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VfGH vom 03.10.2007, B1965/06

VfGH vom 03.10.2007, B1965/06

Sammlungsnummer

18239

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung zur Errichtung eines Ableitungskanals im Rahmen einer Hochleistungsstrecke der ÖBB sowie gleichzeitige Abweisung der Einwendungen der Beschwerdeführer; denkunmögliche Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses an dem Bauvorhaben infolge Unterlassung einer nachvollziehbaren, sachverhaltsbezogenen Auseinandersetzung mit den Interessen der Beschwerdeführer; keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen betreffend die Möglichkeit der Ausführung des Projekts in einer für die Beschwerdeführer weniger nachteiligen Weise

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer sind je zur Hälfte Miteigentümer der Grundstücke Nrn. 59 und 65/2 EZ 4, welche durch den im Eigentum der Gemeinde St. Margarethen an der Sierning stehenden öffentlichen Güterweg, GstNr. 63 EZ 19, jeweils KG Eigendorf, getrennt sind.

2. Mit Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom wurde der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG (nunmehr: ÖBB-Infrastruktur Bau AG - mitbeteiligte Partei) unter anderem die eisenbahn- und wasserrechtliche Genehmigung zum Bau eines Ableitungskanals "im Bereich Wirtschaftsweg 4 der HL-Strecke Wien - Salzburg, Güterzugumfahrung St. Pölten - Abschnitt West, km 15,175 - km 22,518" erteilt. Der Projektsplan, der dieser Genehmigung zugrunde liegt, sieht einen - ausschließlich auf der die beiden Grundstücke der Beschwerdeführer trennenden Gemeindestraße gelegenen - Trassenverlauf vor.

3. Auf eine Aufforderung der Beschwerdeführer, die Bauarbeiten sofort einzustellen, weil der in Rede stehende Ableitungskanal zum Teil - in konsenswidriger Weise - (unterirdisch) durch ihr Grundstück Nr. 59 geführt wurde, reagierte die mitbeteiligte Partei mit Schreiben vom , in der sie die Grundstücksverletzung einräumt und diese auf einen "Irrtum" zurückführt.

4. Mit Schriftsatz vom stellte die mitbeteiligte Partei beim Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie erstens den Antrag auf "Änderung der eisenbahn- und wasserrechtlichen Baugenehmigung [vom ] betreffend Ableitungskanal im Bereich Wirtschaftsweg W4" und zweitens einen näher ausgeführten "Antrag auf Enteignung". Sie begründet diese Anträge im Wesentlichen damit, es hätten sich "Veränderungen der Lage des Ableitungskanals in einem Teilabschnitt" und der "Lage des Versickerungsbeckens" ergeben, die eine Grundbeanspruchung bei den nunmehrigen Beschwerdeführern notwendig machten; eine gütliche Einigung sei bislang nicht erzielbar gewesen.

5. Mit dem nun angefochtenen Bescheid erteilte der Landeshauptmann von Niederösterreich, der vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie gemäß § 12 Abs 4 des Bundesgesetzes über Eisenbahnen, Schienenfahrzeuge auf Eisenbahnen und den Verkehr auf Eisenbahnen (Eisenbahngesetz 1957 - EisbG), BGBl. 60/1957 idF BGBl. I 38/2004, mit Verfahrensanordnung vom zur Durchführung des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahrens ermächtigt worden war, der mitbeteiligten Partei "unter Zugrundelegung des vorgelegten Bauentwurfes, unter der Voraussetzung der Erwerbung der erforderlichen Grundstücke und Rechte, und nach Maßgabe des Ergebnisses der am durchgeführten Ortsverhandlung" die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung und die wasserrechtliche Bewilligung "für die Errichtung eines Ableitungskanals im Bereich des Wirtschaftsweges 4 der HL-Strecke Wien - Salzburg, Güterzugumfahrung St. Pölten - Abschnitt West, km 15,175 - km 22,518". Unter Spruchpunkt 4 des angefochtenen Bescheides werden die Einwendungen der Beschwerdeführer insbesondere betreffend


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Standfestigkeit und Trockenheit ihrer Liegenschaft bzw. des darauf befindlichen Wohnhauses gemäß der NÖ Bauordnung,


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Grundeinlöse bzw. Übereignung,


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Alternativvarianten sowie


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Beeinträchtigung durch Änderung der Grundwasserverhältnisse, weitere Beweissicherungsmaßnahmen bzw. wegen Abgeltung bzw. Wiederherstellung von im Zuge der Bauherstellung entstandenen bzw. beim Betrieb auftretenden Schäden,"


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gemäß § 35 Abs 2 EisbG als unbegründet abgewiesen "und - soweit zivilrechtliche Aspekte berührt sind - auf den Zivilrechtsweg verwiesen". Unter Pkt. 5 wird gemäß § 35 Abs 3 EisbG festgestellt, "dass der durch die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung entstehende Vorteil für die Öffentlichkeit größer ist als der Nachteil, der den Parteien durch die Genehmigung des Bauvorhabens erwächst."

Begründend führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus:


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"... Darüber hinaus lässt sich aus der Tatsache, dass die Antragstellerin [gemeint: die mitbeteiligte Partei] beabsichtigt, den gegenständlichen Ableitungskanal entgegen den Festlegungen des Bescheides des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr vom , ..., auszuführen, für [die Beschwerdeführer] nichts gewinnen, da das Eisenbahngesetz eine Verpflichtung zur bescheidgemäßen Ausführung nicht kennt. Aus diesem Grund konnte die von der Antragstellerin mit Eingabe vom beantragte Einvernahme von Zeugen ebenfalls unterbleiben.

Der Umstand, dass die gegenständliche Eisenbahnanlage bereits errichtet wurde, und zwar ohne Zustimmung der Grundeigentümer [gemeint: die Beschwerdeführer], steht der Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung - unabhängig von der Frage des Vorliegens einer Verwaltungsübertretung bzw. der Betrachtung der damit verbundenen zivilrechtlichen Aspekte - nicht entgegen, da das Eisenbahngesetz nicht darauf abstellt, dass das Eisenbahnunternehmen im Zeitpunkt der Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung Eigentümer der vom gegenständlichen Vorhaben betroffenen Liegenschaften ist. Hiezu wird ausdrücklich angemerkt, dass es neben der Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung für eine Verwirklichung des Bauvorhabens auch noch der Erlangung der Verfügungsberechtigung über die vom gegenständlichen Bauvorhaben betroffenen Grundstücke bedarf, was auch im Spruch entsprechend zum Ausdruck kommt.

Unter Berücksichtigung der [...] geringeren Länge des Ableitungskanals und der Einsparung von Schächten und der damit verbundenen besseren Wirtschaftlichkeit in Errichtung und Erhaltung sowie der von den Amtssachverständigen für Geologie und Hydrologie ausführlich dargelegten Konsequenzen eines Pressvortriebes gegen einer offenen Kanalverlegung geht die Behörde davon aus, dass die aus der Errichtung des gegenständlichen Ableitungskanals resultierenden Vorteile für die Öffentlichkeit jedenfalls größer sind als die Nachteile, die [den Beschwerdeführern] durch dessen eisenbahnrechtliche Genehmigung erwachsen."

6. Gegen diesen zuletzt genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des § 35 EisbG, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

7. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand.

II. Die hier maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Die §§32 bis 34 EisbG in der - gemäß § 133a Abs 14 und 15 EisbG idF BGBl. I 125/2006 - im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung (BGBl. I 38/2004) lauten wie folgt:

"Baugenehmigung

§32. (1) Für den Bau von neuen und für Veränderungen bestehender Eisenbahnanlagen ist ein Bauentwurf aufzustellen. Die Behörde bestimmt, welche Unterlagen aus technischen oder verfahrensrechtlichen Gründen nach den Erfordernissen des Falles vorzulegen sind.

(2) Der Bauentwurf ist der Behörde in dreifacher Ausfertigung vorzulegen. Die Behörde kann eine geringere Anzahl von Ausfertigungen, insbesondere für einzelne Unterlagen, festlegen.

§ 33. Die Behörde hat den Bauentwurf, wenn nicht die Bestimmungen des § 14 Abs 3 anzuwenden sind, daraufhin zu prüfen, ob er vom eisenbahnfachlichen Standpunkt zur Ausführung geeignet ist. Sie hat weiters zu prüfen, ob der Wirkungsbereich anderer Behörden oder Rechte Dritter berührt werden, ohne dass deren Zustimmung bereits vorliegt. Ist der Bauentwurf vom eisenbahnfachlichen Standpunkt zur Ausführung nicht geeignet, so ist er zurückzuweisen.

§34. (1) Die Durchführung der Bauverhandlung obliegt bei den in die Zuständigkeit des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie fallenden Eisenbahnen, sofern dieses die Bauverhandlung nicht selbst durchführt, dem Landeshauptmann.

(2) Der Bauentwurf ist vor der Bauverhandlung durch mindestens zwei Wochen in den Gemeinden, deren örtlicher Wirkungsbereich durch die geplante Eisenbahn berührt wird, zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Die Behörde kann diese Frist bis auf fünf Tage abkürzen, wenn dies aus dringenden öffentlichen Interessen geboten ist.

(3) Den Dienststellen des Bundes, der Länder und Gemeinden, deren örtlicher und sachlicher Wirkungsbereich durch die geplante Eisenbahn berührt wird, ist Gelegenheit zu geben, zu dem Bauentwurf Stellung zu nehmen.

(4) Parteien im Sinne des § 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950, BGBl. Nr. 172, sind insbesondere der Bauwerber, die Eigentümer der betroffenen Liegenschaften, die an diesen dinglich Berechtigten, die Wasserberechtigten und die Bergwerksberechtigten. Betroffene Liegenschaften sind außer den durch den Bau selbst in Anspruch genommenen Liegenschaften auch die, die in den Bauverbotsbereich (§38) oder in den Feuerbereich (§40) zu liegen kommen, sowie die, die wegen ihrer Lage im Gefährdungsbereich (§39) Veränderungen oder Beschränkungen unterworfen werden müssen."

§ 35 EisbG in der im Beschwerdefall maßgebenden Stammfassung, BGBl. 60/1957, lautet:

"§35. (1) Die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung erteilt die Behörde. Von dieser Erteilung ist dem Landeshauptmann, sofern dieser nicht selbst zuständig ist, Kenntnis zu geben.

(2) In der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung ist über alle gegen das Bauvorhaben erhobenen Einwendungen sowie über alle sonst vom Bauvorhaben berührten Interessen zu entscheiden, soweit es sich nicht um zivilrechtliche Ansprüche handelt; diese sind auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

(3) Einwendungen, die eine Verletzung subjektiver vffentlicher Rechte zum Inhalt haben, sind als unbegründet abzuweisen, wenn der durch die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung entstehende Vorteil für die Öffentlichkeit größer ist als der Nachteil, der der Partei durch die Genehmigung des Bauvorhabens erwächst.

(4) In der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung ist eine angemessene Frist vorzuschreiben, innerhalb der der Bau auszuführen und der Betrieb zu eröffnen ist. Die Behörde kann auf rechtzeitig gestellten Antrag diese Frist verlängern. Wird die Frist ohne zwingende Gründe nicht eingehalten, so hat die Behörde die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung für erloschen zu erklären."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Als Miteigentümer betroffener Liegenschaften im Sinne des § 34 Abs 4 EisbG kommt den Beschwerdeführern Parteistellung im eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren zu.

2.1. Nach § 35 Abs 3 EisbG darf eine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung nur erteilt werden, wenn der durch sie entstehende Vorteil für die Öffentlichkeit größer ist als der Nachteil, der der Partei durch die Genehmigung des Bauvorhabens erwächst.

2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof dazu in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa VfSlg. 7321/1974) ausgesprochen hat, liegt im Baubewilligungsbescheid also die Feststellung, dass das öffentliche Interesse an der dem Bescheid entsprechenden Durchführung des Bauvorhabens die entgegenstehenden Interessen überwiegt; darin eingeschlossen ist die Feststellung, dass die aus dieser Bewilligung unmittelbar folgende (wenngleich erst in einem nachfolgenden Enteignungsverfahren zwangsweise durchsetzbare) Inanspruchnahme der Liegenschaften durch den bewilligungskonformen Bau im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt.

Enteignet kann zum Zwecke dieser Inanspruchnahme nur werden, wenn und insoweit dies notwendig ist, um einem Gebot des allgemeinen Besten zu entsprechen.

3.1. Die Eigentümer der durch den bescheidmäßigen "Bau selbst in Anspruch genommen Liegenschaften" iSd § 34 Abs 4 EisbG können daher im Enteignungsverfahren, wenn der Baugenehmigungsbescheid rechtskräftig geworden ist, nicht mehr einwenden, die Inanspruchnahme liege nicht im öffentlichen Interesse, sie sei nicht notwendig, um einem Gebot des allgemeinen Besten zu entsprechen (so auch jüngst der ).

3.2. Der angefochtene Bescheid greift als "Grundlagenbescheid" für das nachfolgende Enteignungsverfahren in Ansehung der von den Beschwerdeführern in Anspruch genommenen Grundstücke ins Eigentumsrecht ein (vgl. das schon zitierte Erkenntnis VfSlg. 7321/1974).

3.3. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

3.4. Was die unter dem Titel des Gleichheitssatzes erhobenen Bedenken der Beschwerdeführer ob der Verfassungsmäßigkeit des § 35 EisbG mit der Begründung anlangt, dass diesem eine dem § 44 EisbEG vergleichbare Kostenersatzregelung fehle, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach differenzierende Kostenersatzregelungen in verschiedenen Verfahrensbereichen, mögen diese auch eine gewisse Verwandtschaft aufweisen, (noch) nicht dem Gleichheitssatz widersprechen (vgl. etwa VfSlg. 15.190/1998).

Auch im Übrigen hat aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nichts ergeben, dass die §§32 ff. EisbG keine verfassungsrechtlich zureichende Rechtsgrundlage des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsbescheides einschließlich des Abspruchs über die von den Beschwerdeführern erhobenen Einwendungen bildeten (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der genannten Bestimmungen vgl. etwa VfSlg. 14.387/1995).

3.5. Die belangte Behörde hat aber im Ergebnis die Bestimmung des § 35 Abs 3 EisbG denkunmöglich ausgelegt:

3.5.1. Vor dem Hintergrund der durch § 35 Abs 3 EisbG gebotenen Abwägung der durch das Projekt entstehenden Vorteile für die Öffentlichkeit gegenüber den der Partei durch die Genehmigung des Bauvorhabens erwachsenden Nachteilen kann ein - für die Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung erforderliches - Überwiegen der öffentlichen Interessen nur dann bejaht werden, wenn die geltend gemachten gegenteiligen Interessen eingehend geprüft und als weniger schwer wiegend beurteilt wurden. Dies erfordert eine nachvollziehbare, sachverhaltsbezogene Auseinandersetzung mit einem entsprechend konkreten Vorbringen von Parteien im Sinne des § 34 Abs 4 EisbG (vgl. auch ). Die Parteien können dabei insbesondere geltend machen, dass das in Aussicht genommene Projekt in anderer, für die betroffenen Grundstückseigentümer in einer weniger nachteiligen Weise ausgeführt werden kann (vgl. ; , 2002/03/0072).

3.5.2. Derartige Einwendungen wurden von den Beschwerdeführern im eisenbahnrechtlichen Bewilligungsverfahren auch erhoben: Wie aus dem Schriftsatz vom betreffend Einwendungen zum beantragten Projekt hervorgeht, brachten die Beschwerdeführer nämlich insbesondere auch vor, dass es bereits eine rechtskräftige Baubewilligung zur Errichtung des in Rede stehenden Abwasserkanals mit einem Trassenverlauf gäbe, durch den - anders als durch den (insoweit also konsenswidrigen) tatsächlichen Verlauf des Abwasserkanals - ihr Grundstück nicht berührt würde. Mangels zwingender Gründe, die eine Ausführung des (bereits) rechtskräftig bewilligten Projektes undurchführbar machten, sei eine "Herstellung des Kanals [...] unverändert jederzeit gemäß eisenbahn- und wasserrechtlicher Baugenehmigung innerhalb der Gemeindestraße, Gst 63, möglich". Daher sei dem Anspruch auf Bewilligung einer Änderung des Projektes von vorne herein die Grundlage entzogen.

3.5.3. Mit diesem konkreten Vorbringen hat sich die belangte Behörde aber bei der Erteilung der angefochtenen Baubewilligung nicht auseinandergesetzt, obwohl der frühere, rechtskräftige Bewilligungsbescheid von einem öffentlichen Interesse an einer anderen Trassenführung ausgeht. Bei dieser Sachlage wäre es in Auseinandersetzung mit der bereits bewilligten Trassenführung des Abwasserkanals Aufgabe der belangten Behörde gewesen, darzutun, aus welchen Gründen sich nunmehr - und ungeachtet dessen, dass bei der zur Bewilligung eingereichten Bauführung statt öffentlichem Gut eine Liegenschaft des Beschwerdeführers in Anspruch genommen werden muss - herausstellt, dass ein stärkeres überwiegendes öffentliches Interesse für die Verlegung des Kanals durch das Grundstück des Beschwerdeführers, somit der Inanspruchnahme eines privaten Grundstücks statt des unmittelbar benachbarten öffentlichen Gutes spricht. Dies hat die belangte Behörde aber zur Gänze unterlassen:

a) Zwar lässt sich den im Bescheid wörtlich wiedergegebenen Sachverständigengutachten entnehmen, dass die Herstellung des in Rede stehenden Abwasserkanals im Wege einer Verlegung eines Rohrstranges im Pressvortrieb durch das Grundstück der Beschwerdeführer schonender für das "umgebende Sediment" sei als die in gleicher Tiefe ursprünglich vorgesehene Verlegung in einer Künette entlang der Gemeindestraße. Welches öffentliche Interesse eine "Schonung des Sediments" nahelegt oder gebietet, wird jedoch nicht dargetan.

b) Die belangte Behörde hat es auch sonst schlichtweg unterlassen, jene Umstände nachvollziehbar darzulegen, die ein Abweichen von der mit Bescheid vom genehmigten Trasse und damit einen Eingriff in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer an ihrem vorläufig ohne entsprechenden Konsens in Anspruch genommenen Grundstück rechtfertigen würden. Insbesondere ist auf den zulässigen und in der Sache berechtigten Einwand, dass sich das Projekt in anderer, für die Beschwerdeführer weniger nachteiligen Art, nämlich in seiner ursprünglich vorgesehenen und mit Bescheid vom bewilligten Weise, ausgeführt werden kann, nicht eingegangen worden.

c) Die belangte Behörde begnügt sich in der Begründung ihres Bescheides damit, einzig die zugunsten des konsenswidrig errichteten Ableitungskanals sprechenden Gründe aufzuzählen, indem sie etwa auf die "geringer[e] Länge des Ableitungskanals und [die] Einsparung von Schächten und der damit verbundenen besseren Wirtschaftlichkeit in Errichtung und Erhaltung sowie [die] von den Amtssachverständigen für Geologie und Hydrologie ausführlich dargelegten Konsequenzen [gemeint: Vorteile] eines Pressvortriebes gegen ein[e] offen[e] Kanalverlegung" verweist; sie unterlässt es (ungeachtet des Grundsatzes der Subsidiarität der Enteignung gegenüber einer ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand möglichen Inanspruchnahme öffentlichen Gutes; vgl. VfSlg. 16.732/2002), diese gegen die Gegengründe (insbesondere durch eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den Interessen der Beschwerdeführer) abzuwägen.

d) Das ins Treffen geführte Argument der "besseren Wirtschaftlichkeit" ist überdies schon mangels konkreter Kostenrechnungen nicht geeignet, die Erteilung der in Rede stehenden Baubewilligung und den daraus resultierenden Eingriff in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer zu rechtfertigen.

Die Behörde hat daher die nach § 35 Abs 3 EisbG gebotene Abwägung der durch das geänderte Projekt entstehenden Vorteile für die Öffentlichkeit gegenüber den den Beschwerdeführern durch die Genehmigung des Bauvorhabens erwachsenden Nachteilen nicht in einer Weise vorgenommen, die den Anforderungen an eine verfassungskonforme - im Besonderen dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums Rechnung tragende - Auslegung genüge tut (vgl. zur Verletzung im Eigentumsrecht durch zwangsweise Einräumung von Dienstbarkeiten zur Errichtung einer Erdgasleitung bei gegebener Gelegenheit, diese im öffentlichen Gut zu verlegen VfSlg. 16.753/2002).

3.6. Damit hat die belangte Behörde einen so schweren Fehler begangen, der mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführer einzugehen war.

IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. In den antragsgemäß zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten. Dem Kostenzuspruch steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführer das Land Niederösterreich und nicht den Bund als den zum Kostenersatz zu verpflichtenden Rechtsträger benennen, weil die Bezeichnung des Rechtsträgers, in dessen Namen die belangte Behörde gehandelt hat, keinen notwendigen Bestandteil eines Kostenbegehrens iSd § 88 VfGG darstellt (vgl. VfSlg. 17.140/2004).

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.