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VfGH vom 02.03.1994, B2045/92

VfGH vom 02.03.1994, B2045/92

Sammlungsnummer

13694

Leitsatz

Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Arzt wegen der im Rahmen von Interviews in Medien geäußerten Kritik am Honorarsystem der Ärzte infolge verfassungswidriger Auslegung der Standesregeln des ÄrzteG; keine Beeinträchtigung des Standesansehens durch - wenn auch scharfe - Sachkritik zur Bekämpfung systembedingter Mißstände

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Österreichische Ärztekammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Dr. J E ist praktischer Arzt; er ist gewählter Vertreter der Ärzteschaft in der Ärztekammer für Salzburg.

2.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, vom , Z Dk-S-14/91, wurde der nunmehrige Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

"1. im März 1991 in einem dem Landesstudio Salzburg des ORF

gegebenen Interview, ..., geäußert, daß ein durchschnittlicher

Praktiker nur zwei bis fünf Minuten für einen Patienten aufwende,

es bleibe ihm daher nichts anderes übrig, als Medikamente zu

verschreiben, oftmals, ohne den Patienten überhaupt gesehen zu

haben. Dabei würden Mengen an Medikamenten verschrieben, die

unnötig seien. ... Die Menge der verordneten Schmerzmittel und

der Mittel der antibakteriellen Medizin könnte auf ca. ein

Zehntel reduziert werden, es werde eine reine Abfertigungsmedizin

betrieben. ... Seine Ärztekollegen sollten verantwortungsbewußter

mit den Patienten umgehen und weniger ans Geldverdienen denken.

2. Im März 1991 gegenüber der Zeitschrift 'Die ganze Woche', veröffentlicht am , unter anderem geäußert: 'Das Hauptinteresse der meisten Mediziner ist heute rein finanzieller Natur ... Bei den starken schulmedizinischen Arzneien wäre bei optimaler Betreuung nur jede zehnte Verschreibung notwendig. ... Mit der Zugangsbeschränkung durch den Kassenvertrag hilft die Kammer mit, daß die Wartezimmer voll bleiben und die Ärzte genügend Krankenscheine sammeln können'.

3. Im März 1991 in der Kronen-Zeitung, Ausgabe Salzburg, ..., einen mit Bildern versehenen Bericht über sich und seine Ordination publizieren lassen.

4. Im Mai 1991 in einem in den Salzburger Nachrichten erschienenen Artikel seine Honorarsätze veröffentlicht,

und hat hiedurch ein Disziplinarvergehen nach § 95 Abs 1 Z. 1 (Pkt. 1. und 2.) und Z. 2 (Pkt. 3. und 4.) Ärztegesetz 1984 begangen und wird hiefür nach § 101 Abs 1 Z. 2 Ärztegesetz 1984 zu einer Geldstrafe in der Höhe von S 30.000,-- und zum Ersatz der mit S 24.000,-- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt."

2.2. Der vom Disziplinarbeschuldigten dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz vom , Z DS 3 1992, dahingehend Folge gegeben, daß das angefochtene Erkenntnis in seinen Punkten 3. und 4. sowie im Strafausspruch aufgehoben und der Disziplinarbeschuldigte in diesem Umfang freigesprochen wurde.

Für das unberührt gebliebene Vergehen nach § 95 Abs 1 Z 1 ÄrzteG (Schuldspruch Punkt 1. und 2.) wurde über ihn nach § 101 Abs 1 Z 2 Ärztegesetz 1984 (künftig: ÄrzteG 1984) eine Geldstrafe von S 20.000,-- gemäß § 101 Abs 3 ÄrzteG 1984 bedingt unter Bestimmung einer Bewährungsfrist von drei Jahren verhängt.

Gemäß § 102 Abs 1 hat der Disziplinarbeschuldigte auch die mit S 12.000,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:

"...

Auch der Berufungssenat verkennt nicht, daß der Disziplinarbeschuldigte bestrebt war, tatsächliche oder vermeintliche Mißstände des mit den Gebietskrankenkassen vereinbarten Honorarsystems aufzuzeigen; und daß dies ihm mangels entsprechender Reaktion im Rahmen der Ärztekammer nur dadurch bewirkbar erschien, daß die Probleme und Mißstände in die Öffentlichkeit getragen werden, damit dann die zur (politischen) Entscheidung berufenen Stellen zu entsprechenden Initiativen veranlaßt werden. Bei Veröffentlichungen in Massenmedien ist es oft unvermeidlich, daß das Vorbringen nicht immer ganz sachlich und präzise erfolgt, und daß manche Formulierungen überspitzt sind.

Aber selbst unter diesen Gesichtspunkten stellen die Interviews, die der Disziplinarbeschuldigte dem ORF und der Zeitschrift 'Die ganze Woche' gewährt hat, eine Beeinträchtigung des Ansehens der österreichischen Ärzteschaft in einem Maße dar, die tatbestandsmäßig im Sinne des Schuldspruches ist. Die Aussendungen erwecken beim unbefangenen und oft einfach strukturierten Leser den Eindruck, daß praktisch alle Ärzte bei der Behandlung von Patienten so vorgehen, wie es aufgezeigt wird. Diese Verallgemeinerung ist aber falsch und unverantwortlich selbst unter der Annahme, daß die Vorwürfe auf einen erheblichen Teil der praktischen Ärzte mit Kassenvertrag zutreffen sollten. Es gibt genug Ärzte, die trotz der großen Zahl von Kassenpatienten jeden einzelnen ihrem ärztlichen Eid gemäß behandeln.

Die beiden Interviews verstoßen daher jeweils in ihrer Gesamtheit gegen die Verpflichtung, das Ansehen der österreichischen Ärzteschaft nicht zu beeinträchtigen. Im einzelnen gilt dies insbesondere durch die Behauptung, bei der Verschreibung von Medikamenten würde verantwortungslos vorgegangen, der Arzt verordne Medikamente, um den Patienten schnell loszuwerden, es werde eine reine Abfertigungsmedizin betrieben, das Hauptinteresse der meisten Mediziner sei heute rein finanzieller Natur, lästige Patienten würden durch Verschreiben von Tabletten abgewimmelt, Ärzte mit Hausapotheke hätten Gewinnspannen zwischen 30 und 200%, aber auch die anderen Ärzte seien mit den Apotheken 'verbandelt'. Die Unseriosität ergibt sich auch daraus, daß - wie der Disziplinarbeschuldigte selbst zugestand - die durchschnittliche Gewinnspanne bei Medikamenten nicht über 30% liegt, während 200% angeblich bei einigen homöopathischen Mitteln verlangt würden, doch werden solche Mittel von Kassenärzten in der Regel nicht verschrieben.

..."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden sei. Er unterstreicht, daß er immer wieder auf Mißstände im Österreichischen Gesundheitswesen hingewiesen und sich für eine Veränderung der Verhältnisse und Abschaffung der Mißstände eingesetzt habe. In zahllosen Publikationen, wissenschaftlichen Untersuchungen und Diskussionen werde in zunehmendem Maße das Gesundheitswesen (nicht nur in Österreich) angeprangert; weil die Verschreibungspraktiken der Ärzte, basierend auf einer starken Einflußnahme durch die Pharmaindustrie, sich sogar teilweise gegen die Gesundheit der Menschen richten, werde die Patientenbehandlung als 'Abfertigungsmedizin' und das Krankenkassensystem (Krankenschein-System) als dringend reformbedürftig bezeichnet. Der Beschwerdeführer habe die Standesehre nicht verletzt, sondern unhaltbare und standeswidrige Verhaltensweisen in der Ärzteschaft angeprangert. Im angefochtenen Bescheid werde übersehen, daß er bei seiner Kritik zwar verallgemeinert, daß er aber gerade nicht alle Ärzte angesprochen habe, weil es naturgemäß Ausnahmen gebe, wenngleich diese in der Minderzahl seien. Für Kritik liege die Grenze des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Meinungsäußerung dort, wo strafbares Verhalten beginne, also dort, wo die Ehre einer bestimmten Person unzulässigerweise beeinträchtigt werde. Es könne wohl nicht Aufgabe eines Standesrechtes sein, einen Mißstand dadurch zu beseitigen, daß der Kritiker diszipliniert werde. Der Beschwerdeführer habe keinen Zweifel daran gelassen, daß das gesetzliche Krankenkassensystem Ursache für die negativen Verhaltensweisen sei.

5.2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesagt hat (vgl. VfSlg. 11996/1989, 12796/1991) schließt das gemäß Art 10 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ein, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind (VfSlg.

10700/1985). Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die

Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin, wie auch der EGMR

ausgesprochen hat (Fall Sunday Times v. = EuGRZ 1979, 386

ff; Fall Observer and Guardian v. = ÖJZ 1992, 378 ff),

(1) gesetzlich vorgesehen sein,

(2) einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK

genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und

(3) zur Erreichung dieses Zwecks oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.

5.2.2. Die disziplinäre Bestrafung des Beschwerdeführers stützt sich auf § 95 Abs 1 ÄrzteG 1984. Nach dieser Bestimmung machen sich Ärzte eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie

1. das Ansehen der Österreichischen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder 2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften verpflichtet sind.

Anknüpfend an seine bisherige Judikatur zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Disziplinarrechtes der Ärzte (vgl. insbesondere VfSlg. 6026/1969) geht der Gerichtshof davon aus, daß es iS des Art 10 Abs 2 EMRK "in einer demokratischen Gesellschaft als notwendig" angesehen werden kann, abwertende, den Grundsatz der Kollegialität verletzende und die Stellung von Berufskollegen in der Öffentlichkeit benachteiligende Meinungsäußerungen im Wege einer besonderen Standesgerichtsbarkeit zu ahnden, sofern diese Meinungsäußerungen in der Art ihrer Formulierung oder in ihrem Inhalt eine unsachliche Kritik in sich bergen. Soweit die geschilderten gesetzlichen Regelungen des Disziplinarrechtes für Ärzte derartige, nach Form oder/und Inhalt bedenkliche, weil Berufskollegen unsachlich beeinträchtigende Äußerungen hintanzuhalten geeignet sind, besteht danach (sogar) ein "dringendes soziales Bedürfnis" (vgl. VfSlg. 10700/1985, 11996/1989). Standesrechtlich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen sind daher an sich zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer in einer demokratischen Gesellschaft verfassungsrechtlich zulässig.

Wird eine Meinungsäußerung nach den geschilderten Vorschriften - zu Recht oder zu Unrecht - disziplinär geahndet, so handelt es sich somit um einen "vom Gesetz vorgesehenen" Eingriff iS des Art 10 Abs 2 EMRK.

5.2.3. Da die angewendete Vorschrift jedenfalls einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Interpretation zugänglich ist, könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn dem Gesetz ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt oder wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre, was aber nur dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 12796/1991, weiters 7907/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur) sowie insbesondere dann, wenn die Behörde dem Gesetz einen Inhalt unterstellt hätte, der die von der Verfassung dem Gesetzgeber gesetzten Schranken überstiege (vgl. VfSlg. 10386/1985 sowie Spielbüchler, Grundrecht und Grundrechtsformel, in: Floretta - FS, 1983, 306 f.).

Wie in VfSlg. 10700/1989 bereits ausgesprochen, muß allerdings, angesichts der besonderen Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft, die auch der EGMR mehrfach (Fall Handyside v. , EuGRZ 1977, 38, 42; Fall Lingens v. EuGRZ 1986, 428; Fall Observer and Guardian v. = ÖJZ 1992, 378 ff)) betonte, die Notwendigkeit der mit einer Bestrafung verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung im Einzelfall außer Zweifel stehen.

Gerade die unter einer besonderen öffentlichen Verantwortung tätigen Angehörigen freier Berufe, wie insbesondere die Ärzte, können in einer demokratischen Gesellschaft nicht von Kritik eximiert werden; gleiches gilt für Kritik am System ärztlicher Betreuung. Vielmehr bildet die Möglichkeit zur sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 EMRK erfließendes, jedermann zustehendes Recht in einem demokratischen Gemeinwesen. Eine derartige, sachliche Kritik ist an sich jedermann verfassungsgesetzlich gewährleistet (vgl. VfSlg. 11996/1989, S. 199). Umso mehr muß sie aber den Berufsgenossen eröffnet sein, weil vielfach nur diese über das für eine tiefgreifende Kritik erforderliche Maß an Fachwissen verfügen. Weder der Grundsatz der Kollegialität, geschweige denn die Achtung "der Ehre und Würde des Standes" kann daher einen Arzt (ebenso wie Angehörige anderer freier Berufe) vor einer sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik durch einen anderen Standesangehörigen schützen. So sehr es angesichts der Aufgaben und angesichts des besonderen Vertrauens, das Ärzte in der Öffentlichkeit genießen, berechtigt ist, "eine unsachliche oder herabsetzende Kritik" an anderen Ärzten für unzulässig zu erklären und disziplinarstrafrechtlich zu ahnden, so wenig dürfen die "Grundsätze der Kollegialität" dahin verstanden werden, daß dadurch die sachlich, in gebotener Form vorgetragene Kritik an einem für das berufliche Verhalten tatsächlich oder vermeintlich maßgeblichen Mißstand verhindert würde. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt nämlich in einer demokratischen Gesellschaft, wenn auch zulässigerweise unter den Einschränkungen des Abs 2, nicht nur für "Nachrichten" oder "Ideen", die ein positives Echo haben oder die als unschädlich oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die provozieren, schockieren oder stören. Das ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine "demokratische Gesellschaft" nicht bestehen kann (vgl. Fall Lingens, EuGRZ 1986, 428).

Ausgehend hievon trifft der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf einer verfassungswidrigen Auslegung und Anwendung des § 95 Abs 1 ÄrzteG 1984 tatsächlich zu.

Wie der Beschwerdeführer unwidersprochen darlegt, hat er zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, bevor er den Vorwurf eines systemimmanenten Mißstandes erhob. Die belangte Behörde stellt dies im angefochtenen Bescheid auch gar nicht in Abrede und ebensowenig, daß das, was der Beschwerdeführer mit den inkriminierten Äußerungen rügt, "auf einen erheblichen Teil der praktischen Ärzte mit Kassenvertrag zutreffen" könnte. Sie konzediert auch, daß es bei Veröffentlichungen in Massenmedien "oft unvermeidlich (ist), daß das Vorbringen nicht immer ganz sachlich und präzise erfolgt, und daß manche Formulierungen überspitzt sind". Sie lastet dem Beschwerdeführer jedoch an, daß die Aussendungen beim unbefangenen und oft einfach strukturierten Leser den Eindruck erweckten, daß praktisch alle Ärzte bei der Behandlung von Patienten so vorgehen, wie es aufgezeigt wird. Gerade dies hat der Beschwerdeführer jedoch nie behauptet; ein einigermaßen aufmerksamer Leser der inkriminierten Äußerungen kann den vom Beschwerdeführer gebrauchten Formulierungen klar entnehmen, daß damit keineswegs alle Ärzte angesprochen werden. Dazu kommt, daß - wie die Wortwahl des angefochtenen Bescheides deutlich zeigt - die Kritik des Beschwerdeführers auch von der belangten Behörde selbst zumindest für einen Teil der Standesangehörigen geteilt wird. Wenn es aber bei den inkriminierten Äußerungen der Sache nach deutlich erkennbar darum geht, daß systembedingte Mißstände bekämpft werden sollen, dann kann darin nicht ein unzulässiges Verhalten erblickt werden, durch das der Tatbestand des § 95 Abs 1 ÄrzteG 1984 verwirklicht wird. Geht es nämlich bei den inkriminierten Äußerungen des Beschwerdeführers nicht um eine unsachliche Entstellung, sondern lediglich um eine - wenn auch scharfe - Kritik, dann halten sich die vom Beschwerdeführer abgegebenen Äußerungen in einem Rahmen, der - ein verfassungskonformes Verständnis des § 95 Abs 1 ÄrzteG 1984 vorausgesetzt - nicht zum Anlaß disziplinärer Maßnahmen genommen werden darf. In einer freien Gesellschaft kann das Engagement für Systemverbesserungen, selbst wenn die Sachkritik wegen der Wortwahl nicht willkommen, ja unerwünscht ist, nicht als Beeinträchtigung des Standesansehens gewertet werden.

Die belangte Behörde hat daher mit dem angefochtenen Bescheid, indem sie § 95 Abs 1 Z 1 und 2 ÄrzteG 1984 einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat, den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.