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OGH vom 17.12.2012, 10ObS161/12t

OGH vom 17.12.2012, 10ObS161/12t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A***** V*****, als Fortsetzungsberechtigte nach dem verstorbenen K***** V*****, vertreten durch Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier Mag. Manuel Vogler OG, Rechtsanwälte in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 54/12s 27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 17 Cgs 265/10m 22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag des Versicherten K***** V***** vom auf Erhöhung des bisher gewährten Pflegegeldes der Stufe 3 ab.

Dagegen erhob der Versicherte Klage mit dem Begehren auf Gewährung von Pflegegeld einer höheren Pflegegeldstufe. Er sei nicht mehr in der Lage, selbst seinen Tagesablauf zu bewältigen und sei ständig auf fremde Hilfe angewiesen.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und wendete ein, nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung liege kein höherer Pflegeaufwand als jener der Stufe 3 vor.

Am verstarb der Versicherte, wodurch das Verfahren gemäß § 76 Abs 1 ASGG unterbrochen war. Mit Beschluss vom wurde das unterbrochene Verfahren gemäß § 19 Abs 3 BPGG mit der Ehegattin des Verstorbenen als nunmehriger Klägerin fortgesetzt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren dahin Folge, dass es der Klägerin vom bis Pflegegeld der Stufe 4 in Höhe von monatlich 664,30 EUR zusprach und das darüber hinausgehende Klagebegehren abwies.

Es traf folgende Feststellungen:

„Ab dem bestand für den Versicherten ein Pflegebedarf für tägliche Körperpflege, Zubereitung der Mahlzeiten, Verrichtung der Notdurft, An und Auskleiden, Einnahme von Medikamenten, Mobilitätshilfe im engeren Sinn, Besorgung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, Reinigung der Wohnung und persönlicher Gebrauchsgegenstände, Waschen der Leib und Bettwäsche, Mobilitätshilfe im weiteren Sinn, Motivation für die Einnahme der Mahlzeiten und für das Auffüllen des Wasserbehälters des Sauerstoffgeräts. Für die Verrichtung der Notdurft war Unterstützung nicht nur wegen der mangelnden Erreichbarkeit des WCs erforderlich, sondern auch aufgrund des nicht selbständig möglichen An und Auskleidens und Reinigens.

Ab verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Versicherten. Er musste pro Tag ca zweimal Injektionen verabreicht erhalten, was einen zusätzlichen Zeitaufwand von etwa fünf Stunden pro Monat ergab. Seit war es ihm nicht möglich, mit Hilfe eines Rollstuhls die Toilette aufzusuchen, da es in engen Räumen zu Panikattacken gekommen war. Da das WC in der Toilette nicht mehr benutzt werden konnte, erfolgte die Verrichtung der Notdurft am Leibstuhl.“

Rechtlich ging das Erstgericht unter Anwendung der in der Einstufungsverordnung verankerten Zeitwerte für die einzelnen Betreuungs und Hilfsverrichtungen für den Zeitraum vom bis von einem monatlichen Pflegebedarf von 174 Stunden und für den Zeitraum vom bis von einem monatlichen Pflegebedarf von 179 Stunden aus. Sei die Verrichtung der Notdurft auch am Leibstuhl nur mit fremder Unterstützung möglich, habe der Mindestwert für die Verrichtung der Notdurft von 4 x 15 Minuten pro Tag Berücksichtigung zu finden (§ 1 Abs 4 EinstVO). Der Richtwert für die Entleerung und Reinigung des Leibstuhls sei nicht zusätzlich zu berücksichtigen, weil der festgelegte Zeitwert für die Verrichtung der Notdurft auch die Reinigung des Leibstuhls umfasse. Die vom Sachverständigen im vorliegenden Fall für die Entleerung und Reinigung des Leibstuhls dennoch veranschlagten zehn Stunden monatlich seien daher nicht maßgeblich. Der Pflegebedarf für den Zeitraum vom bis übersteige somit insgesamt nicht 179 Stunden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur strittigen Rechtsfrage, ob beim Betreuungsbedarf für die Verrichtung der Notdurft bei Verwendung eines Leibstuhls kumulativ auch der Richtwert für die Entleerung und Reinigung des Leibstuhls zu berücksichtigen sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen von Mängeln erster Instanz und ging rechtlich davon aus, dass die Entscheidungsgründe des Ersturteils zutreffend seien (§ 500a ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Unter Betreuung sind nach § 1 Abs 1 EinstV alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu diesen Verrichtungen zählen gemäß § 1 Abs 3 EinstV ua die Entleerung und Reinigung des Leibstuhls, wobei bezogen auf einen Tag von einem Richtwert von 4 x 5 Minuten auszugehen ist. Es handelt sich bei der Entleerung und Reinigung des Leibstuhls um eine persönliche Betreuungsleistung des Betroffenen, die aus hygienischen Gründen zur Hintanhaltung einer Verwahrlosung kurz nach der Verrichtung der Notdurft erfolgen muss (10 ObS 255/02a, SSV NF 16/93).

2. Zu den in § 1 Abs 1 der EinstV genannten Verrichtungen zählen weiters auch solche bei der Verrichtung der Notdurft (Abs 2), für die bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwands von einem Richtwert von 4 x 15 Minuten auszugehen ist (§ 1 Abs 4 der EinstV).

3. Kann ein Pflegebedürftiger einen Leibstuhl noch selbstständig benützen, ist kein Betreuungsbedarf für die Verrichtung der Notdurft anzunehmen. Wenn aber zur Entleerung und Reinigung des Leibstuhls die Hilfe einer anderen Person notwendig ist, hat der vorgesehene Richtwert von 4 x 5 Minuten pro Tag (zehn Stunden pro Monat) nach § 1 Abs 3 EinstVO Berücksichtigung zu finden (Erläuterungen des BMAGS zur Einstufungsverordnung zum BPGG BGBl II 1999/37, 2, abgedruckt in SozSi 1999, 284 [285]).

4. Ist die Verrichtung der Notdurft auch am Leibstuhl nur mit fremder Unterstützung (etwa beim An und Auskleiden sowie bei der anschließenden Körperreinigung) möglich, ist der Mindestwert für die Verrichtung der Notdurft von 4 x 15 Minuten pro Tag heranzuziehen.

5.1. Ist die Verrichtung der Notdurft auch am Leibstuhl nur mit fremder Unterstützung möglich, hat jedoch keine zusätzliche Berücksichtigung des Richtwerts für die Entleerung und Reinigung des Leibstuhls zu erfolgen, weil der festgelegte Zeitwert für die Verrichtung der Notdurft auch die Reinigung der Toilette bzw des Leibstuhls umfasst (Erläuterungen des BMAGS zur Einstufungsverordnung BGBl II 1999/37, 2 aaO; Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 2 Rz 321; siehe auch Fürstl Grasser/Krispl , Ausgewählte Entscheidungen des OGH zum Pflegeldrecht, SozSi 2003, 216 ff [224]).

5.2. Ob wie die Revisionswerberin argumentiert, der Zeitaufwand für das Entleeren und Reinigen des Leibstuhls höher zu veranschlagen sei, als jener, der bei der Unterstützung bei der Verrichtung der Notdurft für den Spülvorgang auf der Toilette anfällt, kann demnach dahingestellt bleiben, weil es dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, dass für das Ausleeren und die Reinigung des Leibstuhls kein eigener (zusätzlicher) Zeitaufwand zu veranschlagen ist. Das Fehlen von Feststellungen zum zeitlichen Aufwand für das Entleeren und die Reinigung eines Leibstuhls zum Unterschied von dem für das Veranlassen des Spülvorgangs und der Reinigung der Toilette erforderlichen Zeitaufwands begründet somit keinen rechtlichen Feststellungsmangel.

Der Revision der Klägerin war aus diesen Gründen nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Aktuelle berücksichtigungswürdige Einkommens und Vermögensverhältnisse, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2012:010OBS00161.12T.1217.000