zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 26.06.1997, 8ObA170/97a

OGH vom 26.06.1997, 8ObA170/97a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Adamovic und Dr.Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Johannes Schenk und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Leopold K*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Richard Köhler und Dr.Anton Draskovits, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei "B*****"-Küchenbetriebsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Josef Bock und Dr.Thomas Wiesinger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 500.000,--), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 348/96x-15, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 8 Cga 106/96g-10, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war zunächst als Angestellter der Muttergesellschaft, einer Versicherungsgesellschaft, die alleinige Gesellschafterin der beklagten Partei ist, beschäftigt; mit Wirkung vom wurde sein dem KVI (Kollektivvertrag für Versicherungsangestellte Österreichs, Innendienst) unterliegendes "definitives" Angestelltenverhältnis auf die beklagte Partei vereinbarungsgemäß übertragen. Dabei wurde die weitere Anwendung des KVI mit dem Kläger vereinbart sowie ein "Rückkehrrecht" für den Fall der Auflösung der beklagten Partei (und der Nichtübernahme durch ein Nachfolgeunternehmen). Der Kläger wurde - gemeinsam mit einem anderen Angestellten der Muttergesellschaft, der dort Prokurist ist - zum Geschäftsführer der beklagten Partei (= Tochtergesellschaft) bestellt. Nach der Suspendierung des Klägers vom , mit der auch gleichzeitig seine Funktion als Geschäftsführer der beklagten Partei sistiert wurde, erfolgte seine Entlassung mit Schreiben vom , das dem Kläger am zuging.

Der Kläger begehrte die Feststellung des aufrechten Fortbestandes seines Arbeitsverhältnisses mit dem Vorbringen, die Entlassung entspreche mangels eines Disziplinarverfahrens nicht den Voraussetzungen des KVI und sei daher unwirksam; hilfsweise - aus anwaltlicher Vorsicht, für den Fall, daß der Kollektivvertrag nicht anzuwenden sei (AS 5) - die Leistung von S 560.751,62 sA mit dem Vorbringen, die Entlassung sei unberechtigt, weshalb ihm Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung in der Höhe des Klagsbetrages gebühre.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, infolge Verletzung zwingender Bestimmungen des anzuwendenden Kollektivvertrages - es sei weder das Disziplinarverfahren abgeschlossen, noch liege ein Disziplinarerkenntnis vor - sei die Beendigungserklärung rechtsunwirksam.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus:

§ 102 ArbVG sehe die Zulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen vor, soferne sie im Kollektivvertrag geregelt sind und über sie eine mit Zustimmung des Betriebsrates eingerichtete Stelle entscheidet oder der Betriebsrat zustimmt. Nach ständiger Judikatur seien jedoch weder Kündigungen noch Entlassungen und Disziplinarmaßnahmen im Sinne des § 102 ArbVG. Sie seien somit auch nicht Disziplinarmaßnahmen einer durch Kollektivvertrag zustandegekommenen Disziplinarordnung. Zu prüfen bleibe, ob solche Maßnahmen zumindest arbeitsvertragliche Wirkung entfalten, wenn die Disziplinarmaßnahme "Entlassung" eine gemäß § 2 Abs 2 ArbVG durch Kollektivvertrag regelbare Angelegenheit darstelle. Der Arbeitgeber wäre dann arbeitsvertraglich gebunden, eine Entlassung erst dann auszusprechen, wenn er dazu die Zustimmung der Disziplinarkommission erhalten habe. Der vorliegende Kollektivvertrag verpflichte den Arbeitgeber für den Fall einer beabsichtigten strafweisen Entlassung zur Vorschaltung eines Disziplinarverfahrens. Aus den Regelungen des KVI ergebe sich eine Divergenz zwischen dem Mitwirkungsrecht des Betriebsrates an Entlassungen aufgrund des Kollektivvertrages und dem vom ArbVG vorgesehenen Mitwirkungsrecht. Alleine durch das daraus sich ergebende doppelte Mitwirkungsrecht des Betriebsrates werde das System der gesetzlich vorgesehenen Mitwirkungsrechte gesprengt. Mit der Entscheidung SZ 68/135 sei der Oberste Gerichtshof von seiner früheren Ansicht der Zulässigkeit einer solchen kollektivvertraglichen Regelung abgerückt und im Anschluß an die Entscheidungen 9 ObA 606/92 und 8 ObA 276/94 zum Ergebnis der Nichtigkeit der Regelung zufolge eines unzulässigen Eingriffes in absolut zwingendes Betriebsverfassungsrechtes gelangt. Der absolut zwingende Charakter des Arbeitsverfassungsgesetzes verhindere eine erweiternde Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates durch Kollektivvertrag. Die Erweiterung des Mitwirkungsrechtes des Betriebsrates gegenüber § 106 ArbVG führe zur Unzulässigkeit der diesbezüglichen Kollektivvertrags- bestimmungen. Die Nichtigkeit der genannten Regelung im KVI habe daher für den Kläger die wirksame Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Folge. "Im zweiten Rechtsgang werde das Erstgericht diesbezügliche Feststellungen zu treffen und das Vorliegen der Voraussetzungen der Entlassung gemäß § 27 AngG zu prüfen haben".

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, in der Sache selbst zu entscheiden und die Entscheidung insofern abzuändern, als der Klage voll stattgegeben werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der für zulässig erklärte Rekurs ist, soweit er sich gegen die Begründung des angefochtenen Beschlusses richtet, teilweise berechtigt.

In seinem Rekurs wendet sich der Kläger gegen die vom Berufungsgericht angenommene Wirksamkeit der von der beklagten Partei ohne das nach dem KVI vorgesehene Disziplinarverfahren und ein auf strafweise Entlassung lautende Disziplinarerkenntnis ausgesprochenen Entlassung sowie gegen die Legitimation der Muttergesellschaft der beklagten Partei zum Ausspruch der Entlassung.

Der Entscheidung des Berufungsgerichtes ist nur im Ergebnis zuzustimmen, nicht in der Begründung.

Selbst wenn gegen die vom Berufungsgericht angeführte Rechtsprechung, die Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates durch Einräumung eines Anhörungsrechtes vor einer Entlassung durch Kollektivvertrag sei nichtig (SZ 68/135 = DRdA 1996/37, 388 [Jarbornegg]), bzw eine Kündigung oder Entlassung sei keine Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 102 ArbVG (Arb 11.378 = RdW 1995,

433) Zweifel in der Lehre geäußert wurden (zuletzt etwa Runggaldier, Keine Erweiterung von Mitwirkungsrechten des Betriebsrates durch Kollektivvertrag? RdW 1997, 77 zum Kündigungsrecht; derselbe, Herausforderungen der Tarifautonomie: Das Beispiel Österreichs, ZIAS 1997, 1, 20 ff jeweils mwH) so braucht zu diesen in diesem Verfahren nicht abschließend Stellung genommen werden. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß der KVI für den Kläger nicht normativ gemäß den §§ 8 ff ArbVG gilt, sondern "nur" paktiert zufolge der Vereinbarung vom (Beil./D: Arbeitgeberwechsel von der Muttergesellschaft auf die beklagte Partei). Aus dem Mitwirkungsrecht eines Betriebsrates im Disziplinarverfahren kann im Falle der vereinbarten Weitergeltung des KVI aus folgenden Erwägungen keinesfalls die Unwirksamkeit (Nichtigkeit) der Entlassung des Klägers abgeleitet werden:

In der Tochtergesellschaft (= beklagte Partei) war der Kläger als Geschäftsführer nicht Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung (§ 36 Abs 2 Z 1 ArbVG); daher könnte ein bei der Tochtergesellschaft (allenfalls) bestehender Betriebsrat keine Mitwirkungsbefugnisse hinsichtlich des Klägers ausüben (zur fehlenden Anfechtungsbefugnis

eines leitenden Angestellten gemäß § 106 ArbVG vgl 9 ObA 255/92 =

DRdA 1993/49, 460 [Grillberger] = ecolex 1993, 260). Der bei der Muttergesellschaft der beklagten Partei bestellte Betriebsrat, zu dessen Wahl der Kläger ab der Übernahme seines Arbeitsverhältnisses durch die beklagte Partei gar nicht mehr aktiv wahlberechtigt war (§ 52 Abs 1 ArbVG; wegen des unterschiedlichen Betriebsgegenstandes einer Küchenbetriebs GesmbH und einer Versicherungsgesellschaft kommt die hilfsweise anzustellende Erwägung, der Kläger wäre als für längere Zeit überlassener Arbeitnehmer bei der Muttergesellschaft

wahlberechtigt nicht in Betracht: vgl SZ 60/145 = ZAS 1988/9, 95

[Schnorr] = RdW 1987, 379), war für den Kläger nicht (mehr)

"zuständig". Außenstehenden, dh nicht im Rahmen des Betriebes (der Muttergesellschaft) beschäftigten Personen steht nur ausnahmsweise das passive Wahlrecht zum Betriebsrat unter den besonderen Bedingungen des § 53 Abs 4 ArbVG zu; eine vergleichbare Erweiterung des aktiven Wahlrechtes ist in § 52 ArbVG nicht vorgesehen und könnte dem Kläger auch nicht als "überlassener Arbeitnehmer" eingeräumt werden.

Durch eine Vereinbarung, durch die der Wirkungsbereich (vgl die in § 54 Abs 1 ASGG gebrauchte Formulierung) des Betriebsrates der Muttergesellschaft für den Fall eines Disziplinarverfahrens auf Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft ausgeweitet wird, wäre ebenso nichtig wie die Erweiterung des Wirkungsbereiches eines bei der Tochtergesellschaft bestehenden Betriebsrates auf einen "Nicht-Arbeitnehmer". Die Bedeutung der vereinbarten Weitergeltung des KVI erschöpft sich daher in der Weitergeltung der arbeitsvertraglichen Standards, ohne daß dadurch die Rechte der Betriebsverfassung bzw des Kollektivvertrages, die Rechte des Betriebsrates innerhalb seines Wirkungsbereiches vorsehen, weitergelten. Das vom Kläger behauptete Mitwirkungsrecht des Betriebsrates am Disziplinarverfahren und an einer "strafweisen Entlassung" laut KVI muß daher schon daran scheitern, daß die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates - sowohl der Mutter- als auch der Tochergesellschaft - jeweils bezüglich ihres "Wirkungsbereiches" nicht durch Vereinbarung geändert werden können.

Es hat jedoch bei der Aufhebung der Entscheidung auch hinsichtlich des auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses gerichteten Hauptbegehrens zu bleiben:

Die Unwirksamkeit der Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Betreibsrates durch die vorliegende einzelvertragliche Vereinbarung (siehe 9 ObA 192/94 = Arb 11.302 = DRdA 1995/23 [Strasser] = ZAS 1996/3 [Kürner, 19 f]) hat, wie der Oberste Gerichtshof bereits in dieser Entscheidung sowie in 8 ObA 276/94 (= Arb 11.258 = ZAS 1996/2 [Kürner]) ausgesprochen hat, nicht auch die Unwirksamkeit der vereinbarten materiellrechtlichen Kündigungsbeschränkungen zur Folge, sondern ist davon auszugehen, daß der Arbeitgeber zwar die Auflösung ohne Durchführung eines Disziplinarverfahrens vornehmen kann, aber dabei an die vereinbarten Auflösungsgründe gebunden ist. Im Falle eines derartigen vertraglich vereinbarten besonderen Bestandschutzes beendet eine Entlassung das Arbeitsverhältnis nur dann, wenn sie gerechtfertigt ist. Eine gerechtfertigte Entlassung im Sinne des gemäß § 23 Abs 3 KVI anzuwendenden § 27 AngG ist daher grundsätzlich ohne Durchführung eines Disziplinarverfahrens zulässig, bei nicht für eine Entlassung ausreichenden Gründen muß aber im Rahmen der Entscheidung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses noch geprüft werden, ob diese Gründe nicht etwa das Gewicht eines Kündigungsgrundes haben.

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren im Rahmen der Entscheidung über das Feststellungsbegehren vorerst zu prüfen haben, ob die Entlassung des Klägers aufgrund der von der beklagten Partei geltend gemachten Entlassungsgründe iS des § 27 AngG gerechtfertigt erfolgte. Sollten die geltend gemachten Verfehlungen eine Entlassung nicht rechtfertigen, wäre noch zu prüfen, ob sie das - ebenso wie in der der Entscheidung 9 ObA 192/94 zugrundeliegenden Vertragsschablone - im KVI nicht näher definierte Gewicht eines Kündigungsgrundes erreichen.

Schließlich ist zur Frage der vom Rekurswerber bestrittenen Legitimation des Vorstandes der Muttergesellschaft zum Ausspruch der Entlassung Stellung zu nehmen. Gemäß § 16 Abs 1 GmbHG kann die Bestellung zum Geschäftsführer unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen durch Beschluß der Gesellschafter jederzeit widerrufen werden. Lediglich in den Fällen der Abs 2 (Gesellschafter-Geschäftsführer) und Abs 3 (Bestellung des Geschäftsführers im Gesellschaftsvertrag) ist eine Einschränkung der Abberufungsmöglichkeit zulässig. In allen Schreiben (Suspendierung, Entlassung) hat sich der Vorstand der Muttergesellschaft auf deren Eigenschaft als alleinige Gesellschafterin der beklagten Partei berufen, sodaß wegen des anzustrebenden Gleichklanges von Anstellung und Bestellung einerseits, bzw Abberufung und Entlassung andererseits die Legitimation des Vorstandes der Muttergesellschaft als alleinige Gesellschafterin der beklagten Partei zur Entlassung des Klägers nicht zweifelhaft sein kann (siehe Gellis Komm zum GmbHG3 Rz 8 zu § 16, 147 für den Fall der Kündigung: "Ist die Kündigung mit der Abberufung verknüpft, ist das Bestellungsorgan zuständig"; dies hat auch folgerichtig für den Fall der Entlassung zu gelten; siehe weiters Koppensteiner GmbH - Gesetz Komm § 16 Rz 34 und 36;

Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht I2 Rz 2/122;

Runggaldier/Schima, Die Rechtsstellung von Führungskräften 192).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.