OGH vom 03.07.2003, 12Os34/03

OGH vom 03.07.2003, 12Os34/03

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Habl, Dr. Zehetner, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Albert R***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach §§ 159 Abs 1, Abs 4 Z 1, Abs 5 Z 3, 161 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Andreas W***** und Peter L***** sowie die Berufung des Angeklagten Albert R***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 4 Hv 41/02t-218, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde ("Berufung wegen Nichtigkeit") und die "Berufung wegen Schuld" des Angeklagten Andreas W***** werden zurückgewiesen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Peter L***** wird Folge gegeben und das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch Punkt C sowie in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Angeklagte L***** wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen der Angeklagten R***** und W***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten W***** auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige (Teil-)Freisprüche enthaltenden Urteil wurden (ua) Andreas W***** des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach §§ 159 Abs l, Abs 4 Z l, Abs 5 Z 3, 161 Abs 1 StGB (A/1) sowie der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a und lit b FinStrG (A/2 und A/3), Peter L***** des teils als Beitragstäter nach § 11 dritter Fall FinStrG begangenen Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (C) schuldig erkannt.

Darnach haben (soweit im Nichtigkeitsverfahren von Bedeutung) A/2) Andreas W***** als handelsrechtlicher Geschäftsführer der S***** GmbH sowie als faktischer Geschäftsführer der K***** GmbH im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Erstangeklagten Albert R***** von 1993 bis 1995 in Unterpremstätten und Graz vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1994 entsprechenden Voranmeldungen durch Nichterklären von Umsätzen und Geltendmachung fingierter Vorsteuern hinsichtlich der K***** GmbH Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, nämlich für das Jahr 1994 um 4,757.892 S 345.769,49 EUR) und für das Jahr 1995 um 23,781.553 S 1,728.272,80 EUR) sowie

C) Peter L***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Josef

K***** von 1994 bis 1995 in Unterpremstätten, Graz und an anderen Orten als Geschäftsführer der L***** GmbH vorsätzlich durch Legung fingierter Rechnungen des genannten Unternehmens an die K***** GmbH unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1994 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung der Umsatzsteuer um 271.085 S 19.700,51 EUR) bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten und zu den von Albert R***** und Andreas W***** bewirkten Verkürzungen an Umsatzsteuer (Faktum A/2) im Teilbetrag von 500.000 S 36.336,41 EUR) beigetragen, wobei er die Bewirkung der Verkürzung nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten hat.

Gegen diese Schuldspruchpunkte richten sich die aus Z 4, 5, 5a, 8 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Peter L***** und die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte "Berufung wegen Nichtigkeit" und die (bloß angemeldete) "Berufung wegen Schuld" des Angeklagten Andreas W*****.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde ("Berufung wegen Nichtigkeit") und zur "Berufung wegen Schuld"

des Angeklagten Andreas W*****:

Die angefochtene Entscheidung wurde am verkündet (S 92 ff/IX), der Zweitangeklagte meldete am (somit am letzten Tag der Anmeldungsfrist) Berufung "wegen des Ausspruches über die Schuld und die Strafe" an (ON 221) und erklärte erstmals in der Rechtsmittelausführung vom , (auch) Nichtigkeitsgründe geltend zu machen (ON 234). Da die Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb der Frist des § 284 Abs 1 StPO deutlich und bestimmt erklärt werden muss (13 Os 157/95, 13 Os 77/02) und die Anmeldung einer "Berufung wegen Schuld und Strafe" diesem Erfordernis nicht entspricht, war die ohne Anmeldung erstattete Nichtigkeitsbeschwerde ("Berufung wegen Nichtigkeit") schon in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (Ratz WK-StPO § 284 Rz 7 mwN).

Mit der vom Angeklagten W***** angemeldeten, gegen kollegialgerichtliche Entscheidungen unzulässigen "Berufung wegen Schuld" war in gleicher Weise zu verfahren.

Der von diesem Beschwerdeführer gemäß § 35 StPO erstatteten Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur zuwider gereicht ihm nicht die (erst) bei der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde gebrauchte Falschbezeichnung als "Berufung wegen Nichtigkeit" zum Nachteil, sondern die Anmeldung ausschließlich einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Rechtsmittels - nämlich einer "Berufung wegen Schuld".

Zur Nichtigkeitsbeschwerde

des Angeklagten Peter L*****:

Die Mängelrüge (Z 5) wendet zutreffend ein, dass das Erstgericht bezüglich der Verantwortlichkeit des Peter L***** für die L***** GmbH wichtige Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen hat. Nach in der Hauptverhandlung verlesenen (S 83, 87/IX) Urkunden, nämlich der Anzeige des Finanzamtes Graz-Stadt vom (ON 96) und dem im Körperschaftssteuerakt der L***** GmbH enthaltenen Betriebsprüfungsbericht vom soll nämlich einerseits der Beschwerdeführer am die Geschäftsführungsbefugnis betreffend die L***** GmbH zurückgelegt und andererseits der Mitangeklagte K***** auch nach diesem Zeitpunkt namens des genannten Unternehmens Schein- sowie Deckungsrechnungen ausgestellt haben, wobei das Erstgericht - der Anzeige (S 121, 125/V) folgend - dem strafbestimmenden Wertbetrag zum Faktum C alle im Jahr 1995 gelegten unredlichen Fakturen zu Grunde legt (US 5, 28).

Diese Unvollständigkeit betrifft eine entscheidende Tatsache, weil - wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zutreffend festhält - solcherart die tatrichterlichen Konstatierungen nicht hinreichen, den Schuldspruch des Beschwerdeführers zu tragen: Aus den erstgerichtlichen Feststellungen geht nämlich nicht hervor, ob Peter L***** auch nach Zurücklegung der Geschäftsführungsbefugnis hinsichtlich der L***** GmbH die Angelegenheiten eines Abgabepflichtigen faktisch wahrnahm und aus diesem Grunde (auch) die finanzstrafrechtliche Verantwortung trug (vgl 15 Os 30/98).

Gleiches gilt für die Beitragstäterschaft zu den Umsatzsteuerverkürzungen bei der K***** GmbH (Faktum C/2). Ausgehend von seiner Geschäftsführereigenschaft sowie unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Entscheidungsgründe vermögen die Feststellungen, dieser sei über die Malversationen des für die L***** GmbH "nach außen hin gleich einem Geschäftsführer auftretenden Fünftangeklagten (Josef K*****) informiert gewesen, habe diese akzeptiert und die hiedurch bei der K***** GmbH bewirkte Abgabenverkürzung für gewiss gehalten" (US 28), den Schuldspruch des Beschwerdeführers wegen Abgabenhinterziehung noch zu tragen; unter der Prämisse der Beendigung der Geschäftsführertätigkeit ist jedoch nicht erkennbar, worin in der Zeit danach der Tatbeitrag des Genannten gelegen sein soll.

Im zweiten Rechtsgang wird daher durch Einholung eines Firmenbuchauszugs der L***** GmbH sowie durch (neuerliche) Vernehmung der Beteiligten, allfälliger Beschäftigter und (weiterer) Geschäftspartner des genannten Unternehmens sowie der zuständigen Finanzbeamten zu klären sein, bis zu welchem Zeitpunkt der Peter L***** handelsrechtlicher Geschäftsführer war und ob er nach diesem Zeitpunkt die Geschäfte faktisch weiter leitete oder (andere) konkrete Tathandlungen setzte, wobei auch die Möglichkeit einer Bestimmungs- oder Beitragstäterschaft hinsichtlich der Umsatzsteuerverkürzung bei der L***** GmbH in Betracht zu ziehen sein wird, zumal in diesen Täterschaftsformen finanzstrafgesetzliche Tatbestände auch von nicht abgabepflichtigen Personen erfüllt werden können.

Schließlich wird die den Tatzeitraum betreffende Anklagemodifizierung (S 179/VIII) zu berücksichtigen sein, wenngleich die exakte Bezeichnung der Tatzeit nicht zu den Identitätsmerkmalen der Straftat gehört, sofern Anklage und Urteil, gemessen an dem sonst übereinstimmenden individualisierten Geschehen, das nämliche Verhalten erfassen und es diesfalls keine Anklageüberschreitung begründet, wenn der Urteilssachverhalt eine weitere Zeitspanne umfasst als der Anklagesachverhalt (Mayerhofer StPO4 § 281 Abs 1 Z 8 E 10a).

Weil die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst aber noch nicht einzutreten hat, war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten L***** daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben und dem Erstgericht die Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung aufzutragen (§ 285e StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte L***** auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Entscheidung über die (Straf-)Berufungen der Angeklagten R***** und W***** fällt sohin in die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in der bezogenen Gesetzesstelle begründet.