OGH vom 19.12.2007, 9Ob73/07m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried T*****, vertreten durch Goldsteiner Strebinger, Rechtsanwältepartnerschaft GmbH in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Annemarie T*****, vertreten durch Dr. Viktor Igali-Igalffy, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Feststellung des Nichtbestehens einer Unterhaltsverpflichtung (Streitwert EUR 34.020), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 152/07b-73, mit dem infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 7 C 63/04x-65, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.351,10 EUR (darin enthalten 391,85 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.692 EUR (darin enthalten 283 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Aus der 1982 geschlossenen Ehe ging im Jahre 1993 der gemeinsame Sohn David hervor. Im Zuge des Verfahrens auf einvernehmliche Scheidung schlossen die Parteien am einen Vergleich, in dem die Obsorge für David der beklagten Mutter übertragen und eine Unterhaltsverpflichtung für den gemeinsamen Sohn unter Bezugnahme auf das Nettoeinkommen des Klägers festgelegt wurde. Weiters verpflichtete sich der Kläger in Punkt 4 des Vergleiches wie folgt:
„4.) Der Zweitantragsteller verpflichtet sich, der Erstantragstellerin einen monatlichen, jeweils zum Ersten eines Monates im Voraus fälligen Unterhaltsbetrag von ATS 13.000 beginnend mit dem zu bezahlen. Dem liegen die zu Punkt 2 dargelegten Umstände zugrunde sowie die Tatsache, dass die Erstantragstellerin im Haushalt tätig ist, demgemäß kein Einkommen bezieht und sich im Rahmen des genehmigten Hausunterrichtes dem gemeinsamen Kind zu widmen hat. Der Zweitantragsteller verzichtet auf Unterhalt auch für den Fall der geänderten Rechtslage und den Fall der Not."
Die Vereinbarung hinsichtlich des gemeinsamen Sohnes fußte darauf, dass auf Anraten des Schuldirektors die Streitteile beschlossen, das hochbegabte Kind zu Hause durch die Beklagte zu unterrichten. Der Kläger, der ursprünglich keinen Unterhalt zahlen wollte, erklärte sich bereit, der Beklagten solange Unterhalt zu leisten, als sie den gemeinsamen Sohn Hausunterricht erteilt. Die Beklagte erklärte ausdrücklich, danach wieder selbständig ihren Unterhalt zu verdienen. Nunmehr obliegt die Obsorge hinsichtlich des Sohnes dem Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger. Er wurde ab Februar 2004 im SOS-Kinderdorf Hinterbrühl untergebracht.
Nachdem der Kläger seine Unterhaltsleistungen eingestellt hat, lebt die Beklagte von der Sozialhilfe und hat auch Schulden bei Freunden in Höhe von ca 5.000 EUR.
Die Beklagte ist Absolventin der Modeschule und hat danach dann als Redaktionsassistentin in einer Fachzeitschrift für Textilindustrie sowie in der Textilbranche im Verkauf und teilweise als Geschäftsführerin gearbeitet. Bis zur Eheschließung arbeitete sie 1982 beim ORF. Im Anschluss war sie in Veranstaltungsbetrieben und in einer Werbeagentur tätig, hat jedoch nach der Geburt des Sohnes auf Wunsch des Klägers die Berufstätigkeit im Wesentlichen eingestellt. 1995 hat die Beklagte dann wieder Vorträge in Naturheilverfahren gehalten und war ab Einstellung der Unterhaltsleistung im August 2004 arbeitssuchend. Die Arbeitsvermittlung durch das AMS scheiterte teilweise wegen der unrealistischen Vorstellungen der Beklagten und weil diese selbst durch die familiäre Situation sehr belastet war. Auch ihr Alter von über 50 Jahren erschwerte die Vermittlung. Die Beratung durch das AMS wurde dann ein Jahr ausgesetzt und der Beklagten Gelegenheit gegeben, an einem Buchprojekt weiter zu arbeiten. Seit September 2006 ist die Beklagte wieder arbeitssuchend gemeldet gewesen und hat seit eine 20-stündige Beschäftigung als Büroangestellte mit einem Bruttogehalt von 1.000
EUR.
Der Kläger ist Bankangestellter mit einem monatlichen Einkommen von
3.200 EUR netto zuzüglich leistungsabhängiger Prämien von jährlich zwischen 3.000 EUR und 5.000 EUR.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass seine Verpflichtung aus Punkt 4 des Vergleiches erloschen ist. Er stützt sich zusammengefasst im Wesentlichen darauf, dass Bedingung dafür der Hausunterricht gewesen sei, der mittlerweile weggefallen ist. Die Beklagte habe auf Grund ihrer Ausbildung auch die Möglichkeit, ein monatliches Nettoeinkommen von 1.100 EUR zu erzielen. Die mangelnde Vermittlung sei allein auf das Verschulden der Beklagten zurückzuführen. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass die Tätigkeit der Beklagten hinsichtlich des Hausunterrichtes keine Bedingung für die Übernahme der Unterhaltsverpflichtung gewesen sei. Es sei so gewesen, dass sich die Beklagte über Wunsch des Klägers dem Haushalt gewidmet habe. Sie habe aber auch nicht auf den Unterhalt bei geänderten Verhältnissen verzichtet und sei durch die Einstellung des Unterhaltes unverschuldet in Not geraten. Ein adäquater Arbeitsplatz sei für sie nicht erreichbar gewesen. Der begehrte Unterhaltsbetrag entspreche ohnehin nur 29 % des Nettoeinkommens des Klägers und sei als Billigkeitsunterhalt zu bewerten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang statt. Es ging rechtlich davon aus, dass der Vergleich den Kläger zur Unterhaltszahlung verpflichte, solange die Beklagte auf Grund des Hausunterrichtes außer Stande ist, einer eigenen Erwerbstätigkeit nachzukommen. Die Beklagte habe auch im Vorfeld ausdrücklich erklärt, nach Einstellung des Hausunterrichtes wieder selbständig ihren Unterhalt verdienen zu wollen. Grundsätzlich sei es zulässig, in dem Vergleich auf jegliche Unterhaltsansprüche zu verzichten, weshalb auch die Vereinbarung eines Unterhaltsanspruches auf bestimmte Zeit nicht als sittenwidrig einzustufen sei. Es habe sich bei der Vereinbarung um die Festlegung eines vertraglichen Unterhaltes gehandelt. Bei einem Wegfall wegen Sittenwidrigkeit würde der gesetzliche Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 3 EheG nach Billigkeit zustehen. Der Vergleich umfasse jedoch nur den vertraglichen Unterhaltsanspruch, nicht jedoch jenen nach § 69 Abs 3 EheG, weshalb dem Klagebegehren stattzugeben sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge, hob das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung erneut an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass in den Fällen des Fehlens einer rechtswirksamen Unterhaltsvereinbarung nach § 69a Abs 2 EheG ein Ehegatte dem anderen Unterhalt zu gewähren habe, soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- sowie Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Angehörigen des Berechtigten der Billigkeit entspreche. Ein Unterhaltsverzicht auch für den Fall der Not könne unwirksam sein, wenn das Beharren auf den Unterhaltsverzicht aus besonderen Gründen als sittenwidrig zu erachten sei. Dann komme der Billigkeitsunterhalt zum Tragen. Dies müsse auch für den Fall des Fehlens einer expliziten Unterhaltsvereinbarung gelten. Insoweit seien auch noch die Voraussetzungen für einen Billigkeitsunterhalt zu prüfen, insbesondere hinsichtlich der Notlage, der Einkommenslosigkeit und des mangelnden Sozialhilfebezuges. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, da zur Frage, ob der Unterhaltsanspruch nach § 69a Abs 2 EheG ein solcher ist, der aus dem Scheidungsvergleich gebührt, auch wenn dieser für den vorliegenden Sachverhalt keine Regelung vorsieht und insoweit der Feststellung des Erlöschens der Verpflichtung aus dem Vergleich entgegensteht oder ob es sich bei diesem Unterhaltsanspruch um einen in rechtlicher Hinsicht anderen eigenen Anspruch der Beklagten handelt, dem diese mit einer eigenen Klage zum Durchbruch zu verhelfen hat, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen dieses Urteil erhobene Rekurs des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt. Gegenstand der rechtlichen Beurteilung ist die Frage, ob die Verpflichtung des Klägers aufgrund des Vergleichs aus dem Jahre 2001 auf Leistung von Unterhalt an die Beklagte im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz im hier vorliegenden Verfahren noch aufrecht war, obwohl die Beklagte mittlerweile ein Einkommen von 1.000 EUR erzielt und auch nicht mehr für ihren Sohn den Hausunterricht zu erbringen hat. Ändern sich die für die Titelschaffung (hier: den Abschluss des Vergleichs) anspruchsbegründenden und für die Festlegung maßgebenden Tatsachen, steht es dem Unterhaltsschuldner, der wegen der Änderung eine Herabsetzung anstrebt, frei, eine negative Feststellungsklage einzubringen (vgl etwa zuletzt OGH 4 Ob 7/02m mwN; RIS-Justiz RS0000841; RIS-Justiz RS0019018; RS0047529 mwN, SZ 58/26). Über ein derartiges Begehren ergehende, das Erlöschen des Unterhaltsanspruchs wegen geänderter Umstände aussprechende, Entscheidungen greifen einem möglichen Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs nicht vor (vgl RIS-Justiz RS0001636).
Die hier maßgebliche im Vergleich übernommene Verpflichtung des Klägers legt den Unterhaltsanspruch in Zusammenhang mit der Scheidung nach § 55a EheG fest. Für diese Unterhaltspflicht sieht § 69a EheG in seinem Abs 1 vor, dass sie dem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten ist, soweit sie den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen ist. Damit sollen im Wesentlichen bestimmte Folgen, die dem gesetzlichen Unterhalt zukommen, wie etwa die Geltung der Umstandsklausel oder steuerrechtliche Fragen erfasst werden (vgl Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 69 EheG Rz 1; RIS-Justiz RS0109251, ebenso Zankl in Schwimann ABGB3 § 69a Rz 1 unter Hinweis auf 3 Ob 107/05i).
Liegt eine rechtswirksame Vereinbarung über die unterhaltsrechtlichen Beziehungen nicht vor, normiert § 69a Abs 2 EheG, dass der Anspruch auf Unterhalt nach „Billigkeit" in einem im Gesetz näher ausformulierten Umfang besteht. Insoweit bildet der hier zu beurteilende Vergleich nach seinem klaren Wortlaut keinen geeigneten Titel: Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, sind auch gerichtliche Vergleiche nach den §§ 914 ff ABGB auszulegen (RIS-Justiz RS0017805). Für die Beurteilung „der Absicht" der Parteien kommt es auf den Zweck der Regelung, den beide Teile redlicherweise objektiv unterstellen mussten, an (vgl OGH 3 Ob 125/05m; RIS-Justiz RS0017915 ua). Danach ist davon auszugehen, dass die Vertragsparteien jedenfalls nur für den Zeitraum der Erteilung des Hausunterrichts für den gemeinsamen Sohn und der dadurch bedingten Einkommenslosigkeit der Beklagten deren vertraglichen Unterhaltsanspruch festlegen wollten. Für die Folgezeit besteht eine weitergehende Vereinbarung nicht, sodass eine Parteienabsicht unterstellt werden kann, dass sich die Beklagte wieder zu bemühen habe, einen Arbeitsplatz zu erlangen. Letzteres kann aber dahingestellt bleiben, weil ein allenfalls aus § 69a Abs 2 EheG ableitbarer Unterhaltsanspruch nach Billigkeit jedenfalls nichts daran ändert, dass der auf der vergleichsweisen Einigung beruhende Unterhaltsanspruch mit Wegfall der dort zu Grunde gelegten Voraussetzungen des Hausunterrichts und der dadurch bedingten Einkommenslosigkeit endet.
§ 69a EheG trägt dem Umstand Rechnung, dass nach einer einvernehmlichen Scheidung gemäß § 55a EheG grundsätzlich kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch zwischen den geschiedenen Gatten besteht (RIS-Justiz RS0109251). Die Anordnung des § 69a Abs 1 EheG stellt den vergleichsweise vereinbarten Unterhalt in den Rechtsfolgen nur in einigen Bereichen dem gesetzlichen Unterhalt gleich, bewirkt aber nicht, dass es den Parteien genommen wäre, die Grundlagen und Grenzen der Wirksamkeit der vergleichsweisen Regelung festzulegen. Ob der Beklagten ein Unterhaltsanspruch gemäß § 69a Abs 2 EheG zusteht, kann in einem auf Erlöschen eines Titels gemäß § 69a Abs 1 EheG gerichteten Verfahren nicht geprüft werden, weil - wie bereits dargestellt - der abgeschlossene Vergleich keinen Titel für einen auf anderer Rechtsgrundlage möglicherweise bestehenden Unterhaltsanspruch bilden kann.
Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier aus den aufgezeigten Gründen der Fall. Es ist daher dem Rekurs des Klägers Folge zu geben und in der Sache selbst im Sinne der Wiederherstellung des klagsstattgebenden erstgerichtlichen Urteils zu erkennen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.