OGH vom 19.12.2006, 10ObS156/06y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Eleonora L*****Pensionistin, *****, vertreten durch Gloss Pucher Leitner & Schweinzer, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 54/06x-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 8 Cgs 231/05z-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bestätigten Teiles insgesamt lauten:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab nach dem am verstorbenen Heinrich L***** die Witwenpension zu gewähren.
Die Pension beträgt ab monatlich EUR 0,00.
2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab eine höhere Witwenpension zu gewähren, wird abgewiesen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Klagevertreter die mit EUR 485,86 (davon EUR 80,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen."
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertreter die mit EUR 333,12 (davon EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Ehemann der Klägerin, Heinrich L*****, ist am verstorben.
Mit Bescheid vom hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension ab anerkannt und ausgesprochen, dass sich bei einem Vergleich der Berechnungsgrundlagen des Verstorbenen und der Klägerin ein Hundertsatz von Null ergebe. Aufgrund des Eigeneinkommens der Klägerin liege die Voraussetzung für die Gewährung eines Erhöhungsbetrages nicht vor.
In ihrer Klage begehrt die Klägerin, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr eine Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß ab zu leisten. Sie bringt vor, die beklagte Partei sei bei ihrer Berechnung zu Unrecht vom Bruttoeinkommen und nicht vom Nettoeinkommen des verstorbenen und des überlebenden Ehegatten ausgegangen. Weiters sei die gesetzliche Regelung über die Heranziehung des Einkommens des verstorbenen und des überlebenden Ehepartners in den letzten zwei Jahren vor dem Tod in ihrem Falle unsachlich, weil die Heranziehung ihrer in der Vergangenheit liegenden Einkünfte (aus unselbständiger Erwerbstätigkeit) nicht darüber Auskunft geben könne, ob ihr Lebensstandard nach Ableben des Ehegatten beibehalten werden könne. So habe sich bei ihr in diesem Zweijahreszeitraum durch ihre Pensionierung eine maßgebliche Verminderung des Einkommens ergeben, weshalb in ihrem Fall auf die Einkommenssituation (ausschließlich) im Zeitpunkt des Todes des Ehegatten abzustellen sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens unter Hinweis auf die ihrer Ansicht nach im Bescheid richtig vorgenommene Berechnung der Witwenpension.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab (ohne den bescheidmäßigen Zuspruch einer Witwenpension zu wiederholen). Die Berechnung der Witwenpension sei von der beklagten Partei zutreffend nach dem jeweiligen Bruttoeinkommen des verstorbenen und des überlebenden Ehegatten vorgenommen worden. Daraus ergebe sich ein Hundertsatz von Null.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Bei der Berechnung der Witwenpension nach § 264 ASVG sei bei einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 91 Abs 1 ASVG das aus dieser Tätigkeit gebührende Bruttoentgelt gemäß § 49 ASVG (inklusive Sonderzahlungen) als maßgebendes Einkommen zu berücksichtigen. Durch die Heranziehung des Einkommens der letzten zwei Kalenderjahre vor dem Tod des Versicherten sei vom Gesetzgeber dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 300/02, Rechnung getragen worden. Dadurch werde im Vergleich zum bisherigen Recht, nämlich dem Abstellen der Bemessungsgrundlage auf nur ein Jahr, dem Umstand Rechnung getragen, dass im letzten Kalenderjahr vor dem Tod des Versicherten dessen Einkommen vielfach durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit geringer sei, sodass das alleinige Abstellen auf das letzte Jahr vor dem Tod zu einer gewissen Verzerrung der wirtschaftlichen Situation führen könne. Eine Verfassungswidrigkeit könne darin nicht erblickt werden.
Zum weiteren Vorbringen der Klägerin in ihrer Berufung, das Erstgericht hätte aufgrund des durch die vorliegende Klage außer Kraft getretenen Bescheides aussprechen müssen, dass der Klägerin jedenfalls dem Grunde nach ein Anspruch auf Witwenpension zustehe, nahm das Berufungsgericht nicht Stellung.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass ihr Anspruch auf Witwenpension nach dem verstorbenen Heinrich L***** ab anerkannt und ihr eine Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß (mindestens in Höhe eines Hundertsatzes von 13,6) zuerkannt werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil - soweit überblickbar - eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der allgemein bedeutsamen Frage, ob unter dem in § 264 Abs 3 bis 5 ASVG verwendeten Begriff „Einkommen" das Brutto- oder Nettoeinkommen zu verstehen ist, noch nicht vorliegt. Sie ist auch teilweise berechtigt. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 300-314/02 (= VfSlg 16.923) die Bestimmungen der §§ 264 Abs 2 bis 5 ASVG, 145 Abs 2 bis 5 GSVG und 136 Abs 2 bis 5 BSVG über die Berechnung der Witwen(Witwer)pension mit Ablauf des als verfassungswidrig aufgehoben. Er führte dazu insbesondere aus, dass die Witwen(Witwer)pension die Aufgabe habe, den Lebensunterhalt der Witwe bzw des Witwers zu gewährleisten, und zwar dahingehend, dass ihr/ihm auch nach dem Ableben des Ehepartners eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahekommende Versorgung gesichert sei. Ausgehend davon könne gegebenenfalls die Verminderung, unter Umständen sogar die Nichtgewährung der Witwen(Witwer)pension sachlich gerechtfertigt sein. Der Verfassungsgerichtshof gelangte jedoch zur Auffassung, dass durch das Abstellen auf einen Vergleich der Bemessungsgrundlagen in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Fällen nicht die Versorgungslage des/der Hinterbliebenen widergespiegelt werde. Diese Regelung sei daher gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber hat am mit dem 2. SVÄG 2004 (BGBl I 2004/78) als Reaktion auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes eine Novellierung unter anderem der Absätze 2 bis 6 des § 264 ASVG beschlossen, die auf Versicherungsfälle des Todes anzuwenden ist, die nach dem eingetreten sind. Nach den Gesetzesmaterialien (469 BlgNR 22. GP 2) solle eine Variante realisiert werden, welche die durch das einschlägige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes notwendig gewordene Neuregelung unter Beibehaltung der bisherigen Grundsätze für die Ermittlung der Witwen(Witwer)pension umsetze. Maßgebend für die Höhe der Witwen(Witwer)pension solle in Hinkunft die Relation der Einkommen des verstorbenen und des überlebenden Ehepartners in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes des (der) Versicherten sein. Durch die Heranziehung des Einkommens der letzten zwei Kalenderjahre vor dem Todeszeitpunkt solle - in Entsprechung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes - die Versorgungslage zum Todeszeitpunkt besser wiedergegeben werden als dies nach bisherigem Recht, nämlich bei Abstellen auf die Bemessungsgrundlage, der Fall gewesen sei. Insbesondere werde durch die Berücksichtigung auch des dem Todeszeitpunkt zweitvorangegangenen Kalenderjahres dem Umstand Rechnung getragen, dass im letzten Kalenderjahr vor dem Todeszeitpunkt das Einkommen des/der Verstorbenen vielfach durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit sinke, sodass das alleinige Abstellen auf dieses letzte Kalenderjahr eine gewisse Verzerrung des Lebensstandards mit sich brächte.
Der Einkommensbegriff des § 264 Abs 5 ASVG idF BGBl I 2004/78 wurde weitgehend dem bisher geltenden § 264 Abs 5 ASVG nachgebildet. Als Einkommen gelten nunmehr unter anderem Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 ASVG (Z 1) sowie wiederkehrende Geldleistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung (mit Ausnahme eines Behindertenzuschusses und eines besonderen Steigerungsbetrages nach § 248) und aus der Arbeitslosenversicherung sowie nach den Bestimmungen über die Arbeitsmarktförderung und die Sonderunterstützung (Z 2 lit a). Nach § 91 Abs 1 Z 1 ASVG gilt als Erwerbseinkommen, sofern in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, bei einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das aus dieser Tätigkeit gebührende Entgelt. Darunter ist nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen das aus dieser unselbständigen Erwerbstätigkeit gebührende Bruttoentgelt gemäß § 49 ASVG inklusive Sonderzahlungen zu verstehen (vgl auch Teschner/Widlar/Pöltner, MGA ASVG 95. Erg-Lfg Anm 5 zu § 264). Durch den ausdrücklichen Verweis des § 264 Abs 5 Z 1 ASVG auf „Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1" wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass der Begriff des Erwerbseinkommens in § 264 Abs 5 ASVG im Sinne der allgemeinen in § 91 Abs 1 ASVG enthaltenen Legaldefinition des Erwerbseinkommens zu verstehen ist. Demgegenüber stellt die spezielle Bestimmung des § 292 Abs 1 ASVG für den Anspruch auf Ausgleichszulage ausdrücklich auf das einem Pensionsberechtigten aus übrigen Einkünften erwachsende Nettoeinkommen ab und enthält § 292 Abs 3 ASVG eine nähere Bestimmung des Begriffes „Nettoeinkommen". Daraus folgt, dass der Gesetzgeber für den Bereich der Witwenpension und der Ausgleichszulage von einem unterschiedlichen Einkommensbegriffs ausgeht. Dagegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da es sich bei der Ausgleichszulage - anders als bei der Witwenpension - funktionell um die Garantie eines Mindesteinkommens im Pensionsalter handelt und daher die übrigen Einkünfte des Pensionsberechtigten nur insoweit anzurechnen sind, als sie dem Pensionsbezieher real zur Verfügung stehen (vgl Teschner in Tomandl, SV-System 15. Erg-Lfg 412 mwN). Bei den Pensionseinkünften iSd § 264 Abs 5 Z 2 lit a ASVG sind hingegen die jeweiligen Bruttobezüge (ohne Kinderzuschuss und besonderen Steigerungsbetrag) heranzuziehen (vgl Radner ua, BSVG³ Anm 10a zur vergleichbaren Bestimmung des § 136 BSVG). Die Höhe eines allenfalls auch zu berücksichtigenden Arbeitslosengeldes (Grundbetrag) orientiert sich hingegen am Nettoeinkommen des Arbeitslosen (vgl § 21 Abs 3 AlVG). Gegen diese Rechtslage bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Soweit die Klägerin verfassungsrechtliche Bedenken auch gegen den Zweijahreszeitraum für die Ermittlung der Berechnungsgrundlage (§ 264 Abs 3 und 4 ASVG) geltend macht und eine Verkürzung dieses Zeitraumes als sachgerecht erachtet, ist darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen 10 ObS 132/05t, 10 ObS 41/06m, 10 ObS 62/06z und 10 ObS 94/06f jeweils vom näher ausgeführt hat, dass gegen die in § 264 Abs 3 und 4 ASVG (idF des 2. SVÄG 2004) normierte Zweijahresfrist keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes bestehen. Auch wenn ein zweijähriger Beobachtungszeitraum zu Härtefällen bei der Berechnung der Höhe der Witwen(Witwer)pension führen könne, erscheine die Wahl eines zweijährigen Zeitraums, in der die Einkommen des verstorbenen und des überlebenden Ehegatten gegenübergestellt werden, bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung auch unter Bedachtnahme auf den mit der Witwen(Witwer)pension angestrebten Zweck nicht als unsachlich. Aufgrund des demokratischen Prinzips sei es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, seine jeweiligen rechtspolitischen Vorstellungen im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verwirklichen (SZ 2002/151 mwN). Nicht einmal der Umstand, dass durch eine gesetzliche Regelung - so wie hier - Härtefälle entstehen können, mache ein Gesetz per se gleichheitswidrig (RIS-Justiz RS0053509 [T6] und [T7]). So wie der erkennende Senat in den zitierten Entscheidungen vom die gegen einen angeblich zu kurzen Bemessungszeitraum vorgetragene verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilte, teilt er im vorliegenden Fall auch nicht die von der Klägerin wegen eines angeblich zu langen Bemessungszeitraumes geltend gemachten Bedenken. Der erkennende Senat sieht sich somit zu der von der Klägerin angeregten Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst.
Wie ebenfalls bereits in den erwähnten Entscheidungen des erkennenden Senates vom näher ausgeführt wurde, erfolgte mittlerweile durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2006 (SVÄG 2006, BGBl I 2006/130), eine teilweise Neuregelung der Berechnung der Witwen(Witwer)pension. Nach der Übergangsbestimmung des § 627 Abs 2 ASVG sind auf Antrag der Witwe (des Witwers), der bis längstens zum zu stellen ist, die Absätze 3 bis 5 des § 264 ASVG idF des SVÄG 2006, BGBl I 2006/130, auch auf Versicherungsfälle des Todes anzuwenden, die nach dem und vor dem eingetreten sind. Da ein entsprechender Antrag der Klägerin nicht vorliegt, kann die geänderte Rechtslage auf die Klägerin noch nicht angewendet werden. Es ist daher im gegenständlichen Verfahren nicht zu prüfen, ob diese Neuregelung zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen kann. Ungeachtet dieser Entscheidung bleibt der Klägerin aber die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 627 Abs 2 Satz 2 ASVG idF SVÄG 2006 offen, weil dieser Vorgangsweise die Rechtskraft einer bereits ergangenen Entscheidung nicht entgegensteht.
Mit Recht macht die Klägerin allerdings geltend, dass durch ihre Klage der Bescheid gemäß § 71 Abs 1 ASGG zur Gänze außer Kraft getreten ist. Da unstrittig ist, dass der Klägerin jedenfalls Anspruch auf Witwenpension zusteht, wobei ihr derzeit allerdings kein Auszahlungsbetrag gebührt, hatte der Oberste Gerichtshof die von den Vorinstanzen unterlassene Entscheidung nachzuholen. Nur in diesem Umfang kommt der Revision Berechtigung zu.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Auch wenn die Klägerin mit der Klage nicht mehr erreichte, als die beklagte Partei in ihrem Bescheid zuerkannte, war die Einbringung der Berufung sowie der Revision notwendig, da aufgrund dieser Rechtsmittel die Zuerkennung der im Bescheid anerkannten Leistung erfolgte (vgl SSV-NF 4/153 mwN).