VfGH vom 07.06.1999, B1989/98
Sammlungsnummer
15482
Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von UVS-Beschwerden gegen die Anhaltung der Beschwerdeführer im Transitraum des Flughafens Wien-Schwechat mangels Vorliegen einer Schubhaft; keine Sachentscheidung des UVS über die erhobenen Maßnahmenbeschwerden
Spruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je S 29.500,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer, fünf indische Staatsangehörige, versuchten am aus Kairo kommend über den Grenzposten Flughafen Wien-Schwechat in das österreichische Bundesgebiet einzureisen. Die Einreise wurde verweigert, da die Beschwerdeführer keine Reisedokumente vorweisen konnten. Sie wurden im Transitraum des Flughafens Wien-Schwechat zwei Tage lang angehalten und am in den "Sondertransit" des Flughafens überstellt. (In der zu B1991/98 protokollierten Beschwerde wird zwar als Beginn der Anhaltung der angegeben, aus den Akten ergibt sich jedoch, daß sämtliche Beschwerdeführer bereits am in den Sondertransit verbracht wurden).
Die Beschwerdeführer zu B1989/98 und zu B1992/98 hielten sich bis im Sondertransitbereich auf, jene zu B1991/98 und zu B1993/98 bis . Der Beschwerdeführer zu B1990/98 hielt sich bis im Sondertransitraum auf.
2. Die Beschwerdeführer erhoben beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS) Beschwerden, in denen sie beantragten, die "geschilderte Maßnahme" der Anhaltung im Sondertransitbereich, in eventu die Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.
Der UVS wies sämtliche Beschwerden als unzulässig zurück, da mangels Vorliegen einer Schubhaft keine Sachentscheidung gefällt werden könne.
3. Gegen diese Bescheide richten sich die fünf - im wesentlichen gleichlautenden -, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) sowie im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die angefochtenen Bescheide verteidigt.
Die Beschwerdeführer erstatteten eine Replik, in der sie neuerlich behaupten, daß die an den UVS gerichteten Beschwerden als Maßnahmebeschwerden, nur eventualiter als Schubhaftbeschwerden erhoben worden seien.
II. Die zur Beurteilung der vorliegenden Fälle maßgeblichen Bestimmungen des Fremdengesetz 1997 - FrG lauten:
"1. Abschnitt: Verfahrensfreie
Maßnahmen
Zurückweisung
§52. (1) Fremde sind bei der Grenzkontrolle am Betreten des Bundesgebietes zu hindern (Zurückweisung), wenn Zweifel an ihrer Identität bestehen, wenn sie der Paß- oder Sichtvermerkspflicht nicht genügen oder wenn ihnen die Benützung eines anderen Grenzüberganges vorgeschrieben wurde (§§6 und 42). Eine Zurückweisung hat zu unterbleiben, soweit dies einem Bundesgesetz, zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.
(2) Fremde sind bei der Grenzkontrolle zurückzuweisen, wenn
1. gegen sie ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot besteht und ihnen keine Wiedereinreisebewilligung erteilt wurde;
2. ein Vertragsstaat mitgeteilt hat, daß ihr Aufenthalt im Gebiet der Vertragsstaaten die öffentliche Ruhe, Ordnung oder nationale Sicherheit gefährden würde, es sei denn, sie hätten einen Aufenthaltstitel eines Vertragsstaates oder einen von Österreich erteilten Einreisetitel;
3. sie zwar für den von ihnen angegebenen Aufenthaltszweck zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, aber bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß
a) ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat gefährden würde;
b) sie ohne die hiefür erforderlichen Bewilligungen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet beabsichtigen;
c) sie im Bundesgebiet Schlepperei begehen oder an ihr mitwirken werden;
4. sie keinen Wohnsitz im Inland haben und nicht über die Mittel zur Bestreitung der Kosten ihres Aufenthaltes und ihrer Wiedereinreise verfügen;
5. bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie wollten den Aufenthalt im Bundesgebiet zur vorsätzlichen Begehung von Finanzvergehen, mit Ausnahme von Finanzordnungswidrigkeiten, oder zu vorsätzlichen Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften benützen.
(3) Über die Zulässigkeit der Einreise ist nach Befragung des Fremden auf Grund des von diesem glaubhaft gemachten oder sonst bekannten Sachverhaltes zu entscheiden. Die Zurückweisung kann im Reisedokument des Fremden ersichtlich gemacht werden.
Sicherung der Zurückweisung
§53. (1) Kann ein Fremder, der zurückzuweisen ist, den Grenzkontrollbereich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht sofort verlassen, so kann ihm aufgetragen werden, sich für die Zeit dieses Aufenthaltes an einem bestimmten Ort innerhalb dieses Bereiches aufzuhalten.
...
(4) Für Fremde, deren Zurückweisung zu sichern ist, gilt für den Aufenthalt an dem dafür bestimmten Ort der § 53c Abs 1 bis 5 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52."
"2. Abschnitt: Entzug der persönlichen
Freiheit
Schubhaft
§61. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
(2) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
...
(4) Die Verhängung der Schubhaft kann mit Beschwerde gemäß § 72 angefochten werden."
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat über die zulässigen, in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
1. Die belangte Behörde geht davon aus, daß die Beschwerdeführer Haftprüfungsbeschwerden gemäß § 72 Abs 1 FrG 1997 erhoben hätten, die mangels Verhängung der Schubhaft oder einer Festnahme überhaupt zurückzuweisen waren.
Die Beschwerdeführer behaupten jedoch, sie hätten gegen eine detailliert geschilderte Maßnahme eine Maßnahmebeschwerde erhoben und nur für den Fall, daß die belangte Behörde davon ausginge, daß die Beschwerdeführer in Schubhaft genommen worden seien, die Rechtswidrigkeit dieser Schubhaft behauptet.
In den an den UVS gerichteten Beschwerden schilderten die Beschwerdeführer zunächst die Bedingungen, unter denen sie sich im Sondertransitbereich aufhielten. In der Folge führen sie jeweils aus:
"Die geschilderte Maßnahme, also die Anhaltung des Beschwerdeführers unter den oben genannten Umständen, war (...) rechtswidrig.
Sollte der Unabhängige Verwaltungssenat jedoch davon ausgehen, daß die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf die oben genannte Art und Weise in Schubhaft genommen hätte, wird Nachstehendes ausgeführt: ... "
Mit Schreiben vom übermittelte der UVS der Bundespolizeidirektion Schwechat, Fremdenpolizei Flughafen, "die in dem beiliegenden Konvolut enthaltene Maßnahmenbeschwerde d(er) im Betreff genannten indischen St(aatsbürger) gegen die durch Organe der GREKO Flughafen Wien ausgesprochenen Maßnahmen zur Sicherung der Zurückweisung gemäß § 53 (1) FrG 1997".
Weiters wurde die Bundespolizeidirektion Schwechat ersucht, die bezughabenden Akten vorzulegen und eine allfällige Äußerung zu erstatten.
2. Dieses Schreiben läßt im Zusammenhang mit der beim UVS erhobenen Beschwerde keine Zweifel offen, was Gegenstand der Beschwerde sein sollte. Der UVS selbst hat die Beschwerde zunächst ausschließlich als Maßnahmebeschwerde gegen die Zurückweisung gemäß § 53 Abs 1 FrG 1997 gedeutet. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaft wurde nur als Eventualantrag formuliert.
Der Verfassungsgerichtshof vermag daher nicht nachzuvollziehen, weshalb der UVS nicht zunächst über die Hauptanträge der Beschwerdeführer, nämlich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme entschieden hat.
Im Erkenntnis B 1159-1161/98 vom hat sich der Verfassungsgerichtshof ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit eine Anordnung, sich im Sondertransitraum oder im allgemeinen Transitraum aufzuhalten, eine freiheitsentziehende oder eine freiheitsbeschränkende Maßnahme darstellt. Er kam zu dem Ergebnis, daß der Aufenthalt im allgemeinen Transitraum nur die Verhinderung der Ein- oder Weiterreise nach Österreich bezweckt und keine Einschränkung der persönlichen Freiheit bedeutet. Zum Aufenthalt im Sondertransitbereich vertrat der Verfassungsgerichtshof - dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte folgend - die Auffassung, daß das Festhalten eines Fremden in der internationalen Zone eine Freiheitsbeschränkung beinhalte und nicht exzessiv verlängert werden dürfe, da sonst die Gefahr bestünde, eine bloße Freiheitsbeschränkung in eine Freiheitsentziehung zu verwandeln.
Diesem Erkenntnis lagen den vorliegenden Fällen vergleichbare Sachverhalte zugrunde, allerdings hatte der UVS in den B 1159- 1161/98 zugrundeliegenden Fällen die Maßnahmebeschwerden abgewiesen.
Auch in den vorliegenden Fällen hätte der UVS nach Lage des Sachverhalts davon ausgehen müssen, daß die Beschwerdeführer eine Maßnahmebeschwerde erhoben haben. Erst für den Fall, daß der UVS zur Auffassung gelange, es handle sich nicht um Maßnahmen, haben die Beschwerdeführer Schubhaftbeschwerde erhoben.
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).
Dadurch, daß die belangte Behörde nur über den Eventualantrag (die Schubhaftbeschwerde) nicht aber über den Hauptantrag (die Maßnahmebeschwerde) entschieden hat, hat sie zu Unrecht die Sachentscheidung verweigert und die Beschwerdeführer insoweit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.
IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG 1953; in den zugesprochenen Kosten ist jeweils Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.