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OGH vom 08.11.2011, 10Ob67/11t

OGH vom 08.11.2011, 10Ob67/11t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj S*****, geboren am , *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für den 2. und 20. Bezirk, Meldemannstraße 12 14/2. Stock, 1200 Wien), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 160/11i 46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 2 Pu 496/10z 38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der am geborene S***** ist der Sohn von C***** und R*****. Der Minderjährige, der bei seiner Mutter in Österreich lebt, und die seit geschiedenen Eltern sind rumänische Staatsbürger. Die Mutter ist in Österreich zumindest seit „bis laufend“ als Arbeitnehmerin unselbständig beschäftigt (vgl dazu im ersten Rechtsgang: 10 Ob 84/08p [ON 24]). Der Aufenthalt des Vaters ist unbekannt. An seiner Leistungsfähigkeit besteht kein Zweifel.

Nach dem Vorbringen des vom JWT vertretenen Kindes hielt sich der Vater „ derzeit unbekannten Aufenthalts vermutlich “ in Großbritannien auf. Mangels „hinreichender Anhaltspunkte“ konnte der bereits mehr als drei Jahre alte Unterhaltstitel daher nicht erhöht werden, weil der Unterhaltsschuldner „nicht erreichbar“ war (ON 1 und 10).

Daraufhin wurden dem Minderjährigen mit Beschluss vom (ON 30) Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in Richtsatzhöhe bis zum gewährt. Dieser Beschluss blieb unbekämpft.

Am beantragte der Minderjährige, vertreten durch den JWT, ihm die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 iVm § 18 UVG weiter zu gewähren. Der Aufenthaltsort des Vaters sei [auch] derzeit unbekannt. Es seien seit der Gewährung vom keine Änderungen eingetreten, die eine Weitergewährung ausschließen würden.

Mit Beschluss vom (ON 38) gab das Erstgericht diesem Antrag mit der Begründung statt, dass dem Gericht keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Voraussetzungen der Vorschussgewährung nicht mehr gegeben seien.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, nicht Folge.

Nach der Rechtsprechung sei die Unterlassung zumutbarer Bemühungen zur Schaffung eines Unterhaltstitels auch im Fall einer Entscheidung über den Antrag auf Weitergewährung nach § 18 UVG von Amts wegen als Rechtsmissbrauch aufzugreifen. Bei objektiver Voraussicht seien aber keine nach der Aktenlage von vornherein praktisch aussichtslosen Versuche einer Titelschaffung zu fordern. Das Unterbleiben solcher Bemühungen stehe einer Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Z 2 UVG nicht entgegen. Entgegen dem Standpunkt des Rekurses bedürfe es weder einer Ergänzung des Antragsvorbringens des durch den JWT vertretenen Kindes noch einer weitergehenden Glaubhaftmachung der Anspruchsvoraussetzungen: Der Aktenlage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz seien nämlich tatsächlich keine Anhaltspunkte für Bedenken gegen die Richtigkeit des, als Erklärung des Vertreters des Kindes im Sinn des § 11 Abs 2 UVG (die der Wahrheit entsprechen müsse und unter den Sanktionen dieser Bestimmung stehe) zu wertenden Antragsvorbringens zu entnehmen, wonach keine Änderungen eingetreten seien, die eine Weitergewährung der Vorschüsse ausschließen würden. Solche Anhaltspunkte würden im Rekurs auch gar nicht aufgezeigt.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, welche inhaltlichen Anforderungen an eine Erklärung im Sinn des § 11 Abs 2 UVG in Bezug auf beantragte Weitergewährungen von Vorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG zu stellen seien.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung vom Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) mangels Vorliegens einer im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Der Rechtsmittelwerber macht geltend, die Erklärung des JWT im (Weitergewährungs-)Antrag vom sei auch dann nicht „ausreichend“, wenn man sie als solche nach § 11 Abs 2 UVG werte. Die bloße Wiedergabe einer „Rechtsansicht“ reiche nicht aus. Eine amtswegige Versagung der Weitergewährung sei nämlich auch damit zu begründen, dass bei einer Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht alles Zumutbare zur Schaffung eines Unterhaltstitels unternommen worden sei. Wenn dies der Fall sei, erfolge die weitere Inanspruchnahme von Vorschüssen rechtsmissbräuchlich. Dies ergebe sich aber [insofern] auch aus § 18 Abs 1 Z 2 UVG, als jede auf § 4 Z 2 UVG gestützte Vorschussgewährung zumutbares Bemühen um eine Titelschaffung voraussetze. Die „formlose“ Angabe, es habe sich nichts geändert, sei nicht ausreichend. Es müsse zumindest behauptet und auch bescheinigt werden, „dass und welche“ Bemühungen vom JWT zur Ausforschung des Aufenthalts des Unterhaltsschuldners und Schaffung eines neuen Unterhaltstitels unternommen worden seien. Aus der bloßen Angabe, es seien keine Änderungen eingetreten, lasse sich ein zumutbares Bemühen nicht ableiten.

1. Dem ist vorweg zu erwidern, dass sich der vom JWT vertretene Antragsteller auch darauf berufen hat, der Unterhaltsschuldner sei unbekannten Aufenthalts (ON 34, vgl auch noch ON 42). Welche inhaltlichen Anforderungen an die diesbezüglichen Erklärungen des JWT nach § 11 Abs 2 UVG im Fall eines Antrags auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschuss zu stellen sind, ist hier aber nicht abschließend zu klären:

1.1. Eine im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage wird damit nämlich schon deshalb nicht aufgezeigt, weil sich der Oberste Gerichtshof mit einem völlig vergleichbaren Fall (der konkrete Aufenthalt des Unterhaltsschuldners, der sich offenbar im Ausland aufhielt, war der Mutter des vom JWT vertretenen Minderjährigen auch dort unbekannt) bereits zu 10 Ob 48/10x befasst und das Vorliegen der Voraussetzungen der zitierten Bestimmung bereits aus folgenden Überlegungen verneint hat:

2. Nach der im Anlassfall maßgebenden Fallgruppe des § 4 Z 2 UVG soll ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss dann bestehen, wenn „ die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags überhaupt … nicht gelingt “, also die Schaffung eines Unterhaltstitels zugunsten des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsschuldner nicht möglich ist; dann ist die Vorschussgewährung nur ausgeschlossen, wenn der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften offenbar zu einer, also zu irgendeiner wenngleich nur geringfügigen Unterhaltsleistung nicht imstande ist. Für die Leistungsunfähigkeit ist der Bund beweispflichtig (RIS-Justiz RS0076273). Leistungsunfähigkeit des Vaters macht der Rechtsmittelwerber aber gar nicht geltend. Der Umstand, dass Aufenthalt und Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners derzeit unbekannt sind, hindert eine Bevorschussung nicht, soll doch gerade in einem solchen Fall der Vorschuss nach dem Willen des Gesetzgebers gewährt werden (10 Ob 48/10x mwN).

3. Auch im Ausnahmefall des § 4 Z 2 UVG hat das Kind alles Zumutbare zur Unterhaltsfestsetzung zu unternehmen. Die Unterlassung zumutbarer Bemühungen ist selbst im Fall einer Entscheidung über den Antrag auf Weitergewährung nach § 18 UVG von Amts wegen als Rechtsmissbrauch aufzugreifen. Bei objektiver Voraussicht von vornherein nach der Aktenlage praktisch aussichtslose Versuche einer Unterhaltsfestsetzung sind vom vorschusswerbenden oder -beziehenden Kind oder von seinem gesetzlichen Vertreter nicht zu fordern, sodass das Unterbleiben solcher Bemühungen einer Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0076105; vgl RIS-Justiz RS0076100; RS0076140). Die Weitergewährung der Vorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG setzt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs daher nicht voraus, dass in jedem Fall zumindest ein Versuch der Unterhaltsfestsetzung vom Unterhaltsberechtigten unternommen wurde (10 Ob 48/10x mwN).

4. Die Frage, ob von einem Rechtsmissbrauch wegen Unterbleibens von Bemühungen zur Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner dann gesprochen werden kann, wenn unversucht gelassen wurde, den derzeitigen Aufenthalt eines im Ausland befindlichen Unterhaltsschuldners und - so weit wie möglich - auch seine derzeitigen Lebensverhältnisse durch die österreichischen Vertretungsbehörden oder durch deren Vermittlung durch entsprechende Amtsstellen im Aufenthaltsstaat des Unterhaltsschuldners ermitteln zu lassen, ist eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage, der deshalb in der Regel keine im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Bedeutung zukommt (10 Ob 48/10x; RIS-Justiz RS0126275).

5. Wenn das Rekursgericht ersichtlich davon ausgegangen ist, dass im Anlassfall nach dessen Umständen das Unterbleiben von (hier: weiteren [vgl die Angaben des JWT in der Rekursbeantwortung ON 42]) Bemühungen zur Ermittlung des Aufenthalts des Unterhaltsschuldners im Ausland keine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG bedeutet, so ist dies vor dem Hintergrund der bereits mehrfach zitierten Entscheidung 10 Ob 48/10x nicht korrekturbedürftig, zumal der Rechtsmittelwerber nicht darlegt, dass nach der Aktenlage die Annahme eines von vornherein praktisch aussichtslosen Versuchs einer Unterhaltsfestsetzung, die das Rekursgericht offenkundig seiner Entscheidung zugrunde legte, verfehlt ist.

5.1. Ratio der Bescheinigungspflicht ist, das Verfahren rasch und ohne weitwendige Ermittlungen abzuwickeln. Die Anforderungen an den Antrag und die Bescheinigung sind „wirklichkeitsnah und nicht bürokratisch-formalistisch zu betrachten“. Eine Antragsüberprüfung durch das Gericht ist nur erforderlich, wenn aufgrund der Aktenlage Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung bestehen. Ohne konkrete Anhaltspunkte sind solche Schritte vom Gericht nicht zu unternehmen ( Neumayr in Schwimann , ABGB³ I § 11 UVG Rz 10 ff).

5.2. Diese Grundsätze gelten jedenfalls auch im Fall der Weitergewährung, wo das Kind im Wesentlichen bloß zu behaupten hat, dass die Voraussetzungen, die bei der Erstgewährung angenommen wurden (hier auch der Versuch einer Titelschaffung), weiterhin gegeben sind ( Neumayr in Schwimann , ABGB³ I § 18 UVG Rz 1, 4 und 5 mit Hinweis auf § 4 Rz 41).