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OGH vom 25.11.2014, 11Os137/14b

OGH vom 25.11.2014, 11Os137/14b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Aydin A***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 161 Hv 164/13p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 21 Bs 350/14w (ON 44 der Hv Akten) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aydin A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 161 Hv 164/13p des Landesgerichts für Strafsachen Wien legt die Staatsanwaltschaft Wien dem Genannten mit Strafanträgen von (ON 6), vom (ON 11 in ON 23) und vom (ON 4 in ON 28) als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB, des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG beurteiltes Verhalten zur Last.

Danach habe er (zusammengefasst)

I./ am den Justizwachebeamten RI Helmut S***** mit Gewalt an einer Amtshandlung, und zwar seiner Visitierung, zu hindern versucht, indem er sich mit den Händen von der Wand gestemmt und zum Schlag in Richtung RI Helmut S***** ausgeholt habe, wobei dieser den Angriff habe abwehren können (Strafantrag vom ; ON 6);

II./ vorschriftswidrig Suchtgift,

A./ nämlich Cannabiskraut (Wirkstoff THC) für seinen Eigengebrauch erworben und besessen, und zwar

a./ am , 5,5 Gramm Cannabiskraut;

b./ am 1,4 Gramm Cannabiskraut (Strafantrag vom ON 11 in ON 23);

B./ am gewerbsmäßig (§ 70 StGB) dem abgesondert verfolgten Christian L***** 1,43 Gramm Cannabiskraut (Wirkstoff: Delta 9 THC und THCA) durch gewinnbringenden Verkauf um 10 Euro überlassen (Strafantrag vom ; ON 4 in ON 28).

Gleichzeitig mit der Einbringung des letzten Strafantrags vom (ON 4 in ON 28) beantragte die Staatsanwaltschaft die Verhängung der Untersuchungshaft über Aydin A***** „wegen § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und Abs 3 SMG gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit b und c StPO“, begründete dies mit bestimmten Tatsachen und verwies zum dringenden Tatverdacht auf den (dem Strafantrag zugrunde liegenden) Abschlussbericht des Landeskriminalamts Wien Außenstelle West vom , insbesondere die Belastung durch die einschreitenden Polizeibeamten. Gleichzeitig stellte sie den Antrag auf gemeinsame Führung der diesem Strafantrag zugrunde liegenden Strafsache mit dem (seit ) anhängigen Verfahren AZ 161 Hv 164/13p (ON 1 S 3 in ON 28).

Nach antragsgemäßer Verbindung gemäß § 37 StPO (ON 1 S 5) verhängte die zuständige Einzelrichterin mit Beschluss vom (ON 30) die Untersuchungshaft über den am 24. September in die Justizanstalt Josefstadt eingelieferten Aydin A***** aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit b und lit c StPO wegen des dringenden Verdachts der Begehung der in den zuvor wiedergegebenen Strafanträgen umschriebenen strafbaren Handlungen.

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 44) gab das Oberlandesgericht Wien einer dagegen erhobenen Beschwerde des Angeklagten (ON 35) nicht Folge und prolongierte die Haft aus den genannten Haftgründen, wobei es gleichfalls einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich sämtlicher dem Angeklagten mit den erwähnten Strafanträgen zur Last liegenden Handlungen in objektiver und subjektiver Hinsicht als gegeben sah.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten.

Ohne die Annahmen des Oberlandesgerichts zum dringenden Tatverdacht und zum Fehlen effektiver gelinderer Mittel zu bekämpfen, sieht sich der Beschwerdeführer rein aus formellen Gründen in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Einerseits sei kein schlüssiger Haftantrag vorgelegen und andererseits die Untersuchungshaft ohne vorherige Vernehmung zur Sache und Verkündung im Beisein eines Verteidigers verhängt worden. Eine bloß auf dem Vorwurf des einmaligen Verkaufs einer geringen Menge von Cannabiskraut laut Strafantrag vom (II/B) aufbauende Untersuchungshaft wiederum rechtfertige weder die Annahme von Tatbegehungsgefahr noch sei eine deswegen verhängte Haft als verhältnismäßig anzusehen.

§ 173 Abs 1 StPO zufolge darf die Untersuchungshaft nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhängt werden, wenn der Beschuldigte (Angeklagte) einer bestimmten Straftat verdächtig, vom Gericht zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft vernommen worden ist und einer der im Abs 2 leg cit angeführten Haftgründe vorliegt. Sie darf nicht angeordnet oder fortgesetzt werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht oder ihr Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel im Sinn des Abs 5 leg cit erreicht werden kann.

Liegen einer Haft mehrere Straftaten zugrunde, kann eine Grundrechtsverletzung durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung nur erblickt werden, wenn die genannten Haftvoraussetzungen hinsichtlich keiner einzigen dieser Straftaten gegeben sind, weil erst dann die Haft als solche gesetzwidrig wäre (vgl zur Haftprämisse des dringenden Tatverdachts RIS-Justiz RS0061132; zu jener der Prognoseentscheidung RIS-Justiz RS0061196; vgl auch RIS Justiz RS0120817 [T6]).

Der mit dem Strafantrag vom eine Einheit bildende schriftliche Antrag der Staatsanwaltschaft vom selben Tag bezeichnet deutlich und bestimmt die entscheidenden Tatsachen, hinsichtlich welcher auf Grund des Vorliegens eines aus Sicht der Staatsanwaltschaft dringenden Tatverdachts (zu II/B) die Untersuchungshaft beantragt wurde, als auch jene Umstände, auf die sich die Annahme von Tatbegehungsgefahr stützt. Dass das Beschwerdegericht (ON 44) - ebenso wie das Erstgericht (ON 30) - darüber hinaus auch hinsichtlich der weiteren Anklagepunkte (I und II/A) von einem dringenden Tatverdacht ausgegangen ist, vermag am Vorliegen eines im Sinn des § 173 Abs 1 StPO gesetzeskonformen Antrags der Staatsanwaltschaft ( Kirchbacher/Rami , WK StPO § 173 Rz 15 17) als Voraussetzung einer in der Folge jedenfalls (auch) in Bezug auf den Anklagepunkt II/B verhängten Untersuchungshaft nichts zu ändern.

Auch der Vorwurf einer Haftverhängung ohne gesetzeskonform vorgenommenes Pflichtverhör zur Sache geht ins Leere. Nach Belehrung über seine Rechte erklärte der Angeklagte - anders als bei seiner Befragung durch die Polizei am (ON 2 S 37 in ON 28) - am Beginn der am durchgeführten gerichtlichen Vernehmung, nicht auf die Beiziehung eines Verteidigers zu verzichten und sich vor einer Aussage zur Sache mit einem solchen besprechen zu wollen (ON 29). Die Unterbindung einer Kontaktaufnahme des bereits von der Polizei (ON 2 S 45, sowie ON 3 S 7 f je in ON 28) über seine Beschuldigtenrechte informierten Festgenommenen mit einem Verteidiger oder dem rechtsanwaltlichen Journaldienst hat der Angeklagte nie behauptet. Vom Gericht wurde sein Wunsch respektiert, sich vor einer Aussage zur Sache mit einem Verteidiger zu beraten (§§ 58 Abs 1, 59 Abs 1, 164 Abs 2 StPO).

§ 174 Abs 1 erster Satz StPO allerdings gebietet eine unverzügliche Entscheidung über die Untersuchungshaft. Eine Verpflichtung zum Zuwarten bis zum Ende der 48 stündigen Frist nach Einlieferung des Festgenommenen, wenn dieser - trotz gebotener Gelegenheit - nicht sofort zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen inhaltlich Stellung nehmen will, lässt sich daraus gerade nicht ableiten (RIS Justiz RS0124551; 15 Os 62/10x; Kirchbacher/Rami , WK StPO § 174 Rz 3).

Einwände gegen die Annahme von Tatbegehungsgefahr wurden im ordentlichen Instanzenzug ebensowenig vorgebracht wie gegen jene zur Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (ON 35), sodass die darauf bezogene Kritik an der (horizontalen) Nichterschöpfung des Instanzenzugs scheitert.

Bleibt dazu anzumerken: Das Beschwerdegericht hat seine Befürchtung, der Angeklagte werde ungeachtet des gegen ihn (wegen sämtlicher Anklagepunkte gemeinsam) geführten Verfahrens eine strafbare Handlung - (aus dem Kontext ausreichend erkennbar gemeint:) auch gegen dasselbe Rechtsgut wie die ihm (im Haftantrag) angelastete gewerbsmäßige Suchtgiftüberlassung (II/B) - verüben (§ 173 Abs 2 Z 3 lit c StPO), auf die in Bezug auf das gleiche Rechtsgut ohne jeden Zweifel einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten nach dem Suchtmittelgesetz und auf die erneute Delinquenz trotz eines bereits anhängigen Strafverfahrens, dem sich der Angeklagte bis dahin im Übrigen entzogen hatte, gestützt (BS 4). Bei (wie hier willkürfreier) Ableitung auch nur eines einzigen Haftgrundes und vertretbarem Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe des bereits mehrfach einschlägig (wegen des - teils auch gewerbsmäßigen - Überlassens von Suchtgift) vorbestraften Angeklagten ist die Untersuchungshaft auch unter dem Gesichtspunkt dieser Haftprämissen nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0117806, auch RS0120790).

Aydin A***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Die Grundrechtsbeschwerde war demnach ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0110OS00137.14B.1125.000