OGH vom 09.12.2014, 11Os132/14t (11Os133/14i)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Lucas S***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 13 U 290/11y des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über die von der Generalprokuratur gegen mehrere Vorgänge sowie das Urteil dieses Gerichts vom , GZ 13 U 290/11y 18, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache AZ 13 U 290/11y des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien verletzen
1./ die Unterlassung der zufolge Anklagerücktritts außerhalb der Hauptverhandlung gebotenen Beschlussfassung über die Einstellung des Verfahrens, soweit dieses wegen der im Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom , AZ 125 BAZ 475/11d, genannten Taten geführt wurde, § 227 Abs 1 letzter Halbsatz StPO iVm § 447 StPO;
2./ die Anberaumung und die Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Urteilsfällung vom , soweit sie die im Punkt 1./ erwähnten (vom Anklagerücktritt betroffenen) Taten umfassten, § 4 Abs 2 StPO und § 17 Abs 1 StPO.
Das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 13 U 290/11y 18, welches sonst unberührt bleibt, im Schuldspruch 1 und im Ausspruch nach § 42 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch, ferner der Beschluss nach § 494a StPO werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien verwiesen.
Text
Gründe:
In dem - aufgrund des Strafantrags der Staatsanwaltschaft Wien vom , AZ 125 BAZ 475/11d, eingeleiteten - Strafverfahren gegen Lucas S*****, AZ 13 U 290/11y des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG wurde das Verfahren mit Beschluss vom gemäß §§ 35 Abs 1, 37 SMG unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt (ON 9).
Mit Strafantrag vom legte die Staatsanwaltschaft Linz zu AZ 41 BAZ 937/13t dem Genannten eine als Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG qualifizierte Tat zur Last (ON 3 in ON 17). Das angerufene Bezirksgericht Linz überwies dieses Verfahren - im Sinne des § 38 StPO (vgl 12 Os 142/13v; Oshidari , WK-StPO § 38 Rz 8; Bauer , WK-StPO § 450 Rz 9) - zu AZ 17 Ns 13/13p mit „Beschluss“ (richtig: Verfügung [§ 35 Abs 2 zweiter Halbsatz StPO; vgl Oshidari , WK-StPO § 37 Rz 7]) vom zur Verbindung mit dem zuvor genannten Strafverfahren gemäß § 37 (Abs 3) StPO dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien (ON 1 S 3 verso in ON 17), wo die betreffenden Akten am einlangten (ON 1 S 3 verso in ON 17; zur den Konnexitätstatbestand des § 37 Abs 3 StPO bedingenden Anhängigkeit des Hauptverfahrens ungeachtet des - noch nicht mit Einstellungsbeschluss endgültig beendeten - „Diversionsverfahrens“ siehe RIS Justiz RS0126517; vgl aber künftig § 37 Abs 2 StPO idF BGBl I 2014/71).
Am erklärte die Staatsanwaltschaft Wien, ihren Strafantrag vom gemäß „§§ 227, 447“ StPO aus dem Grunde des § 192 Abs 1 Z 1 StPO zurückzuziehen (ON 1 [unjournalisiert:] S 3).
Einen Beschluss, dieses Verfahren iSd § 227 Abs 1 letzter Halbsatz StPO iVm § 447 StPO einzustellen, fasste das Bezirksgericht Innere Stadt Wien jedoch nicht. Mit „Beschluss“ vom verfügte es vielmehr - nach Verbindung beider Verfahren (zur fortbestehenden Kompetenz des gemäß § 37 Abs 3 StPO für die gemeinsame Verfahrensführung zuständigen Gerichts trotz [hier:] zwischenweiligen Rücktritts der Staatsanwaltschaft von einer der Anklagen Oshidari , WK StPO § 37 Rz 10) - die Anberaumung einer Hauptverhandlung für den (ON 1 [unjournalisiert:] S 3 verso), deren Gegenstand auch der dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom zugrunde liegende Vorwurf war.
Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem (und in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 13 U 290/11y 18, wurde Lucas S***** - im Sinne beider Strafanträge - des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall, Abs 2) SMG (1) sowie „des“ Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (2) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 50 Abs 1 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Danach hat er
(1) am in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, „nämlich zwei Stück Substitol“, ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen;
(2) zurückliegend bis zum in Linz, wenn auch nur fahrlässig, einen Totschläger, mithin eine Waffe, besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war.
Weiters wurden das im Schuldspruch 1 erwähnte Suchtgift gemäß § 34 SMG und der zu Schuldspruch 2 tatverfangene Totschläger gemäß (richtig:) § 2 6 StGB eingezogen; überdies enthält das Urteil den auf § 42 SMG gestützten Ausspruch der - sich angesichts der drei Monate nicht übersteigenden Dauer der verhängten Freiheitsstrafe ohnedies bereits aus § 6 Abs 2 Z 1 TilgG ergebenden (vgl RIS-Justiz RS0110955; Litzka/Matzka/Zeder , SMG 2 § 42 Rz 10) - Auskunftsbeschränkung. Mit gemeinsam mit dem Urteil gefasstem Beschluss wurde ferner gemäß (§ 53 Abs 1 StGB iVm) § 494a Abs 1 Z 2, Abs 4 StPO vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichts Linz vom , AZ 25 Hv 40/13i, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, die dazu bestimmte Probezeit jedoch gemäß (§ 53 Abs 3 StGB iVm) § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde im bezeichneten Verfahren das Gesetz mehrfach verletzt:
Nach dem Anklagegrundsatz setzen die Einleitung und Durchführung eines Hauptverfahrens eine rechtswirksame Anklage voraus (§ 4 Abs 2 StPO).
Tritt die Staatsanwaltschaft vor der Hauptverhandlung oder außerhalb derselben von der Anklage zurück, so ist im Fall eines bereits erklärten Privatbeteiligtenanschlusses nach § 72 Abs 3 StPO vorzugehen, im Übrigen jedoch das Verfahren mit Beschluss einzustellen (11 Os 140/13t; Danek , WK-StPO § 227 Rz 1; Lendl , WK-StPO § 259 Rz 28). Diese - in Ansehung der vom (zurückgezogenen) Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom , AZ 125 BAZ 475/11d, erfassten Tatvorwürfe gebotene - Beschlussfassung versäumte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien jedoch entgegen der (gemäß § 447 StPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren anzuwendenden) Bestimmung des § 227 Abs 1 letzter Halbsatz StPO.
Bereits der Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Anklage bewirkt indes wenn (wie hier) bis dahin kein Privatbeteiligtenanschluss vorliegt eo ipso die Beendigung des Verfahrens und entfaltet daher unabhängig von der (bloß deklarativ wirkenden) Einstellung des Verfahrens durch das Gericht eine Sperrwirkung (RIS Justiz RS0124396; Danek , WK StPO § 227 Rz 1).
Im Sinne des Prinzips „ne bis in idem“ hat eine solcherart rechtswirksame Beendigung eines Strafverfahrens zur Folge, dass eine (neue oder weitere) Verfolgung desselben Beschuldigten ohne vorherige formelle Wiederaufnahme gemäß § 352 StPO wegen derselben Tat nicht mehr zulässig ist (Verbot wiederholter Strafverfolgung; § 17 Abs 1 StPO; vgl auch Art 4 7. ZPMRK; RIS Justiz RS0124396; RS0129011; Lewisch , WK StPO Vor §§ 352 bis 363 Rz 40; Birklbauer , WK StPO § 17 Rz 1).
Aufgrund der erwähnten Erklärung der Staatsanwaltschaft Wien, gemäß § 227 Abs 1 StPO von ihrem Strafantrag vom zurückzutreten, standen (schon) der Anklagegrundsatz (§ 4 Abs 2 StPO) und das - in Art 4 7. ZPMRK verfassungsgesetzlich verankerte - Verbot wiederholter Strafverfolgung des § 17 Abs 1 StPO der dennoch auf diesen Strafantrag bezogenen Anberaumung sowie Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung im genannten Verfahren entgegen (12 Os 104/14g).
Bleibt der Vollständigkeit halber hinzuzufügen, dass es dazu nach einer Beschlussfassung gemäß § 37 SMG neben einer (noch) rechtswirksamen Anklage überdies einer vorangegangenen (nur bei Vorliegen der in § 38 Abs 1 Z 1 bis Z 3 SMG genannten Voraussetzungen zulässigen) beschlussförmigen Fortsetzung des (vorläufig eingestellten) Verfahrens gemäß § 38 Abs 1 SMG durch das Gericht ( Schwaighofer in WK 2 SMG § 37 Rz 6, § 38 Rz 6 ff; vgl Schroll , WK-StPO § 205 Rz 21) bedurft hätte.
Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 13 U 290/11y 18, im Schuldspruch 1 sowie im Ausspruch nach § 42 SMG und demnach auch im Strafausspruch, ferner den davon rechtslogisch abhängenden ( Jerabek , WK-StPO § 498 Rz 8) Beschluss auf Verlängerung der Probezeit aufzuheben und die Sache im bezeichneten Umfang aus prozessökonomischen Gründen (der Verurteilte blieb dem Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof fern) an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.
Zu einer Aufhebung des - ebenfalls vom kassierten Schuldspruch 1 rechtslogisch abhängigen (vgl Ratz , WK-StPO § 289 Rz 7 f) - Erkenntnisses über die Einziehung des beim Verurteilten sichergestellten, zwischenweilig bereits vernichteten (vgl 13 Os 43/08k) Suchtgifts sah sich der Oberste Gerichtshof in Ausübung seines ihm gemäß § 292 letzter Satz StPO eingeräumten Ermessens (dazu Ratz , WK StPO § 292 Rz 43) dagegen nicht veranlasst.
Mit Blick auf die Rechtskraft des Schuldspruchs 2 bleibt (bloß) anzumerken, dass § 50 Abs 1 Z 1 bis Z 5 WaffG verschiedene Begehungsformen von unterschiedlichem Sinn- und Wertgehalt normieren, demnach als kumulatives Mischdelikt (dazu Fuchs , AT I 8 10/56; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 14 45 f) aufzufassen sind (vgl auch § 50 Abs 1a erster Satz leg cit: „ mehrere der in Abs 1 mit Strafe bedrohten Handlungen“). Durch wenn auch nur fahrlässigen (unbefugten) Besitz eines Totschlägers (als einer nach § 17 Abs 1 Z 6 WaffG verbotenen Waffe; zu dessen Charakteristik vgl RIS-Justiz RS0082026) bei (zugleich) bestehendem Waffenverbot nach § 12 WaffG werden daher die Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 2 und Z 3 WaffG in echter Idealkonkurrenz verwirklicht.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0110OS00132.14T.1209.000