zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 13.03.2018, 11Os134/17s

OGH vom 13.03.2018, 11Os134/17s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Christian G***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 2, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall), 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom , GZ 35 Hv 77/15w-134, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die (verbleibende) Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Dr. G***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – Dr. Christian G***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 2, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall), 15 StGB (A) sowie jeweils eines Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C) schuldig erkannt.

Danach hat er in S***** und andernorts

(A) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz fremde bewegliche Sachen von 5.000 Euro übersteigendem Wert teils weggenommen, teils dies versucht, und zwar

(1) vom April 2011 bis zum Gewahrsamsträgern der S*****-Apotheke ***** KG in einer Vielzahl von Angriffen insgesamt zumindest 160.000 Euro Bargeld gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 2 StGB – US 11) „entweder“ durch Öffnen des Tresors der Apotheke mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel, sohin durch Einbruch, „oder“ durch Entnahme aus deren Registrierkassa, wobei es am infolge seiner Betretung beim Versuch blieb,

(2) am Gewahrsamsträgern der Ha***** GmbH eine Videokamera im Verkaufswert von 599,95 Euro,

(B) am Mag. Andreas H*****

(1) mit Gewalt zur Unterlassung der Verständigung der Polizei zu nötigen versucht, indem er den Genannten umklammerte, mit ihm rang, ihm den Pullover über den Kopf zog und ihm ein Mobiltelefon sowie einen Telefonhörer entriss,

(2) durch das zu B 1 beschriebene Verhalten in Gestalt einer oberflächlichen Schürfwunde im Bereich des Kinns, einer Zerrung der Hals- und der Brustwirbelsäule, einer Verstauchung des linken Handgelenks und einer Brustkorbprellung am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a, 9 lit b, 10 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dr. G*****.

Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet einen Fehler der Geschäftsverteilung des Landesgerichts St. Pölten sowie die sachliche Unvertretbarkeit des „Wechsels in der Person“ einer Schöffin.

Sie versagt schon deshalb, weil diese Umstände dem Beschwerdeführer – wie er ohnehin selbst einräumt – teils vor, teils während der Hauptverhandlung bekannt und von ihm nicht sofort, nachdem er in ihre Kenntnis gelangt war, geltend gemacht wurden (§ 281 Abs 1 Z 1 letzter Halbsatz StPO; RIS-Justiz RS0097452).

Der Beschwerdeauffassung zuwider gilt die Obliegenheit zu rechtzeitiger Rüge auch für nichtigkeitsbegründende Fehler der Geschäftsverteilung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 105 f; zur bei Verfassungswidrigkeit der Geschäftsverteilung gebotenen Vorgangsweise des Gerichts Ratz, ÖJZ 2016, 492 [497], und EvBl 2018/20, 136 [Hinweis zu 12 Os 145/17s]). Die zur Begründung des gegenteiligen Rechtsstandpunkts herangezogenen Entscheidungen (11 Os 32/83; 14 Os 78/16a) betreffen (nicht vergleichbare) prozessuale Konstellationen, in denen (anders als hier) die nicht gehörige Besetzung – nach objektiven Kriterien – erst nach Schluss der Verhandlung (§ 257 StPO) erkennbar war (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 143).

Ihre – die rechtliche Annahme eines 5.000 Euro übersteigenden Sachwerts (§ 128 Abs 1 Z 5 StGB) tragende – Feststellung zur Höhe des vom Angeklagten insgesamt erbeuteten Bargeldbetrags (zumindest 160.000 Euro) gründeten die Tatrichter allein auf ihre Analyse der von ihm selbst geführten „V*****-Geld-Liste“ (US 22 ff, 26, 29). Dass ein die angesprochene Wertgrenze übersteigender Fehlbestand weder in den Buchhaltungsunterlagen der Apotheke abgebildet (siehe aber die Erhebungen des Steuerberaters – US 29) noch anlässlich der am von Mag. H***** erstatteten Strafanzeige bekanntgegeben wurde, steht dem – der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider – nicht erörterungsbedürftig entgegen.

Begehung durch Einbruch (§ 129 StGB) hat das Erstgericht – auf Basis der Urteilsfeststellungen zu Recht – in Ansehung der Bargeldwegnahmen aus dem Tresor, nicht jedoch der Registrierkassa angenommen (vgl US 2, 10 f). Ob Mag. H***** deren Lade (im Zuge verstärkter Sicherheitsvorkehrungen) jeweils nach erfolgter Tagesabrechnung versperrt hatte (vgl US 7), ist daher weder entscheidend noch erheblich (zu den Begriffen Ratz, WKStPO § 281 Rz 399, 409). Das darauf bezogene Beschwerdevorbringen geht schon deshalb ins Leere.

Das Schöffengericht ging davon aus, den (im Zuge der Begehung vom Schuldspruch A 1 erfasster Taten) zum Öffnen des Tresors verwendeten Schlüssel habe der Onkel des Angeklagten einige Wochen vor dem Beginn des Tatzeitraums in den Büro- oder Geschäftsräumlichkeiten der Apotheke abgelegt gehabt, wo ihn der Angeklagte daraufhin vorgefunden und an sich genommen habe (US 6).

Entgegen dem Vorwurf „wilder Spekulationen“ leiteten die Tatrichter diese Urteilsannahmen – ohne Verstoß gegen Gesetze der Logik oder grundlegende Erfahrungswerte (Z 5 vierter Fall) – aus vernetzter Betrachtung einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen und daraus gezogenen Wahrscheinlichkeitsschlüssen ab (US 14 ff). Dass auch die Mutter des Angeklagten über einen Schlüssel zu diesem Tresor verfügte, blieb dabei nicht unberücksichtigt (Z 5 zweiter Fall), sondern wurde ausführlich erörtert (US 16).

Der vom Erstgericht – gestützt auf das Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fach des Steuer- und Rechnungswesens – sachverhaltsmäßig bejahte Umstand, der Angeklagte habe „gerade und ausschließlich“ im Tatzeitraum ab damit begonnen, Banktransaktionen durch Eigenerlag von Bargeld durchzuführen (US 27), ist weder eine entscheidende Tatsache noch wertete ihn das Erstgericht erkennbar als notwendige Bedingung für die Feststellung einer solchen. Das isoliert gegen diese Urteilsaussage gerichtete Vorbringen (nominell Z 5 letzter Fall) verfehlt daher von vornherein den Bezugspunkt der Mängelrüge (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410).

Für die Subsumtion der vom Schuldspruch A 1 umfassten Taten unter §§ 129 Abs 1 Z 2, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB allerdings bedeutsam ist die Frage, ob (zumindest) eine davon durch Einbruch begangen wurde. Der behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen den Feststellungen über die betreffenden Tatsachen in den Urteilsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) liegt indes nicht vor. Denn eine Gesamtschau der Urteilsausfertigung lässt klar erkennen, dass (nur) der mehreren vom Schuldspruch A 1 umfassten Taten „entweder“ durch Öffnen des Tresors mit dem erwähnten Schlüssel (also durch Einbruch) „oder“ durch Entnahme von Bargeld aus der Kassenlade (US 2), alle zusammen aber teils auf die eine, teils auf die andere Weise verübt wurden (US 7; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 440).

Mit (auf Z 5 zweiter und vierter Fall gestützten) beweiswürdigenden Überlegungen zum Verbleib des Schlüssels, den der Angeklagte zum Öffnen des Tresors verwendet hatte, nach dessen Betretung durch Mag. H***** am (vgl Schuldsprüche B) sowie zur Frage, ob eine die Tageseinnahmen enthaltende Brieftasche an jenem Abend inner- oder außerhalb des Tresors deponiert worden war, versäumt es die Rüge (bereits), entscheidende Tatsachen anzusprechen.

Die Feststellung einer schon „im Einzelnen“ erfolgten Planung (zumindest zweier) weiterer solcher Taten (US 11; vgl § 70 Abs 1 Z 2 StGB) blieb nicht unbegründet (Z 5 vierter Fall), sondern wurde vom Erstgericht– willkürfrei – aus dem konstatierten, von Anfang an bestehenden Tatplan abgeleitet (US 32).

Sinnfällig kein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) besteht zwischen den Feststellungen zu der in § 70 Abs 1 StGB umschriebenen Absicht (US 11) und der Annahme, der Angeklagte habe die Diebstähle (nicht aus finanzieller Not, sondern) „offenkundig“ deshalb begangen, „um seinem Selbstwertgefühl Nahrung zu geben“ (US 32).

Eine Tatsachenrüge (Z 5a) ist – soweit hier von Bedeutung (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreter Verweise auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Verfahrensergebnis aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellungen über entscheidende Tatsachen wecken soll (11 Os 29/16y ua).

Diesen Kriterien wird das auf Z 5a gestützte Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht einmal ansatzweise gerecht. Erschöpft es sich doch in jenen des Erstgerichts entgegengesetzten Beweiswerterwägungen, eigenständig entwickelten Thesen (ua „Fehlt jemandem nichts, dann kann er auch nicht bestohlen worden sein“) und weitwendigen Betrachtungen zu hypothetischen Geschehensabläufen abseits des Urteilsinhalts (ua zur „Möglichkeit, dass jeder Mitarbeiter Geld aus den Kassen hätte nehmen können“). Soweit es im Übrigen – inhaltlich – das Vorbringen zur Mängelrüge wiederholt, verkennt es die Verschiedenheit der Anfechtungskalküle (RIS-Justiz RS0116733).

Die gegen den Schuldspruch A 2 gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit b) reklamiert den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue (§ 167 StGB).

Aus den diesbezüglichen Urteilskonstatierungen ergibt sich indes keineswegs, dass der Angeklagte insoweit Schadensgutmachung geleistet hätte, die Behörde von seinem Verschulden erfahren hat (US 10; vgl im Übrigen ON 64 S 39, ON 65 S 773, ON 66 S 5 ff, 19 und 31).

Weshalb die angestrebte rechtliche Konsequenz– entgegen § 167 Abs 2 StGB – „auf Basis der getroffenen Feststellungen“ dennoch abzuleiten sei, macht die Beschwerde nicht klar (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

Die Feststellungen zu Schuldspruch A 1 tragen die Annahme gewerbsmäßiger Begehung nach Maßgabe des § 70 Abs 1 Z 2 StGB (US 10 f).

Indem die – gegen die Qualifikation nach § 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB gerichtete – Subsumtionsrüge (Z 10) nicht an den Urteilskonstatierungen zu der von § 70 Abs 1 StGB geforderten Absicht (US 10 f) festhält, sondern diese beweiswürdigend bestreitet, verlässt sie den Anfechtungsrahmen (RIS-Justiz RS0099810).

Weshalb die bekämpfte rechtliche Unterstellung noch zusätzlicher Konstatierungen zum Vorliegen der weiteren Varianten des § 70 Abs 1 Z 1 bis 3 bedürfen sollte, obwohl nach dem Gesetzeswortlaut genügt, dass eine davon erfüllt ist (arg „oder“), sagt die Beschwerde nicht (siehe aber neuerlich RIS-Justiz RS0116565).

Ebenso wenig am Verfahrensrecht orientiert (wieder RISJustiz RS0099810) ist die Rüge, soweit sie– ohne einen Feststellungsmangel zu behaupten – die Urteilsannahmen zum widerrechtlichen Erlangen des Tresorschlüssels (US 6, 16) um die eigenständig entwickelte Auffassung ergänzt, dieser sei auf einem Schreibtisch „genau neben dem Tresor“ gelegen, und auf dieser Grundlage die Subsumtion nach § 129 Abs 1 Z 2 StGB anficht (vgl dazu RIS-Justiz RS0093818, RS0093884 [T4]).

Dass sich der vom Schuldspruch A 2 umfasste Sachverhalt „zum Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO“ eigne (Z 10a), wird ohne Ableitung aus dem Gesetz bloß lapidar behauptet (siehe aber RIS-Justiz RS0124801; zur Unzulässigkeit einer – der Sache nach angestrebten – Sanktions- und Reaktionskumulierung vgl im Übrigen Schroll, WK-StPO § 198 Rz 47 f).

Der Anregung einer Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 BVG genügt der Hinweis, dass der Gesetzgeber mit der seit geltenden Rechtslage (BGBl I 2013/114 iVm BGBl I 2014/92) ein subjektives Recht auf Normanfechtung durch die Strafgerichte ausdrücklich verneint hat (RISJustiz RS0130514, jüngst 13 Os 86/17x; vgl auch Ratz, WKStPO § 281 Rz 597 und § 285j Rz 4 bis 6).

Inhaltlich kann überdies auf die abschlägige Antwort des Verfassungsgerichtshofs zum auf Art 139 Abs 1 Z 4, 140 Abs 1 Z 1 lit d BVG gestützten Antrag des Nichtigkeitswerbers verwiesen werden (G 245/2017, V 106/20177).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nach hierzu erstatteter Äußerung des Rechtsmittelwerbers – gemäß § 285d Abs 1 StPO, ebenso wie die im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO), schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung gegen den Strafausspruch sowie den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00134.17S.0313.000
Schlagworte:
Strafrecht;

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.