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OGH vom 24.08.1993, 10ObS159/93

OGH vom 24.08.1993, 10ObS159/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Kurt Resch (Arbeitgeber) und Mag.Kurt Retzer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H***** M*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 33 Rs 8/93-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 6 Cgs 43/91-53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Bei dem am geborenen Kläger, der in den letzten Jahren als Vertragsbediensteter beschäftigt war, besteht eine labile Hypertonie, Struma und eine geringe Fettstoffwechselstörung. Er leidet an einem lumbalen Schmerzsyndrom sowie an Gelenksbeschwerden mit Schüben, nicht jedoch im Sinne einer chronischen Polyathritis. Die Dauerkraftleistung ist auf 5 kg eingeschränkt. Entzündliche Schübe, die zweimal jährlich für die Dauer von 2 bis 3 Wochen auftreten, schränken die Fingerfertigkeit ein. Krankenstände in der Dauer von 4 Wochen jährlich sind wahrscheinlich.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom wurde der Antrag des Kläges vom auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab zu verpflichten. Wegen eines Lumbalsyndroms, Rheuma, eines Leberschadens und der bestehenden Hypertonie sei er nicht in der Lage, einer regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auch im zweiten Rechtsgang ab. Unter Berücksichtigung des erhobenen Leistungskalküls sei der Kläger weiterhin in der Lage, die bisher ausgeübte oder eine ähnliche Tätigkeit zu verrichten. Krankenstände in der festgestellten Dauer bedingten keinen Ausschluß vom Arbeitsmarkt. Wohl werde vom Sachverständigen für Chirurgie eine Kur empfohlen, doch sei eine Kur einem Krankenstand nicht gleichzuhalten, so daß dem keine Bedeutung zukomme.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Wohl sei nach der Rechtsprechung der Ausschluß eines Versicherten vom Arbeitsmarkt anzunehmen, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit Krankenstände in der Dauer von 7 Wochen jährlich zu erwarten seien. Dies beziehe sich jedoch nur auf Krankenstände, nicht jedoch auch auf aus medizinischer Sicht angemessene Kuraufenthalte. Im Fall des Klägers seien nach den Ausführungen des Sachverständigen solche Kuraufenthalte auch nicht mit Krankenständen (vor oder nach der Kur) verbunden. Bei einer Kur handle es sich nicht um Maßnahmen der Krankenbehandlung, sondern um Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge der Pensionsversicherungsträger, die, auch wenn sie medizinisch angemessen und empfohlen würden, nicht als Pflichtleistungen zu gewähren seien; die Bewilligung eines Kuraufenthaltes liege vielmehr im Ermessen des Versicherungsträgers. Die Abwesenheit vom Arbeitsplatz wegen eines Kuraufenthaltes sei daher dem Arbeitsausfall zufolge Krankenständen nicht hinzuzurechnen. Auszugehen sei daher nur davon, daß der Kläger wegen der bestehenden Leidenszustände jährlich Krankenstände in der Dauer von 4 Wochen werde in Anspruch nehmen müssen; dies begründe aber nach der Rechtsprechung keinen Ausschluß vom Arbeitsmarkt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Begehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 155 ASVG können die Krankenversicherungsträger unter Berücksichtigung der Fortschritte der medizinischen Wissenschaft sowie unter Bedachtnahme auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit gewähren. Als solche Maßnahme kommt gemäß § 155 Abs. 2 Z 3 ASVG unter anderem die Unterbringung in Kuranstalten zur Verhinderung einer unmittelbar drohenden Krankheit oder der Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit in Betracht. Es trifft daher nicht zu, daß Kuraufenthalte nur im Rahmen der Gesundheitsvorsorge durch die Pensionsversicherungsträger aufgrund der Bestimmung des § 307 d ASVG gewährt werden können. Wohl handelt es sich bei der Gewährung von Kuraufenthalten in allen Fällen nicht um Pflichtleistungen der Versicherungsträger, die Entscheidung über die Gewährung dieser Maßnahme liegt vielmehr in deren pflichtgebundenem Ermessen und dem Versicherten steht gegen die Verweigerung kein Rechtsschutz zur Verfügung. Daraus kann aber nicht der vom Berufungsgericht oben dargestellte Schluß abgeleitet werden.

Ist die Unterbringung in einer Kuranstalt und die Behandlung in dieser notwendig, um etwa eine Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit zu verhindern, so liegt eine der Krankenbehandlung vergleichbare Situation vor. Bei Aufenthalten in einem Kur- oder Erholungsheim ist das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit anzunehmen, ohne daß es hiezu einer Krankschreibung durch den behandelnden Vertragsarzt bedarf (SozSi 1982, 382 "Aus der Praxis"). Dies entspricht auch der arbeitsrechtlichen Rechtslage. Verhinderung an der Leistung der Dienste im Sinne des § 8 Abs 1 AngG muß nicht immer durch eine akute Krankheit hervorgerufen sein. Auch dann, wenn auf ärztliche Anordnung als vorbeugende Maßnahme zur Verhütung einer künftigen Arbeitsunfähigkeit die Dienstleistung unterbrochen wird oder dies zur völligen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach einer überstandenen Krankheit notwendig ist (Kur- und Heilstättenaufenthalte), liegt arbeitsrechtlich ein Krankenstand vor oder ist eine solche Maßnahme einem Krankenstand gleichzuhalten (Martinek-Schwarz-Schwarz, Angestelltengesetz7 218).

Nach der Rechtsprechung (SSV-NF 6/82 mwN) schließen Krankenstände in der Dauer von jährlich 7 Wochen, die für die Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, den Versicherten vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus, weil sie die durchschnittliche Dauer von Krankenständen, bezogen auf alle Beschäftigten, erheblich überschreiten (SSV-NF 3/45). Dieses Ergebnis baut darauf auf, daß im Hinblick auf diese leidensbedingten und allenfalls noch dazu kommende, nicht leidensbedingte Krankenstände die tatsächliche Dienstleistung des Versicherten erheblich unter dem Durchschnitt liegt und unter diesen Umständen nicht damit zu rechnen ist, daß er unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in der Lage ist, eine Arbeitsstelle zu erlangen bzw. auf Dauer zu behalten. Der Versicherte könnte in einem solchen Fall nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers beschäftigt werden. Grund für den Ausschluß vom Arbeitsmarkt ist die überdurchschnittlich lange Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Es macht jedoch keinen Unterschied, ob ein Dienstnehmer wegen Krankheit oder eines Kuraufenthaltes an der Verrichtung seiner Arbeit verhindert ist. Auch während der Dauer eines Kuraufenthaltes steht er dem Dienstgeber nicht zur Verfügung.

Erkrankt ein Versicherter, so sind die Voraussetzungen für die krankheitsbedingte Verhinderung erfüllt, wenn er zur Leistung seiner Dienste unfähig wird. Der Versicherte kann weder die zeitliche Lagerung seiner Dienstverhinderung noch regelmäßig deren Dauer beeinflussen. Anders ist es beim Kuraufenthalt. Hier ist davon auszugehen, daß der Dienstnehmer grundsätzlich seine Arbeit verrichten könnte und die Verhinderung nur durch die kurbedingte Abwesenheit begründet ist. Die Absolvierung einer Kur hat einen Antrag des Versicherten zur Voraussetzung, doch besteht, wie dargestellt, auch in diesem Fall kein Rechtsanspruch gegenüber dem Sozialversicherungsträger. Es steht aber jedenfalls in der freien Entscheidung des Dienstnehmers, von einem Kuraufenthalt abzusehen und seine Arbeit zu verrichten. Es können daher nur solche in Zukunft zu erwartende Kurbehandlungen berücksichtigt werden, die zur Hintanhaltung einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes unbedingt erforderlich sind. Bei der Prüfung, ob der Versicherte in der Lage ist, eine zumutbare Verweisungstätigkeit auszuüben, ist von den Verhältnissen bei Einhaltung einer notwendigen Therapie, als solche könnte auch eine Kurbehandlung in Frage kommen, auszugehen. Der Versicherte ist nicht gehalten, eine zur Verhinderung einer Verschlechterung seines Zustandes notwendige Kur zu unterlassen, um seine Abwesenheit vom Arbeitsplatz möglichst einzuschränken.

Entscheidend für die Frage, ob durch eine regelmäßig zu erwartende längerdauernde Abwesenheit von der Arbeitsstelle ein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt begründet wird, ist daher, ob aus gesundheitlichen Gründen die Absolvierung von Kuraufenthalten unbedingt erforderlich ist, in welcher Weise sich die Kur auf die Langzeitprognose auswirkt, und welche Entwicklung bei Nichtinanspruchnahme von Kurbehandlungen zu erwarten ist. Daß es sich bei der Gewährung von Kuraufenthalten um eine vom Kläger nicht durchsetzbare Ermessensentscheidung des Sozialversicherungsträgers handelt, ist auf das Ergebnis ohne Einfluß. Es stünde dem Kläger nämlich frei, auf eigene Kosten, unter Umständen unter Inanspruchnahme eines allenfalls gewährten Zuschusses des Sozialversicherungsträgers, medizinisch notwendige Kuraufenthalte zu absolvieren. Bei Nachweis der Notwendigkeit dieser Maßnahme wäre die Abwesenheit vom Arbeitsplatz auch in diesem Fall im Sinne von § 8 Abs. 1 AngG (§ 24 (a) VBG) gerechtfertigt.

Da zur Notwendigkeit von Kuraufenthalten keine Feststellungen vorliegen, erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig. In der neu zu fällenden Entscheidung wird auch das Leistungskalkül abschließend darzustellen sein. Die hiezu vorliegenden Feststellungen beschränken sich auf die Wiedergabe des Inhaltes verschiedener ärztlicher Gutachten und eine pauschale Verweisung auf die von den einzelnen Fachärzten erhobenen Einschränkungen und werden in dieser Form den Anforderungen an die Bestimmtheit der Feststellungsgrundlage nicht gerecht.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.