OGH vom 29.01.2013, 10Ob65/12z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch DDr. Katharina Müller, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. I***** GmbH Co KG, und 2. I***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 64.812,62 EUR sA, über die außerordentliche Revision (Revisionsinteresse 44.039,29 EUR sA) der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 177/12i 54, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die im vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Bestimmung des Punktes 5.30.2 der Ö Norm B2110 ist nach ständiger Rechtsprechung dahin zu verstehen, dass sie zwei verschiedene Tatbestände erfasst:
1. den Fall, dass der Auftragnehmer bewusst oder unbewusst in der Schlussrechnung nicht alle Forderungen geltend gemacht hat, wobei der Vorbehalt dann schon in die Schlussrechnung aufgenommen werden muss, und
2. jenen Fall, dass der Auftraggeber vom Schlussrechnungsbetrag Abzüge vornimmt und entsprechend weniger bezahlt (8 Ob 141/07d = RIS Justiz RS0070863 [T9] ua). Die sachliche Rechtfertigung für diese Regelung liegt im Zweck der Bestimmung, die Rechtslage bei Bauprojekten mit zumeist hohen Auftragssummen möglichst innerhalb kurzer Zeit zu klären (8 Ob 141/07d ua; RIS Justiz RS0122419). Der Auftraggeber soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das gesamte Ausmaß seiner Verpflichtungen überschauen und erfahren können (7 Ob 208/07z mwN ua).
1.1 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht jedoch keine Verpflichtung des Werkunternehmers zu andauernd erneuten Vorbehalten. Es erscheint nämlich keineswegs sachgerecht, den Werkunternehmer, der bereits eindeutig und unmissverständlich die gesamte Rechnungsforderung durch einen entsprechenden „Vorbehalt“ aufrecht erhalten hat, nur deshalb bei sonstigem Anspruchsverlust zu neuerlichen (gleichlautenden) Erklärungen zu „zwingen“, weil der Werkbesteller in der Folge weitere als „Schlusszahlung“ bezeichnete (unvollständige) Zahlungen leistet. Mit dem ersten „Vorbehalt“ hat der Werkunternehmer klargestellt, dass er die (hier: alle) „Rechnungskorrekturen“ bzw „Rechnungsabzüge“ nicht akzeptiert und seine durch die aufgeschlüsselte Schlussrechnung dokumentierte Forderung (vollinhaltlich) aufrecht erhält. Damit ist für den Werkbesteller in ausreichender Weise klargestellt, dass er sich darauf einstellen muss, dass der Werkunternehmer in Zukunft den Differenzbetrag geltend machen wird. Dass es in vielen Fällen nach diesem „Vorbehalt“ noch zu Gesprächen kommt, in denen die Auffassungsunterschiede in einzelnen Punkten ausgeräumt werden und der Werkbesteller nachträglich vorher bestrittene Rechnungspositionen akzeptiert, begründet kein zusätzliches oder neues Klarstellungsinteresse, sondern führt lediglich dazu, dass sich die strittigen Rechnungspositionen vermindern (1 Ob 247/08t, 8 Ob 164/08p ua; RIS Justiz RS0124589).
1.2 Die angefochtene Entscheidung der zweiten Instanz folgt diesen in der Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen. Die Frage, ob der Werkunternehmer einen ausreichenden Vorbehalt im Sinn der genannten Bestimmung gemacht hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist daher nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterläuft, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden muss. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Nach den maßgeblichen Feststellungen hat die Klägerin einen Teil der von der Erstbeklagten vorgenommenen Korrektur der Schlussrechnung vom akzeptiert, jedoch mit Schreiben vom bekannt gegeben, welche von der Erstbeklagten konkret aufgelisteten Abzüge nicht akzeptiert werden. Dieses Schreiben führte zu einer Besprechung am , bei der es jedoch zu keiner Einigung der Streitteile kam.
1.3 Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, auch wenn die Klägerin auf eine neuerliche Mitteilung der Erstbeklagten, in der die Abzüge neuerlich aufgeschlüsselt worden seien, nicht mehr reagiert habe, habe für die Beklagten angesichts des im Schreiben vom eingenommenen und in der Besprechung vom wiederholten Standpunkts der Klägerin kein Zweifel darüber bestehen können, dass die Klägerin auf ihrer restlichen Werklohnforderung bestehe. Mit ihren zweimal geäußerten Vorbehalten habe die Klägerin als Werkunternehmerin klargestellt, dass sie die über die akzeptierten Rechnungskorrekturen hinausgehenden weiteren Rechnungsabzüge der Beklagten nicht akzeptiere und ihre Forderung vollinhaltlich aufrecht erhalte. Damit sei für die Beklagten in ausreichender Weise klargestellt gewesen, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass die Klägerin in Zukunft den noch aushaftenden Differenzbetrag geltend machen werde. Demnach sei die Klägerin auch nicht verpflichtet gewesen, auf die (verminderte) Restzahlung der Beklagten zu reagieren, um die Geltendmachung ihrer Ansprüche zu wahren.
1.4 Diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist im Hinblick auf die in Punkt 1.1 dargelegte Judikatur des Obersten Gerichtshofs jedenfalls vertretbar. Der von den Revisionswerbern hervorgehobene Umstand, dass die Klägerin einen Teil der von der Erstbeklagten vorgenommenen Korrektur der Schlussrechnung vom akzeptiert habe, führte lediglich dazu, dass sich die strittigen Rechnungspositionen verminderten. Die Klägerin hat aber sowohl mit dem Schreiben vom als auch bei der nachfolgenden Besprechung am hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie keine weiteren Abzüge vom Rechnungsbetrag akzeptiert. Soweit die Beklagten in diesem Zusammenhang von „aufrechten und andauernden Vergleichsgesprächen über weitere strittige Positionen“ zwischen den Parteien ausgehen, entfernen sie sich in unzulässiger Weise von den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen.
2. Übernimmt der Auftraggeber die mangelhafte Leistung, hat er nach allgemeiner Rechtslage (§ 1170 ABGB) nach ständiger Rechtsprechung das Recht, den gesamten Werklohn (bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit) bis zur Verbesserung des mangelhaften Werks zurückzubehalten. Die zwischen den Parteien vereinbarte Ö Norm B2110 schränkt dieses Recht ein. Wird die Leistung mit verbesserbaren Mängeln übernommen, hat der Auftraggeber nach der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung des Punktes 5.41.8 dritter Absatz der Ö Norm B2110 (nur) das Recht, neben dem Haftungsrücklass das Entgelt bis zur Höhe des Dreifachen der voraussichtlichen Kosten einer Ersatzvornahme der Mängelbehebung zurückzubehalten. Dieses Entgeltzurückbehaltungsrecht in Höhe des Dreifachen der Mängelbehebungskosten knüpfte nach der entsprechenden Anpassung dieser Bestimmung an die Gewährleistungsreform 2001 an die Übernahme der Leistung mit „verbesserbaren Mängeln“ (statt zuvor „behebbaren Mängeln“) an (vgl Gölles , Bauvertrags ÖNORM B2110 Was ist neu ab ?, ecolex 2002, 164 f).
2.1 Bei Ö Normen handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung weder um von einer der Vertragsparteien aufgestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen noch um das Ergebnis von Vertragsverhandlungen der Parteien, sondern um „kollektiv“ gestaltete Vertragsbedingungen, die von dritter Seite dem österreichischen Normungsinstitut herausgegeben werden. Ihre Bestimmungen sind objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut, das heißt unter Verzicht auf außerhalb des Textes liegende Umstände gemäß § 914 ABGB auszulegen. Sie sind so zu verstehen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises erschließen (1 Ob 51/05i = RIS Justiz RS0038622 [T13], 3 Ob 2327/96v ua).
2.2 Der von den Revisionswerbern weiterhin vertretenen Rechtsansicht, die Bestimmung des Punktes 5.41.8 dritter Absatz Ö Norm B2110 habe nur für den Fall Geltung, dass der Auftraggeber die Leistung trotz Kenntnis von verbesserbaren Mängeln übernehme, hat bereits das Berufungsgericht entgegengehalten, dass der maßgebliche Wortlaut der genannten Bestimmung über das eingeschränkte Zurückbehaltungsrecht nicht zwischen Mängeln, die zum Übergabezeitpunkt des Werks bekannt bzw unbekannt waren, unterscheidet, sondern ausschließlich auf die Verbesserbarkeit des Mangels abstellt. Auch insoweit zeigt die Revision keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf.
Die außerordentliche Revision war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.