltes aus. Dass die von der Beklagten gewährte "Provision" einen außergewöhnlich hohen Bestandteil des Gesamtbezuges ausmachte, hat die Klägerin nicht vorgebracht (vgl zur Behauptungs- und Beweislast der Arbeitnehmer = RdW 2002/364 mwN = Arb 10.874; RdW 2001/250; RIS-Justiz RS0051640). Da aber ohnehin allgemein betriebsspezifisch erfolgsabhängige Entgeltbestandteile zusätzlich gewährt werden, wie im Übrigen auch die neue Beschäftigung der Klägerin zeigt, kann insoweit unter Beachtung des Gesamtentgeltes und des Fehlens von sonstigen Belastungen keinesfalls eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung angenommen werden.

Dem zweiten wesentlichen Argument der Klägerin, dass sie beabsichtige, Kinder zu bekommen und sich bei einem neuen Arbeitgeber vorweg erst einarbeiten müsse, ist schon entgegenzuhalten, dass nach der oben dargestellten Judikatur der Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG eben nur jenen Arbeitnehmern einen konkreten Arbeitsplatz erhalten soll, die darauf angewiesen sind, weil sie in angemessener Zeit keinen gleichwertigen Arbeitsplatz finden können. Im Übrigen finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einarbeitungsphase für die bereits berufserfahrene Klägerin bei einem neuen Arbeitgeber eine Dauer beanspruchen würde, die wesentlichen Einfluss auf die von der Klägerin angestrebte Familienplanung haben könnte. Zu bedenken ist, dass sie im Falle einer Schwangerschaft ohnehin die Kündigungsschutzbestimmungen nach dem MSchG in Anspruch nehmen kann. Auch wenn das soziale und familiäre Umfeld nicht nach einem einheitlichen Maßstab berücksichtigt werden darf, sondern es vielmehr auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles ankommt ( = RdW 2002/364 mwN = Eichinger, Die Frau im Arbeitsrecht 339) kann bei der Klägerin eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, die über das normale Maß hinaus eine Kündigung für den Arbeitnehmer nachteilig machen ( = RdW 2002/364 mwN = wbl 1999/369; RIS-Justiz RS0051727, RS0051753), nicht erkannt werden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.