OGH vom 29.03.2012, 9Ob67/11k

OGH vom 29.03.2012, 9Ob67/11k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn in der Rechtssache der Klägerin E***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Frank Riel, Dr. Wolfgang Grohmann, Rechtsanwälte in 3500 Krems an der Donau, wider die beklagten Parteien 1. F***** P*****, 2. F***** P*****, 3. M***** R*****, 4. R***** G*****, 5. R***** S*****, alle vertreten durch Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in 3910 Zwettl, wegen 6.893,36 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom , GZ 1 R 9/11w 21, mit dem der Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Zwettl vom , GZ 1 C 15/10v 16, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wird.

Die Kostenentscheidung ist der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Begründung:

Die Beklagten sind Mitglieder der Agrargemeinschaft R*****. Am sollte auf dem zur Agrargemeinschaft gehörenden Grundstück *****, ein Baum gefällt werden. Der Erstbeklagte schnitt den Fallkerb am Baum so, dass die beabsichtigte Fallrichtung in Richtung der Leitung der Beklagten lag. Der Fünftbeklagte trieb Keile in den Baum, um ihn zu Fall zu bringen, während der Zweitbeklagte den Baum mit der Motorsäge einschnitt. Der Baum stürzte in die beabsichtigte Fallrichtung und zerriss eine 110 kV Leitung der als Gesellschaft mit beschränkter Haftung konstituierten Klägerin. Die Beklagten hatten die Höhe des Baumes nicht ermittelt. Sie hatten sich verschätzt und damit gerechnet, dass der Baum die Leitung nicht treffen werde. Die Beklagten sind fachkundig. Für fachkundige Personen ist es naheliegend, dass die Gefahr einer Beschädigung der Leitung besteht und dass die Höhe des Baumes und dessen Entfernung von der Leitung ermittelt werden muss, wenn man in Erwägung zieht, den Baum in Richtung der Leitung zu fällen. Auch wenn man den Baum in eine andere Richtung fällt, kann es vorkommen, dass der Baum nicht in die gewünschte Richtung stürzt. Deshalb wäre es in Hinblick auf die in der Nähe befindliche Leitung fachgerecht gewesen, den Baum mit einem Seil zu sichern. Die Reparatur der Leitung erforderte Aufwendungen von 17.233,26 EUR, von denen bei Klagseinbringung 10.339,90 EUR bezahlt waren.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch der Differenz von 6.893,36 EUR sA. Die Beklagten hätten den Schaden grob fahrlässig verursacht. Sie hätten die Klägerin entgegen der Vereinbarung mit der Agrargemeinschaft auch nicht von der beabsichtigten Baumfällung verständigt.

Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten ein, den Fallkerb so gesetzt zu haben, dass der Baum parallel zur Leitung hätte fallen müssen. Weil er für die Beklagten nicht erkennbar morsch gewesen sei, sei er in die Leitung der Beklagten gefallen. Diese wäre verpflichtet gewesen, die Trasse unter der Leitung so frei zu halten, dass keine Gefahr für sie bestehe. Dass die Trasse offensichtlich nicht breit genug gewesen sei, begründe eine Sorglosigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten. Auch bei einem Windwurf oder bei Anwesenheit von Aufsichtspersonal der Klägerin hätte sich ein derartiger Schadensfall ereignen können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Sämtliche Beklagten hätten an der Waldbewirtschaftung mitgewirkt. Sie hätten grob fahrlässig gehandelt und würden gemäß § 176 Abs 3 ForstG solidarisch haften.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge und bestätigte ein grob fahrlässiges Vorgehen der Beklagten. Die Revision wurde nachträglich mit der Begründung zugelassen, dass der Gesetzestext des § 176 Abs 3 ForstG ausdrücklich von einer Haftung für Schäden eines nicht an der Waldbewirtschaftung beteiligten Menschen spreche. Zur analogen Anwendung der Bestimmung auf juristische Personen liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.

In ihrer Revision beantragen die Beklagten, das Berufungsurteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt .

1. Gemäß § 176 Abs 3 erster und zweiter Satz ForstG haftet der Waldeigentümer oder eine sonstige, an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Person für den Ersatz des Schadens, wenn im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung ein an diesen nicht beteiligter Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine ihm gehörige Sache beschädigt wird, sofern der Waldeigentümer oder die sonst mitwirkenden Personen oder einer ihrer Leute den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben. Ist der Schaden durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, haften auch sie nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.

Dass durch diese Bestimmung eine Haftung für Sachschäden juristischer Personen nicht ausgeschlossen wird, ergibt sich aus dem Gleichheitsgrundsatz und dessen Ausprägung in § 26 ABGB. Der Gleichheitsgrundsatz bedeutet die Verpflichtung von Gesetzgebung und Vollziehung, sich bei der rechtlichen Behandlung der Staatsbürger nur von objektiven Unterschiedsmerkmalen, dh nur von sachlich gerechtfertigten Möglichkeiten leiten und nur in der Person begründete Erwägungen beiseite zu lassen (RIS Justiz RS0054018). Voraussetzung für die analoge Anwendung einer Gesetzesvorschrift ist nur die Gleichheit des Rechtsgrundes und des Schutzbedürfnisses (RIS Justiz RS0008902; RS0008866). Das ist hier der Fall, weil es kein Differenzierungskriterium dafür gibt, ob die Sachbeschädigung eine natürliche oder eine juristische Person trifft. Denn zweifellos kann es keinen Unterschied machen, ob etwa ein durch Waldarbeiten beschädigtes Fahrzeug oder benachbartes Grundstück (vgl den Sachverhalt zu 6 Ob 689/85) einem Menschen, einer Gesellschaft oder einem sonstigen Rechtsträger mit Rechtspersönlichkeit gehört. Erwägungen dahin, dass sich die Bestimmung nur auf den Schaden von Waldbesuchern beziehen könnte, wären verfehlt, wurde doch bereits in den Entscheidungen 6 Ob 689/85 und 6 Ob 193/00a ausgesprochen, dass die Haftungseinschränkung über den Erholungsgebrauch hinaus allgemeine Bedeutung hat und nicht nur gegenüber Erholungssuchenden gilt (s auch Brawenz/Kind/Reindl , Forstgesetz 1975 3 , S 597 Anm 1). Es entspricht auch generell der Rechtsprechung, dass bei einer Interessenbeeinträchtigung juristischen Personen als Teilnehmern am Rechtsverkehr ebenso Schutz zu gewähren ist wie natürlichen Personen (vgl 5 Ob 234/10p; RIS Justiz RS0079669). In Übereinstimmung mit § 26 ABGB und dem verfassungsmäßigen Gleichheitsgebot ist § 176 Abs 3 ForstG daher dahin auszulegen, dass auch Sachschäden juristischer Personen von der Bestimmung erfasst werden.

2. Die Revisionswerber meinen, dass nur jene Personen haften, die bei den Waldbewirtschaftungsarbeiten direkt an der schädigenden Handlung mitgewirkt haben. Dazu ist auszuführen:

2.1. Zum Verständnis der „sonstigen an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Personen“ ist zunächst auf § 176 Abs 2 ForstG hinzuweisen, der für diesen Personenkreis beispielhaft Nutznießer, Einforstungs oder Bringungsberechtigte, Schlägerungs oder Bringungsunternehmer nennt. Sowohl aus Abs 2 als auch aus Abs 3 leg cit geht hervor, dass nicht nur der Waldeigentümer, sondern auch die sonstigen an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Personen jeweils durch ihre Leute agieren können (Abs 2: „Den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen […] und deren Leute“; Abs 3: „sofern sie oder einer ihrer Leute“). Das bedeutet zugleich, dass nicht alle vom Waldeigentümer verschiedene Personen, die Waldarbeiten durchführen, schon als „sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen“ angesehen werden können, weil sonst für den Begriff der Leute sei es des Waldeigentümers, sei es der sonstigen an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Personen kein Raum bliebe.

2.2. Für die Schadenshaftung legt Abs 3 zweierlei fest: zum einen den Personenkreis der Haftenden, zum anderen den dafür erforderlichen Verschuldensgrad. Zum Personenkreis wurde bereits in den Erläuterungen (RV 1266 BlgNR 13. GP zu § 39 [idF: § 176] ForstG 1975) ausgeführt: „Normadressat ist auch hier der Waldeigentümer bzw der schon im Abs 2 näher umschriebene Personenkreis, zu dem auch die Leute des Waldeigentümers zählen; allerdings haftet dieser für sie, wenn sie für ihn Waldarbeiten durchführen (Leutehaftung)“. Mit der Beschränkung der Haftung auf Fälle der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Schadenszufügung wiederum sollte den aus der Waldöffnung resultierenden zusätzlichen Belastungen des Waldeigentümers, die sich aus der Anwendung der allgemeinen Haftungsvorschriften des ABGB ergeben würden, begegnet werden (RV aaO). Damit weicht die Bestimmung ähnlich wie etwa § 1319a ABGB von den allgemeinen Haftungsgrundsätzen insoweit ab, als einerseits die Haftung für fremdes Verschulden erweitert wird (Leutehaftung) und andererseits die Haftung auf Fälle der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Schadenszufügung eingeschränkt wird.

2.3. Wie bereits zu 6 Ob 689/85 ausgeführt wurde, haften danach zufolge der gesetzlichen Formulierung des § 176 Abs 3 ForstG der Waldeigentümer bzw die sonst mitwirkende Person gemeinsam mit dem unmittelbar Schuldtragenden im Ausmaß seiner Schadenersatzpflicht gegenüber dem Geschädigten für den Fall, dass einer der Leute (Arbeiter oder sonstige, etwa familiäre Mitarbeiter) des Waldeigentümers oder einer sonst an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Person im direkten Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung einer an diesen Arbeiten nicht beteiligten Personen einen solchen Schaden vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit zufügt, zur ungeteilten Hand.

2.4. Auch im vorliegenden Fall setzt eine jegliche Haftung zunächst eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Schadenszufügung voraus. Diese Frage wurde von den Vorinstanzen angesichts dessen, dass der Baum bewusst in Richtung der Leitung geschlagen wurde, ohne dass Gewissheit über dessen Höhe und die Entfernung zur Leistung bestand und ohne dass eine Seilsicherung vorgenommen wurde, zu Recht bejaht.

2.5. Welche Personen für den Schaden der Klägerin iSd § 176 Abs 3 leg cit einzustehen haben, bestimmt sich nach dem Dargelegten nach ihrer Funktion. Handelt es sich um die Person des Waldeigentümers oder eine sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Person, so haftet sie, sofern entweder sie selbst oder einer ihrer Leute vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Handelt es sich hingegen um einen der Leute des Waldeigentümers oder der Leute der sonstigen an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Person, so haftet er nur, wenn er selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Eine Solidarhaftung der Leute des Waldeigentümers oder der sonstigen an der Waldbewirtschaftung beteiligten Person für den Fall, dass nur einige der Leute vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben, ist der Bestimmung des § 176 Abs 3 ForstG nicht zu entnehmen.

2.6. Für die Prüfung einer Haftung der Beklagten geht aus dem festgestellten Sachverhalt ihre jeweilige Rolle nicht ausreichend hervor. Ihre mögliche Haftung als Waldeigentümer ist nicht abschließend zu beurteilen, weil dann, wenn die Agrargemeinschaft selbst Rechtspersönlichkeit besitzt, dieser die Eigenschaft als Waldeigentümerin zukommt. Dazu ist nur darauf hinzuweisen, dass eine Agrargemeinschaft gemäß § 46 Nö Flurverfassungs Landesgesetz 1975 (FLG) als Körperschaft öffentlichen Rechts anzusehen ist, sobald die Behörde für sie Verwaltungssatzungen erlassen hat. Ob dies der Fall ist, ist aber weder den Feststellungen noch mangels eines Hinweises auf einen Behördenakt dem vorgelegten Grundbuchsauszug zu entnehmen.

2.7. Für den Fall, dass die Beklagten als Leute der Agrargemeinschaft anzusehen sein sollten, bedarf es neben der Feststellung ihrer jeweiligen Tätigkeit die hinsichtlich des Dritt und Viertbeklagten fehlt (letzterer sicherte nach seiner Aussage lediglich die Straße ab) auch der Feststellung ihrer jeweiligen Verantwortlichkeit, die erst die Beurteilung des Verschuldensmaßes ermöglicht. Ihr arbeitsteiliges Zusammenwirken schließt auch nicht von vornherein aus, dass nur einem oder einigen von ihnen die Bestimmung der Baumhöhe, der Fallrichtung und/oder die Einschätzung der Notwendigkeit einer Seilsicherung oblag.

3. Die Notwendigkeit entsprechender Feststellungen erfordert die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Aufhebung des Ersturteils zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung der Rechtssache.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 50 ZPO.