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VfGH vom 12.06.1991, B1933/88

VfGH vom 12.06.1991, B1933/88

Sammlungsnummer

12732

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit der in der 13. GSVG-Nov enthaltenen Bestimmungen über die Nichtberücksichtigung bestimmter Ersatzzeiten bzw. das Leistungswirksamwerden durch Beitragsentrichtung; Vergleich mit dem Pensionsrecht der Beamten nicht zielführend; kein Bruch des Vertrauensschutzes der Versicherten im Hinblick auf die Übergangsregelung; keine Gleichheitswidrigkeit der Übergangsregelung hinsichtlich der Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Versicherten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach § 116 Abs 7 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes-GSVG, BGBl. 560/1978, gelten Zeiten, in denen nach Vollendung des 15. Lebensjahres eine mittlere, höhere oder Hochschule besucht wurde oder nach dem Hochschulstudium eine weiterführende Berufsausbildung erfolgt ist, in näher bestimmtem Ausmaß als Ersatzzeiten. Durch die 13. Novelle zu diesem Gesetz, BGBl. 610/1987, wurden dem § 116 weitere Abs 8 bis 10 angefügt, wonach die in Abs 7 angeführten Zeiten für die Bemessung der Leistungen (außer für die Berechnung der für die vorzeitige Alterspension erforderlichen 420 Versicherungsmonate) nicht zu berücksichtigen sind, nach näherer Maßgabe dieser Bestimmungen aber durch Beitragsentrichtung ganz oder teilweise leistungswirksam werden. ArtII Abs 4 und 5 der Novelle enthält Übergangsbestimmungen, die ein stufenweise fortschreitendes Wirksamwerden der Novelle innerhalb von fünf Jahren vorsehen. Dies einerseits nach Maßgabe des Geburtsjahrgangs des Versicherten, und zwar für männliche Versicherte ab dem Geburtsjahrgang 1928 (mit einer Begünstigung des Versicherten gegenüber der neuen Rechtslage bis einschließlich des Geburtsjahrganges 1932) und für weibliche ab dem Geburtsjahrgang 1933 (mit einer entsprechenden Begünstigung bis einschließlich des Geburtsjahrganges 1937) sowie andererseits nach Maßgabe des Kalenderjahres (nämlich der Kalenderjahre 1988 bis einschließlich 1992), in welchem der Stichtag liegt.

2. Der Beschwerdeführer, welcher dem Geburtsjahrgang 1935 angehört, beantragte am 25. Feber 1988 bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Feststellung, in welchem Ausmaß er die ihm durch die Novelle gestrichenen Ersatzzeiten für Schule und Studium nachkaufen könne. Im Verfahren vor der Anstalt kritisierte er die durch die Novelle herbeigeführte Gesetzeslage als verfassungswidrig und beanstandete insbesondere die nach dem Geschlecht des Versicherten differenzierende Übergangsregelung. Die Anstalt entschied über den Antrag mit Bescheid vom , dessen Spruch wie folgt lautet:

"Über Ihren Antrag vom wird festgestellt, daß Sie gemäß § 116 Abs 8 bis 10 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG) in der geltenden Fassung berechtigt sind, für folgende Zeiträume Ersatzzeiten gemäß § 116 Abs 7 GSVG durch Beitragsentrichtung leistungswirksam zu erwerben:

a) gemäß § 116 Abs 9 Z. 1 GSVG:

vom bis 8 Monate

vom bis 8 Monate

vom bis 8 Monate

b) gemäß § 116 Abs 9 Z. 2 GSVG:

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

vom bis 4 Monate

Der monatliche Beitrag beträgt für die unter a) angeführten Zeiten 20,5 v.H. des 7,5fachen der im Jahr der Antragstellung geltenden Höchstbeitragsgrundlage nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), das sind 1.414,50 S (insgesamt somit 33.948,00 S).

Der monatliche Beitrag beträgt für die unter b) angeführten Zeiten 20,5 v.H. des 15fachen der genannten Höchstbeitragsgrundlage, das sind 2.829,00 S (insgesamt somit 113.160,00 S).

Beiträge, die nicht bis zum entrichtet werden, erhöhen sich auf jenen Betrag, der sich aus der entsprechenden Heranziehung der im Jahr der Entrichtung geltenden Höchstbeitragsgrundlage nach dem ASVG ergibt."

3. Gegen diesen Anstaltsbescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch an den Landeshauptmann von Wien, welcher das Rechtsmittel jedoch mit Bescheid vom abwies. Dieser Einspruchsbescheid ist Gegenstand der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde nach Art 144 B-VG, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des Gleichheitsrechtes sowie der Sache nach Rechtsverletzungen infolge der Anwendung von ihm als verfassungswidrig angesehener Besstimmungen der 13. Novelle zum GSVG geltend macht.

II. Die Beschwerde ist nicht gerechtfertigt.

1. Der Beschwerdeführer hält die dargestellte Regelung durch die 13. Novelle zum GSVG zunächst deshalb für gleichheitswidrig, weil sie Versicherte nach dem GSVG gegenüber Beamten benachteilige. Dieser Vergleich mit dem Pensionsrecht der Beamten ist aber nicht zielführend, weil der Verfassungsgerichtshof in ständiger, auch hier beizubehaltender Rechtsprechung (s. VfSlg. 11665/1988 S. 365 mit Bezugnahme auf VfSlg. 5241/1966) dargetan hat, daß es sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und bei der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete handelt.

2. Weiters ist der Beschwerdeführer der Ansicht, daß die getroffene Regelung in einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Weise in wohlerworbene Rechte der Versicherten eingreife.

Auch dieser Auffassung kann der Verfassungsgerichtshof auf dem Boden seiner ständigen Rechtsprechung zum Schutz des Vertrauens in die Rechtsordnung unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes nicht beipflichten, aus der zur Verdeutlichung der Position des Gerichtshofs beispielsweise folgende Ausführungen aus dem Erk. G228/89 vom wiedergegeben seien:

"Rechtsnormen zielen auf die Steuerung menschlichen Verhaltens. Diese Funktion können Rechtsvorschriften freilich nur erfüllen, wenn sich die Normunterworfenen bei ihren Dispositionen grundsätzlich an der geltenden Rechtslage orientieren können. Daher können gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt geraten, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Normunterworfenen nachträglich belasten. Das kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffes führen ..."

Im vorliegenden Fall, in dem eine ohne Beitragsentrichtung gewährte Begünstigung erheblich, nämlich zu einer nur gegen Beitragszahlung gewährten vermindert wurde, kann aber im Hinblick auf die geschaffene Übergangsregelung nicht von einem schwerwiegenden, plötzlich eintretenden Eingriff gesprochen werden. Der Übergangszeitraum von fünf Jahren, welcher im wesentlichen potentielle Bezieher einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer berücksichtigt, mindert das Gewicht des Eingriffs innerhalb dieses Zeitraums fühlbar (nämlich von fünf Sechsteln bis einem Sechstel der bisherigen beitragsfreien Begünstigung) und schließt es sohin wegen der vorgesehenen stufenweise Abfolge aus, daß jene Versicherten, welche ihrem Lebensalter nach dem Übertritt in den Ruhestand nahe sind, von einer plötzlichen, bedeutsamen Schlechterstellung betroffen werden. Was jedoch jene Versicherten - wie beispielsweise den dem Geburtsjahrgang 1935 angehörenden Beschwerdeführer - anlangt, bei denen die Beitragsfreiheit der Begünstigung zur Gänze wegfällt, ist festzuhalten, daß der ihnen zur Verfügung stehende Zeitraum ausreicht, adäquate Dispositionen zu treffen, und zwar eine gänzliche oder teilweise Beitragsentrichtung über einen unter Umständen längeren Zeitraum ins Auge zu fassen und in Zusammenschau damit allenfalls den Anfall der Alterspension (oder der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer) später eintreten zu lassen.

3. Als gleichheitswidrig kritisiert der Beschwerdeführer weiters die durch die 13. Novelle im § 116 Abs 9 GSVG getroffene Unterscheidung, wonach als Grundlage der Beitragsbemessung für Mittelschulzeiten das 7,5fache und für Hochschulzeiten das 15fache der Höchstbeitragsgrundlage gilt; der doppelte Preis für einen Hochschulmonat wäre seiner Ansicht nach nur annehmbar, wenn aus dem Nachkauf des Hochschulmonats eine höhere Bemessungsgrundlage resultierte.

Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß die Unterscheidung im Nachkaufpreis für Mittel- und Hochschulzeiten unsachlich wäre. Geht man davon aus, daß die Berücksichtigung gewisser Schul- und Ausbildungszeiten den Nachteil ausgleichen soll, den ein wegen längerer Ausbildung später versicherungspflichtig Gewordener dadurch erleidet, daß er im Vergleich mit den Altersgenossen weniger Versicherungszeiten erwerben kann, so läßt sich eine unterschiedliche Behandlung schon deshalb rechtfertigen, weil die Unterschiede im Ausbildungsniveau im allgemeinen Unterschiede in den für die Leistungsfähigkeit und die Pensionshöhe maßgeblichen Einkommensverhältnissen zur Folge haben. Aus dem Blickwinkel der vorliegenden Beschwerde sind daher Bedenken gegen die Art der Unterscheidung zwischen Mittel- und Hochschulzeiten nicht entstanden.

4. Eine Gleichheitswidrigkeit der Übergangsvorschriften erblickt der Beschwerdeführer schließlich darin, daß sie in der schon erwähnten Weise zwischen männlichen und weiblichen Versicherten unterscheiden und diese - entsprechend dem früheren Entstehen des Pensionsanspruchs - begünstigen. Er stützt seine Kritik auf Argumente, die in den Entscheidungsgründen des Vorschriften des ASVG über das unterschiedliche Pensionsalter betreffenden hg. Gesetzesprüfungserkenntnis G223/88 (ua. Zahlen) vom angeführt sind und dort näher erörtert werden. Der Verfassungsgerichtshof hält jedoch auch dieses Beschwerdevorbringen für nicht stichhältig.

Selbst wenn man ohne weitere Prüfung die Frage bejahen wollte, daß die vom Verfassungsgerichtshof im eben zitierten Erkenntnis für den Bereich des ASVG dargelegte Auffassung sinngemäß auf den Rechtsbereich des GSVG zu übertragen ist, wäre für den Standpunkt der Beschwerde nichts zu gewinnen. Der Gerichtshof führte in diesem Erkenntnis in bezug auf den Fall, daß weibliche Versicherte nahe dem Pensionsanfallsalter sind, folgendes aus:

"Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, wenn er bei Änderung der Rechtslage plötzlich und intensiv in erworbene Rechtspositionen eingreift. Dieser aus dem Gleichheitssatz erfließende Vertrauensschutz bedarf dann besonderer Beachtung, wenn Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit ihre Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension eingerichtet haben (vgl. VfSlg. 11288/1987 und 11665/1988). Der Verfassungsgerichtshof hatte daher zu prüfen, ob eine Beseitigung der derzeitigen Regelung nicht zu einem so intensiven Eingriff in erworbene Rechtspositionen führt, daß dadurch eine andere Unsachlichkeit und somit Gleichheitswidrigkeit bewirkt würde.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß der Vertrauensschutz zwar eine Beibehaltung der bisherigen Regelung für jene Frauen rechtfertigt, die nahe dem Pensionsalter sind und die daher ihre Lebensführung bereits auf den herannahenden Ruhestand eingerichtet haben...."

Ist aber die Beibehaltung der bisherigen Regelung über das Pensionsalter für jene Frauen unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes gerechtfertigt, die ihrem Lebensalter nach dem Übertritt in den Ruhestand nahe sind, so rechtfertigt dies auch eine dem unterschiedlichen Pensionsanfall korrespondierende Übergangsregelung bezüglich einer (insbesondere) für die Höhe des Pensionsanspruchs maßgeblichen Begünstigung.

5. Da im Beschwerdeverfahren auch sonst weder die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, war die Beschwerde abzuweisen.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.