OGH vom 25.01.2011, 8Ob110/10z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. H***** H*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 26.813,19 EUR sA, über den Revisionsrekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 5 R 119/10x 9, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 29 Cg 65/10v 5, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:
„Die Klage wird, soweit sie auf Zahlung von 23.540,04 EUR samt 4 % Zinsen ab und auf Feststellung (Eventualbegehren) gerichtet ist, zurückgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 2.994,01 EUR (darin enthalten 498,70 EUR Umsatzsteuer und 5,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Das restliche Klagebegehren von 3.273,15 EUR samt 4 % Zinsen ab betreffend werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortführung des Verfahrens über dieses Begehren aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Klägerin kaufte von der Beklagten in zwei Tranchen am 1.176 und am 160 Zertifikate der M***** Ltd (im Folgenden M*****) um gesamt 23.540,04 EUR.
In dem zu 19 Cg 11/09b beim Handelsgericht Wien teilweise noch anhängigen Verfahren (Erstprozess) begehrt die Klägerin die Aufhebung dieser Kaufverträge und die Rückzahlung des von ihr entrichteten Kaufpreises samt 4 % Zinsen ab und Zug um Zug gegen Rückstellung der Wertpapiere. Sie erklärte, diese Klage „vordergründig auf listige Irreführung iSd § 870 ABGB als auch auf veranlassten Irrtum iSd § 871 ABGB“ zu stützen. Sie sei von der Beklagten über wichtige, für den Kaufvertragsabschluss kausale Umstände getäuscht worden, nämlich über die Rechtsnatur und den Risikograd der Wertpapiere, über den Sitz von M***** sowie über das enge Naheverhältnis zwischen dieser und der Beklagten, das letzterer dazu verholfen habe, Profite zum Nachteil der Anleger (und damit auch der Klägerin) zu lukrieren. Die Beklagte habe gegen die Wohlverhaltensregeln des § 11 WAG verstoßen und der Klägerin gegenüber ihre Aufklärungspflicht verletzt. Darüber hinaus werde ein Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend gemacht.
Im Umfang des Klagebegehrens auf Aufhebung des Kaufvertrags vom über den Kauf von 1.176 Zertifikaten und Rückzahlung des für diese entrichteten Kaufpreises von 20.691,72 EUR sA wurde der Erstprozess mittlerweile allerdings erst nach der Erlassung der hier angefochtenen Rekursentscheidung mit Teilurteil rechtskräftig im klagsstattgebenden Sinn beendet (8 Ob 25/10z). Im Umfang des weiteren Klagebegehrens betreffend den Kauf von 160 Zertifikaten am ist er noch anhängig.
Im vorliegenden Verfahren, das dieselben Wertpapierkäufe zum Gegenstand hat, begehrt die Klägerin primär die Zahlung von 26.813,19 EUR samt 4 % Zinsen ab Zug um Zug gegen die Rückstellung der Wertpapiere. Hilfsweise wird „lediglich für den Fall als festgestellt werden sollte, dass Naturalrestitution nicht möglich“ sei, die Feststellung angestrebt, dass die Beklagte für jeden aus dem Wertpapiererwerb resultierenden Schaden hafte. Der Klagebetrag setzt sich aus dem Kaufpreis von 23.540,04 EUR sowie einem Betrag von 3.273,15 EUR zusammen, der den kapitalisierten Zinsen von 4 % aus dem Kaufpreis für den Zeitraum vom (bzw ) bis entspreche. Die Klägerin erklärte, ihre Begehren auf Schadenersatz sowie auf jeden weiteren erdenklichen Rechtsgrund wegen arglistiger beziehungsweise schuldhafter Verletzung der gebotenen Aufklärung und zusätzlich auf Lieferung eines Aliuds sowie rechtliche Unmöglichkeit zu stützen. Den Betrag von 3.273,15 EUR stützte die Klägerin auf das Vorbringen, dass es sich dabei um einen entgangenen Zinsgewinn einer alternativen Veranlagung handle, welcher ein positiver Schaden sei.
Die Beklagte erhob unter Hinweis auf den Erstprozess die Einrede der Streitanhängigkeit.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück.
Das von der Klägerin angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klägerin habe im Rekurs die Ansicht des Erstgerichts, dass das zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs erstattete Sachverhaltsvorbringen in beiden Klagen identisch sei, gar nicht bestritten. Sie habe in ihrer neuen Klage das in der früheren Klage erhobene Zinsenbegehren lediglich kapitalisiert und darüber hinaus nur Zinseszinsen begehrt. Die Klägerin habe ihre erste Klage „vordergründig“ auf die Anfechtung wegen Arglist und wegen Irrtums gestützt und auch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage behauptet. Damit habe sie ein Sachverhaltsvorbringen erstattet, aus dem sich allenfalls Schadenersatzansprüche ableiten ließen. Solche wären im ersten Verfahren erforderlichenfalls auch zu prüfen gewesen. Die Befürchtung der Verjährung von Schadenersatzansprüchen sei unbegründet. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin.
Die Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nur teilweise berechtigt .
1. Der Oberste Gerichtshof hat in den ebenfalls gegen die Beklagte geführten und völlig vergleichbaren Parallelverfahren 7 Ob 194/10w und 7 Ob 207/10g zu den auch hier zu beurteilenden Rechtsfragen bereits mit ausführlicher Begründung Stellung genommen. Er führte zusammengefasst aus, dass von der Streitanhängigkeit des ersten Verfahrens im Umfang der Geltendmachung der Rückabwicklung des Erwerbs der Zertifikate gegen Zahlung des seinerzeitigen Ankaufspreises auszugehen sei. Anzuwenden sei nach herrschender Meinung ein zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff. Danach werde die Streitanhängigkeit durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (RIS Justiz RS0037419; RS0039255; RS0037522), nicht hingegen durch die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens (RIS Justiz RS0037551). Ob dies zutreffe oder nicht, hänge regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend sei, ob der vorgetragene Sachverhalt im Wesentlichen (im Kern) jenem entspricht, der schon in der ersten Klage vorgebracht wurde. Dies sei hier im Umfang des Begehrens auf Rückabwicklung des Erwerbs von Zertifikaten gegen Zahlung des seinerzeitigen Ankaufspreises zu bejahen. Schon im ersten Verfahren sei listige Irreführung iSd § 870 ABGB behauptet worden, die ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten iSd §§ 1294 ff ABGB notwendigerweise einschließe. Mit der zweiten Klage zeige die Klägerin nur weitere Details und Facetten eines bereits im Erstprozess geltend gemachten Fehlverhaltens der Beklagten auf. Von einer Änderung des Klagegrundes iSd § 235 Abs 4 ZPO durch verändertes Tatsachenvorbringen (vgl Fasching , Zivilprozessrecht 2 Rz 1226) könne keine Rede sein. Daran könne der Umstand des auf demselben Klagegrund beruhenden Eventualbegehrens auf Feststellung nichts ändern. Dieses sei eindeutig allein unter der Bedingung gestellt, dass das Begehren auf Rückzahlung (nicht aber das auf reine Zahlung des hypothetischen Anlageerfolgs gerichtete) nicht „möglich“ sei. Diese Bedingung könne aber nicht mehr eintreten, wenn über diese Frage wegen Zurückweisung des Hauptbegehrens inhaltlich gar nicht zu entscheiden ist.
2. Diesen Rechtsausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Auch hier wurden mit der zweiten Klage betreffend die begehrte Aufhebung der Kaufverträge über die Zertifikate im Wesentlichen nur weitere Details und Facetten eines bereits im Erstprozess geltend gemachten Fehlverhaltens der Beklagten aufgezeigt. Hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung von 23.540,04 EUR und des Feststellungsbegehrens hat daher das Rekursgericht auf der Grundlage der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit zu Recht bejaht.
3. Dass mittlerweile der Vorprozess teilweise rechtskräftig im Sinne der Klägerin erledigt ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit der Erstprozess noch anhängig ist, liegt weiterhin das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit gemäß § 233 Abs 1 ZPO vor. Die Streitanhängigkeit ist ein Vorläufer der Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft und deckt sich in ihren Auswirkungen mit dieser vollständig (3 Ob 28/06y; 4 Ob 253/01m; Rechberger/Klicka in Rechberger , ZPO³ §§ 232-233 Rz 7). Soweit das Erstverfahren daher bereits rechtskräftig (ohnedies im Sinne der Klägerin) abgeschlossen ist, ist an die Stelle des Prozesshindernisses der Streitanhängigkeit jenes der entschiedenen Rechtssache getreten.
Die Zurückweisung der Klage auf Zahlung von 23.540,04 EUR und des Eventualbegehrens auf Feststellung war daher zu bestätigen.
4. Anders verhält es sich hingegen mit dem restlichen Klagebetrag von 3.273,15 EUR (vgl dazu 7 Ob 207/10g). Dieser Anspruch beruht nach dem Vorbringen der Klägerin darauf, dass sie bei ordnungsgemäßer Anlageberatung durch die Beklagte eine alternative Veranlagung gewählt und daraus Gewinn erzielt hätte, wobei dieser Gewinn exakt in Höhe einer gesetzlichen Verzinsung veranschlagt wird. Ein solcher Gewinnanspruch stellt einen von der Forderung auf Rückersatz des Kaufpreises unabhängigen positiven Schaden dar (9 Ob 25/10g ua). Dieser Anspruch ist daher nicht bloß eine Nebenforderung; er beruht vielmehr auf einem im Erstprozess nicht vorgetragenen rechtlichen Sachverhalt (Klagegrund). Im Umfang des restlichen Klagebegehrens von 3.273,15 EUR sA liegt daher keine Streitanhängigkeit vor, weshalb dem Revisionsrekurs teilweise Folge zu geben war.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 43 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist im Zwischenstreit über die Einrede der Streitanhängigkeit, der mit dieser Entscheidung vollständig erledigt wurde, etwa zu 88 % unterlegen. Sie hat der Beklagten daher 76 % der durch den Zwischenstreit verursachten Kosten zu ersetzen.