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VfGH vom 03.12.1980, B211/78

VfGH vom 03.12.1980, B211/78

Sammlungsnummer

8982

Leitsatz

StGG, Eigentumsgarantie des Art 5; Anspruch auf Rückgängigmachung der Enteignung im Falle der Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Enteignungs-Erk. Nr. I der Landeshauptmannschaft Oberdonau, E/II-Zl.1240/5-1939, vom sind auf Ersuchen der Deutschen Reichsbahn, Reichsbahndirektion Linz, eine Reihe von Grundeigentümern (darunter die Stadtgemeinde Linz) verpflichtet worden, Grundflächen iS des § 3 Punkt 1 des Gesetzes vom 18. Februar 1878, RGBl. 30, betreffend die Enteignung zum Zwecke der Herstellung und des Betriebes von Eisenbahnen, in der Fassung des Art 52 des Verwaltungsentlastungsgesetzes vom , BGBl. 277, bzw. der Kaiserlichen Verordnung vom , RGBl. 284, und der Verordnung des Eisenbahnministeriums vom , RGBl. 54, dem Deutschen Reichsschatz Deutsche Reichsbahn) "dauernd in das Eigentum abzutreten, da Letzterer das Enteignungsrecht zusteht und nach dem Ergebnisse der politischen Begehung die oben bezeichneten Grundflächen und Rechte zum Baue des neuen Personenbahnhofes in Linz notwendig sind".

Die Stadtgemeinde Linz ist von dem Enteignungs-Erk. hinsichtlich einer Reihe von Grundstücken ihres öffentlichen Gutes und auch hinsichtlich nachstehender Grundstücke der KG W. betroffen worden:

aus EZ 91 der ganzen Parzelle 538 und aus EZ 63 der ganzen Parzelle 273/2 sowie aus EZ 63 von Teilen der Parzellen 210/12, 210/2, 272, 271 und 269, zusammen Grundflächen im Ausmaß von

27.843 Quadratmeter.

Mit Übereinkommen vom , abgeschlossen zwischen der Gauhauptstadt Linz und der Deutschen Reichsbahn, Reichsbahndirektion Linz, wurde "die Enteignung auf die nichtenteigneten 5 Restflächen ausgedehnt", "sodaß die nur zum Teil enteigneten 5 Parzellen als zur Gänze enteignet gelten"; es handelte sich um Restflächen im Ausmaß von 26.515 Quadratmeter. Die Entschädigung wurde einvernehmlich mit

2.50 RM je Quadratmeter, insgesamt mit 135.859 RM, vereinbart.

Punkt 5 dieses Übereinkommens lautete:

"Falls der am zwischen dem Führer Adolf Hitler, vertreten durch ..., und der Deutschen Reichsbahn, vertreten durch ..., abgeschlossene Vertrag über den Verkauf des (durch die Neugestaltung der Stadt Linz, insbesonders den Bau eines neuen Personenbahnhofes und neuen Reichsbahnausbesserungswerkes) freiwerdenden Reichsbahngeländes in Linz

a) durch Erhöhung des darin vereinbarten Kaufpreises von 2.50 RM je Quadratmeter abgeändert werden sollte, leistet die Deutsche Reichsbahn der Stadt Linz eine Nachzahlung je Quadratmeter in Höhe des Unterschiedes zwischen 2.50 RM je Quadratmeter und dem erhöhten Kaufpreis nach dem abgeänderten Führervertrag;

b) überhaupt nicht zur Durchführung kommen sollte, leistet die Deutsche Reichsbahn der Stadt Linz eine Nachzahlung je Quadratmeter in Höhe des Unterschiedes zwischen 2.50 RM je Quadratmeter und dem dann ortsüblichen Handelspreise für Grundstücke in gleicher Lage bzw. dem von der Preisüberwachungsstelle beim Reichsstatthalter in Oberdonau zugelassenen Höchstpreise."

Der bezogene Vertrag vom hatte den Verkauf der Flächen des bestehenden Personenbahnhofes und Reichsbahnausbesserungswerkes in Linz, soweit sie durch den Neubau dieser Anlagen frei werden, zum Gegenstand; diese Flächen sollten der Stadt Linz im Wege einer Stiftung zur Neuanlage eines Parks zur Verfügung gestellt werden.

Die vereinbarte Entschädigung ist geleistet und die Enteignung grundbücherlich durchgeführt worden.

Seither sind bezüglich der angeführten Grundstücke Änderungen vorgenommen worden, die im Grundbuch ihren Niederschlag gefunden haben.

2. Die Landeshauptstadt Linz hat im ordentlichen Rechtsweg von der Republik Österreich unter Hinweis auf Punkt 5b des Übereinkommens vom bezüglich eines von der seinerzeitigen Enteignung erfaßten Grundstückes die Bezahlung des Unterschiedes auf den von ihr errechneten ortsüblichen Handelspreis begehrt.

Das Klagebegehren ist im Instanzenzug abgewiesen worden (LG Linz 1 Cg 76/75, OLG Linz 4 R 15/76, , JBl. 1977 S 37 ff.).

3. Mit Datum stellte die Landeshauptstadt Linz an das Amt der Oö. Landesregierung folgende Anträge:

"a) Es wolle bescheidmäßig festgestellt werden, daß obige" (sc. die von der seinerzeitigen Enteignung betroffenen und näher bezeichneten) "Grundstücke bzw. Grundstücksteile nicht zu jenem Zweck verwendet wurden, für den sie enteignet worden sind und daß daher kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der mit Bescheid vom 1939-06-21 ausgesprochenen Enteignung hinsichtlich dieser Grundstücke besteht, daß somit der Rechtsgrund für die Enteignung dieser Grundflächen weggefallen ist;

b) es wolle bescheidmäßig das Enteignungserkenntnis vom 1939-06-21 hinsichtlich der in lita bezeichneten Grundstücke aufgehoben werden;

c) es wolle der Republik Österreich, Österreichische Bundesbahnen, der Auftrag erteilt werden, die in lita bezeichneten Grundstücke der Landeshauptstadt Linz ins Eigentum grundbücherlich zu übertragen; dies alles Zug um Zug gegen Rückzahlung des Betrages von S 135.895,-

samt 4% Zinsen aus den letzten 3 Jahren vor Zustellung des sohin beantragten Bescheides."

Der Antrag wurde damit begründet, daß nicht nur auf Grund der seinerzeit erfolgten Zusage, daß dann, wenn der neue Personenbahnhof an dieser Stelle nicht errichtet werden sollte, die enteigneten Grundstücke wieder rückübereignet werden sollten, sondern auch nach Lehre und Rechtsprechung der Stadt Linz ein Anspruch auf Rückübereignung der enteigneten Sache, bzw. auf Ersatz zustehe, wenn die enteignete Sache nicht zu jenem Zwecke, zu welchem die Enteignung vorgenommen wurde, verwendet worden ist. Hiebei wurde Bezug genommen auf die Ausführungen von Layer, Principien des Enteignungsrechtes, 1902, S 432 ff.; Grünhut, Das Enteignungsrecht, 1873, S 162 ff.; Gschnitzer, Sachenrecht, 1968, S 115; Bydlinski, Rückübereignungs- und Vergütungsansprüche bei zweckverfehlender Enteignung, JBl. 1972, S 139 ff. sowie auf die Entscheidungen des JBl. 1928, S 200, des ZBl. 1916, S 425 und vom , JBl. 1931, S 145, des VwGH (vom ) JBl. 1966, S 436 und schließlich auf die Ausführungen Öhlingers, Auslegung des öffentlichen Rechts, JBl. 1971, S 287.

4. Mit Datum hat der an dem Verfahren beteiligte Bund (Österreichische Bundesbahnen) an das Bundesministerium für Verkehr wegen Säumigkeit des Landeshauptmannes von OÖ den Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht an die Oberbehörde gestellt.

Daraufhin erging der Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 9. Feber 1978, Z EB 24.221/2-II/2-1978, gemäß dessen Spruch der Antrag der Landeshauptstadt Linz auf Aufhebung des Enteignungserkenntnisses der Landeshauptmannschaft Oberdonau vom sowie Rückübertragung der zugunsten der Deutschen Reichsbahn enteigneten Grundflächen infolge nachträglichen Wegfalles des Enteignungszweckes "gemäß § 37 Abs 1, Abs 2 und Abs 3 des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954, BGBl. Nr. 71, in der derzeit geltenden Fassung abgewiesen" wird.

In der Begründung des Bescheides ist - auf das Wesentliche zusammengefaßt - ausgeführt: Einer analogen Anwendung des Grundsatzes, daß ein Anspruch auf Rückübereignung auf jeden Fall gegeben sei, stehe schon entgegen, daß jene Enteignungsgesetze (zB § 70 Abs 2 WRG 1959, § 37 Eisenbahnenteignungsgesetz ua.), die einen solchen Anspruch einräumen, nicht nur eine Aussage über die Person des Anspruchsberechtigten, sondern auch darüber treffen, innerhalb welcher Fristen der Anspruch geltend zu machen ist. Dazu komme, daß auch die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens zur Behebung des Enteignungserkenntnisses vorgesehen ist. Daraus ergebe sich aber, daß ein Anspruch des Enteigneten auf Rückübertragung der enteigneten Sache bei nachträglichem Wegfall des Enteignungszweckes nur auf Grund einer positiven Gesetzesbestimmung und innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist bestehen kann, so daß für eine analoge Gesetzesanwendung, die im Widerspruch zur Rechtskraft des Enteignungserkenntnisses stehen würde, kein Raum mehr besteht (siehe hiezu die Erk. des 5 Ob 345, 346, 347/66).

Der vorliegende Bescheid werde auf § 37 Abs 1, 2 und 3 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954, BGBl. 71, gestützt. In Anwendung dieser Bestimmung sei dem Antrag auf Behebung des Enteignungserkenntnisses nicht stattzugeben gewesen. Es sei nämlich im gegenständlichen Fall der Enteignungsbescheid der Landeshauptmannschaft Oberdonau vom mit Festsetzung des Entschädigungsbetrages und mit Bezahlung dieser Entschädigungssumme durch das Deutsche Reich im Jahre 1941 vollzogen worden und die diesbezügliche Einverleibung des Eigentumsrechtes im Grundbuch des Amtsgerichtes Linz am in TZ 1571 erfolgt.

Was schließlich den von der Landeshauptstadt Linz gegen den Bund (Österreichische Bundesbahnen) geltend gemachten Rückgabeanspruch anlange, werde bemerkt, daß die Österreichischen Bundesbahnen die Rechtsnachfolge der Deutschen Reichsbahn nicht angetreten haben; die betreffenden Grundstücke seien vielmehr zufolge des Art 22 des Staatsvertrages mit Ablauf des Tages, an welchem der Staatsvertrag im Bundesgesetzblatt verlautbart wurde, ex lege in das Eigentum der Republik Österreich gelangt. Im übrigen wären derartige zivilrechtliche Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen.

5. Gegen den Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 9. Feber 1978 richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Landeshauptstadt Linz als Beschwerdeführerin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Gleichheit vor dem Gesetz und der Unverletzlichkeit des Eigentums geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.

Zur behaupteten Verletzung des Eigentumsrechtes führt die Beschwerdeführerin aus: Die Enteignung sei ein schwerer Eingriff in die Rechte der Bürger. Daher lasse § 365 ABGB eine entschädigungslose Enteignung auch nicht zu und ebensowenig eine Enteignung, die nicht einem bestimmten öffentlichen Zweck dienen soll. Art 5 StGG habe sicherlich den bestehenden Eigentumsschutz nicht verschlechtern wollen. Der verfassungsgesetzliche Eigentumsschutz sei aber dann nicht mehr gegeben, also verletzt, wenn im Zuge eines Enteignungsverfahrens für einen ganz bestimmten im konkreten Enteignungsgesetz normierten Zweck eine Enteignung vorgenommen wird, der Gegenstand der Enteignung dann aber nicht zu dem im Gesetz normierten Zweck, der aus dem konkreten Verwaltungsakt, mit welchem die Enteignung durchgeführt wurde, sich ergibt, verwendet wird. In einem solchen Fall müsse dem Enteigneten ein Rückübereignungsanspruch zustehen, wenn nicht der verfassungsgesetzliche Eigentumsschutz damit glatt umgangen werden soll. Wenn ein Enteignungsgesetz diesen Grundsätzen nicht Rechnung trägt, liege damit eine Verfassungswidrigkeit vor.

Die behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes wird in nachstehendem Umstand erblickt: Einige Enteignungsgesetze trügen der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Unverletzlichkeit des Eigentums durchaus Rechnung und sähen eine Rückübereignung dort vor, wo der Enteignungszweck in der Folge nicht wahrgenommen wird. Es sei aber mit den Bestimmungen der österreichischen Bundesverfassung nicht vereinbar, wenn das eine Enteignungsgesetz diesem selbstverständlichen Recht Rechnung trägt und das andere nicht. Damit werde gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Das würde eine offenkundig willkürliche verschiedenartige Behandlung desselben Sachproblems und der jeweils beteiligten Personen bedeuten.

Eine Negation der durch die Verfassung gewährleisteten Unverletzlichkeit des Eigentums liege aber auch darin, daß sich die Behörde auf Art 22 des Staatsvertrages stützt, demzufolge die betreffenden Grundstücke ex lege in das Eigentum der Republik Österreich übergegangen seien, daß also der Beschwerdeführerin schon allein deshalb kein Rückforderungsanspruch gegenüber den Österreichischen Bundesbahnen zustehe. Die Behörde meine ja ganz offensichtlich auch nicht den Art 22 des Staatsvertrages selbst, der ja nur ausspricht, daß das in Österreich befindliche deutsche Vermögen an die Republik Österreich übertragen wird; die Behörde meine in Wirklichkeit die Bestimmungen gemäß §§4 und 7 des 1. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes BGBl. 165/1956 und leite daraus ab, daß ex lege der Republik Österreich zwar Vermögen zugewendet, die sich aus der Übernahme dieses Vermögens ergebende, damit verbundene Verpflichtung jedoch ausgelöscht worden sei. Das aber käme der kalten Enteignung gleich. Solcher Art würde ein zwar der Landeshauptstadt Linz rechtmäßig entzogenes, aber dann zu Unrecht entgegen dem Enteignungszweck verwendetes und zurückgehaltenes Vermögen verwendet werden können, wie es beliebt. Das aber sei keineswegs die Absicht des Gesetzgebers bei Erlassung des 1. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes gewesen und insoweit seien auch diese Bestimmungen des Gesetzes nicht verfassungskonform, weil sie den Bestimmungen des Art 5 StGG widersprechen.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde in vollem Umfang abzuweisen.

Der Bund (Österreichische Bundesbahnen) als beteiligte Partei hat mitgeteilt, daß sich seine Rechtsauffassung mit der Gegenschrift der belangten Behörde deckt, weshalb eine gesonderte Gegenschrift nicht erstattet wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

A. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf § 37 Abs 1 bis Abs 3 des Eisenbahnenteignungsgesetzes - EisenbEntG 1954 (Anlage zur Kundmachung der Bundesregierung vom 9. Feber 1954, BGBl. 71, über die Wiederverlautbarung des Eisenbahnenteignungsgesetzes), welche Bestimmungen lauten:

"§37. (1) Solange und insoweit die Enteignung nicht vollzogen oder die Entschädigung nicht durch Vergleich oder gerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist, ist das Eisenbahnunternehmen innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft des Enteignungsbescheides, der Enteignete aber nach Ablauf dieser Frist berechtigt, bei dem Landeshauptmann, der den Enteignungsbescheid erlassen hat, seine gänzliche oder teilweise Aufhebung zu begehren. (BGBl. 277/1925, Art 52 Z VIII.)

(2) Dieses Rechtes kann sich eine Partei nicht mehr bedienen, wenn sie bereits um die gerichtliche Feststellung der Entschädigung angesucht hat.

(3) Dem Begehren um Aufhebung des Enteignungsbescheides ist stattzugeben, wenn die in den vorstehenden Absätzen festgesetzten Bedingungen eingetreten sind."

Abgesehen von den durch das Verwaltungsentlastungsgesetz - VEG, BGBl. 277/1925, vorgenommenen Einschaltungen entspricht der wiederverlautbarte Text der Stammfassung des Gesetzes vom 18. Februar 1878, RGBl. 30, betreffend die Enteignung zum Zwecke der Herstellung und des Betriebes von Eisenbahnen, wobei allerdings sprachliche Änderungen vorgenommen worden sind und die Behördenbezeichnung durch eine entsprechende neue Bezeichnung ersetzt worden ist.

Gemäß diesen Bestimmungen des § 37 iVm § 23 EisenbEntG 1954 ist also der Enteignete nur unter bestimmten Voraussetzungen - zeitlich begrenzt - berechtigt, die gänzliche oder teilweise Aufhebung des Enteignungsbescheides zu begehren, nämlich solange und insoweit die Enteignung nicht vollzogen oder die Entschädigung nicht durch Vergleich oder auf Ansuchen des Eisenbahnunternehmens durch gerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist oder der Enteignete nicht selbst um die gerichtliche Feststellung der Entschädigung angesucht hat.

Zu bemerken ist hiezu, daß gemäß der Legaldefinition des § 35 Abs 1 EisenbEntG 1954 die Enteignung dann vollzogen ist, wenn das Eisenbahnunternehmen mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Enteigneten oder im Zwangswege gegen seinen Willen in den Besitz des enteigneten Gegenstandes gelangt ist.

B. Um beantworten zu können, ob die belangte Behörde die Abweisung der von der Beschwerdeführerin gestellten Anträge auf die Bestimmungen des § 37 EisenbEntG 1954 stützen konnte, muß die Bedeutung dieser Bestimmungen im Gesamtsystem des Enteignungsrechtes nach dem EisenbEntG 1954 geklärt und dabei von den Erwägungen ausgegangen werden, die der VfGH in dem Erk. B206/75 vom heutigen Tage zur Frage der Rückgängigmachung einer bescheidmäßig verfügten Enteignung angestellt hat.

Die Enteignung nach dem EisenbEntG 1954 geht in mehreren Verfahrensschritten - für die eine Verknüpfung von öffentlichem mit privatem Recht kennzeichnend ist - vor sich:

Die Enteignung wird durch Bescheid ausgesprochen (§17); sie ist öffentlich-rechtlicher Natur. Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gerichtlich (§22); der Entschädigungsanspruch ist privatrechtlicher Natur (Kautsch, Das Gesetz vom 18. Februar 1878 betreffend die Enteignung zum Zwecke der Herstellung und des Betriebes von Eisenbahnen, 1895, S 65 f.; Klang, Kommentar zum ABGB,

2. Aufl. II. Band, 1950, S 193 und 194; VfSlg. 2431/1952, 3167/1957, 8065/1977). In welchem Zeitpunkt nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides der - außerbücherliche - Eigentumserwerb durch das Eisenbahnunternehmen eintritt, kann hier offen gelassen werden:

ob mit der Leistung oder Sicherstellung der Entschädigungssumme (so Kautsch, aaO, S 96; Brunner, Das Übereinkommen in den Enteignungs- und Entschädigungsverfahren nach dem Eisenbahnenteignungsgesetz und dem Bundesstraßengesetz, ÖJZ 1976 S 339) oder ob mit der Besitzerlangung seitens des Unternehmens (so , JBl. 1975 S 321 f., SZ 47/152). Die Anmerkung der Enteignung im Grundbuch, um die die Enteignungsbehörde erster Instanz nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides das Grundbuchsgericht zu ersuchen hat, bewirkt, daß sich niemand auf die Unkenntnis der Enteignung berufen kann (§20). Die Verbücherung selbst hat keine konstitutive, sondern nur deklarative Wirkung (Kautsch, aaO, S 96).

Im EisenbEntG 1954 ist also die Enteignung selbst materiell- und verfahrensrechtlich näher geregelt. Dagegen entbehrt die Rückgängigmachung der Enteignung im Falle der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes - soweit eine solche nicht in den Anwendungsbereich des § 37 EisenbEntG 1954 fällt - einer ausdrücklichen materiell- und verfahrensrechtlichen Gestaltung.

Für die Rechtslage in einem solchen Fall sind folgende, in dem genannten Erk. B206/75 dargelegten Erwägungen von Bedeutung:

In der Eigentumsgarantie des Art 5 StGG ist auch die Rückgängigmachung der Enteignung für den Fall grundgelegt, daß die enteignete Sache dem vom Gesetz als Enteignungsgrund genannten öffentlichen Zweck nicht zugeführt wird. Eine einfachgesetzliche Regelung, die eine Enteignung für einen bestimmten öffentlichen Zweck (dem Art 5 StGG entsprechend) für zulässig erklärt, enthält wesensgemäß den Vorbehalt, daß es unzulässig ist, die Enteignung aufrecht zu erhalten, wenn der öffentliche Zweck vor seiner Verwirklichung wegfällt; dem Rechtsinstitut der Enteignung ist die Rückgängigmachung bei Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes immanent. Dieser Inhalt einer Enteignungsnorm fließt auch in den Enteignungsbescheid ein; es haftet daher jeder bescheidmäßig verfügten Enteignung in der Wurzel der Vorbehalt an, daß sie erst endgültig wirksam ist, wenn der vom Gesetz als Enteignungsgrund normierte öffentliche Zweck verwirklicht ist, daß sie aber rückgängig zu machen ist, wenn dieser Zweck nicht verwirklicht wird.

Im Falle der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes muß - bei Fehlen besonderer Regelungen - die Verfügung der Enteignung in der Weise rückgängig gemacht werden, daß der Enteignungsbescheid aufgehoben wird. Die Rechtskraft dieses Bescheides steht einer solchen Aufhebung deshalb nicht im Wege, weil der Vorbehalt der Rückgängigmachung von der Rechtskraft umfaßt ist. Eine solche Aufhebung kann nur rückwirkend (ex tunc) erfolgen, weil sie auf den dem Enteignungsbescheid in der Wurzel anhaftenden Vorbehalt zurückgeht, daß die Enteignung erst mit der Verwirklichung des vom Gesetz als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes endgültig wirksam ist.

Zuständig für die Aufhebung des Enteignungsbescheides ist die Behörde, der im Zeitpunkt der Aufhebung die Zuständigkeit für die Erlassung des Enteignungsbescheides zukäme (vgl. VfSlg. 7271/1974).

Hätte § 37 EisenbEntG 1954 den Inhalt, daß damit der Fragenkreis um die Rückgängigmachung einer Enteignung, die nicht der Verwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes dient, abschließend geregelt wäre, und daß eine (gänzliche oder teilweise) Aufhebung des Enteignungsbescheides nur bei Vorliegen der in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen möglich wäre, so läge darin ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art 5 StGG, wie sie nach den vorstehenden Darlegungen gegeben ist.

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 37 EisenbEntG 1954 muß daher dazu führen, in dieser Bestimmung keine abschließende Regelung des Fragenkreises um die Rückgängigmachung einer Enteignung zu sehen. § 37 EisenbEntG 1954 enthält vielmehr eine Sonderregelung für die Aufhebung eines Enteignungsbescheides vor Vollzug der Enteignung oder Setzung bestimmter Entschädigungsakte; diese Regelung erlaubt insbesondere keinen Umkehrschluß in der Richtung, daß damit die Aufhebung eines Enteignungsbescheides aus Gründen, die außerhalb der engen Voraussetzungen des § 37 liegen, ausgeschlossen wäre. Die Frage, was zu geschehen habe, wenn sich erst nach dem in § 37 bestimmten Zeitpunkt herausstellt, daß der den Enteignungsgrund bildende öffentliche Zweck, nämlich die Herstellung und der Betrieb einer Eisenbahn, nicht verwirklicht wird, ist in § 37 nicht geregelt.

C. Mangels ausdrücklicher anderer gesetzlicher Regelung der Rückgängigmachung der Enteignung für einen Fall wie den vorliegenden ergibt sich gemäß den vorstehenden Darlegungen aus dem EisenbEntG 1954, daß bei Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes die Verfügung der Enteignung durch Aufhebung des Enteignungsbescheides rückgängig zu machen ist.

Damit ist aber - mangels weitergehender gesetzlicher Regelung - der Bereich des öffentlichen Rechtes erschöpft. Insbesondere ist für die Rückgängigmachung der Enteignung ein Akt, welcher - im rückläufigen Sinn - der für den Vollzug der Enteignung wesentlichen Besitzerlangung (§35 EisenbEntG 1954) entspricht, nicht vorgesehen; er kann daher auch nicht als notwendig angesehen werden, um dem seinerzeit Enteigneten wieder das Eigentum an der enteigneten Sache zu verschaffen. Der VfGH kann der gegenteiligen Auffassung des Obersten Gerichtshofes, die dieser in der Entscheidung vom 5 Ob 311/74, JBl. 1975 S 321 f., SZ 47/152, zum Ausdruck gebracht hat, nicht beipflichten.

Bei der hier gegebenen Rechtslage ist mit der Rechtskraft des den Enteignungsbescheid aufhebenden Bescheides der seinerzeitige Übertragungsakt weggefallen und der seinerzeit Enteignete wieder Eigentümer der enteigneten Sache (vgl. zum Wegfall eines in einem Gesetz bestehenden Übertragungsaktes , EvBl. 397/1966). Die damit zusammenhängenden weiteren Rechtsfragen, wie etwa die Rückgabe der seinerzeitigen Entschädigung, die Verrechnung der zwischenweiligen Nutzungen und die bücherliche Rückübertragung, sind nach den Bestimmungen des Privatrechtes zu lösen.

Die Aussage des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 5 Ob 345, 346, 347/66, SZ 39/216, wonach der Wiedererwerb in der Regel kein Privatrechtsgeschäft ist, sondern gleich der Enteignung einen Akt des öffentlichen Rechtes darstellt, geht von der vom VfGH nicht angenommenen Prämisse aus, daß der Anspruch auf Rückerwerb nur auf Grund einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung anerkannt werden kann und sich somit auch danach richtet.

D. Mit dem angefochtenen Bescheid sind von den drei Anträgen der Landeshauptstadt Linz (siehe vorstehenden Punkt I.3.), der Antrag auf Aufhebung des seinerzeitigen Enteignungserkenntnisses sowie auf Rückübertragung der seinerzeit enteigneten Grundstücke, d. s. also die mit den Buchstaben b und c bezeichneten Anträge, gemäß § 37 Abs 1 bis Abs 3 EisenbEntG 1954 abgewiesen worden; über den mit dem Buchstaben a bezeichneten Feststellungsantrag ist nicht entschieden worden.

Aus den vorstehenden Darlegungen ergibt sich,


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-
daß die belangte Behörde mit der auf § 37 Abs 1 bis 3 EisenbEntG 1954 gestützten Abweisung des (unter b gestellten) Antrages, das seinerzeitige Enteignungserkenntnis aufzuheben, das Gesetz in einer der Gesetzlosigkeit gleichkommenden Weise verkannt und damit die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt hat, sowie


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-
daß die belangte Behörde mit der auf die gleichen Gesetzesbestimmungen gestützten Abweisung des (unter c gestellten) Antrages, die enteigneten Grundstücke der Beschwerdeführerin ins Eigentum grundbücherlich zu übertragen, zu Unrecht die Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung in Anspruch genommen und damit die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt hat.

Der angefochtene Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.