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OGH vom 25.10.2019, 8Ob108/19v

OGH vom 25.10.2019, 8Ob108/19v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. TarmannPrentner, die Hofrätin Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. WesselyKristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** P*****, vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde K*****, vertreten durch Mag. Erich Allinger, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen Grenzfeststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 58 R 38/19i61, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 18 C 831/17b57, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.947,88 EUR (darin 205,48 EUR USt und 715 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs und Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und die beklagte Marktgemeinde sind Eigentümer angrenzender Grundstücke, die nicht im Grenzkataster eingetragen sind. Über das Grundstück der Beklagten verläuft ein Bach, das Grundstück der Klägerin wird landwirtschaftlich genutzt.

Vor der Klägerin, die 1980 Eigentümerin wurde, haben seit 1955 deren Eltern das strittige Grundstück bewirtschaftet, und zwar stets bis hin zur natürlichen Böschungskante des Bachlaufs. Das Recht auf dieses Nutzungsausmaß wurde weder von der Beklagten, noch von einer anderen Stelle gegenüber der Klägerin oder ihren Rechtsvorgängern je beanstandet oder in Frage gestellt.

Fest steht, dass der Verlauf der Böschungskante im Jahr 1983 im Zuge von Wildbachverbauungsmaßnahmen verändert wurde. Es wurde über eine Länge von 200 m eine Grobsteinschlichtung am linken Bachufer vorgenommen, die zu einer Begradigung des Bachs führte. Die Böschungskante wurde dabei an einer Stelle bis zu einer Breite von 2,2 m in Richtung des klägerischen Grundstücks hineinversetzt sowie an zwei anderen Stellen um 0,75 bzw um 1 m in Richtung Bachseite hinausversetzt. Abgesehen von dieser Maßnahme konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Bachlauf signifikant verändert hat.

Im Jahre 2017 erhob die Beklagte anlässlich eines Straßenbauvorhabens, gestützt auf den im Grundsteuerkataster eingezeichneten Grenzverlauf, erstmals Anspruch auf eine entlang des Bachs verlaufende Teilfläche des von der Klägerin bewirtschafteten Grundstücks.

In der wird vorgebracht, die Klägerin sei durch Ersitzung Eigentümerin des strittigen Grundstreifens geworden, und die Feststellung der Grundstücksgrenze nach einem vorgelegten Plan begehrt. Der Verlauf dieser Grenzlinie entspricht den aktuellen Böschungsgrenzen in der Natur.

Die wandte unter anderem ein, der Klägerin habe es am für die Ersitzung erforderlichen guten Glauben gemangelt, außerdem habe sich der Bachlauf im Laufe der Zeit immer wieder verändert.

Das wies das Klagebegehren ab.

Aus dem Sachverhalt sei rechtlich abzuleiten, dass die Klägerin durch Ersitzung Eigentümerin des strittigen, bis zur Bewirtschaftungsgrenze reichenden Grundstreifens geworden sei. Es sei ihr aber nicht gelungen zu beweisen, dass die konkret begehrte Grenzlinie als Böschungskante seit dem Erwerb der Liegenschaft unverändert geblieben ist.

Das gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge und änderte die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab.

Die Erfüllung der Ersitzungsvoraussetzungen sei im Berufungsverfahren nicht mehr in Frage gestellt worden. Nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichts sei es zwar seit dem Erwerb durch die Eltern der Klägerin wiederholt zu Änderungen der Böschungskante gekommen, es sei aber keine signifikante Änderung des Bachverlaufs feststellbar gewesen. Damit habe die Klägerin den von ihr begehrten Grenzverlauf sowohl als Naturgrenze als auch als Grenze ihres langjährigen ruhigen Besitzstands ausreichend nachgewiesen.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Folgen und Kriterien einer im Einvernehmen mit den Anrainern von einer (nachgeordneten Dienststelle einer) Bundesbehörde vorgenommenen Änderung der Naturgrenze fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Klägerin beantwortete der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts von der einschlägigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht. Die Revision ist im Ergebnis auch berechtigt.

1. Die Revision meint zunächst, das Berufungsgericht habe die Negativfeststellung des Erstgerichts zu der wesentlichen Frage „ob die Böschungskante seit dem Ankauf der Liegenschaft durch die Eltern der Klägerin der aktuellen Bewirtschaftungsgrenze und damit der im Plan rot eingezeichneten Linie (…) entspricht“, übergangen. Die Revision verstehe diese Negativfeststellung dahin, dass gar nicht erwiesen sei, dass die rote Grenzlinie in dem Plan, der dem Urteilsbegehren zugrundeliegt, der Böschungskante entspreche.

Diese Ausführungen übergehen, dass das Erstgericht (Urteil S 6, 2. Absatz) ausdrücklich festgestellt hat, dass die besagte rote Grenzlinie „die in der Natur befindliche Bachböschung“ darstellt, und zwar „die in der Natur befindliche Abgrenzung der Wiese gegen das befestigte Ufer des Bachbetts“.

2. Die Revision meint weiters, da man den früheren Verlauf der Böschungskante nicht mehr feststellen könne, könne auch nicht erwiesen sein, dass die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger das Grundstück bis dorthin bewirtschaftet haben.

Diese Schlussfolgerung ist aber unzutreffend. Ob ein Grundstück über einen bestimmten Zeitraum immer bis zur vorhandenen Geländekante bewirtschaftet wurde, ist als empirisch wahrnehmbare Tatsache feststellbar. War es so, hat sich aber das Gelände im Lauf der Zeit verändert, kann es zwar dazu kommen, dass nicht mehr sicher ist, wie weit die Bewirtschaftung früher absolut gereicht hat, aber es steht unverändert fest, dass sie relativ bis zur jeweiligen Geländekante gereicht hat.

3. Soweit die Revision – ohne nähere Erläuterung dieses Gedankengangs – argumentiert, dass der für eine Ersitzung erforderliche gute Glaube bei der Klägerin ausgeschlossen sei, weil sie die Maßnahmen der Wildbachverbauung in den 1970er und 1980er Jahren gekannt habe, geht sie nicht von der bindenden Sachverhaltsgrundlage aus. Welche konkreten Umstände bei diesen Anlässen für die Klägerin den Verdacht begründen hätten müssen, dass die Grenzen ihres Grundstücks nicht mit der Bewirtschaftungsgrenze übereinstimmen, lässt die Revision offen. Davon abgesehen hat die Beklagte die rechtliche Beurteilung der Ersitzungsvoraussetzungen bereits im Berufungsverfahren unbekämpft gelassen.

4. Die Revision ist auch nicht im Recht, wenn sie meint, dass eine Grenzfestsetzung nach § 851 Abs 2 ABGB unter Einbeziehung einer ersessenen Fläche unzulässig sei, weil diese voraussetze, dass das Grundstück des Klägers auch Flächen umfasst, die nicht vom aktuellen Grenzverlauf eingeschlossen sind, eigene Flächen aber nicht ersessen werden könnten.

Dieser Gedankengang verkennt, dass durch die Ersitzung originär Eigentum am ersessenen Nachbargrundstück erworben wird. Auch an öffentlichem Gut kann das Eigentumsrecht durch Ersitzung erworben werden, wenn die Benützung des öffentlichen Gutes in anderer Weise ausgeübt wird, als sie von jedermann im Rahmen eines Gemeingebrauchs erfolgt (RS0009762 [T3] 1966).

5. Schließlich macht die Revision geltend, dass es nach dem festgestellten Sachverhalt während der Ersitzungszeit zu Änderungen des Bachverlaufs und der Böschungskanten gekommen sei. Die dem Feststellungsbegehren zugrundeliegende Grenzlinie entspreche nicht dem Verlauf der Bewirtschaftungsgrenze während der Ersitzungszeit, vielmehr sei der Verlauf des Bachs „immer wieder abweichend“ gewesen.

5.1. Dazu ist Folgendes festzuhalten:

Nach § 850 ABGB hat, wenn die Grenzzeichen zwischen zwei Grundstücken durch was immer für Umstände so verletzt worden sind, dass sie ganz unkenntlich werden könnten, oder wenn die Grenzen wirklich unkennbar oder streitig sind, jeder der Nachbarn das Recht, die gerichtliche Erneuerung oder Berichtigung der Grenze zu verlangen.

Diese Entscheidung ist im Verfahren außer Streitsachen zu treffen. Dabei sind nach § 851 ABGB wirklich unkennbar gewordene oder streitige Grenzen nach dem letzten ruhigen Besitzstande festzusetzen. Lässt sich dieser nicht feststellen, dann hat das Gericht die streitige Fläche nach billigem Ermessen zu verteilen.

Nach § 851 Abs 2 ABGB steht es aber jeder Partei frei, ihr besseres Recht im Prozessweg geltend zu machen. Im streitigen Verfahren besteht auch keine Bindung an eine allenfalls vorangegangene, nach den Kriterien des § 851 Abs 1 ABGB im Außerstreitverfahren getroffene Grenzfestsetzung (Sailer in KBB5§ 852 Rz 7 zum bloß vorläufigen Charakter der Entscheidung im Außerstreitverfahren).

5.2. Für die Abgrenzung der Verfahrensarten bei Grenzstreitigkeiten ist entscheidend, ob nach den Behauptungen des Antragstellers oder Klägers die unkenntliche Grenze nach dem letzten ruhigen Besitzstand, allenfalls nach billigem Ermessen festzusetzen ist, weil auch der Antragsteller bzw Kläger nicht zu behaupten und zu beweisen vermag, wo die richtige Grenze verläuft, oder aber ob eine bestimmte Grenze als richtig behauptet wird und deren Verlauf festgestellt werden soll. In diesem Fall muss in der Klage die nach Meinung des Klägers richtige Grenze eindeutig bezeichnet sein (RS0013882; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas, ABGB4§ 851 Rz 4).

5.3. Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidungsbegründung auf den letzten ruhigen Besitzstand der Klägerin und die in der Natur ersichtlichen Grenzmerkmale abgestellt. Im hier vorliegenden streitigen Verfahren kommt es aber auf die genannten Zweifelsmerkmale zur Festlegung der Grenze nach § 851 Abs 1 ABGB so nicht an, sondern obliegt es der Klägerin, die Richtigkeit gerade der von ihr behaupteten Grenzlinie streng zu beweisen.

5.4. Die Grenzlinie, deren Feststellung die Klägerin begehrt, folgt nach dem Sachverhalt der aktuell in der Natur bestehenden Bachböschung. Ob es sich dabei um die richtige Grenze handelt, hängt davon ab, ob diese Linie überall eine Fläche begrenzt, die die Klägerin bereits wirksam ersessen hat.

Wegen des § 1472 ABGB erforderlichen Ersitzungszeitraums von 40 Jahren, kommt es dabei nicht auf die gesamte seit dem Ankauf der Liegenschaft durch die Eltern der Klägerin verstrichene Zeit an. Zweifel an der Grenze sind erstmals 2017 aufgetreten, sodass wesentlich ist, ob es ab 1977 noch Veränderungen der Böschungsgrenze und damit Veränderungen der von der Klägerin bewirtschafteten Fläche gegeben hat.

5.5. Die von der Revision für ihren Standpunkt herangezogene Negativfeststellung bezüglich einer signifikanten Änderung des Bachlaufs ist hier in doppelter Hinsicht nicht relevant. Zum einen kommt es nicht auf den Verlauf des Bachs, sondern auf den Verlauf der Böschungskanten an, zum anderen bezieht sich die Negativfeststellung nicht auf eine Klagsbehauptung, sondern auf eine rechtsvernichtende Einwendung der Beklagten.

5.6. Entscheidend ist aber, dass es durch die im Jahre 1983 veranlassten Maßnahmen der Wildbachverbauung über eine Strecke von 200 m zu drei Kurvenkorrekturen in maximaler Breite von 2 m zu Lasten des klägerischen Grundstücks und 1 m bzw 0,75 m maximaler Breite zu Lasten des Beklagtengrundstücks gekommen ist.

Die erstgenannte Korrektur würde für sich allein eine Klagsstattgebung noch nicht hindern, weil es der Klägerin frei stünde, die Grenzfestsetzung unter Preisgabe von allenfalls bereits ersessenen Flächen zugunsten der Beklagten in einem engeren Umfang zu begehren.

Was jedoch die beiden Teilflächen anlangt, die die Klägerin durch die Regulierung zu Lasten des Grundstücks der Beklagten hinzugewonnen hat, konnte sie einen Ersitzungsbeginn vor dem Jahr 1983 nicht nachweisen. Bezüglich dieser Teilflächen war im Jahre 2017 die 40jährige Ersitzungszeit noch nicht abgelaufen.

Daraus folgt aber, dass die in der Klage begehrte Grenzlinie, die der aktuell bestehenden Böschungskante folgt, an zwei Stellen mangels vollendeter Ersitzung auf dem Eigentum der Beklagten liegt. Der Klägerin ist damit der Beweis der richtigen Grenze nicht gelungen.

5.7. Die Feststellung eines veränderten Grenzverlaufs fände im Klagebegehren keine Deckung. Ein solcher Zuspruch würde kein bloßes Minus zu einem Klagebegehren darstellen, das nicht nur die Feststellung des Eigentums an einem Grundstücksteil, sondern auch die Feststellung einer ganz bestimmten Grenze umfasst (1 Ob 96/18a).

6. Der Revision war daher im Ergebnis Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00108.19V.1025.000

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