VfGH vom 25.09.2007, b194/07
Sammlungsnummer
18206
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen unsachlicher kritischer Äußerungen, insbesondere durch Erhebung des Vorwurfs des Amtsmissbrauches in einem Schreiben; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, gegen Berufspflichten verstoßen sowie Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes beeinträchtigt zu haben, indem er:
1. in einem Schreiben an die Marktgemeinde S vom formulierte:
"Sinnfälliger könnte eine sittenwidrige Schädigungsabsicht ... nicht dokumentiert werden." und "Die Tatsache, dass die Antragstellerin dadurch massiv am Vermögen geschädigt wird, scheint dem Glücksgefühl der Behörden - BH und Marktgemeinde S - keinen Abbruch zu tun, sondern führt vielleicht noch zu einer ungeahnten Steigerung desselben." sowie
2. in einem Schreiben an das Gemeinderatsmitglied H L und andere Gemeinderatsmitglieder der Marktgemeinde S vom formulierte:
"Der Bebauungsplan ist daher getragen von sittenwidriger
Schädigungsabsicht, welches das primäre Handlungsmotiv des Herrn
Bürgermeister darstellt." und "... wurde das Instrumentarium des
Flächenwidmungsplans sowie des Bebauungsplans rechtsmissbräuchlich
bemüht, um meine Mandantschaft ... am Vermögen zu schädigen."
Über den Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises gemäß § 16 Abs 1 Z 1 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt 1990) verhängt.
2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom keine Folge gegeben. Begründend wird ua. ausgeführt:
"Die sinngemäße Äußerung des Disziplinarbeschuldigten, dass ein massiver Vermögensschaden des Mandanten des Disziplinarbeschuldigten zu einer Steigerung des Glücksgefühls der Bezirkshauptmannschaft und Marktgemeinde S führe, bezeichnete der Disziplinarbeschuldigte in der Disziplinarverhandlung als 'ironische Stellungnahme'. Wenn sich diese Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten auch darauf beziehen, dass in der Gemeinderatssitzung vom erklärt wurde, dass weder die Marktgemeinde S noch die Bezirkshauptmannschaft B über das Vorhaben der Firma ... 'erfreut' sei, so muss die Äußerung des Disziplinarbeschuldigten im Schreiben vom an die Marktgemeinde S, wonach die vom Disziplinarbeschuldigten behauptete Schädigung am Vermögen seiner Mandantin dem Glückgefühl der Behörden keinen Abbruch tue, sondern vielmehr noch zu einer ungeahnten Steigerung dieses Glückgefühl führe, als unangebrachte und unsachliche Schreibweise angesehen werden, welche zum Zweck hat, die Vorgehensweise einer Behörde zu verspotten. So hat sich ein Rechtsanwalt tunlichst einer ironischen Darstellung zu enthalten, da Ironie meist zweischneidig ist und vom Gegenüber leicht falsch sowie als persönlichen Angriff verstanden werden kann. Gerade im Verkehr mit Behörden liegt es am Rechtsanwalt, sich solcher Äußerungen zu enthalten, da, wie aus oben angeführter ständiger Rechtsprechung hervorgeht, der verwendete Ton ein sachlicher sein soll.
Wenn der Disziplinarbeschuldigte einwendet, dass er nie den Vorwurf des Amtsmissbrauches erhoben habe, so muss darauf verwiesen werden, dass der Disziplinarbeschuldigte mehrmals in den beiden inkriminierten Schreiben ausdrücklich anführt, dass die Gemeinde in sittenwidriger Schädigungsabsicht vorgegangen sei, ja dass dies sogar das primäre bzw einzige Handlungsmotiv des Bürgermeisters gewesen sei.
...
Es ist einem Rechtsanwalt zwar unbenommen, mit Härte und sachlicher Kritik gegen von ihm als rechtswidrig angesehene Maßnahmen der Behörden vorzugehen, die Behauptung, die Erlassung des Bebauungsplanes sei ausschließlich deshalb erfolgt, um seinen Mandanten am Vermögen zu schädigen, geht aber zweifellos über eine zulässige Kritik hinaus.
Dies musste dem Disziplinarbeschuldigten als Rechtsanwalt bekannt sein, so hat er ja gerade durch die Verwendung der Wortfolge 'um zu' nicht nur Wissentlichkeit, sondern Absichtlichkeit unterstellt. Dass dieser Satz so aufgefasst werden kann und muss, war dem Disziplinarbeschuldigten bewusst, und es kam ihm offensichtlich gerade darauf an, zumindest den Verdacht eines Amtsmissbrauches aufzuzeigen.
Die Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten können auch nicht als bloße Wertungen betrachtet werden, sondern stellen nach ihrem klaren und eindeutigen Wortlaut den Vorwurf des Amtsmissbrauchs dar. Gerade durch seine umfassenden rechtlichen Recherchen hätte dies dem Disziplinarbeschuldigten erkennbar sein müssen."
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf ein faires Verfahren, des Art 7 EMRK sowie in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer behauptet die Verfassungswidrigkeit der §§5 und 59 DSt 1990 wegen eines Verstoßes gegen Art 6 EMRK.
1.2. Zur Widerlegung der Beschwerdebehauptung, die Disziplinargerichtsbarkeit der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter genüge nicht den in Art 6 Abs 1 EMRK geforderten Garantien, wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen (vgl. VfSlg. 11.512/1987, 11.776/1988, 11.879/1988; zur Unbedenklichkeit der §§5 und 59 DSt 1990 vgl. auch VfSlg. 13.580/1993 mwN).
Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.1. Der Beschwerdeführer behauptet, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden zu sein. Begründend führt er unter anderem aus, dass er auf Grund der Informationen seiner Mandantin sowie des Protokolls der Sitzung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde S vom den Schluss gezogen habe, dass seitens der Marktgemeinde S eine "sinnfällige sittenwidrige Schädigungsabsicht" in Bezug auf seine Mandantin bestehe. Die Worte "sittenwidrige Schädigungsabsicht" würden verba legalia darstellen und der Beschwerdeführer würde darin weder eine Verletzung von Berufspflichten noch von Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes erkennen. Die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in Bezug auf die "sittenwidrige Schädigungsabsicht" sei bis zum heutigen Tage vertretbar. Im Zeitpunkt der Abfassung der Stellungnahme am sei der Beschwerdeführer von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt gewesen, weshalb er die Stellungnahme mit reinem Gewissen und frei von Zweifeln über deren Richtigkeit verfasst habe. Der Beschwerdeführer habe somit lediglich alles unumwunden vorgebracht, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Mandantin als zweckdienlich erachtet habe.
2.2. Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) ausgesprochen hat (s. zB EGMR , Fall Sunday Times, Appl. 6538/74, EuGRZ 1979, 390; , Fall Barthold, Appl. 8734/79, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg. 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).
Ein Bescheid, der in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde, eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art 10 EMRK missachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10.700/1985, 12.086/1989, 13.922/1992, 13.617/1993, 16.558/2002).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der belangten Behörde
kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden,
wenn sie davon ausgeht, dass unter anderem die vom Beschwerdeführer
getätigte Äußerung, wonach "... das Instrumentarium des
Flächenwidmungsplans sowie des Bebauungsplans rechtsmissbräuchlich
bemüht [wurde], um meine Mandantschaft ... am Vermögen zu schädigen"
den Vorwurf eines Amtsmissbrauchs impliziert.
Die belangte Behörde hat dem Gesetz auch keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Der Verfassungsgerichtshof hegt keinen Zweifel daran, dass mit dem angefochtenen Bescheid eine der "Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung" (vgl. Art 10 Abs 2 EMRK) dienliche Einschränkung der Meinungsfreiheit vorgenommen wurde, die zu diesem Zweck auch als notwendig anzusehen ist (VfSlg. 17.228/2004, ).
Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.
3.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters eine Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK. Begründend wird ausgeführt, dass an der Entscheidungsfindung ein befangenes Mitglied teilgenommen habe. Darüber hinaus habe die belangte Behörde weder die vom Beschwerdeführer angebotenen Beweise aufgenommen noch die von ihm beantragten Zeugen einvernommen.
3.2.1. Der belangten Behörde kann - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht entgegengetreten werden, wenn sie vor dem Hintergrund des Beschlusses des Präsidenten der OBDK vom davon ausgeht, dass im Falle des betreffenden Anwaltsrichters kein Befangenheitsgrund vorlag.
3.2.2. Der EGMR sieht das Recht, die Ladung von Entlastungszeugen zu verlangen, nicht als absolut an (EGMR , Fall Vidal, Appl. 12.351/86, EuGRZ 1992, 440). Die Beurteilung, ob ein Zeuge zu laden ist, weil er "wesentlich" ist, obliegt zunächst den nationalen Gerichten. Der EGMR stellt nur darauf ab, ob das Verfahren insgesamt fair war (vgl. auch EKMR , ÖJZ 1994, 137; sowie jüngst EGMR , Fall Klimentyev, Appl. 46.503/99; EGMR , Fall Gossa, Appl. 47.986/99). Die belangte Behörde hat die Einvernahme der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen unter anderem deswegen unterlassen, weil der Beweisantrag des Beschwerdeführers den Erfordernissen des § 281 Abs 1 Z 4 StPO nicht entsprach. Der Verfassungsgerichtshof vermag in dieser Beurteilung der belangten Behörde keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gemäß Art 6 EMRK zu erblicken.
4. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer - ohne nähere Ausführungen - in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 7 EMRK verletzt. Es ist aber nicht ersichtlich, worin eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gemäß Art 7 EMRK liegen soll.
5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.